Verwaltungsgericht Stade
Urt. v. 20.11.2003, Az.: 2 A 1364/01

Anerkennung eines Rückbauvorschlags als Austauschmittel für eine angeordnete Beseitigung der Erweiterung eines Wohngebäudes; Schaffung eines baurechtswidrigen Zustands durch das Austauschmittel; Einhaltung nachbarschützender Abstandsvorschriften

Bibliographie

Gericht
VG Stade
Datum
20.11.2003
Aktenzeichen
2 A 1364/01
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2003, 20109
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:VGSTADE:2003:1120.2A1364.01.0A

Verfahrensgegenstand

Anerkennung eines Austauschmittels

Amtlicher Leitsatz

Für die Anerkennung eines Austauschmittels sind dieselben materiellen Anforderungen zu beachten wie für die Grundverfügung. Eine Maßnahme, die einen neuen rechtswidrigen Zustand herbeiführte, ist als Austauschmittel ungeeignet.

Tatbestand

1

Die Kläger sind Eigentümer des Wohngrundstücks I. in J.. Der Beigeladene ist Miteigentümer des westlichen Nachbargrundstücks K.. Auch dieses Grundstück ist ein Wohngrundstück. Die Grenze zwischen den Grundstücken verläuft von der L. im Norden nach Südwesten hin. Beide Grundstücke liegen im Geltungsbereich des Bebauungsplans M., Teilplan II, der Gemeinde N. (vom 15. Januar 1970 in der Fassung der 3. Änderungssatzung vom 12. Dezember 1991).

2

Der Beklagte hatte dem Beigeladenen am 23. Mai 1996 eine Baugenehmigung für den Umbau und die Erweiterung des vorhandenen Wohngebäudes und den Neubau eines ...Carports... auf dem Grundstück K. erteilt. Zum Grundstück der Kläger hin haben das genehmigte Wohnhaus und die an das Haus angebaute Grenzgarage einschließlich der Dachüberstände eine Länge von zusammen 22,9 m. Diese Baugenehmigung hatten die Kläger mit Erfolg angefochten, soweit der Umbau und die Erweiterung zum Zweifamilienhaus genehmigt worden war. Die Kammer hatte die Genehmigung vom 23. Mai 1996 mit Urteil vom 15. Juli 1999 in dem bezeichneten Umfang aufgehoben. Grund war, dass das genehmigte Vorhaben gegenüber dem Grundstück der Kläger nicht den erforderlichen Grenzabstand einhielt.

3

Bereits kurz zuvor, am 22. Juni 1999, hatte der Beklagte gegen den Beigeladenen eine Beseitigungsverfügung für das Wohngebäude auf dem Grundstück K. erlassen. Das Gebäude sei abweichend von der Baugenehmigung zu nahe an der Grenze zu dem Nachbargrundstück I. errichtet worden. Der Beigeladene hatte bis dahin trotz mehrfacher Aufforderung des Beklagten eine Genehmigung für einen Rückbau des Gebäudes nicht beantragt. Parallel zu der Beseitigungsverfügung gegen den Beigeladenen erging eine entsprechende Duldungsverfügung gegen die Ehefrau des Beigeladenen, die Miteigentümerin des Grundstücks ist. In der Beseitigungsverfügung erläuterte der Beklagte, er erkläre sich auch nach Erlass dieser Verfügung bereit, geeignete Vorschläge für einen Rückbau des Gebäudes als Austauschmittel für die angeordnete Beseitigung anzuerkennen. Der Beigeladene hat diese Beseitigungsverfügung angefochten. Diese Anfechtung ist Gegenstand des parallelen Verfahrens 2 A 63/01.

4

Am 5. Juli 1999 und 10. August 1999 reichte der Beigeladene Bauvorlagen für zwei Varianten eines Rückbaus des Gebäudes auf der den Klägern zugewandten Gebäudeseite ein. Diese hielt der Beklagte für unzureichend. Am 6. Dezember 1999 legte der Beigeladene Bauvorlagen zu einem weiteren Rückbauvorschlag vor. Am 13./20. April 2000 reichte er korrigierte Bauvorlagen zu diesem Rückbauvorschlag nach. Danach war vorgesehen, das Gebäude in der Südostecke zurückzubauen und gleichzeitig dort den Dachüberstand und einen Teil des Balkons zum Grundstück der Kläger hin zu beseitigen. Außerdem sollte das verbleibende Dach teilweise abgesenkt werden und der Dachüberstand an der gesamten Südostseite auf ein Maß zurückgebaut werden, das 50 cm nicht überschreitet. Im abgesenkten Dachteil sollte eine kleinere Gaube entstehen.

5

Der Beklagte erteilte nach dem Eingang der Bauunterlagen vom April 2000 hin den Klägern am 11. Mai 2000 einen Bescheid darüber, dass er diesen Rückbauvorschlag als Austauschmittel für die angeordnete Beseitigung des Gebäudes K. anerkenne. Die Kläger widersprachen dem.

6

Die Bezirksregierung Lüneburg beanstandete den damals anerkannten Rückbauvorschlag als unzureichend: Der vorgesehene Teilrückbau in der Südostecke und die Dachabsenkung sollten nicht durchgehend sein, vielmehr solle zwischen beiden Maßnahmen ein 58 cm breiter Dachstreifen stehen bleiben. Das sei unzulässig. Denn das Gesetz erlaube die Inanspruchnahme des Schmalseitenprivilegs nur in einem 17 m langen zusammenhängenden Abschnitt. Die vorgesehene Unterbrechung sei damit nicht vereinbar.

7

Der Beigeladene reichte daraufhin am 14. März 2001 entsprechend überarbeitete Bauvorlagen ein. Diese sehen nun einen Zusammenhang von Rückbau des Dachüberstandes an der Südostecke und Dachabsenkung vor, dafür aber auch eine Vergrößerung der Dachgaube bis zur südostwärtigen Gebäudeecke.

8

Am 10. April 2001 erließ der Beklagte einen weiteren Bescheid an die Kläger, nach dem nunmehr der überarbeitete Rückbauvorschlag vom März 2001 als Austauschmittel für die angeordnete Beseitigung anerkannt wird. Dabei wird insbesondere darauf abgestellt, dass nunmehr auch der Beanstandung der Bezirksregierung Lüneburg Rechnung getragen worden sei. Weiteren Beanstandungen der Kläger - dass Festsetzungen des Bebauungsplans nicht eingehalten würden - sei nicht nachzugehen. Den Festsetzungen zur Firstrichtung, zur Zahl der Vollgeschosse und zur Baurichtung komme nachbarschützende Wirkung nicht zu. Die Festsetzung zur Dachneigung sei gemäß § 101 NBauO 1973 ab 1. Januar 1979 außer Kraft getreten. Die Überschreitung des Maßes der Wohnnutzung habe keine erdrückende Wirkung für die Kläger und erfordere daher ebenfalls nicht ein bauaufsichtliches Einschreiten. Der Beklagte sehe danach die Einhaltung der nachbarschützenden Abstandsvorschriften im Interesse der Kläger als gesichert an. Im Übrigen sei das wirtschaftliche Interesse des Beigeladenen gegen die verbleibenden geringfügigen Verstöße abzuwägen. Ein weiteres Einschreiten sehe der Beklagte danach nicht als erforderlich an.

9

Gleichzeitig erklärte der Beklagte gegenüber dem Beigeladenen, es werde nun nicht mehr der zunächst anerkannte Rückbauvorschlag, sondern der mit Schreiben von 8. Februar 2001 übersandte als Austauschmittel anerkannt. Die Beseitigungsverfügung werde mit dieser Maßgabe als erfüllt angesehen, wenn der nunmehr anerkannte Rückbau innerhalb von sechs Monaten ab Bestandskraft des Bescheids an die Kläger vom selben Tag durchgeführt werde.

10

Am 25. April 2001 widersprachen die Kläger dem an sie gerichteten Bescheid vom 10. April 2001. Ein annehmbares Austauschmittel sei von dem Beigeladenen nicht angeboten worden, daher sei von der Beseitigungsverfügung nicht abzuweichen. Das Gebäude werde den vollen Abstand nicht einhalten und das Schmalseitenprivileg auf einer Länge von mehr als 17 m in Anspruch nehmen. Außerdem überschreite die Höhe des Giebeldreiecks die vorgeschriebenen Maße. Das zu Grunde gelegte Einmessungsergebnis vom 9. Dezember 1998 sei unzutreffend. Außerdem verletzten die Nichteinhaltung der Firstrichtung, der Dachneigung, die Zahl der Vollgeschosse und das Nichteinhalten der Baugrenzen nachbarschützende Festsetzungen des Bebauungsplans. Von dem Gebäude des Beigeladenen gehe eine erdrückende Wirkung auf das Grundstück der Kläger aus.

11

Die Bezirksregierung Lüneburg beanstandete während des Widerspruchsverfahrens, dass in dem Rückbauvorschlag das Abstandsmaß der vorgesehenen Gaube zur Grenze fehle. Nach den Ermittlungen der Bezirksregierung sei hier ein Abstandsmaß von 4,0 m erforderlich. Der auf der Zeichnung dargestellt - aber nicht bezeichnete - Abstand wäre ausreichend. Außerdem wurde die Frist für den Rückbau als zu großzügig beanstandet. Der Beklagte sah jedoch von einer Anordnung der sofortigen Vollziehung der - durch die Austauschanerkennung modifizierten - Beseitigungsverfügung ab. Dafür könne nur ein Interesse der Kläger ins Feld geführt werden, diese wendeten sich aber gerade gegen die Anerkennung als Austauschmittel.

12

Die Bezirksregierung Lüneburg wies den Widerspruch der Kläger mit Widerspruchbescheid vom 25. September 2001 zurück. Sie vertiefte dafür die Begründung des Beklagten für dessen Verfügung. Zweifel an der Richtigkeit der zu Grunde liegenden Einmessung seien nicht angebracht. Eine Unterschreitung des Grenzabstands von 3,0 m mit einem festgestellten Abstand von 2,97 m habe bereits vor dem Umbau und der Erweiterung vorgelegen. Er sei offenbar über Jahre unbemerkt und unbeanstandet geblieben. Er sei auch nur geringfügig, sodass nicht zu verlangen sei, den gesamten Baukörper um 3 cm zurückzunehmen. Der Widerspruchsbescheid wurde den Prozessbevollmächtigten der Kläger am 28. September 2001 zugestellt.

13

Die Kläger haben am 10. Oktober 2001 Klage erhoben: Sie beständen auf einer Durchsetzung der Abrissverfügung. Die Anerkennung des Rückbaus als Austauschmittel beseitige die Verletzung der Rechte der Kläger nicht. Insoweit nehmen sie auf ihr Vorbringen aus dem Verwaltungsverfahren Bezug. Insbesondere beanstanden sie, es sei in den Bauunterlagen des Beigeladenen keine Höhenlinie 0 festgesetzt. Das sei erforderlich, weil der Beigeladene in dem maßgeblichen Bereich der südostwärtigen Giebelwand künstliche Aufschüttungen vorgenommen habe. Die Dachgaube sei im Verhältnis zu dem dahinter liegenden Badezimmer so groß, dass sie nicht als untergeordneter Bauteil gewertet werden dürfe. Sie diene in erster Linie der Gewinnung zusätzlicher Wohnfläche. Die zu berücksichtigende Länge des Gebäudes sei nicht - wie angenommen - 19,48 m, sondern 21,60 m. Auch der nach Norden gerichtete Giebel halte den erforderlichen Grenzabstand nicht ein - dieser betrage 3,90 m. Entsprechendes gelte für den nach Süden gerichteten Giebel. Die Giebelwand sei dort auch nicht teilweise durch eine Scheibe ersetzt worden. Vielmehr befinde sich dort ein - über 40 cm starkes - Mauerwerk. Die Dachfläche des Südgiebels rage unzulässig in das Freiraumprofil hinein. Außerdem sei der Dachneigungswinkel unzutreffend mit 45° angenommen worden. So sei er zwar genehmigt, gebaut worden sei aber eine Dachneigung von 48°.

14

Die Kläger beantragen,

den Bescheid des Beklagten vom 10. April 2001 und den Widerspruchsbescheid der Bezirksregierung Lüneburg vom 25. September 2001 aufzuheben.

15

Der Beklagte und der Beigeladene beantragen,

die Klage abzuweisen.

16

Sie beziehen sich auf seinen angefochtenen Bescheid und den Widerspruchsbescheid.

17

Der Beklagte weist darauf hin, dass die von den Klägern vorgelegten Unterlagen von 1999 stammten und nicht denen für die anerkannte Austauschmaßnahme entsprächen. Eine Festsetzung der maßgeblichen Geländeoberfläche sei nicht erforderlich gewesen. Die Einmessungsbescheinigung vom 9. Dezember 1998 enthalte alle für die Beurteilung notwendigen Maße von Längen, Höhe und Grenzabständen. Als Bezugspunkt habe dabei einerseits die Geländeoberfläche an der Gebäudewand des Beigeladenen, andererseits die Geländeoberfläche an der Grundstücksgrenze der Kläger gedient.

18

Der Beigeladene weist insbesondere darauf hin, dass die Kläger ihr Grundstück in einer Weise bepflanzt hätten, dass diese Bepflanzung ihnen das Licht nehme, nicht aber sein Gebäude. Die Kammer hat am 20. November 2003 den Grenzbereich der Grundstücke der Kläger und des Beigeladenen in Augenschein genommen. Wegen der Einzelheiten der Beweisaufnahme wird auf die Niederschrift über dieöffentliche Sitzung vom 20. November 2003 Bezug genommen. Wegen der weiteren Einzelheiten des

19

Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte mit den beigezogenen Verwaltungsvorgängen des Beklagten und der Bezirksregierung Lüneburg, den Beiakten A bis C, Bezug genommen, außerdem auf die Gerichtsakte des parallelen Verfahrens 2 A 63/01 mit den dort beigezogenen Verwaltungsvorgängen.

Entscheidungsgründe

20

Die Klage ist zulässig und begründet. Der angefochtene Bescheid und der Widerspruchsbescheid sind rechtswidrig und verletzen die Kläger in eigenen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO -).

21

Dabei kann dahinstehen, ob die Kläger die richtigen Adressaten für die Anerkennung eines Austauschmittels sind. Jedenfalls erweist sich diese Anerkennung den Klägern gegenüber als fehlerhaft.

22

Rechtsgrundlage für die Anerkennung eines Austauschmittels ist § 5 Abs. 2 Satz 2 des Niedersächsischen Gefahrenabwehrgesetzes (NGefAG). Gemäß § 5 Abs. 2 Satz 2 NGefAG ist dem Betroffenen einer Ordnungsverfügung auf Antrag zu gestatten, ein anderes ebenso wirksames Mittel (das Austauschmittel) - als das von der Ordnungsbehörde nach § 5 Abs. 2 Satz 1 NGefAG bestimmte - anzuwenden, wenn die Allgemeinheit dadurch nicht stärker beeinträchtigt wird. Diese Bestimmungen des NGefAG sind im Bauordnungsrecht zu beachten (vgl. Schmaltz in: Große-Suchsdorf/Lindorf/ Schmaltz/Wiechert, Niedersächsische Bauordnung, 7. Auflage 2002, Rdnrn. 1, 38 zu § 89). Folge der Anerkennung als Austauschmittel ist, dass der Polizeipflichtige seine Verpflichtung - auch - in der von ihm beantragten Form erfüllen darf. Die ursprüngliche Ordnungsverfügung wird dabei nicht durch die Anerkennung als Austauschmittel ersetzt, sondern nur hinsichtlich des anzuwendenden Mittels erweitert. Die ursprüngliche Ordnungsverfügung bleibt die Grundlage der - konkretisierten - Ordnungspflicht des Betroffenen. Für das Austauschmittel sind daher auch dieselben materiellen Anforderungen zu beachten, die für die Ordnungsverfügung - hier die Beseitigungsverfügung vom 22. Juni 1999 - gelten.

23

Rechtsgrundlage dieser Beseitigungsverfügung ist § 89 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 Niedersächsische Bauordnung (NBauO). Gemäß § 89 Abs. 1 Satz 1 NBauO kann die Bauaufsichtsbehörde nach pflichtgemäßem Ermessen die Maßnahmen anordnen, die zur Herstellung oder Sicherung rechtmäßiger Zustände erforderlich sind, wenn bauliche Anlagen, Grundstücke, Bauprodukte oder Baumaßnahmen demöffentlichen Baurecht widersprechen oder dies zu besorgen ist. Gemäß Satz 2 Nr. 4 dieser Vorschrift kann die Bauaufsichtsbehörde dabei namentlich die Beseitigung von baulichen Anlagen oder Teilen baulicher Anlagen anordnen. Die anzuordnende Maßnahme muss dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entsprechen. Sie muss daher geeignet sein, die Bauordnungswidrigkeit - mindestens teilweise - zu beseitigen. Eine Maßnahme, die einen neuen rechtswidrigen Zustand herbeiführte, ist in diesem Sinne ungeeignet (vgl. Schmaltz in: Große-Suchsdorf/Lindorf/ Schmaltz/Wiechert, Niedersächsische Bauordnung, 7. Auflage 2002, Rdnr. 34 zu § 89; Drews/Wacke/Vogel/Martens, Gefahrenabwehr, 9. Aufl. 1986, S. 419).

24

Die Anerkennung als Austauschmittel ist nicht geeignet, die Bauordnungswidrigkeit in diesem Sinne zu beseitigen, weil durch das Austauschmittel ein baurechtswidriger Zustand geschaffen würde. Denn die für den Rückbau vorgesehene Dachgaube hält nicht den erforderlichen Grenzabstand ein. Nach der Bauvorlage (Anlage zum Bescheid vom 10. April 2001) soll die Oberkante der Gaube in 5,8 m Höhe sein. Der Grenzabstand beträgt hier aber nach der Vermessung vom 9. Dezember 1998 nur 3,18 m. Der Beklagte hat angenommen, für die Dachgaube sei der Abstand nicht gemäß § 7a Abs. 1 NBauO, sondern gemäß § 7b Abs. 1 NBauO zu ermitteln. Nach dieser Vorschrift dürfen Eingangsüberdachungen, Windfänge, Hauseingangstreppen, Kellerlichtschächte und Balkone die Abstände nach den §§ 7 und 7a um 1,50 m, höchstens jedoch um ein Drittel, unterschreiten. Dies gilt auch für andere vortretende Gebäudeteile wie Gesimse, Dachvorsprünge, Erker und Blumenfenster, wenn sie untergeordnet sind. Dass die für das Austauschmittel vorgesehene Dachgaube diese Vergünstigung genießt, träfe nur zu, wenn sie ein untergeordneter Teil des Gebäudes i.S.d. § 7b Abs. 1 Satz 2 NBauO wäre. Das ist indessen nicht der Fall. Als untergeordnete Teile in diesem Sinne sind Gebäudeteile anzusehen, wenn sie selbst keine oder nur wenig nutzbare Fläche haben und sich ihre Funktion darin erschöpft, entweder die dahinter liegenden Räume zu belichten bzw. deren Raumwirkung zu steigern oder als Gestaltungselement die Fassade zu gliedern. Zusätzlich gewonnene Nutzfläche kann daher ein Indiz dafür sein, dass ein Gebäudeteil nicht mehr untergeordnet ist. Eine Dachgaube, die in erster Linie ein Mittel ist, zusätzliche Wohnfläche nennenswerten Ausmaßes zu gewinnen, ist regelmäßig kein untergeordneter Gebäudeteil (Lindorf in: Große-Suchsdorf/Lindorf/ Schmaltz/Wiechert, Niedersächsische Bauordnung, 7. Auflage 2002, Rdnrn. 16, 19, 24 zu § 7b). Die Dachgaube, die in den Bauvorlagen für das Austauschmittel vorgesehen ist, soll in diesem Sinne zusätzliche Wohnfläche nennenswerten Ausmaßes schaffen. Dabei ist nicht darauf abzustellen, welche zusätzliche Wohnfläche bezogen auf das Gesamtgebäude durch die Gaube geschaffen wird. Maßgeblich ist vielmehr, in welchem Umfang der Raum vergrößert wird, zu dem die Gaube gehört. Nach den Bauvorlagen zum Austauschmittel gehört die Gaube zu einem 4,5 m x 2,4 m großen Badezimmer. Dieses hat die Dachschräge an der Längsseite, und zwar so, dass eine Raumhöhe von 2,20 m erst etwa in der Raummitte erreicht wird. Die vorgesehene Dachgaube soll etwa 2,4 m breit und 1,7 m tief werden. Sie wird daher etwas mehr als die Hälfte der schrägen Längswand des Badezimmers erfassen und diesem Bereich die volle Raumhöhe verschaffen. Die - ohne Dachschräge - uneingeschränkt nutzbare Fläche des Badezimmers wird dadurch um mehr als 1/4 vergrößert. Dieser Umfang ist als nennenswert anzusehen. Die Gaube ist daher nicht mehr als untergeordneter Gebäudeteil anzusehen. Sie hat daher den regelmäßigen Grenzabstand von 1 H gemäß § 7 Abs. 1 und Abs. 3 NBauO einzuhalten. Gebäude müssen nach diesen Regeln mit allen auf ihren Außenflächen oberhalb der Geländeoberfläche gelegenen Punkten von den Grenzen des Baugrundstücks Abstand halten. Der Abstand ist zur nächsten Lotrechten über der Grenzlinie zu messen. Er richtet sich jeweils nach der Höhe des Punktes über der Geländeoberfläche (H). Der Abstand beträgt 1 H, mindestens jedoch 3 m.

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Die Gaube kann nach den Bauvorlagen, die dem angefochtenen Bescheid zu Grunde liegen, jedoch den danach erforderlichen Grenzabstand nicht vollständig einhalten. Das Gebäude des Beigeladenen ist gegenüber der Grenze zum Grundstück der Kläger 19,5 m lang. Für die Ermittlung dieses Maßes ist die südostwärtige Außenwand des Wohnhauses einschließlich der Dachüberstände zu berücksichtigen (vgl. Lindorf in: Große-Suchsdorf/ Lindorf/Schmaltz/Wiechert., Niedersächsische Bauordnung, 7. Aufl. 2002, Rdnr. 5 mit Abb.4 zu § 7a).

26

Die Kammer teilt jedoch nicht die Auffassung der Kläger, es sei von einer Länge von 21,60 m auszugehen. Eine größere Länge als die von der Kammer für zutreffend gehaltene ließe sich nur erreichen, wenn auch die Grenzgarage zu berücksichtigen wäre. Das ist indessen nicht der Fall. Die Grenzgarage hat eine Gesamtfläche von unter 36 qm, eine Gesamtlänge an allen Grenzen von unter 9 m und ihre Höhe übersteigt 3 m nicht. Sie ist daher gemäß § 12 Abs. 1 NBauO ohne Grenzabstand zulässig. Dieser Sonderregel zur Zulässigkeit der Grenzgarage ohne Grenzabstand widerspräche es, die Garage zu berücksichtigen, wenn der Abschnitt von 17 m für den verringerten Abstand gemäß § 7a Abs. 1 NBauO ermittelt wird. Das Vorbringen der Kläger zu einer Aufschüttung entlang der Grundstücksgrenze, die zur Gebäudehöhe hinzugezählt werden müsse, überzeugt die Kammer ebenfalls nicht. Denn bei der Ortsbesichtigung am 20. November 2003 hat die Kammer eine solche Aufschüttung nicht feststellen können. Vielmehr ist dort das Niveau entlang der Häuser sowohl des Beigeladenen als auch der Kläger auf gleicher Höhe. Dagegen ist die Zufahrt auf das Grundstück der Kläger, die zwischen den beiden Häusern verläuft, etwa 10 cm bis 15 cm abgesenkt. Insoweit wird auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung mit Augenscheinseinnahme vom 20. November 2003 Bezug genommen. Letztlich könnte insoweit sogar dahinstehen, inwieweit die Einfahrt der Kläger abgesenkt wurde und zwischen den Häusern der Kläger und des Beigeladenen im übrigen Boden angeschüttet wurde. Denn die Garage erreicht in keinem Fall eine zu berücksichtigende Höhe von mehr als 3 m. Das ergibt sich bereits nach dem von den Klägern im Verwaltungsverfahren mit Schreiben vom 7. Januar 1999 vorgelegten Protokoll des Ortstermins der Kammer vom 19. April 1990, auf das insoweit Bezug genommen wird. Denn aus diesem ergibt sich, dass die Garage auch vom Niveau der Zufahrt der Kläger eine Höhe von 3 m hat.

27

Durch den vorgesehenen Rückbau des Daches in der Südostecke des Gebäudes hielte dieses dort auf einer Länge von 1,5 m den allgemein erforderlichen Grenzabstand von 1 H gemäß § 7 Abs. 1 und Abs. 3 NBauO ein. Die verbleibende zu berücksichtigende Länge von 17,5 m überschreitet allerdings immer noch das nach § 7a Abs. 1 NBauO zulässige Maß des verringerten Abstandes eines Gebäudeabschnitts, das nur 17 m beträgt. Mit denübrigen 0,5 m hätte das Gebäude den Abstand von 1 H gemäß § 7 Abs. 1 NBauO einzuhalten. Das könnte es indessen nicht, weil die vorgesehene Gaube eine Höhe von 5,8 m hat, jedoch nur 4,23 m (nämlich 3,18 m Grenzabstand der Gebäudewand + 1,05 m, die die Gaube hinter diese zurückspringt) von der Grenze entfernt ist.

28

Auf das weitere Vorbringen der Kläger kam es nicht mehr an, da die Anerkennung als Austauschmittel bereits wegen dieser Überschreitung fehlerhaft ist.