Verwaltungsgericht Lüneburg
Urt. v. 14.08.2017, Az.: 3 A 110/16

Afghanistan; Anfechtungsklage; Belgien; Drohbriefe

Bibliographie

Gericht
VG Lüneburg
Datum
14.08.2017
Aktenzeichen
3 A 110/16
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2017, 54119
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

§ 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG ist - anders als § 29 Abs. 1 Nr. 3 AsylG - auch auf Mitgliedsstaaten der Europäischen Union anwendbar.

Tatbestand:

Der 1993 geborene Kläger ist afghanischer Staatsangehöriger, paschtunischer Volks- und sunnitischer Religionszugehörigkeit. Im Jahr 2011 verließ er Afghanistan und hielt sich zunächst dreieinhalb Jahre in Belgien auf. Dort stellte er auch am 14. Juni 2011 sowie am 20. Februar 2014 Asylanträge. Diese sind abgelehnt worden. In der die Anerkennung als Flüchtling und Zuerkennung subsidiären Schutzes ablehnenden Entscheidung der belgischen Behörden vom 2. Oktober 2014 hinsichtlich des Asylantrages des Klägers vom 20. Februar 2014 wird unter anderem ausgeführt: Der Kläger habe bereits am 14. Juni 2011 einen Asylantrag eingereicht. Seinen Angaben hinsichtlich seiner Militärangehörigkeit und einer Verfolgung durch die Taliban sei kein Glauben geschenkt worden. Am 20. Juni 2013 sei das Asylverfahren negativ abgeschlossen worden. Hiergegen habe er Berufung eingelegt. Die ergangene Entscheidung sei jedoch am 28. November 2013 bestätigt worden. Mit dem zweiten Asylantrag habe der Kläger an seinen Angaben festgehalten. Ergänzend habe er ausgeführt, dass die Taliban ihn auch verfolgen würden, weil er sich in Belgien in einer Kirche aufgehalten habe. Verschiedene Taliban Mitglieder würden seinen Vater und seine Nachbarn wiederholt nach ihm und seinen Aufenthaltsort fragen. Am 26. Dezember 2014 reiste der Kläger dann in die Bundesrepublik Deutschland ein. Am 18. März 2015 stellte er einen Asylantrag gegenüber der Beklagten.

Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im folgenden Bundesamt) bat Belgien am 22. April 2015 um Übernahme des Asylverfahrens. Mit Schreiben vom 28. April 2015 erklärten sich die belgischen Behörden dazu bereit. In dem weiteren persönlichen Gespräch zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaates am 19. Mai 2015 gab der Kläger an, dass er in Belgien zwei Asylanträge gestellt habe und beide abgelehnt worden seien. Ihm sei dann die Abschiebung zurück nach Afghanistan angedroht worden. Mit Bescheid vom 3. Juli 2015 lehnte die Beklagte den Asylantrag des Klägers als unzulässig ab und ordnete seine Abschiebung nach Belgien an. Nach Ablauf der Überstellungsfrist entschied sich die Beklagte am 16. November 2015 zur Durchführung eines nationalen Asylverfahrens. Mit Schriftsatz vom 17. Juni 2016 teilte der Kläger über seinen Prozessbevollmächtigten, der sich am 19. Februar 2016 zu den Akten legitimiert hatte, mit, dass er - der Kläger - bei Kontakten in seine Heimat erfahren habe, dass er erneut von Mitgliedern der Taliban gesucht werde und er dies durch entsprechende Mitteilungen belegen werde.

Mit Bescheid vom 1. August 2016 lehnte die Beklagte dann den Antrag auf Durchführung eines weiteren Asylverfahrens ab und stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen. Weiter wurde der Kläger, unter Androhung der Abschiebung nach Afghanistan, aufgefordert die Bundesrepublik Deutschland innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe dieser Entscheidung zu verlassen. Das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot wurde auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet. Der Kläger habe zur Begründung seines Zweitantrages nur auf Sachverhalte Bezug genommen, die er auch schon in Belgien geltend gemacht habe.

Gegen diesen Bescheid hat der Kläger am 8. August 2016 Klage erhoben. Mit Schriftsatz vom 27. September 2016 legte der Kläger zwei Schriftstücke vor, die im Dezember 2015 bzw. Januar 2016 erstellt worden sein sollen und die seine Familie erhalten habe, welche diese an ihn Anfang September weitergeleitet habe. In dem ersten Schreiben würde ihm durch die Taliban vorgehalten, in der Armee zu dienen und er solle seine Stellung verlassen, sonst würde er gehängt werden. In dem zweiten Schreiben werde ausgeführt, dass sie erfahren hätten, dass er seinen Job nicht verlassen hätte und man ihn dazu zwingen würde.

Der Kläger beantragt,

den Bescheid der Beklagten vom 1. August 2016 aufzuheben, hilfsweise, die Beklagte zu verpflichten ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG festzustellen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten verwiesen.

Entscheidungsgründe

Das Gericht konnte gemäß § 102 Abs. 2 VwGO trotz Abwesenheit der Beklagten bzw. eines Vertreters in der mündlichen Verhandlung über die Klage entscheiden, weil die Beteiligten in der Ladung zum Termin auf diese Möglichkeit hingewiesen worden sind.

Die Klage ist nach der Sach- und Rechtslage im maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 HS 1 AsylG) als Anfechtungsklage zulässig (dazu 1.) und auch begründet (dazu 2.), weil die Voraussetzungen, unter denen die Durchführung eines Asylverfahrens gemäß § 71a Abs. 1 AsylG wegen vorheriger erfolgloser Durchführung eines Asylverfahrens in einem sicheren Drittstaat abgelehnt werden kann, nicht vorliegen (dazu 2. a)) und die Entscheidung auch nicht aufgrund einer anderen Rechtsgrundlage aufrechterhalten bleiben kann (dazu 2. b)), mithin rechtswidrig ist und den Kläger in seinen Rechten verletzt, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO (dazu 2. c)). Dementsprechend war auch die ergangene Feststellung, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG nicht vorliegen, nebst Abschiebungsandrohung aufzuheben; beide Entscheidungen sind jedenfalls verfrüht ergangen (BVerwG, Urt. v. 14.12.2016 - 1 C 4/16 -, juris Rn. 21).

1.

Die Klage, mit der der Bescheid des Bundesamtes vom 8. August 2016 mit dem Ziel der Aufhebung angefochten wird ist zulässig. Trifft das Bundesamt - wie vorliegend - eine Unzulässigkeitsentscheidung nach § 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG ist grundsätzlich nur eine Anfechtungsklage statthaft und keine Verpflichtungsklage mit dem Ziel der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft oder des subsidiären Schutzes (BVerwG, Urt. v. 14.12.2016 - 1 C 4/16 -, juris Rn. 14 ff.; vgl. auch BVerwG, Urt. v. 01.06.2017 - 1 C 9/17 -, juris Rn. 15; VG Lüneburg, Urt. v. 08.08.2017 - 3 A 92/16 -, juris).

Die vom Bundesamt in dem angefochtenen Bescheid ausgesprochene Ablehnung der Durchführung eines weiteren Asylverfahrens gemäß § 71a AsylG stellt sich nach Inkrafttreten des Integrationsgesetzes vom 31. Juli 2016 (BGBl. I S. 1939) der Sache nach als Entscheidung über die Unzulässigkeit eines Asylantrages nach § 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG dar (vgl. BVerwG, Urt. v. 14.12.2016 - 1 C 4/16 -, juris Rn. 15). Diese stellt, ebenso wie die hier noch ergangene - gleichbedeutende - Ablehnung der Durchführung eines weiteres Asylverfahrens, einen der Bestandskraft fähigen, anfechtbaren Verwaltungsakt dar (vgl. BVerwG, Urt. v. 14.12.2016 - 1 C 4/16 -, juris Rn. 16). Der Gesetzgeber hat mit der zusammenfassenden Regelung verschiedener Unzulässigkeitstatbestände in § 29 Abs. 1 AsylG das Verfahren strukturiert und dem Bundesamt nicht nur eine Entscheidungsform eröffnet, sondern eine mehrstufige Prüfung vorgegeben (BVerwG, Urt. v. 14.12.2016 - 1 C 4/16 -, juris Rn. 18). Erweist sich ein Asylantrag schon als unzulässig, ist eine eigenständig geregelte Unzulässigkeitsentscheidung zu treffen; zugleich hat das Bundesamt gem. § 31 Abs. 3 Satz 1 AsylG über das Bestehen nationaler Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 oder 7 AufenthG zu entscheiden (BVerwG, Urt. v. 14.12.2016 - 1 C 4/16 -, juris Rn. 18). Die Prüfungsstufe der Zulässigkeit ist im Falle des § 29 Abs. 1 Nr. 5, § 71a Abs. 1 AsylG auf die Fragen beschränkt, ob es sich tatsächlich um einen derartigen (Zweit-)Antrag handelt und ob ein weiteres Asylverfahren durchzuführen ist, also die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 AsylG vorliegen (vgl. BVerwG, Urt. v. 14.12.2016 - 1 C 4/16 -, juris Rn. 18, 19 (Zulässigkeitsprüfung)). Ist der Antrag zulässig, ist in einer weiteren Entscheidung festzustellen, ob die materiell-rechtlichen Anerkennungsvoraussetzungen gegeben sind (vgl. BVerwG, Urt. v. 14.12.2016 - 1 C 4/16 -, juris Rn. 19 (Sachprüfung)). Diese klare Gliederung in zwei Verfahren legt nahe, damit auch spezialgesetzliche, prozessuale Konsequenzen zu verbinden und den Streitgegenstand einer Klage nach einer derartigen Unzulässigkeitsentscheidung auf die vom Bundesamt bis dahin nur geprüfte Zulässigkeit des Asylantrages beschränkt zu sehen (BVerwG, Urt. v. 14.12.2016 - 1 C 4/16 -, juris Rn. 19).

2.

Die Anfechtungsklage ist begründet.

a)

Unabhängig davon, ob die Beklagte für die Prüfung des Asylantrages zuständig ist (vgl. § 71a Abs. 1 AsylG) und daher einen Asylantrag aus den Gründen des § 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG als unzulässig ablehnen konnte (vgl. hierzu BVerwG, Urt. v. 14.12.2016 - 1 C 4/16 -, juris Rn. 18), sind jedenfalls die Anforderungen an eine solche Entscheidung nicht erfüllt. Der Antrag des Klägers auf Durchführung eines Asylverfahrens in Deutschland ist vielmehr zulässig, da - wie es § 71a Abs. 1 AsylG verlangt - das belgische Asylverfahren in Belgien erfolglos abgeschlossen ist (vgl. zum belgischen Asylverfahren auch https://dofi.ibz.be/sites/dvzoe/fr/documents/2012_de_asyl-in-belgien_gfs.pdf) und die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG erfüllt sind.

Das Gericht hat aufgrund der in Übersetzung vorliegenden belgischen Unterlagen keinen durchgreifenden Zweifel daran, dass das Asylverfahren des Klägers in Belgien - als sicherem Drittstaat im Sinne des § 71a Abs. 1 AsylG - erfolglos abgeschlossen ist im Sinne des § 71a Abs. 1 AsylG. Der ausführlichen (zweiten) Ablehnung der Zuerkennung des Flüchtlingsstatus und des subsidiären Schutzes vom 2. Oktober 2014 ist zu entnehmen, dass bereits am 20. Juni 2013 eine ablehnende Entscheidung getroffen wurde und die dagegen gerichtete Berufung am 28. November 2013 abgelehnt worden ist.

Auch ist § 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG anders als § 29 Abs. 1 Nr. 3 AsylG (vgl. dazu BVerwG, Urt. v. 01.06.2017 - 1 C 9/17 -, juris Rn. 17) wegen Art. 33 Abs. 2 Buchst. d), Art. 2 Buchst. q), Art. 40 Abs. 7 Richtlinie 2013/32/EU auch auf Mitgliedstaaten der Union anwendbar (so auch VG Minden, Beschl. v. 31.07.2017 - 10 L 109/17.A -, juris Rn. 20 ff.; im Ergebnis auch m.w.N. VG Köln, Beschl. v. 05.07.2017 - 18 L 2711/17.A -, juris Rn. 8 ff.). Nach Art. 33 Abs. 2 Buchst. d) RL 2013/32/EU können die Mitgliedstaaten einen Antrag auf internationalen Schutz dann als unzulässig betrachten, wenn es sich um einen Folgeantrag handelt, bei dem keine neuen Umstände oder Erkenntnisse zu der Frage, ob der Antragsteller nach Maßgabe der Richtlinie 2011/95/EU als Person mit Anspruch auf internationalen Schutz anzuerkennen ist, zutage getreten oder vom Antragsteller vorgebracht worden sind. Anders als in Art. 33 Abs. 2 Buchst. b) und c) RL 2013/32/EU wird hier nicht vorausgesetzt, dass es sich um einen Staat handelt, „der kein Mitgliedsstaat ist“. Nach Art. 2 Buchst. q) RL 2013/32/EU bezeichnet der Ausdruck „Folgeantrag“ einen weiteren Antrag auf internationalen Schutz, der nach Erlass einer bestandskräftigen Entscheidung über einen früheren Antrag gestellt wird, auch in Fällen, in denen der Antragsteller seinen Antrag ausdrücklich zurückgenommen hat oder die Asylbehörde den Antrag nach der stillschweigenden Rücknahme durch den Antragsteller gemäß Art. 28 Absatz 1 abgelehnt hat.

Die Anforderungen des § 51 Abs. 1 bis Abs. 3 VwVfG (i.V.m. § 71a Abs. 1 AsylG) sind ebenfalls erfüllt. Der Kläger hat rechtzeitig neue Beweismittel vorgelegt, die er zuvor in dem belgischen Asylverfahren ohne grobes Verschulden nicht in der Lage gewesen ist, geltend zu machen.

Gem. § 51 Abs. 1 VwVfG hat die Behörde auf Antrag des Betroffenen über die Aufhebung oder Änderung eines unanfechtbaren Verwaltungsaktes zu entscheiden, wenn 1. sich die dem Verwaltungsakt zugrunde liegende Sach- oder Rechtslage nachträglich zugunsten des Betroffenen geändert hat, 2. neue Beweismittel vorliegen, die eine dem Betroffenen günstigere Entscheidung herbeigeführt haben würden oder 3. Wiederaufnahmegründe entsprechend § 580 der Zivilprozessordnung (etwa Auffinden einer anderen Urkunde, die eine günstigere Entscheidung herbeigeführt hätte) gegeben sind. Der Antrag ist nach § 51 Abs. 2 VwVfG nur zulässig, wenn der Betroffene ohne grobes Verschulden außerstande war, den Grund für das Wiederaufgreifen in dem früheren Verfahren, insbesondere durch Rechtsbehelf, geltend zu machen und gem. § 51 Abs. 3 Satz 1 VwVfG muss der Antrag binnen drei Monaten gestellt werden, wobei die Frist mit dem Tage beginnt, an dem der Betroffene von dem Grund für das Wiederaufgreifen Kenntnis erhalten hat. Für jeden neuen Wiederaufgreifensgrund, der während eines bereits anhängigen Asylfolge- bzw. -zweitverfahrens - auch während des gerichtlichen Verfahrens - eingetreten ist, läuft eine eigenständige Drei-Monats-Frist nach § 51 Abs. 3 VwVfG zur Geltendmachung; Allgemein- oder Gerichtskundigkeit reicht insoweit nicht (BVerwG, Beschl. v. 31.01.2011 - 10 B 26/10, 10 B 26/10, 10 PKH 12/10 -, juris Rn. 6). Bei Dauersachverhalten ist maßgeblich, zu welchem Zeitpunkt die Schwelle zur Entscheidungserheblichkeit der geltend gemachten nachträglichen Sachverhaltsänderungen überschritten wurde und ob "Qualitätssprünge" festzustellen sind, die unter Umständen neue Fristläufe in Gang zu setzen vermögen (BVerfG, Stattg. Kammerbeschluss vom 12.02.2008 - 2 BvR 1262/07 -, juris Rn. 15; vgl. auch BVerfG, Nichtannahmebeschl. v. 09.08.2002 - 2 BvR 8/00 -, juris Rn. 2). Nach § 71a AsylG i.V.m. § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG setzt ein Zweitantrag u.a. voraus, dass eine Änderung der Sach- oder Rechtslage eingetreten ist oder neue Beweismittel vorliegen und die Geeignetheit dieser Umstände für eine dem Antragsteller günstigere Entscheidung schlüssig dargelegt wird (vgl. BVerwG, Urt. v. 20.02.2013 - 10 C 23/12 -, juris Rn. 14; Urt. v. 15.12.1987 - 9 C 285/86 -, juris Rn. 18; Urt. v. 26.06.1984 - 9 C 875/81 -, juris Rn. 20); dies gilt auch für eine geänderte Sach- oder Rechtslage (vgl. BVerwG, Urt. v. 25.11.2008 - 10 C 25/07 -, juris Rn. 12). Insoweit genügt schon - und ist aber auch erforderlich - die Möglichkeit einer günstigeren Entscheidung aufgrund der geltend gemachten Wiederaufnahmegründe; es muss ein schlüssiger Vortrag vorliegen, der nicht von vornherein ungeeignet ist, zur Asylberechtigung oder zum internationalen Schutz zu verhelfen (vgl. BVerfG, Kammerbeschl. v. 03.03.2000 - 2 BvR 39/98 -, juris Rn. 32). Für die Zulässigkeit des Antrages ist erforderlich, dass das neue Beweismittel geeignet erscheint, für sich oder in Verbindung mit früheren Ermittlungen eine günstigere Entscheidung herbeizuführen (BVerwG, Beschl. v. 09.02.2015 - 3 B 20/14 -, juris Rn. 10; Urt. v. 21.04.1982 - 8 C 75/80 -, juris Rn. 11). Die Überprüfung der Wiederaufnahmegründe ist auf diejenigen beschränkt, auf die sich der Betroffene gemäß Art. 51 Abs. 2 und 3 VwVfG zulässigerweise berufen kann (vgl. BVerwG, Urt. v. 21.04.1982 - 8 C 75/80 -, juris Rn. 14; Kopp/Ramsauer, VwVfG, Kommentar, 16. Auflage 2015; § 51 Rn. 11, 14, 16a). In der gerichtlichen Beurteilung, ob die neuen Beweismittel geeignet sind, eine für den Betroffenen günstigere Entscheidung herbeizuführen, ist grundsätzlich keine unzulässige vorweggenommene Beweiswürdigung zu sehen (BVerfG, Nichtannahmebeschl. v. 30.07.2001 - 2 BvR 2151/00 -, juris Rn. 2).

Unter Berücksichtigung dieser Maßstäbe ist der Zweitantrag des Klägers zulässig, weil neue Beweismittel vorliegen, die unter Berücksichtigung der mündlichen Verhandlung geeignet erscheinen, in Verbindung mit den (früheren) Angaben des Klägers einen Anspruch auf Zuerkennung internationalen Schutzes zu begründen.

Der Kläger hat mit Schriftsatz vom 27. September 2016 zwei Ablichtungen / Ausdrucke von Schreiben vorgelegt, die nach seinem Vortrag Briefe der Taliban sein sollen, von denen einer an ihn persönlich gerichtet sei und die Drohungen enthalten würden, wonach er seine Stellung bei der Armee aufgeben und sich den Taliban anschließen solle. Er habe die Briefe Anfang September erhalten und sie würden bestätigen, dass er unter akuter Beobachtung der Taliban stehe und bei einer Rückkehr Gefahr laufe, aufgeknüpft zu werden. Das Gericht hat keine durchgreifenden Zweifel daran, dass der Kläger die Schriftstücke im September 2016 erhalten hat, insbesondere liegen keine dagegen sprechenden Umstände vor. Zwar hat der Kläger bereits im Februar und im August 2016 schriftsätzlich erklärt, dass es Mitteilungen bzw. Briefe der Taliban gebe. Daraus zieht das Gericht aber nicht den Schluss, dass diese dem Kläger zu dieser Zeit auch schon vorgelegen hätten. Dagegen spricht bereits, dass er keine entsprechenden Dokumente zu den Akten gereicht hat. Auch hat er in der mündlichen Verhandlung ausgeführt, dass seine Familie die Briefe zwar im Dezember 2015 bzw. Januar 2016 erreicht hätten, er sie allerdings durch diese erst Anfangs September 2016 erhalten und sie direkt an seinen Prozessbevollmächtigten weitergeleitet habe. Somit war er auch ohne grobes Verschulden außerstande, diese zuvor bereits gegenüber den belgischen Behörden vorzulegen (§ 71a Abs. 1 AsylG i.V.m. § 51 Abs. 2 VwVfG). Da er die Schreiben noch im September 2016 dem Gericht über seinen Prozessbevollmächtigten zugeleitet hat, wurde auch die dreimonatige Frist des § 71a AsylG i.V.m. § 51 Abs. 3 VwVfG gewahrt.

Bei den vorgelegten Schriftstücken handelt es sich auch um neue Beweismittel. Zwar hatte der Kläger - nach eigenen Angaben - auch bereits gegenüber den belgischen Behörden Schriftstücke vorgelegt, die von den Taliban stammen sollen und die sich in den Verwaltungsvorgängen des Bundesamtes finden. Die im gerichtlichen Verfahren im September 2016 vorgelegten Schriftstücke unterscheiden sich nach der Übersetzung durch den Dolmetscher in der mündlichen Verhandlung jedoch - auch qualitativ - insoweit von diesen, als sie einen persönlicheren Bezug zu dem Kläger herstellen. Deswegen erscheinen sie auch grundsätzlich geeignet, eine für den Kläger günstigere Entscheidung herbeizuführen. Zwar gilt dies für angebliche Drohbriefe der Taliban nicht in jedem Fall (vgl. etwa VG Lüneburg, Urt. v. 16.01.2017 - 3 A 194/16 -, juris Rn. 28). Die vom Kläger im September 2016 vorgelegten Drohbriefe weisen jedoch insoweit Besonderheiten auf, als dass sie als Absenderregion die Provinz angegeben, in der der Kläger gelebt hat, auf die konkrete Tätigkeit des Klägers Bezug nehmen und sowohl den Namen des Klägers, als auch den des Vaters nennen. In den früheren Schreiben fehlen hingegen insbesondere solche persönliche Ansprachen. Daraus folgt zwar nicht, dass die Angaben des Klägers zu seiner behaupteten Verfolgung zutreffend sein müssen. Dennoch sind diese Schriftstücke - wie von § 71a AsylG i.V.m. § 51 Abs. 1 Nr. 2 VwVfG insoweit lediglich vorausgesetzt - grundsätzlich geeignet, zusammen mit den Angaben des Klägers eine für ihn günstige Entscheidung über sein Begehren nach internationalem Schutz herbeizuführen.

b)

Die Entscheidung des Bundesamtes kann nicht auf Grundlage eines auf gleicher Stufe stehenden Unzulässigkeitstatbestandes aufrechterhalten bleiben (vgl. dazu BVerwG, Urt. v. 14.12.2016 - 1 C 4/16 -, juris Rn. 21).

§ 29 Abs. 1 Nr. 2 und 4 AsylG kommen von vornherein nicht in Betracht, da Belgien ein Mitgliedstaat der Europäischen Union ist und keine Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass dem Kläger bereits internationaler Schutz durch einen Mitgliedsstaat gewährt wurde. § 29 Abs. 1 Nr. 3 AsylG (i.V.m. § 26a Abs. 1 Satz 1 AsylG, Art. 16a Abs. 2 Satz 1 GG) ist auf - wie hier - einen Mitgliedstaat der Europäischen Union nicht anwendbar, weil "sicherer Drittstaat" in diesem Sinne bei der gebotenen unionsrechtskonformen Auslegung nur ein Staat sein kann, der nicht Mitgliedstaat der Europäischen Union ist (vgl. BVerwG, Urt. v. 01.06.2017 - 1 C 9/17 -, juris Rn. 17; Beschl. v. 23.03.2017 - 1 C 17/16 -, juris Rn. 13 ff.). Auch ist nicht ein anderer Staat für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist (§ 29 Abs. 1 Nr. 1 AsylG). So hat insbesondere Belgien eine etwaige vorangegangene Zuständigkeit jedenfalls gem. Art. 29 Abs. 2 Satz 1 Dublin-III-VO (VO (EU) Nr. 604/2013 vom 26.06.2013) wegen Ablaufs der Überstellungsfrist verloren.

c )

Die rechtswidrige Ablehnung der Durchführung eines (weiteren) Asylverfahrens verletzt den Kläger auch in seinem aus dem Unionsrecht folgenden Recht auf Prüfung seines Schutzbegehrens durch die Beklagte als Mitgliedstaat der EU (vgl. BVerwG, Urt. v. 14.12.2016 - 1 C 4/16 -, juris Rn. 43).

3.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 83b AsylG. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.