Oberlandesgericht Oldenburg
Urt. v. 05.07.2000, Az.: 2 U 108/00

Anspruch auf Leistungen aus einer Gebäudesturmversicherung für einen durch Gewitter verursachten Schaden; Bestimmung des Begriffs "Sturm" im Sinn der Versicherungsbedingungen

Bibliographie

Gericht
OLG Oldenburg
Datum
05.07.2000
Aktenzeichen
2 U 108/00
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2000, 31988
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGOL:2000:0705.2U108.00.0A

Verfahrensgang

vorgehend
LG Oldenburg - 31.03.2000 - AZ: 13 O 1956/98

Fundstellen

  • NVersZ 2001, 424-425
  • OLGReport Gerichtsort 2001, 188-190
  • VersR 2001, 1233-1234 (Volltext mit amtl. LS)

In dem Rechtsstreit
..
hat der 2. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Oldenburg
auf die mündliche Verhandlung vom 5. Juli 2000
durch
die Richter ... ... und ...
für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung der Beklagten wird das am 31. März 2000 verkündete Urteil der 13. Zivilkammer des Landgerichts Oldenburg geändert.

Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 28.000,-- DM abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit leistet.

Der Streitwert für den zweiten Rechtszug und der Wert der Beschwer betragen 502.450,-- DM.

Tatbestand

1

Der Kläger macht Ansprüche aus einer Gebäudesturmversicherung geltend.

2

Der Kläger ist gemeinsam mit seiner Ehefrau Eigentümer einer Lagerhalle in R.L.. Das Gebäude ist bei der Beklagten auf der Grundlage der Allgemeinen Bedingungen für die Sturmversicherung (AStB 87) gegen Sturmschäden versichert. Bei einem Gewitter am 08.06.1997 stürzten Teile des Flachdachs der Lagerhalle unter der Regenwasserlast ein. Es entstand Sachschaden in Höhe von 502.450,-- DM. Die Ehefrau des Klägers hat ihre Ansprüche aus der Sturmversicherung an den Kläger abgetreten.

3

Der Kläger hat behauptet: Der Schaden sei durch einen Sturm im Sinn der AStB 87 entstanden. Über dem Dach der Lagerhalle habe eine wetterbedingte Luftbewegung von mindestens Windstärke 8 nach der Beaufortskala geherrscht. Hierdurch sei das auf dem Flachdach der Lagerhalle angesammelte Regenwasser zusammengeschoben bzw. aufgestaut worden, so daß die kritische Menge für die Dachlast überschritten worden sei und es zum Einsturz gekommen sei.

4

Der Kläger hat die Ansicht vertreten, daß ein solches Aufstauen von Regenwasser auf dem Dach durch § 1 Nr. 3 b) AStB 87 erfaßt sei, wonach sich die Sturmversicherung auch auf Schäden erstreckt, die dadurch entstehen, daß der Sturm Gebäudeteile, Bäume oder andere Gegenstände auf die versicherten Sachen wirft.

5

Der Kläger hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an ihn 502.450,-- DM nebst 7% Zinsen seit dem 05.09.1997 zu zahlen.

6

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

7

Sie hat bestritten, daß ein Sturm im Sinn von § 1 Nr. 2 AStB 87 mit Windstärke 8 geherrscht habe und hierdurch das Regenwasser auf dem Dach über die kritische Menge hinaus aufgestaut worden sei. Vielmehr sei, so hat sie geltend gemacht, mit der vorprozessual eingeholten gutachterlichen Stellungnahme des Prof. Dr.-Ing. ... vom August 1997 das Einstürzen des Dachs auf eine zu gering dimensionierte Dachentwässerung zurückzuführen. Im übrigen hat sie die Ansicht vertreten, daß ein Zusammenschieben von Wasseransammlungen auf einem Flachdach nicht mit einem "Werfen von Gegenständen" auf die versicherte Sache im Sinn von § 1 Nr. 3 b) AStB 87 gleichzusetzen sei, so daß auch danach eine Eintrittspflicht nicht begründet sei.

8

Das Landgericht hat nach Einholung zweier Sachverständigengutachten zur Windstärke am Schadenstag bzw. zu der Statik des Hallendachs der Klage stattgegeben. Zur Begründung hat es ausgeführt: Es sei bewiesen, daß ein Sturm mit Windstärke 8 geherrscht habe und für das Einstürzen des Dachs durch eine Aufstauung des Regenwassers kausal gewesen sei. Auch ein Zusammendrücken oder Zusammenstauen von Regenwasser durch die Luftbewegung sei ein versicherter Kausalverlauf nach § 1 Nr. 3 b) AStB 87. Es gebe keinen sachlichen Unterschied zwischen einem "Werfen" von einzelnen Regentropfen oder einem Zusammenstauen einer Wassermasse. Wegen sämtlicher Einzelheiten im übrigen wird auf Tatbestand und Entscheidungsgründe des Urteils vom 31.03.2000 verwiesen.

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Gegen dieses Urteil hat die Beklagte Berufung eingelegt.

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Sie beantragt,

das angefochtene Urteil zu ändern und die Klage abzuweisen.

11

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

12

Wegen aller Einzelheiten des Vorbringens der Parteien im zweiten Rechtszug wird auf den Inhalt ihrer Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Berufung ist begründet.

14

Der Kläger hat keinen Anspruch auf Entschädigung aus der Sturmversicherung. Es ist weder bewiesen, daß am 08.06.1997 am Schadensort ein Sturm mit Mindestwindstärke 8 geherrscht hat, noch, daß hierdurch ein Aufstau des Regenwassers auf dem Dach stattgefunden und zum Einsturz geführt hat. Auch wäre ein solcher Aufstau von Regenwasser nicht mit einem "Werfen von Gegenständen" im Sinn von § 1 Nr. 3 b) AStB 87 gleichzusetzen.

15

Im einzelnen:

16

1.

Es ist nicht bewiesen, daß am Schadenstag, dem 08.06.1997, an der Lagerhalle Sturm im Sinn der Versicherungsbedingungen geherrscht hat. Sturm im Sinn dieser Bedingungen ist gemäß § 1 Nr. 2 AStB 87 "eine wetterbedingte Luftbewegung von mindestens Windstärke 8". Nach dem amtlichen Gutachten des Deutschen Wetterdienstes vom 24.07.1997 ist an der zum Schadensort nächstgelegenen Wetterstation in Oldenburg zur Schadenszeit lediglich eine Gewitterböe der Stärke 6 Bft. gemessen worden. Nach den weiteren Ausführungen dort "können" Windböen der Stärke 6 bis 7 vorgekommen sein und sind auch Spitzenböen der Stärke 8 "nicht auszuschließen". Auch das Gutachten des Dr. L. vom 18.01.1999 gelangt lediglich zu dem Ergebnis, daß "davon ausgegangen werden kann", daß während des Gewitters zumindest lokal an windexponierten Stellen der Halle Windgeschwindigkeiten von bis zu 29 m/s (11 Bft.) "aufgetreten sein können" und über der Mitte der Dachfläche Windgeschwindigkeiten von etwa 17 m/s (7 - 8 Bft.) "möglich" gewesen seien. Die Feststellung einer solchen "Möglichkeit" vermag jedoch eine hinreichende Überzeugung von einem tatsächlichen Auftreten solcher Windgeschwindigkeiten nicht zu vermitteln. Der Sachverständige Dr. L. hat gemäß Ziffer 2 seines Gutachtens auch zur Abschätzung der lokalen Spitzengeschwindigkeiten am Dach der Lagerhalle lediglich den in Oldenburg registrierten Böenmeßwert von 6 Bft. als Spitzenwindgeschwindigkeit der freien Anströmung auf die Lagerhalle angenommen. Unter Ziffer 3 hat er sodann die Strömungsverhältnisse und Windbeschleunigungen am Bauwerk analysiert und gelangt so zu einem Erhöhungsfaktor 2 an windkritischen Dachkanten und einem Faktor 1,3 in der Dachmitte. "Wetterbedingt" im Sinn von § 1 Nr. 2 AStB 87 ist die Luftbewegung jedoch nur, wenn sie durch die Luftdruckunterschiede über der Erdoberfläche zustandekommt. Nicht versichert sind Luftbewegungen durch Explosion, Brand, Zugwirkung in Gebäuden usw. (vgl.: Martin, Sachversicherungsrecht, 3. Aufl., E II Rnr. 17; Wussow, VersR 2000, 679 ff., 680; vgl. auch BGH VersR 1984, 28, 29 zu § 12 AKB). Gebäudebedingte Beschleunigungseffekte aufgrund Strömungen, Sog oder Windkanalisierungen können daher nicht mit einem Erhöhungsfaktor auf die "wetterbedingte Luftbewegung" im Sinn der Versicherungsbedingungen aufgeschlagen werden. Aber selbst wenn man dies mit dem Gutachten Dr. L. wollte, so ergibt sich nach den dortigen Berechnungsmodellen lediglich die Möglichkeit von Wind der Stärke 8. Das beweist indessen nicht, daß solche Windstärken auch tatsächlich aufgetreten sind.

17

2.

Eine Windstärke 8 kann vorliegend auch nicht nach § 1 Nr. 2 a) oder b) AStB 87 unterstellt werden. Der Kläger hat nämlich weder vorgetragen noch nachgewiesen, daß gemäß Buchstabe a) dieser Vorschrift die Luftbewegung in der Umgebung des Versicherungsortes Schäden an Gebäuden in einwandfreiem Zustand oder an ebenso widerstandsfähigen anderen Sachen angerichtet hat. Auch hat er nicht gemäß Buchstabe b) dieser Vorschrift nachgewiesen, daß der Schaden wegen des einwandfreien Zustandes des Gebäudes nur durch Sturm entstanden sein kann. Eine solche alleinige Ursächlichkeit ist nämlich weder nach dem Gutachten des Sachverständigen Jordan vom 07.12.1999 noch nach dem vorprozessual erstellten Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. ... festzustellen. Vielmehr sind darin insbesondere eine sogenannte Wassersackbildung bzw. eine unzureichend dimensionierte Dachentwässerung als Ursachen genannt. Darüberhinaus würde eine solche nur mittelbare Ursächlichkeit - wie nachfolgend ausgeführt - nach den Versicherungsbedingungen keine Eintrittspflicht begründen.

18

3.

Ungeachtet des Nichtvorliegens wäre ein Sturm vorliegend auch für das Einstürzen des Dachs nicht kausal im Sinn der Versicherungsbedingungen. Es kann dahinstehen, ob tatsächlich durch die Luftbewegungen das auf dem Hallendach angesammelte Regenwasser zusätzlich aufgestaut worden ist. Jedenfalls wäre dies keine unmittelbare Einwirkung des Sturms auf die versicherte Sache im Sinn von § 1 Nr. 3 a) AStB 87. Eine unmittelbare Einwirkung der Windkraft auf das Flachdach in Form einer Belastung behauptet auch der Kläger nicht. Nach dem Gutachten Dr. L. berechnet sich die Windlast für die Dachmitte sogar auf einen negativen Wert, d.h. die vom Wind in Dachmitte verursachten Kräfte heben die Dachhaut.

19

Eine mittelbare Einwirkung des Sturms im Sinn von § 1 Nr. 3 b) "dadurch, daß der Sturm Gebäudeteile, Bäume oder andere Gegenstände auf die versicherten Sachen wirft", ist vorliegend ebenfalls nicht gegeben. Die Regentropfen sind naturgemäß von oben auf das Flachdach gefallen und nicht etwa durch Luftbewegung dorthin geworfen worden. Allein die seitliche Ablenkung durch den Wind hat keinen Einfluß auf die Menge, weil ebensoviel Regentropfen durch den Wind vom Dach weggelenkt werden wie dorthin. Ein etwaiges Aufschieben oder Anstauen des auf der Dachfläche angesammelten Regenwassers auf einen bestimmten Teilbereich des Dachs kann schon begrifflich nicht als "Werfen von Gegenständen" verstanden werden. Allgemeine Versicherungsbedingungen sind unter Berücksichtigung des allgemeinen Sprachgebrauchs des täglichen Lebens auszulegen. Maßgebend ist, wie ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer bei aufmerksamer Durchsicht und verständiger Würdigung das Regelungswerk verstehen muß (BGH r + s 1993, 349, 350; BGH r + s 1996, 169, 170; Senat in OLGR 1998, 273). Nach dem allgemeinen Sprachgebrauch würde ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer jedoch das Aufschieben oder Aufstauen einer vorhandenen Wasserfläche durch Luftbewegung nicht als "Werfen von Gegenständen" auffassen. Zwar mag dies der Fall sein, wenn Regentropfen, Hagelkörner oder Schneeflocken durch Wind in ihrem freien Fall abgelenkt und gegen Gebäude oder Gebäudeteile (z.B. Fenster) geweht werden. Auch mag ein Schneetreiben, also das Hochwirbeln und der Weitertransport bereits gefallenen Schnees, durchaus begrifflich noch als Werfen aufgefaßt werden können (vgl. Martin a.a.O., E II RdNr. 35). Jedoch können bereits gefallene Regentropfen als Wasseransammlung schlechterdings begrifflich durch Luftbewegung nicht mehr geworfen werden. Daß der Wind evtl. den Stau des Wasser in einen bestimmten Bereich begünstigt hat, reicht nicht aus (vgl. LG Ravensburg VersR 1981, 648; Martin a.a.O. RdNr. 46; Wussow a.a.O. S. 682). Nach dem üblichen Wortgebrauch ist dieses begrifflich nicht als "Werfen von Gegenständen" zu beschreiben. Den Deckungsbereich von Versicherungsbedingungen bestimmt jedoch in erster Linie der allgemeine Sprachgebrauch. Ausweitungen sind allenfalls dann zu rechtfertigen wenn hierfür die Vereinbarungen einen Anhalt bieten (BGH VersR 1984, 28). Ein solcher Anhalt ist den AStB 87 jedoch nicht zu entnehmen. Soweit das Landgericht ausführt, es gebe keinen sachlichen Unterschied zwischen einem "Werfen" von einzelnen Regentropfen oder einem Zusammenstauen einer Wassermasse, überzeugt dies nicht. Jedenfalls gibt es - wie oben dargelegt - einen maßgeblichen sprachlichen Unterschied, und hierauf kommt es an.

20

Ein Versicherungsfall im Sinn von § 1 AStB 87 ist nach alledem vorliegend nicht gegeben. Ein Anspruch des Klägers auf Entschädigungsleistung besteht daher nicht.

21

4.

Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf den §§ 91 Abs. 1, 708 Nr. 10, 711, 546 Abs. 1 und 2 ZPO.