Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Urt. v. 06.09.2017, Az.: L 3 KA 46/14
Anerkennung von Praxisbesonderheiten bei der Bemessung des Regelleistungsvolumens (RLV) i.R.d. Honoraranspruchs eines Radiologen; Gewährung von Zuschlägen auf den RLV-Fallwert für den Bereich "onkologische Diagnostik" als Praxisbesonderheit
Bibliographie
- Gericht
- LSG Niedersachsen-Bremen
- Datum
- 06.09.2017
- Aktenzeichen
- L 3 KA 46/14
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2017, 22628
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- vorgehend
- SG Hannover - 12.02.2014 - AZ: S 65 KA 631/11
Rechtsgrundlagen
- § 87b Abs. 4 S. 1, 2, 3 SGB V 2011
- § 39 Abs. 2 SGB X
Tenor:
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Hannover vom 12. Februar 2014 wird zurückgewiesen. Der Kläger trägt auch die Kosten des Berufungsverfahrens. Die Revision wird nicht zugelassen. Der Streitwert des Berufungsverfahrens wird auf 40.000 Euro festgesetzt.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Anerkennung von Praxisbesonderheiten bei der Bemessung des Regelleistungsvolumens (RLV).
Der Kläger nimmt als Facharzt für Nuklearmedizin in E. an der vertragsärztlichen Versorgung teil. Bis Ende 2011 gehörte er zusammen mit drei Radiologen zu einer Berufsausübungsgemeinschaft (BAG), seit 2012 ist er in Einzelpraxis tätig.
Die beklagte Kassenärztliche Vereinigung (KÄV) wies dem Kläger das für ihn berechnete RLV (seit III/2010 auch das qualifikationsgebundene Zusatzvolumen (QZV)) vor jedem Abrechnungsquartal in gesonderten Bescheiden zu. Auf seinen Antrag erkannte sie ihm gegenüber mit Bescheid vom 8. Januar 2010 den Bereich "onkologische Diagnostik" als Praxisbesonderheit an und gewährte ihm ab 1. Januar 2009 und befristet bis zum Quartal IV/2010 Zuschläge auf den RLV-Fallwert. Dies betraf im Ergebnis - entsprechend der vom Kläger vorgenommenen Kennzeichnung von Abrechnungsfällen - die Gebührenordnungspositionen (GOP) 17310, 17311 und 17363 des Einheitlichen Bewertungsmaßstabs für vertragsärztliche Leistungen (EBM).
Am 10. Juni 2011 beantragte der Kläger bei der Beklagten die Fortführung dieser Praxisbesonderheit. Dies lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 15. Juni 2011 ab, weil die vom Kläger gekennzeichneten Fälle im Quartal IV/2010 im Verhältnis zur Gesamtfallzahl und zum Gesamt-RLV nicht ins Gewicht gefallen seien. Der hiergegen eingelegte Widerspruch, mit dem der Kläger auch die nuklearmedizinische Herzdiagnostik nach den EBM-Ziffern 17330 bis 17333 als Praxisbesonderheit geltend machte, blieb ohne Erfolg. Die Beklagte vertrat in ihrem Widerspruchsbescheid vom 24. Oktober 2011 (zur Post gegeben am 25. Oktober 2011) die Auffassung, dass die nuklearmedizinische Herzdiagnostik und die onkologische Diagnostik keine von der Typik der Arztgruppe abweichenden Praxisausrichtungen darstellten.
Hiergegen hat der Kläger am 28. November 2011 Klage zum Sozialgericht (SG) Hannover erhoben.
Während des Klageverfahrens hat die Beklagte zunächst den "Aufhebungs- und Widerspruchsbescheid" vom 20. April 2012 erlassen, mit dem sie die Behandlung von onkologisch erkrankten Patienten auf Zuweisung von onkologisch verantwortlichen Ärzten für die Quartale I/2011 bis IV/2012 als Praxisbesonderheit anerkannte. Im Übrigen bleibe der Widerspruchsbescheid vom 24. Oktober 2011 bestehen. Mit weiterem Bescheid vom 7. Dezember 2012 erweiterte sie die Anerkennung auf die onkologische Diagnostik auf Zuweisung von Hämatologen/Onkologen.
Zur Begründung seiner Klage hat sich der Kläger auf die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) in den Urteilen vom 29. Juni 2011 (Hinweis auf die Az B 6 KA 17/10 bis 19/10 R) berufen. Die hiernach maßgeblichen Voraussetzungen für die Anerkennung einer Praxisbesonderheit erfülle er im Hinblick auf die onkologische Diagnostik und die nuklearmedizinische Herzdiagnostik. Insoweit habe er sich messbar spezialisiert, wobei sich ein Anteil von mindestens 20 % der entsprechenden Leistungen bereits aus den Darlegungen im Widerspruchsbescheid ergebe. Dass es sich hierbei nicht um fachgruppentypische Leistungen handele, folge bereits daraus, dass die Beklagte ihn bis Ende 2008 nach Maßgabe der damaligen RLV-Bestimmungen in die Untergruppe U3 eingestuft habe, mit der eine besonders aufwendige, vom Durchschnitt der Fachgruppe abweichende Versorgung berücksichtigt worden sei. Im Übrigen würden die Leistungen nach den EBM-Ziffern 17332 und 17333 von deutlich weniger als der Hälfte der Ärzte bzw Praxen der Fachgruppe abgerechnet.
Das SG hat die Klage mit Urteil vom 12. Februar 2014 abgewiesen. Für das Quartal I/2011 könne der Kläger keinen Anspruch geltend machen, weil er den Antrag erst im Juni 2011 gestellt habe. Hinsichtlich der GOP 17311, 17312, 17330, 17331 und 17363 EBM habe die Kammer keine fachliche Spezialisierung des Klägers feststellen können, weil insoweit weder eine besondere Qualifikation noch eine besondere apparative Ausstattung vorliege. Hinsichtlich der EBM-Nrn 17332 und 17333 könne zwar eine apparative Spezialisierung vorliegen; die insoweit abgerechneten Leistungen machten jedoch nicht - wie vom BSG gefordert - mehr als 20 % des Gesamtpunktzahlvolumens aus. Eine zusammenfassende Betrachtung der geltend gemachten GOP komme nicht in Betracht, weil bei der Beurteilung von Praxisbesonderheiten immer auf den einzelnen Leistungsbereich abzustellen sei. Der Anspruch auf Anerkennung einer Praxisbesonderheit ergebe sich schließlich auch nicht aus höherrangigem Recht.
Gegen das ihm am 3. April 2014 zugestellte Urteil hat der Kläger am 25. April 2014 Berufung vor dem Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen-Bremen eingelegt. Zur Begründung bezieht er sich auf sein erstinstanzliches Vorbringen und erläutert seine Praxisausrichtung im Bereich der nuklearmedizinisch-kardiologischen und -onkologischen Diagnostik. Die Honoraranforderungen für Leistungen nach den EBM-Ziffern 17330 bis 17333 und 17363 machten mehr als 40 %, teilweise sogar mehr als 50 % der Gesamtanforderung für RLV-/QZV-Leistungen aus. Dass die Leistungen nach den GOP 17332 und 17333 von deutlich weniger als der Hälfte der Praxen der Fachgruppe abgerechnet würden, zeige seine Spezialisierung. Wenn demgegenüber die EBM-Ziffern 17330 und 17331 von der überwiegenden Anzahl der Praxen der Fachgruppe erbracht würden, sei dies unerheblich, weil die von den Kardiologen veranlasste Diagnostik sich als einheitliches "Untersuchungsprogramm" darstelle, sodass nach der Rechtsprechung des BSG der Versorgungsbereich insgesamt zu betrachten sei. Aufgrund seiner besonderen kardiologischen Praxisausrichtung könne der Anerkennung einer Praxisbesonderheit auch nicht entgegengehalten werden, dass es sich bei den GOP 17332 und 17333 nicht um arztgruppenübergreifende Leistungen handele, für die nach der BSG-Rechtsprechung typischerweise eine Praxisbesonderheit angenommen werden könne. Im Hinblick auf die partielle Anerkennung einer Praxisbesonderheit im Bereich der nuklearmedizinisch-onkologischen Diagnostik beanstandet der Kläger, dass insoweit nur solche Patienten berücksichtigt worden seien, die er auf Überweisung eines onkologisch verantwortlichen Arztes untersuche; denn für die Untersuchung und die abzurechnenden Leistungen mache die Ausrichtung des überweisenden Arztes keinen Unterschied. Im Hinblick auf die angefochtene SG-Entscheidung weist der Kläger schließlich ua darauf hin, dass die Beklagte in der Vergangenheit Praxisbesonderheiten auch rückwirkend anerkannt habe. Soweit das SG davon ausgegangen sei, dass ein Leistungsanteil von 20 % für die GOP 17332 und 17333 nicht erreicht worden sei, sei es zu Unrecht von den RLV- bzw. QZV- bedingt gekürzten Honorarauszahlungsbeträgen ausgegangen.
Der Kläger beantragt,
- 1.
das Urteil des Sozialgerichts Hannover vom 12. Februar 2014 aufzuheben und den Bescheid der Beklagten vom 15. Juni 2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 24. Oktober 2011 und der weiteren Bescheide vom 20. April und vom 7. Dezember 2012 abzuändern,
- 2.
die Beklagte zu verpflichten, über die Anerkennung der Gebührenordnungspositionen 17311 und 17312 sowie 17330 bis 17333 und 17363 EBM als Praxisbesonderheiten in den Quartalen I/2011 bis IV/2012 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats neu zu entscheiden.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Bei der kardiologischen Betreuung handele es sich nicht um eine besondere Spezialisierung innerhalb der Nuklearmedizin, was sich aus der entsprechenden Weiterbildungsordnung und der Einordnung der entsprechenden Leistungen in den EBM ergebe. Insbesondere aus der S 1-Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Nuklearmedizin folge, dass es sich bei dem vom Kläger abgerechneten Ziffernkranz nicht um einen regelhaft durchzuführenden Untersuchungsblock handele. Gegen die Annahme eines für die Fachgruppe atypischen Versorgungsschwerpunktes spreche auch, dass ein erheblicher Anteil der Zuweiser des Klägers aus Hausärzten bestehe. Die Erweiterung der anerkannten Praxisbesonderheit im Bereich der Onkologie sei nicht möglich, weil die allgemeine onkologische Untersuchung regelhaft von fast allen Fachärzten für Nuklearmedizin erbracht werde. Die Einschränkung des Überweiserkreises auf onkologisch verantwortliche Ärzte sei aus Patientenschutzaspekten sinnvoll. Auch die Nebenbestimmungen in den hierzu ergangenen Bescheiden aus dem Jahr 2012 seien nicht zu beanstanden, sondern ergäben sich aus den einschlägigen vertraglichen Regelungen bzw dem Honorarverteilungsmaßstab (HVM) der Beklagten.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Berufung ist zulässig, aber unbegründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen.
I. Klagegegenstand ist zunächst der Bescheid vom 15. Juni 2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 24. Oktober 2011 (vgl § 95 Sozialgerichtsgesetz (SGG)), mit dem die Beklagte die Anerkennung von Praxisbesonderheiten für die Jahre 2011 und 2012 zunächst abgelehnt hat. Im Verlauf des Klageverfahrens hat sie diese Entscheidungen im Hinblick auf die als Praxisbesonderheit geltend gemachte onkologische Diagnostik (teilweise) zugunsten des Klägers abgeändert; die entsprechenden Bescheide vom 20. April und vom 7. Dezember 2012 sind deshalb gemäß § 96 Abs 1 SGG Gegenstand des Verfahrens geworden. Später ergangene Bescheide der Beklagten über die "Verlängerung" der Praxisbesonderheit für die Jahre 2013 und 2014 sind dagegen nicht Verfahrensgegenstand geworden, weil sie die für 2010 und 2011 erlassenen Bescheide nicht abändern oder ersetzen, sondern spätere Abrechnungszeiträume betreffen.
II. Die Klage ist als Anfechtungs- und Neubescheidungsklage (§§ 54 Abs 1, 131 Abs 3 SGG) statthaft. Anders als das SG geht der Senat nicht von einer Verpflichtungsklage aus, weil die Entscheidung, in welchem Umfang eine Erhöhung des RLV wegen des Vorliegens einer Praxisbesonderheit vorzunehmen ist, im Ermessen der KÄV liegt (BSG SozR 4-2500 § 85 Nr 66; Hess LSG, Urteil vom 16. September 2015 - L 4 KA 72/13 - ).
Auch das gemäß § 78 Abs 1 SGG erforderliche Vorverfahren ist eingehalten worden. Insoweit könnten Bedenken bestehen, weil der Widerspruchsbescheid vom 24. Oktober 2011 die erstmalige Ablehnung der nuklearmedizinischen Herzdiagnostik als Praxisbesonderheit enthält, deren Anerkennung zuvor erst mit der Widerspruchsbegründung beantragt worden war. Die demnach insoweit noch erforderliche Entscheidung über den Widerspruch - der in der Klage vom 28. November 2011 zu sehen ist - ist von der Beklagten aber mit dem anschließend ergangenen Bescheid vom 20. April 2012 getroffen worden, mit dem im Ergebnis an der Entscheidung festgehalten worden ist, Leistungen der Herzdiagnostik nicht als Praxisbesonderheit anzuerkennen.
Ohne Einfluss auf die Zulässigkeit der Klage bleibt der Umstand, dass der Kläger bis Ende 2011 Mitglied einer BAG gewesen, seitdem aber in einer Einzelpraxis tätig ist. Dass der Honoraranspruch für die vier Quartale des Jahres 2011 nicht dem Kläger, sondern der BAG zusteht, ändert im vorliegenden Fall nichts an der Klagebefugnis des Klägers, weil dieser Adressat der angefochtenen Bescheide ist (vgl hierzu Senatsurteil vom 13. April 2016 - L 3 KA 51/13 - ). Der Statuswechsel 2011/2012 ist ferner ohne Auswirkung auf die Wirksamkeit der Bescheide des Jahres 2011 geblieben. Diese sind zwar vor dem Hintergrund ergangen, dass der Kläger Mitglied einer BAG ist. Dem Inhalt der Bescheide kann jedoch nicht entnommen werden, dass die dort getroffene Regelung nur für die Dauer der damals bestehenden Ärztekooperation gelten sollte, sodass der Bescheid vom 15. Juni 2011 mit dem Ende der BAG sich nicht auf sonstige Weise erledigt hat (§ 39 Abs 2 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X)). Dies wird dadurch bestätigt, dass die Beklagte die dort getroffene Regelung in den im Jahr 2012 erlassenen Bescheiden unter Modifikationen aufrechterhalten hat.
Die vorliegenden Entscheidungen der Beklagten über die Anerkennung von Praxisbesonderheiten können vom Kläger auch gesondert angefochten werden. Nach der Rechtsprechung des BSG (SozR 4-2500 § 87b Nr 1) ist die gesonderte Anfechtbarkeit von Bescheiden der KÄV, mit denen diese über einzelne Bemessungsgrundlagen des vertragsärztlichen Honoraranspruchs entschieden hat, allerdings davon abhängig, dass auch die später jeweils erlassenen Quartalshonorarbescheide angefochten worden sind. Dies ist hier zu bejahen, weil gegen alle Honorarbescheide für 2011 und 2012 Klagen erhoben worden sind, die vom SG Hannover ruhend gestellt worden sind.
III. Die Klage ist jedoch unbegründet. Die angefochtenen Bescheide sind weder in Hinblick auf die als Praxisbesonderheit geltend gemachten herzdiagnostischen Leistungen (im Folgenden: 1.) noch auf die onkologische Diagnostik (2.) zu beanstanden.
1.a) Ausgangspunkt für die Anerkennung von Praxisbesonderheiten bei der Bemessung des RLV war für 2011 der auf der Grundlage von § 87b Abs 4 S 1 SGB V (in der bis 31. Dezember 2011 geltenden Fassung) ergangene Beschluss des Bewertungsausschusses (BewA) vom 26. März 2010. Dieser sah in Teil F Abschnitt I Nr 3.7 vor, dass die Praxisbesonderheiten zwischen den Partnern der Gesamtverträge geregelt werden. Praxisbesonderheiten ergeben sich demnach aus einem besonderen Versorgungsauftrag oder einer besonderen, für die Versorgung bedeutsamen fachlichen Spezialisierung; über das Verfahren der Umsetzung einigen sich die Partner der Gesamtverträge. Die Bestimmungen dieses Beschlusses galten für die Honorarverteilung 2012 gemäß § 87b Abs 1 S 3 SGB V (idF des GKV-Versorgungsstrukturgesetzes (GKV-VStG) vom 22. Dezember 2011 (BGBl I 2983)) weiter (vgl Nr 1 Buchst b des Beschlusses des BewA vom 14. Dezember 2011).
Auf dieser Grundlage haben die Beklagte und die Landesverbände der Krankenkassen sowie die Ersatzkassen die "Vereinbarung zur Umsetzung der Beschlüsse des (Erweiterten) Bewertungsausschusses zur Neuordnung der vertragsärztlichen Vergütung im Jahr 2011" (NVV-Vereinbarung 2011) getroffen, in der in Teil A Nr 7 Regelungen über die Voraussetzungen und die Anerkennung von Praxisbesonderheiten enthalten sind. Für die Quartale I und II/2012 sind diese Regelungen (geringfügig modifiziert) aufgrund § 87b Abs 1 S 3 SGB V (idF des GKV-VStG) durch die NVV-Vereinbarung 2012 fortgeschrieben worden. Für die Quartale III und IV/2012 gilt die entsprechende Regelung in Teil A Nr 8 des gemäß § 87b Abs 1 S 2 SGB V beschlossenen HVM der Beklagten vom 18. April 2012.
b) Zum Verfahren der Anerkennung von Praxisbesonderheiten ist in Teil A Nr 7 der NVV-Vereinbarung 2011 (3. Absatz) bestimmt, dass eine Zubilligung von Praxisbesonderheiten frühestens für das Quartal der Antragstellung möglich und regelhaft auf zwei Jahre begrenzt ist. Hieraus folgt, dass eine Praxisbesonderheit "nuklearmedizinische Herzdiagnostik" mit den GOP 17330 bis 17333 und 17363 frühestens für das 3. Quartal des Jahres 2011 anerkannt werden könnte, weil der Kläger die Anerkennung dieses Leistungskomplexes erstmals in seiner Widerspruchsbegründung vom August 2011 beantragt hat. Schon daraus ergibt sich, dass die ablehnende Entscheidung der Beklagten im Hinblick auf diese Praxisbesonderheit für die Quartale I und II/2011 rechtmäßig war.
c) Inhaltlich bestimmen die Nrn 7 bzw. 8 der oa Regelungen der Gesamtvertragspartner bzw der Beklagten, dass "sich Praxisbesonderheiten aus einem besonderen Versorgungsauftrag oder einer besonderen, für die Versorgung bedeutsamen fachlichen Spezialisierung ergeben. Hierunter fallen insbesondere Sonderbedarfszulassungen, die Teilnahme an Sondervereinbarungen, die Teilnahme an Qualitätssicherungsvereinbarungen, wenn hieraus ein zusätzlicher Behandlungsbedarf bezüglich RLV-Leistungen resultiert, sowie die Deckung eines besonderen Sicherstellungsbedarfs. Voraussetzung für letztere ist, dass der Antragsteller einen wesentlichen Beitrag zur Sicherstellung der der Antragstellung unterliegenden (RLV-)Leistungen geleistet hat und weiterhin leistet und dass dem Versicherten nicht zugemutet werden kann, den ansonsten nächst erreichbaren Arzt für besagte Leistungen in Anspruch zu nehmen (Fahrtzeit einfache Fahrt mehr als 30 Minuten)".
Anhaltspunkte dafür, dass diese Voraussetzungen im Fall des Klägers vorliegen, bestehen nicht. Weder von Amts wegen noch nach dem Vortrag des Klägers ist erkennbar, dass er über eine Sonderbedarfszulassung verfügt oder an Sonder- oder Qualitätssicherungsvereinbarungen teilnimmt. Der Kläger macht auch nicht geltend, dass seinen Patienten nicht zugemutet werden könne, den ansonsten nächst erreichbaren Arzt für die als Besonderheit geltend gemachten Leistungen in Anspruch zu nehmen, was ua Voraussetzung dafür wäre, einen besonderen Sicherstellungsbedarf im Sinne der genannten Vorschrift anzunehmen.
d) aa) Wie sich aus dem Begriff "insbesondere" in Nr 7 bzw 8 S 3 der genannten Regelungen ergibt, sind hiermit die Voraussetzungen für die Annahme eines besonderen Versorgungsauftrags bzw einer besonderen, für die Versorgung bedeutsamen fachlichen Spezialisierung aber nicht abschließend beschrieben. Die Beteiligten gehen deshalb zutreffend davon aus, dass eine Praxisbesonderheit in dem genannten Sinne auch angenommen werden kann, wenn die Gegebenheiten vorliegen, die nach der Rechtsprechung des BSG für einen besonderen Versorgungsbedarf sprechen. Im Hinblick auf die seit 2005 geltenden RLV hat das BSG in verschiedenen Entscheidungen vom 29. Juni 2011 (SozR 4-2500 § 85 Nr 66; außerdem ua Az B 6 KA 20/10 R - ) dargelegt, dass eine vom Durchschnitt abweichende Praxisausrichtung, die Rückschlüsse auf einen besonderen Versorgungsbedarf erlaubt, bei einem besonders hohen Anteil der in einem speziellen Leistungsbereich abgerechneten Punkte im Verhältnis zur Gesamtpunktzahl liegen kann. Dieser ist anzunehmen, wenn sich der Anteil der Spezialleistungen auf mindestens 20 % des Gesamtpunktzahlvolumens beläuft, und zwar als Durchschnittswert in einem Gesamtzeitraum von vier aufeinanderfolgenden Quartalen. Hierzu genügt es allerdings nicht, lediglich ein "Mehr" an fachgruppentypischen Leistungen abzurechnen; die Überschreitung des praxisindividuellen RLV muss vielmehr darauf beruhen, dass im besonderen Maße spezielle Leistungen erbracht werden. Denn das RLV knüpft an fachgruppenbezogene Durchschnittswerte an, die alle fachgruppentypischen Leistungen abbildet; dem würde es widersprechen, wenn ein Teil der Fachgruppe ausschließlich die niedriger bewerteten Leistungen erbringt und abrechnet, während ein anderer Teil ausschließlich die hoch bewerteten Leistungen erbringt und abrechnet und dafür eine individuelle Erhöhung des RLV erhalten würde (BSG, Urteil vom 29. Juni 2011 - B 6 KA 20/10 R - ).
Diese Voraussetzungen liegen im Hinblick auf die vom Kläger erbrachten nuklearmedizinischen Leistungen zur Diagnostik von Herzerkrankungen jedoch nicht vor.
bb) Allerdings machen die als Besonderheit geltend gemachten Leistungen einen Anteil von mehr als 20 % des gesamten Leistungsaufkommens des Klägers aus. Zutreffend hat die Beklagte in ihrem Widerspruchsbescheid vom 24. Oktober 2011 dargelegt, dass der Anteil der auf die GOP 17330 bis 17333 entfallenden Honorare in den Quartalen II/2010 bis I/2011 zwischen 26,06 % und 30,35 % der Honoraranforderungen im Bereich des RLV bzw (ab III/2010) des QZV beträgt. Für das 2. Vierteljahr des Jahres 2011 - dem letzten abgeschlossenen Abrechnungsquartal vor der Antragstellung - beträgt der entsprechende Anteil 22,18 % (angefordertes RLV bzw QZV: 145.877,43 Euro, Honorar für die GOP 17330 bis 17333: 32.350,80 Euro). Der Anteil liegt sogar noch erheblich höher, wenn man berücksichtigt, dass die Leistung nach der EBM-Nr 17363 nicht ausschließlich zur onkologischen Diagnostik, sondern auch zur nuklearmedizinischen Herzdiagnostik eingesetzt wird, und dementsprechend einen Anteil der auf diese GOP entfallenden Honorarbeträge beim Honorar für die Herzdiagnostik einbezieht. Hierzu hat der Kläger im Berufungsverfahren dargelegt, dass der Zuschlag nach Nr 17363 auch bei der Herzfunktionsdiagnostik in Ansatz zu bringen ist, weil diese mittels der "gated SPECT"-Technik und damit unter dem von Nr 17363 erfassten Einsatz einer Gammakamera durchgeführt wird. Entgegen der Auffassung des SG kann deshalb auch nicht eindeutig festgestellt werden, dass die Herzfunktionsdiagnostik allein weniger als 20 % der auf das RLV entfallenden Honoraranforderungen ausmacht. Denn wenn man in den insgesamt 319 Fällen, in denen der Kläger die GOP 17332 und 17333 im Quartal I/2011 abgerechnet hat, einen auf den SPECT-Zuschlag entfallenden Eurobetrag anteilig mitberücksichtigt, erhöht sich das Honorar für die Herzfunktionsdiagnostik um 22.010,07 Euro, sodass die 20 %-Grenze auch insoweit überschritten wäre (insgesamt 36.290,47 Euro von 157.320,49 Euro angefordertes RLV = 23,06 %).
cc) Bei den Leistungen nach den GOP 17330 bis 17333 und 17363 EBM handelt es sich jedoch nicht um spezielle, sondern um fachgruppentypische Leistungen der Nuklearmediziner, bei denen eine gehäufte Erbringung nicht auf eine versorgungsrelevante Besonderheit schließen lässt.
Nach der Rechtsprechung des BSG ist für die Abgrenzung zwischen fachgruppentypischen und speziellen Leistungen darauf abzustellen, ob die betroffenen Leistungen im EBM als spezieller Leistungsbereich ausgewiesen sind, insbesondere dort zu den arztübergreifend erbrachten speziellen Leistungen gehören. Hierbei wird es sich typischerweise um Leistungen handeln, die eine besondere (Zusatz-)Qualifikation und eine besondere Praxisausstattung erfordern (BSG SozR 4-2500 § 85 Nr 66). Daneben hat das BSG - unter Bezugnahme auf seine Rechtsprechung zur Zulässigkeit der auf Einzelleistungen bezogenen Wirtschaftlichkeitsprüfung nach Durchschnittswerten - darauf abgestellt, ob 50 % oder mehr der zur Fachgruppe gehörenden Ärzte die entsprechenden Leistungen abrechnen (Urteil vom 29. Juni 2011 - B 6 KA 18/10 R - ).
Bei Berücksichtigung dieser Kriterien können die Leistungen der GOP 17330 bis 17333 und 17363 EBM nur als fachgruppentypische Leistungen der Nuklearmedizin angesehen werden. Hierfür spricht, dass diese Leistungen im EBM keinem gesonderten Bereich zugewiesen sind - insbesondere nicht den arztgruppenübergreifenden speziellen GOP in Abschnitt IV -, sondern in das Kapitel über arztgruppenspezifisch-nuklearmedizinische GOP (Nrn 17210 bis 17373) eingebettet sind. Dies galt in gleicher Weise schon für den bis 31. März 2005 geltenden EBM aF (dort Nrn 5402 bis 5413 innerhalb der nuklearmedizinischen Positionen 5400 bis 5497).
Hieran ändert für die herzfunktionsdiagnostischen GOP (Nrn 17332 und 17333 EBM) nichts, dass diese Leistungen im hier maßgeblichen Zeitraum nur von einer relativ geringen Zahl von Nuklearmedizinern abgerechnet worden sind, nämlich (in den Quartalen II/2010 bis II/2011) von lediglich 11 bis 18 (von insgesamt bis zu 59 Nuklearmedizinern in Niedersachsen (vgl die Honorarstatistik der Beklagten im NdsÄBl 2011, Heft 5, S 41)). Denn auch diese Leistungen gehören definitionsgemäß zum Kernbestand des nuklearmedizinischen Leistungsspektrums. Wie sich (ua) aus Abschnitt IV.27 der seit Juni 2004 geltenden Weiterbildungsordnung der Ärztekammer Niedersachsen ergibt, umfasst die Nuklearmedizin die "Anwendung radioaktiver Substanzen und kernphysikalischer Verfahren in der Medizin zur Funktions- und Lokalisationsdiagnostik ". Angesichts dessen wäre nicht nachvollziehbar, warum die Funktionsdiagnostik des Herzens mittels nuklearmedizinischer Substanzen demgegenüber ein Sondergebiet darstellen sollte.
Im Übrigen hat der Kläger selbst dargelegt, dass die relativ geringe Zahl der Abrechner die Folge davon ist, dass im hier streitbefangenen Zeitraum noch nicht jedem Nuklearmediziner die aktuell eingesetzte, aber relativ neue Methode der gated SPECT-Untersuchung zur Herzfunktionsdiagnostik vertraut gewesen ist und dass Nuklearmediziner ihre Praxis häufig auf unterschiedliche Schwerpunkte (neben den kardiologischen Untersuchungen zB Untersuchungen der Schilddrüse) konzentrieren. Die heterogene Praxisausrichtung der Fachgruppe bleibt im vorliegenden Zusammenhang aber unbeachtlich, weil nach den Vorgaben des BewA für die gesamte Fachgruppe ein einheitliches RLV mit einem arztgruppenspezifischen Fallwert vorgesehen ist, in den alle Leistungen der Fachgruppe einfließen (vgl Teil F Abschnitt I Nr 3.2.1 i.V.m. Anl 7 des BewA-Beschlusses vom 26. März 2010). Wie bereits unter aa) ausgeführt, können Mitglieder der Arztgruppe, die ihren Schwerpunkt auf besonders hoch bewertete Leistungen ihres Gebiets - wie die nuklearmedizinische Herzdiagnostik - gelegt haben, deshalb nicht unter Hinweis hierauf eine Erhöhung ihres RLV beanspruchen.
Nur ergänzend wird darauf hingewiesen, dass die nuklearmedizinische Herzfunktionsdiagnostik auch keine besondere (Zusatz-)Qualifikation oder eine besondere Praxisausstattung erfordert, die den Nuklearmedizinern ansonsten nicht zu Gebote steht. Weder ein EKG-Trigger noch eine Gammakamera können insoweit als ungewöhnliche Praxisausstattung angesehen werden, zumal die Gammakamera als Voraussetzung des SPECT-Zuschlags auch für weitere nuklearmedizinische Untersuchungsmethoden erforderlich ist. Die Kenntnisse, die sich der Nuklearmediziner für die Durchführung der gated SPECT-Technik aneignen muss, begründen auch keine weiterbildungsrechtliche Zusatzqualifikation, sondern gehören zur ärztlichen Fortbildung, die notwendige Folge des technischen Fortschritts in der apparativ gestützten Medizin ist.
2. Auch der Auffassung des Klägers, die ihm in den Bescheiden vom 20. April und vom 7. Dezember 2012 gewährte Anerkennung der nuklearmedizinisch-onkologischen Diagnostik als Praxisbesonderheit sei in unzureichender Weise erfolgt, kann der Senat nicht beitreten.
Wenn die Bescheide mit der Nebenbestimmung versehen sind, dass ein Zuschlag nur gewährt wird, wenn der durchschnittliche RLV-/QZV-Fallwert der als Besonderheit gekennzeichneten Fälle den zugewiesenen RLV-/QZV-Fallwert um mindestens 30 % bzw (ab 2012) um mindestens 20 % überschreitet, folgt dies aus der entsprechenden Vorgabe in den NVV-Vereinbarungen 2011 (dort Teil A Nr 7 (2. Absatz)) und 2012 bzw dem HVM vom 18. April 2012 (jeweils Teil A Nr 8 (2. Absatz)). Darin liegt allerdings eine Modifikation der früheren Regelung in Teil F Abschnitt I Nr 3.6 des Beschlusses des BewA vom 22. September 2009, wonach Praxisbesonderheiten im Jahr 2010 anerkannt werden konnten, wenn zusätzlich eine aus der Besonderheit resultierende Überschreitung des durchschnittlichen Fallwerts der Arztgruppe um mindestens 30 % vorliegt. Die Regelung weicht auch von der Rechtsprechung des BSG (SozR 4-2500 § 85 Nr 66) ab, wonach die Anerkennung einer Praxisbesonderheit voraussetzt, dass der Arzt das Gesamtpunktzahlvolumen seiner Fachgruppe um mindestens 20 % überschritten hat. Ob derartige Abweichungen durch den Gestaltungsspielraum der Gesamtvertragspartner bzw der Beklagten als Satzungsgeber auch gedeckt sind, soweit sie sich zu Ungunsten der Vertragsärzte auswirken, mag fraglich sein (bejahend LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 30. April 2014 - L 7 KA 154/11 - ). Dies gilt auch, soweit die Beklagte in den angefochtenen Bescheiden eine Praxisbesonderheit nur für onkologische Fälle anerkannt hat, die dem Kläger von onkologisch verantwortlichen Ärzten bzw von Fachärzten für Hämatologie/Onkologie zugewiesen worden sind. Insoweit könnte problematisch sein, auf welche Regelung in den NVV-Vereinbarungen bzw im HVM die Beklagte diese Beschränkung stützt.
Dies alles kann im Ergebnis jedoch offen bleiben. Denn zur Überzeugung des Senats hätte der Kläger schon dem Grunde nach keine Anerkennung seiner nuklearmedizinisch-onkologischen Diagnostik als Praxisbesonderheit beanspruchen können. Dies folgt für das 1. Quartal 2011 schon daraus, dass die Zubilligung von Praxisbesonderheiten nach den oa einschlägigen Vorschriften frühestens für das Quartal der Antragstellung möglich ist; der Antrag des Klägers ist aber erst im Juni 2011 gestellt worden. Im Übrigen sind Maßnahmen nach den GOP 17311, 17312 und 17363 EBM typische Leistungen der Fachgruppe der Nuklearmediziner, die nach der bereits angeführten Rechtsprechung des BSG (aaO) nicht als Praxisbesonderheit anerkannt werden können. Die Fachgruppentypik ergibt sich - wie bereits zu den Ziffern 17330 bis 17333 ausgeführt - daraus, dass auch die ganzkörperszintigraphische Untersuchung sowie die Zuschläge nach den Ziffern 17312 und 17363 Bestandteil der diagnostischen und therapeutischen GOP für Nuklearmediziner in Abschnitt 17.3 des EBM sind. Im Übrigen sind diese Leistungen auch von der überwiegenden Zahl der niedersächsischen Nuklearmediziner abgerechnet worden (in den Quartalen II/2010 bis I/2011 von 34 bis 41 Ärzten). Auch vom Standpunkt des Klägers aus, der in seiner Berufungsbegründung von fachgruppentypischen Leistungen nur ausgegangen ist, wenn diese von mindestens der Hälfte der Fachgruppenmitglieder erbracht werden, müsste deshalb das Vorliegen einer entsprechenden Praxisbesonderheit verneint werden. Über den Umfang hinaus, in dem die Beklagte in ihren bindenden Bescheiden vom 20. April bzw vom 7. Dezember 2012 Praxisbesonderheiten anerkannt hat, kann der Kläger aus diesem Grund keine weiteren Praxisbesonderheiten beanspruchen.
IV. Die Kostenentscheidung folgt aus § 197a Abs 1 S 1 Halbs 3 SGG i.V.m. § 154 Abs 2 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).
Gründe, die Revision zuzulassen (§ 160 Abs 2 SGG), liegen nicht vor.
Die Festsetzung des Streitwerts folgt aus der Anwendung von § 197a Abs 1 S 1 Halbs 1 SGG i.V.m. den §§ 47 Abs 1 S 1, 52 Abs 1 Gerichtskostengesetz (GKG). Da nicht absehbar ist, welche finanziellen Folgen sich aus der begehrten Anerkennung von Praxisbesonderheiten für den Kläger ergeben würden, setzt der Senat für jedes der streitigen acht Quartale den Auffangwert von 5.000 Euro an.
Rechtsmittelbelehrung und Erläuterungen zur Prozesskostenhilfe
I. Rechtsmittelbelehrung
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