Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 27.02.2006, Az.: 16 K 10889/03

Geschäftsveräußerung im Ganzen bei Verkauf des Vermietungsobjekts an Mieter durch Vermietungsunternehmen; Voraussetzung einer Geschäftsveräußerung im Ganzen

Bibliographie

Gericht
FG Niedersachsen
Datum
27.02.2006
Aktenzeichen
16 K 10889/03
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2006, 16457
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:FGNI:2006:0227.16K10889.03.0A

Verfahrensgang

nachfolgend
BFH - 04.09.2008 - AZ: V R 23/06

Fundstellen

  • DStR 2006, X Heft 37 (Kurzinformation)
  • DStRE 2006, 1292-1294 (Volltext mit amtl. LS)
  • EFG 2006, 1295 (Volltext mit red. LS u. Anm.)
  • NWB direkt 2006, 10
  • UStB 2006, 273-274 (Kurzinformation)
  • UVR 2009, 15
  • Jurion-Abstract 2006, 228607 (Zusammenfassung)

Redaktioneller Leitsatz

  1. 1.

    Der Ansatz eines Berichtigungsbetrags im Umsatzsteuerbescheid auf Grundlage des § 15a UStG ist rechtlich nicht zu beanstanden, wenn es an einer Geschäftsveräußerung im Ganzen i. S. des § 1 Abs. 1a UStG fehlt.

  2. 2.

    Eine Geschäftsveräußerung im Ganzen i. S. des § 1 Abs. 1a UStG setzt voraus, dass ein Unternehmen als solches mit seinen wesentlichen Betriebsgrundlagen übereignet wird, wobei das Unternehmen als solches erhalten bleiben muss und vom erwerbenden Unternehmer gegebenenfalls in veränderter Form fortzuführen ist.

  3. 3.

    Bei Einbringung des Veräußerungsobjektes in ein bereits bestehendes Unternehmen muss es in diesem aufgehen. Daran fehlt es, wenn das Vermietungsunternehmen durch die Übertragung des Geschäftsgrundstücks auf den bisherigen Mieter untergegangen ist.

  4. 4.

    Kommt es zur Veräußerung eines Vermietungsunternehmens, stellen dessen Mietverträge eine wesentliche Betriebsgrundlage dar. Im Falle der Grundstücksveräußerung setzt eine Geschäftsveräußerung i.S. des § 1 Abs. 1a UStG deshalb voraus, dass der Erwerber in die bestehenden Mietverträge eintritt.

Tatbestand

1

Streitig ist die Frage, ob eine Geschäftsveräußerung im Ganzen im Sinne des § 1 Abs. 1 a UStG vorliegt.

2

Die Klägerin ist eine GbR, die im Jahre 1992 gegründet wurde. Zweck der Gesellschaft war nach § 2 ihres Gesellschaftsvertrages die Bebauung, Vermietung und Verwaltung von Grundbesitz. In § 5 des Gesellschaftsvertrages ist festgeschrieben, dass das Gesellschaftsvermögen aus einem konkret bezeichneten, noch zu erwerbenden Grundstück in O. besteht. Dieses Grundstück wurde nach Erwerb mit einem Büro- und Lagergebäude bebaut und zunächst unter Verzicht auf die Umsatzsteuerbefreiung an die H GmbH vermietet wurde, die es für einen Elektro- und Sanitärgroßhandel nutzte. Nutzungsbeginn war der 1. November 1993. Im Zusammenhang mit der Errichtung des Betriebsgebäudes machte die Klägerin Vorsteuern geltend, die der Beklagte in Höhe von 415.055,35 DM anerkannte.

3

Die H GmbH meldete im April 1997 Insolvenz an. In der Folge wurde am 28. April 1998 über das Vermögen der Klägerin die Zwangsverwaltung angeordnet. Es gelang, für das Grundstück einen neuen Mieter, die Stiftung M, zu finden, die in dem Gebäude Wohn- und Werkstätten für Behinderte unterhält. Die Zwangsverwaltung wurde formell am 15. März 2002 aufgehoben.

4

Mit notariellem Kaufvertrag vom 14. August 2001 veräußerte die Klägerin das Grundstück in O. an die Mieterin; zum 30. November 2001 erfolgte die Übergabe und endete die Vermietung. In § 12 des notariellen Kaufvertrages heißt es:

"Der Erschienene zu 2. (= Gesellschafter K) ist verheiratet und wird die nach § 1365 BGB erforderliche Genehmigungserklärung seiner Ehefrau auf eigene Kosten beibringen. Der Notar hat darauf hingewiesen, dass der Vertrag bis zur Erteilung sämtlicher Genehmigungserklärungen schwebend unwirksam ist und dass die erschienenen gleichwohl im Falle der Nichtgenehmigung für die Notarkosten als Gesamtschuldner haften."

5

Die Stiftung M ist am 23. Juli 2002 als Eigentümerin des Grundstücks in O. in das Grundbuch eingetragen worden.

6

Da die Klägerin keine Umsatzsteuererklärung für 2001 abgab, schätzte der Beklagte mit Bescheid vom 28. Mai 2002 die Besteuerungsgrundlagen und nahm eine Vorsteuerberichtigung nach § 15 a UStG in Höhe von 117.559,00 DM an. Im anschließenden Einspruchsverfahren erlangte der Beklagte einerseits Kenntnis von den in 2001 vereinnahmten Mieteinnahmen in Höhe von 4.000,00 DM, andererseits vom Zeitpunkt des Endes der Vermietung. Er nahm eine geänderte Berechnung des Vorsteuerberichtigungsbetrages vor, indem er für 2001 nur noch 1/12 des Jahresbetrages, für 2002 den gesamten Jahresbetrag und für 2003 10/12 des Jahresbetrages ansetzte. Der Berichtigungsbetrag minderte sich so auf 79.552,26 DM. Im übrigen hatte der Einspruch keinen Erfolg.

7

Die Klägerin meint, dass der Beklagte zu Unrecht eine Vorsteuerberichtigung nach § 15 a UStG vorgenommen habe. Bei dem Verkauf des Betriebsgrundstücks handele es sich um eine steuerfreie Vermögensübertragung im Ganzen. Es sei das gesamte Vermögen der Klägerin übertragen worden; deren Tätigkeit hätte mit Übertragung des Grundstücks geendet. Die Käuferin sei als Rechtsnachfolgerin in die Position der Klägerin eingetreten.

8

Entgegen der Auffassung des Beklagten komme es nicht darauf an, welche Zwecke der Erwerber mit dem Unternehmen verfolge. Entscheidend sei allein, dass der Erwerber den Betrieb ohne finanzielle Aufwendungen fortsetzen könne. Eine Vorsteuerberichtigung könne nur gegenüber der Erwerberin geltend gemacht werden.

9

Die Klägerin macht darauf aufmerksam, dass die nach § 12 des Grundstückskaufvertrages erforderliche Genehmigung der Ehefrau des Gesellschafters niemals eingeholt worden ist.

10

Die Klägerin beantragt,

unter Abänderung des Umsatzsteuerbescheides 2001 vom 28. Mai 2002 und des Einspruchsbescheides vom 20. Oktober 2003 die Umsatzsteuer 2001 um 40.674,42 EUR niedriger festzusetzen.

11

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

12

Der Beklagte meint, dass der Berichtigungsbetrag nach § 15 a UStG zu Recht angesetzt worden sei. Ein entsprechender Betrag sei anzusetzen, wenn sich bei einem Grundstück innerhalb von 10 Jahren seit der erstmaligen Verwendung die für den Vorsteuerabzug maßgeblichen Verhältnisse änderten. Dazu gehöre auch - wie hier - eine Grundstücksveräußerung.

13

Etwas anderes gelte zwar im Falle einer Geschäftsveräußerung im Sinne des § 1 Abs. 1 a UStG. In diesem Falle trete der erwerbende Unternehmer an die Stelle des Veräußerers; der maßgebliche Berichtigungszeitraum werde nicht beendet.

14

Voraussetzung einer Geschäftsveräußerung im Ganzen sei, dass die wesentlichen Betriebsgrundlagen auf den Erwerber übergingen und dieser das Unternehmen fortführen könne. Zu den wesentlichen Betriebsgrundlagen gehörten auch die Mietverträge. Werde wie im Streitfall ein Grundstück ohne Übergang des Mietverhältnisses übertragen, liege keine Geschäftsveräußerung im Ganzen vor.

Entscheidungsgründe

15

Die Klage ist unbegründet.

16

Der Beklagte hat im Umsatzsteuerbescheid 2001 zu Recht einen Berichtigungsbetrag nach § 15 a UStG in Höhe von 79.552,26 DM angesetzt, da keine Geschäftsveräußerung im Ganzen vorlag.

17

1.

Ändern sich bei einem Grundstück einschließlich seiner wesentlichen Bestandteile die Verhältnisse, die im Kalenderjahr der erstmaligen Verwendung für den Vorsteuerabzug maßgebend waren, innerhalb von 10 Jahren seit dem Beginn der Verwendung, so ist gem. § 15 a Abs. 1 UStG für jedes Kalenderjahr der Änderung ein Ausgleich durch eine Berichtigung des Abzugs der auf die Anschaffungs- oder Herstellungskosten entfallenden Vorsteuerbeträge vorzunehmen.

18

Die Voraussetzungen des § 15 a Abs. 1 UStG liegen im Falle des Geschäftsgrundstücks in O. vor, weil die Klägerin dieses vor Ablauf des Berichtigungszeitraums am 14. August 2001 an die Stiftung M veräußert und zum 30. November 2001 an diese übergeben hat mit der Folge, dass die unternehmerische Nutzung des Grundstücks endete. Der Umstand, dass die im notariellen Kaufvertrag vorgesehene Genehmigung der Ehefrau nach § 1365 BGB niemals erteilt wurde, ändert daran nichts. Denn trotz dieser Vertragsklausel wurde das Grundstück aufgelassen, so dass die Stiftung M dessen Eigentümerin geworden ist. Da eine Besitzübergabe im Hinblick auf den beabsichtigten Eigentumsübergang bereits zum 30. November 2001 stattfand, ist die Stiftung von diesem Zeitpunkt an als die wirtschaftliche Eigentümerin des Grundstücks anzusehen; der Verlust des wirtschaftlichen Eigentums an dem Grundstück und Ende der Vermietung ist als Änderung der Verhältnisse im Sinne des § 15 a UStG anzusehen.

19

Die Höhe des vom Beklagten angesetzten Berichtigungsbetrags nach § 15 a UStG von 79.552,26 DM ist rechnerisch zutreffend und zwischen den Beteiligten auch nicht streitig; sie ergibt sich wie folgt:

20

In Rechnung gestellte Vorsteuer: 415.055,35 DM

21

Berichtigungszeitraum: 01.11.1993 - 31.10.2003 (120 Kalendermonate)

22

Verbleibender Berichtigungszeitraum bei Übergabe an den Erwerber: 01.12.2001 -31.10.2003 (23 Kalendermonate)

23

Berichtigungsbetrag nach § 15 a UStG:

24

415.055,35 DM : 120 Monate x 23 Monate = 79.552,25 DM

25

2.

Die Klägerin weist zutreffend darauf hin, dass der Vorsteuerabzug nicht nach § 15 a UStG zu berichtigen wäre, wenn eine Geschäftsveräußerung im Ganzen im Sinne des § 1 Abs. 1 a UStG vorliegen würde. Die Voraussetzungen einer solchen Geschäftsveräußerung im Ganzen liegen indes nicht vor.

26

Gem. § 1 Abs. 1 a UStG unterliegen die Umsätze im Rahmen einer Geschäftsveräußerung an einen anderen Unternehmer für dessen Unternehmen nicht der Umsatzsteuer. Eine Geschäftsveräußerung liegt vor, wenn ein Unternehmen oder ein in der Gliederung eines Unternehmens gesondert geführter Betrieb im ganzen entgeltlich oder unentgeltlich übereignet oder in eine Gesellschaft eingebracht wird.

27

Nach dem Gesetzeswortlaut ist es erforderlich, dass das Unternehmen als solches mit allen wesentlichen Betriebsgrundlagen und nicht nur ein zum Unternehmensvermögen gehörendes Wirtschaftsgut übereignet wird. Insofern ist der Umstand, dass die Klägerin nach der Übertragung des einzigen materiellen Wirtschaftsguts in Gestalt des Geschäftsgrundstücks in O. über keinerlei wesentliche Betriebsgrundlagen mehr verfügte, zwar notwendige, aber nicht hinreichende Bedingung für das Vorliegen einer Geschäftsveräußerung im Ganzen. Die Rechtsnorm setzt nämlich weitergehend voraus, dass das Unternehmen als solches erhalten bleibt und von dem erwerbenden Unternehmer gegebenenfalls in veränderter Form fortgeführt wird bzw. im Falle der Einbringung in einem schon bestehenden Unternehmen aufgeht (Rau/Dürrwächter, Kommentar zum UStG, § 1 Rn. 1103; Bunjes/Geist § 1 Rn. 97).

28

Diese Voraussetzung liegt hier jedoch nicht vor. Denn im Streitfall besteht die Besonderheit, dass das Vermietungsunternehmen durch die Übertragung des Geschäftsgrundstücks auf den bisherigen Mieter untergegangen ist. Vermietungsumsätze wurden nach der Übertragung mit dem Grundstück nicht mehr erzielt.

29

Der Sachverhalt ist auch nicht vergleichbar mit dem Fall der Einbringung eines Unternehmens in ein anderes Unternehmen. Denn dort wird das bisherige Unternehmen des Erwerbers um das hinzu erworbene Unternehmen erweitert. Hier hat die Stiftung M das Geschäftsgebäude vor wie nach der Übertragung unternehmerisch genutzt, d.h. auf der Erwerberebene haben sich nur die Eigentumsverhältnisse an einem einzelnen Gegenstand des Unternehmensvermögens geändert. Ein Unternehmen hat die Stiftung jedoch nicht hinzuerworben.

30

Hinzu kommt, dass im Falle von Vermietungsunternehmen die Mietverträge eine wesentliche Betriebsgrundlage darstellen, weil die Erreichung des Betriebszwecks des Vermietungsunternehmens, die Erzielung von Vermietungseinnahmen, den Abschluss von Mietverträgen voraussetzt. Im Falle der Grundstücksveräußerung erfordert eine Geschäftsveräußerung im Ganzen im Sinne des § 1 Abs. 1 a UStG deshalb, dass der Erwerber in die bestehenden Mietverträge eintritt (Offerhaus/Söhn/Lange, § 1 Rn 376; Rau/Dürrwächter, § 1 Rn. 1112). Zu einem Eintritt in den bestehenden Mietvertrag konnte es im Streitfall jedoch nicht kommen, weil der Mietvertrag mit der Übertragung des Geschäftsgrundstücks auf die Stiftung M untergegangen ist.

31

Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.

32

Das Gericht lässt die Revision nach § 115 Abs. 2 Nr. 2 1. Alternative FGO zur Fortbildung des Rechts zu, weil - soweit ersichtlich - eine dem Streitfall vergleichbare Fallgestaltung bislang noch nicht höchstrichterlich entschieden wurde.