Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 01.02.2006, Az.: 1 K 10575/00

Sonderabschreibungen bei Handelsschiffen bis zu insgesamt 40Prozent der Anschaffungskosten oder Herstellungskosten auf Anzahlungen auf Anschaffungskosten oder Teilherstellungskosten; Zeitliche Beschränkung der Abschreibungsmöglichkeit auf Handelsschiffe; Auswechslung der am Kaufvertrag oder Bauvertrag beteiligten Parteien nach dem gesetzlichen Stichtag; Schutzwürdiges Vertrauen bezüglich der rückwirkenden Abschaffung der steuerlichen Sonderabschreibungen nach § 82f Einkommensteuer-Durchführungsverordnung (EStDV)

Bibliographie

Gericht
FG Niedersachsen
Datum
01.02.2006
Aktenzeichen
1 K 10575/00
Entscheidungsform
Endurteil
Referenz
WKRS 2006, 14394
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:FGNI:2006:0201.1K10575.00.0A

Fundstellen

  • DStR 2006, VI Heft 37 (Kurzinformation)
  • DStRE 2006, 1241-1243 (Volltext)
  • EFG 2006, 1433-1435 (Volltext mit red. LS)
  • NWB direkt 2006, 5
  • Jurion-Abstract 2006, 228598 (Zusammenfassung)

Tatbestand

1

Streitig ist, ob die Klägerin eine Sonderabschreibung nach § 82f Einkommensteuer-Durchführungsverordnung (EStDV) in Anspruch nehmen kann.

2

Die Klägerin ist eine GmbH & Co. KG mit weit über 100 Kommanditisten. Sie ermittelt ihren Gewinn nach § 5 Einkommensteuergesetz (EStG). Gegenstand des Unternehmens ist der Erwerb, die Indienststellung und der Betrieb eines Handelsschiffes. Sie schloss mit der Werft A GmbH (nachfolgend: A-Werft) am 10.11.1995 einen Schiffsbauvertrag ab. Das vereinbarte Entgelt betrug 19.980.000 DM. Die A-Werft stellte am 27.5.1997 beim Amtsgericht S einen Antrag auf Eröffnung des Gesamtvollstreckungsverfahrens, dem am 1.9.1997 entsprochen wurde. Der gerichtlich eingesetzte Verwalter der A-Werft (nachfolgend: Verwalter), die Klägerin und die B KG Schiffswerft GmbH & Co. KG (nachfolgend: B-Werft) schlossen am 25.9.1997 eine "Abtretungs- und Übertragungsvereinbarung" zum oben genannten Schiffsbauvertrag. Darin übertrug der Verwalter mit Zustimmung der Klägerin den - unveränderten - Schiffsbauvertrag auf die B-Werft. Das so genannte Kasko - der schwimmfähige Schiffskörper - war zu diesem Zeitpunkt bereits fertig gestellt. Der Schiffsbau wurde von der B-Werft vollendet. Die Klägerin hat im Streitjahr 1997 insgesamt 16.628.993 DM Anzahlungen und Teilherstellungskosten für das Schiff aufgewendet. Das Schiff wurde im April 1998 in Fahrt gesetzt. Es ist in einem inländischen Schiffsregister eingetragen.

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Mit Bescheid vom 31.3.1999 über die gesonderte und einheitliche Feststellung der Besteuerungsgrundlagen für 1997 wurden die Einkünfte der Klägerin aus dem Gewerbebetrieb, wie erklärt, auf minus 7.381.094,10 DM festgestellt. Der Bescheid erging unter dem Vorbehalt der Nachprüfung. Nach einer Außenprüfung wurde der Bescheid nach § 164 Abs. 2 Abgabenordnung geändert. In dem berichtigten Feststellungsbescheid vom 31.8.2000 wurden die Einkünfte aus Gewerbebetrieb, nach Streichung der bisher gewährten Sonderabschreibung nach § 82f EStDV, auf minus 733.435,76 DM festgestellt. Der Vorbehalt der Nachprüfung wurde aufgehoben.

4

Hiergegen hat die Klägerin mit Zustimmung des Beklagten die vorliegende Sprungklage erhoben.

5

Die Klägerin nimmt Sonderabschreibungen nach § 82f EStDV in Höhe von 40% der Anschaffungskosten für das Schiff in Anspruch. Ferner begehrte sie zunächst die von einzelnen Kommanditisten im Zusammenhang mit dem Erwerb ihrer Kommanditanteile gezahlten Aufgeldbeträge in Höhe von 329.750,00 DM als sofort abzugsfähige Betriebsausgaben zu berücksichtigen. Mit Schriftsatz vom 29.1.2006 hat die Klägerin auf die sofortige Absetzbarkeit der Aufgelder verzichtet und beantragt insoweit nur noch eine entsprechende Erhöhung der Sonderabschreibung nach § 82f EStDV.

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Die Klägerin beantragt sinngemäß,

den Gewinnfeststellungsbescheid 1997 vom 31.8.2000 zu ändern und den Verlust der Klägerin bei den Einkünften aus Gewerbebetrieb unter Berücksichtigung von Sonderabschreibungen nach § 82f EStDV in Höhe von 6.525.844,74 DM und 131.900,00 DM entsprechend zu erhöhen.

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Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

8

Der Beklagte verweigert den Abzug der Sonderabschreibung unter Hinweis auf § 82f Abs. 5 EStDV, wonach die Sonderabschreibung nur gewährt werden kann, wenn der Kaufvertrag oder Bauvertrag vor dem 25.4.1996 abgeschlossen worden ist. Die B-Werft sei erst am 25.9.1997 und damit nach dem maßgeblichen Stichtag in den Vertrag eingetreten.

9

Wegen der Einzelheiten wird auf die erwähnten Verträge, die Gerichtsakten des Aussetzungsverfahrens und des vorliegenden Klageverfahrens, sowie auf die Feststellungsakte, die Bilanzakte und die Betriebsprüfungsakte des Beklagten für das Streitjahr Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Die Klage ist begründet.

11

Der angefochtene Bescheid ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten. Ihr steht die begehrte Sonderabschreibung nach § 82f EStDV in der beantragten Höhe zu.

12

Nach § 82f Abs. 1 EStDV können Steuerpflichtige, die ihren Gewinn nach § 5 EStG ermitteln, bei Handelsschiffen, die in einem inländischen Schiffsregister eingetragen sind, im Wirtschaftsjahr der Anschaffung oder Herstellung und in den folgenden vier Wirtschaftsjahren Sonderabschreibungen bis zu insgesamt 40% der Anschaffungs- oder Herstellungskosten und nach Absatz 4 der Vorschrift auch auf Anzahlungen auf Anschaffungskosten oder Teilherstellungskosten vornehmen. Diese Voraussetzungen sind im Streitfall erfüllt.

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Der durch das Jahressteuergesetz 1997 eingefügte § 82f Abs. 5 Satz 1 EStDV schränkt diese Abschreibungsmöglichkeit jedoch insoweit ein, dass die Abschreibungen nur noch in Anspruch genommen werden können, wenn das Handelsschiff vor dem 1.1.1999 angeschafft oder hergestellt wurde und der Kaufvertrag oder Bauvertrag vor dem 25.4.1996 abgeschlossen worden ist. Auch diese Voraussetzungen sind - entgegen der Auffassung des Beklagten - erfüllt.

14

Das Schiff wurde von der Klägerin im April 1998 in Fahrt gesetzt. Der Zeitpunkt der Anschaffung lag also vor dem maßgeblichen Stichtag.

15

Auch der Bauvertrag wurde vor dem 25.4.1996 abgeschlossen. Für die rechtliche Beurteilung ist hier maßgeblich der ursprüngliche Bauvertrag, den die Klägerin mit der A-Werft am 10.11.1995 abgeschlossen hat und nicht der Abtretungs- und Übertragungsvertrag mit der B-Werft vom 25.9.1997.

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§ 82f Abs. 5 EStDV enthält keine Regelung für den Fall der Auswechslung der am Kauf- oder Bauvertrag beteiligten Parteien nach dem gesetzlichen Stichtag. Nach Auffassung der Finanzverwaltung können die streitigen Sonderabschreibungen nur in Anspruch genommen werden, wenn das vor dem 25.4.1996 bestellte und das tatsächlich gelieferte Schiff identisch sind (vgl. BMF, Schreiben vom 26. 1. 1998, BB 1998, 679). Im Falle der Auswechslung des Herstellers oder Verkäufers soll diese Voraussetzung nicht vorliegen (vgl. BMF, a.a.O.). Dies gelte auch dann, wenn der Wechsel des Verkäufers oder Herstellers wegen des Konkurses des bisherigen Verkäufers oder Herstellers notwendig werde (vgl. BMF, Schreiben vom 11.11.1998, DB 1999, 121). Im Fall eines Wechsels auf Käufer- oder Bestellerseite soll demgegenüber der ursprünglich geschlossene Kauf- oder Bauvertrag für die Beurteilung maßgebend sein. Herrmann/Heuer/Raupach/Riedel/Ettinger, Komm. zum EStG, Anhang 7 zu § 7a, Rdnr. 28 zu § 82f EStDV halten dagegen einen Wechsel auf der Seite des Verkäufers oder Herstellers für unschädlich, wenn der neue Vertragspartner das im Bau befindliche Schiffsbauwerk, etwa im Rahmen eines Konkurses oder einer Betriebsveräußerung, übernehme und zu Ende führe.

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Der Senat schließt sich der zuletzt genannten Auffassung an. Das Bundesverfassungsgericht hat sich in seinem Urteil vom 3.12.1997 - 2 BvR 882/97 - DStRE 1998, 270 mit der Frage auseinander gesetzt, bis zu welchem Zeitpunkt die Steuerpflichtigen ein schutzwürdiges Vertrauen bezüglich der rückwirkenden Abschaffung der steuerlichen Sonderabschreibungen nach § 82f EStDV genossen. Diese Frage war aufgekommen, weil der Gesetzgeber entgegen seiner ursprünglichen Ankündigung, die Verschonungssubvention für nach dem 30.4.1996 geschlossene Schiffbauverträge entfallen zu lassen, den maßgeblichen Zeitpunkt auf den 24.4.1996 vorverlegt hatte. Das Bundesverfassungsgericht hat in der zitierten Entscheidung hervorgehoben, dass das gesetzliche Angebot einer steuerlichen Verschonungssubvention für die Disposition des Steuerpflichtigen eine schutzwürdige Vertrauensgrundlage schaffe, auf die der Steuerpflichtige seine Entscheidung über das subventionsbegünstigte Verhalten stützen könne. Mit dem Abschluss des Schiffsbauvertrages sei die Lenkungs- und Gestaltungswirkung des Subventionsangebots abschließend erreicht. Nach Ankündigung ihres Wegfalls dürfe die Subvention dem Steuerpflichtigen gleichwohl für Verträge verwehrt werden, die zwischen dem Bekannt werden der beabsichtigen Gesetzesänderung und der Verabschiedung des ändernden Gesetzes geschlossen worden seien, um zu verhindern dass die Gestaltungskompetenz und der Gestaltungswille des Gesetzgebers unterlaufen werde (zur Kritik an dieser Entscheidung, die den Vertrauensschutz des Steuerpflichtigen nur unzureichend gewahrt sieht, vgl. Spindler, DStR 1998, 953; Hey, BB 1998, 1444; dies., Steuerplanungssicherheit als Rechtsproblem, Köln 2002, S. 203 ff., insbesondere S. 214). Aus dieser Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ergibt sich zugleich die für den vorliegenden Fall bedeutsame Konsequenz, dass die Subvention nicht versagt werden kann, wenn die maßgebliche Disposition des Steuerpflichtigen vor dem 24.4.1996 stattgefunden hat.

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Die ihre Vertrauensgrundlage schaffende Disposition hat die Klägerin mit dem Abschluss des Schiffbauvertrages am 10.11.1995 getroffen. In der Vertragsübernahme vom 25.9.1997 durch die B-Werft lag keine neue Disposition der Klägerin über einen Schiffsneubau. Vertragsgegenstand war und blieb das von der Klägerin am 10.11.1995 in Auftrag gegebene Schiff. Es fand lediglich eine insolvenzbedingte Auswechslung des Auftragnehmers statt, die auf die übrigen vertraglichen Rechte und Pflichten der Klägerin aus dem ursprünglichen Bauvertrag keinen Einfluss hatte. In insolvenzrechtlicher Hinsicht lag in der Vertragsübernahme gleichzeitig die schlüssige Erklärung des Vermögensverwalters der A-Werft, nach § 9 Satz 1 der Gesamtvollstreckungsordnung (GesO) die Erfüllung des ursprünglichen Bauvertrages zu verlangen, weil er nur auf diese Weise eine Rechtsposition erreichen konnte, die ihm die Möglichkeit eröffnete, als Verwalter über das Vermögen der A-Werft den von der Schuldnerin abgeschlossenen Vertrag auf die B-Werft zu übertragen.

19

Da der Verwalter die Vertragserfüllung gewählt hatte, hatte die Klägerin trotz der Insolvenz der A-Werft keine Möglichkeit, sich von dem ursprünglichen Bauvertrag zu lösen. Sie blieb an ihn gebunden. In ihrer Zustimmung zur Vertragsübernahme ist deshalb keine neue Disposition im Hinblick auf den Vertragsgegenstand zu sehen. Vielmehr hat sie sich damit lediglich die Möglichkeit erhalten, letztlich das ursprünglich bestellte Schiff geliefert zu bekommen. Andernfalls hätte sie gegenüber der zur Vertragserfüllung unfähigen A-Werft lediglich nicht bevorrechtigte Forderungen gemäß § 9 Satz 2 GesO geltend machen können.

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Die entgegenstehende Rechtsauffassung der Finanzverwaltung, dass bei einer Auswechslung des Herstellers oder Verkäufers das ursprünglich bestellte und das tatsächlich gelieferte Schiff nicht (mehr) identisch seien, ist schon nicht nachvollziehbar. Die Person des Leistenden oder des zur Leistung Verpflichteten hat - von dem hier nicht vorliegenden Fall einer höchstpersönlichen Leistungsverpflichtung abgesehen - mit der geschuldeten Leistung, der Lieferung des bestellten Schiffes, nichts zu tun. Die Auswechslung des Schuldners hat keinen Einfluss auf die geschuldete Leistung oder die "Identität" der geschuldeten Leistung. Die Regelung in § 276 Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch bestätigt diesen Rechtsgedanken ausdrücklich: Der Erfüllungsanspruch des Gläubigers erlischt auch bei einer Erfüllung durch einen Dritten.

21

Darüber hinaus lässt die Finanzverwaltung den notwendigen Schutz des Vertrauens des Käufers oder Bestellers, wie er in der zitierten Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts seinen Niederschlag gefunden hat, völlig außer Betracht.

22

Die Klägerin hat damit Anspruch auf eine Sonderabschreibung nach § 82f Abs. 1 und 4 EStDV für das Streitjahr von höchstens 40% der in der Prüferbilanz per 31.12.1997 ausgewiesenen Anzahlungen für das Seeschiff und die aktivierten Teilherstellungskosten in Höhe von insgesamt 16.628.993 DM, das sind 6.651.597,20 DM. Davon macht sie aber nur 6.525.844,74 DM geltend, mit der Folge, dass bei der Gewinnfeststellung nur der geringere Betrag zu berücksichtigen ist. Ferner kann die Klägerin die Sonderabschreibung nach § 82f EStDV auch für die von den Kommanditisten im Streitjahr gezahlten Agio-Beträge als Teilanschaffungskosten in Höhe der geltend gemachten 40% von 329.750,-- beanspruchen; das sind 131.900,00 DM.

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Daraus ergibt sich folgende Berechnung :

Einkünfte aus Gewerbebetrieb lt. Bescheid vom 31. 8. 2000 ./.733.435,76 DM
abzüglich Sonderabschreibungen nach § 82 f EStDVfür Anzahlungen und Anlagen im Bau6.525.844,74 DM
Sonderabschreibung nach § 82f EStDV auf die Agiozahlungen in Höhe von 329.750,00 DM 131.900,00 DM
Einkünfte aus Gewerbebetrieb nach dieser Entscheidung ./.7.391.180,50 DM
24

Die Verteilung auf die Gesellschafter wird in entsprechender Anwendung des § 100 Abs. 2 Satz 2 FGO dem Beklagten übertragen.

25

Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 151 FGo-in Verbindung mit §§ 708 Nr. 10, 711 Zivilprozessordnung.