Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Urt. v. 06.09.2017, Az.: L 3 KA 72/15

Unzulässigkeit der Feststellungsklage auf Nichtigkeit eines Verwaltungsakts im sozialgerichtlichen Verfahren bei rechtskräftig abgewiesener Anfechtungsklage

Bibliographie

Gericht
LSG Niedersachsen-Bremen
Datum
06.09.2017
Aktenzeichen
L 3 KA 72/15
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2017, 43060
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
SG Hannover - 24.06.2015 - AZ: S 66 KA 219/14

Amtlicher Leitsatz

Die Klage auf Feststellung der Nichtigkeit eines Verwaltungsakts ist unzulässig, wenn zuvor bereits eine denselben Bescheid betreffende Anfechtungsklage rechtskräftig abgewiesen worden ist.

Redaktioneller Leitsatz

Wird in der Sache nur derselbe und durch das Gericht bereits rechtskräftig abgewiesene Anspruch zum wiederholten Mal geltend gemacht, ist eine solche Klage unzulässig.

Tenor:

Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Hannover vom 24. Juni 2015 wird zurückgewiesen.

Die Klägerin trägt auch die Kosten des Berufungsverfahrens mit Ausnahme der Kosten der Beigeladenen, die diese selbst tragen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Der Streitwert des Berufungsverfahrens wird auf 43.833 Euro festgesetzt.

Tatbestand

Streitig ist die Nichtigkeit einer Zulassungsentziehung.

Anfang 2005 entzog der Zulassungsausschuss E. der Klägerin die 1999 als Fachärztin für Psychiatrie in F. erteilte Zulassung zur vertragsärztlichen Versorgung. Den hiergegen eingelegten Widerspruch wies der beklagte Berufungsausschuss zurück und ordnete die sofortige Vollziehung der Zulassungsentziehung an (Beschluss vom 20. September 2006). In dem sich daran vor dem Sozialgericht (SG) Hannover anschließenden Klageverfahren hob das Gericht den Beschluss des Beklagten wegen einer fehlenden Anhörung der Klägerin auf (Urteil vom 27. November 2013).

Gegen das Urteil legte der Beklagte zunächst fristgemäß Berufung ein, hörte die Klägerin hinsichtlich einer Neubescheidung ihres Widerspruchs an und beschloss dann erneut, ihr die Zulassung zur vertragsärztlichen Versorgung zu entziehen (Beschluss vom 29. Januar 2014). Im Anschluss wies das Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen-Bremen die von der Klägerin fortgeführte Anfechtungsklage (jetzt gerichtet gegen den Beschluss des Beklagten vom 29. Januar 2014) ab und führte zur Begründung aus, dass die Entscheidung des Beklagten nicht zu beanstanden sei. Formell-rechtlich sei die Klägerin vor Erlass des Beschlusses über ihren damaligen Prozessbevollmächtigten ordnungsgemäß angehört worden. Die ihr dabei eingeräumte Frist für eine Stellungnahme (von 13 Tagen) sei noch ausreichend gewesen, weil allen Beteiligten aus dem vorangegangenen sozialgerichtlichen Verfahren sowohl die entscheidungserheblichen Tatsachen als auch die einschlägigen rechtlichen Grundlagen bekannt gewesen seien. Materiell-rechtlich sei nach den Vorgaben im Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) bei einem Ruhen der Approbation die zuvor erteilte vertragsärztliche Zulassung zu entziehen. Anhaltspunkte dafür, dass das (ebenfalls erneut) angeordnete Ruhen der klägerischen Approbation (durch den Bescheid des Niedersächsischen Zweckverbands zur Approbationserteilung (NiZza) vom 21. August 2008) nichtig wäre, seien nicht ersichtlich. Unabhängig davon sei innerhalb der Verwaltungsgerichtsbarkeit rechtskräftig geklärt, dass die Anordnung rechtmäßig sei und die Klägerin nicht in ihren Rechten verletze (rechtskräftiges Urteil des Senats vom 25. Februar 2015 - L 3 KA 2/14).

Am 7. April 2014 hat die Klägerin gegen den Beschluss des Beklagten vom 29. Januar 2014 vor dem SG Hannover außerdem eine Nichtigkeitsfeststellungsklage erhoben. Zur Begründung hat sie geltend gemacht, dass ein berechtigtes Interesse an der Feststellung der Nichtigkeit des Beschlusses bestehe. Der darin festgelegte Entzug ihrer vertragsärztlichen Zulassung betreffe die Berufsausübungsfreiheit aus Art 12 des Grundgesetzes (GG), gefährde ihre wirtschaftliche Existenz und sei rufschädigend. In der Sache könne der Beschluss nicht auf die Anordnung des NiZza vom 21. August 2008 gestützt werden, da das in diesem Zusammenhang eingeholte Sachverständigengutachten fachlich nicht haltbar sei.

Das SG hat die Klage mit Gerichtsbescheid vom 24. Juni 2015 abgewiesen. Die Klage sei unzulässig, da das LSG Niedersachsen-Bremen mit dem Urteil vom 25. Februar 2015 bereits über denselben Streitgegenstand entschieden habe. An dieser Einschätzung ändere sich auch nichts dadurch, dass der Beklagte den Beschluss vom 29. Januar 2014 zunächst mit einer falschen Rechtsmittelbelehrung (wonach dagegen Klage vor dem SG Hannover erhoben werden könne) versehen habe.

Gegen diesen Gerichtsbescheid (zugestellt am 27. Juni 2015) wendet sich die Klägerin mit ihrer Berufung vom 27. Juli 2015 und stützt sich dabei im Wesentlichen auf ihren erstinstanzlichen Vortrag.

Die Klägerin beantragt,

1. den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Hannover vom 24. Juni 2015 aufzuheben,

2. festzustellen, dass der Beschluss des Berufungsausschusses vom 29. Januar 2014 zum Entzug der Zulassung zur vertragsärztlichen Versorgung nichtig ist.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.

Die übrigen Beteiligten stellen keinen Antrag.

Hinsichtlich des weiteren Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der Gerichtsakte verwiesen. Die Akte ist Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.

Entscheidungsgründe

Die Berufung der Klägerin ist zulässig, aber unbegründet. Das SG hat ihre Klage zu Recht abgewiesen.

1. Gegenstand des Rechtsstreits ist der Beschluss des beklagten Berufungsausschusses vom 29. Januar 2014, mit dem der Klägerin die Zulassung zur vertragsärztlichen Versorgung entzogen worden ist. Den Beschluss hat sie zunächst in einem gesonderten Klageverfahren angefochten (rechtskräftig abgewiesen durch den Senat mit Urteil vom 25. Februar 2015). Anschließend hat sie in dem hier streitbefangenen (weiteren) Klageverfahren beantragt, die Nichtigkeit des Beschlusses feststellen zu lassen. Dementsprechend hat die Klägerin in den beiden Verfahren zwar unterschiedliche Klageanträge formuliert, in der Sache aber mit bis in die Einzelheiten übereinstimmenden Begründungen dasselbe Ziel verfolgt, nämlich die Auswirkungen des Beschlusses zu beseitigen, um anschließend wieder als Vertragsärztin tätig sein zu können.

2. Die so verstandene Nichtigkeitsfeststellungsklage (§ 55 Abs 1 Nr 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG)) der Klägerin ist - wie das SG ausgeurteilt hat - bereits unzulässig. Ihr steht die Rechtskraft des Senatsurteils vom 25. Februar 2015 entgegen (§ 141 Abs 1 Nr 1 SGG).

Zwar ist eine derartige Klage, mit der die Feststellung der Nichtigkeit eines Verwaltungsakts ua dann begehrt werden kann, wenn ein berechtigtes Interesse an der baldigen Feststellung besteht, nicht fristgebunden (vgl hierzu Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Aufl 2017, § 55 Rn 14a). Es ist auch kein vorheriger Antrag an die Behörde (hier: an die Zulassungsgremien) auf Feststellung der Nichtigkeit des jeweiligen Verwaltungsakts nach § 40 Abs 4 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) erforderlich (vgl hierzu Bundessozialgericht (BSG) SozR 1500 § 55 Nr 35 und SozR 4-2600 § 118 Nr 4). Bezogen auf das von der Klägerin hier verfolgte Begehren (gerichtet auf die Beseitigung der Auswirkungen des Beschlusses vom 29. Januar 2014) ist aber schon deshalb von einer Unzulässigkeit der dazu erhobenen Nichtigkeitsfeststellungsklage auszugehen, weil der Senat mit Urteil vom 25. Februar 2015 bereits rechtskräftig geklärt hat, dass der Beschluss rechtmäßig ist.

Damit steht zwischen den Verfahrensbeteiligten bindend fest, dass der Klägerin die Zulassung als Vertragsärztin zu Recht entzogen worden ist (§ 77 SGG).

An dieser Bewertung ändert sich auch nichts dadurch, dass die Klägerin diesmal ihr anhaltendes Klagebegehren nicht als Anfechtungs-, sondern in der äußeren Form einer Nichtigkeitsfeststellungsklage (vgl zu einer solchen Konstellation BSGE 12, 185, 187 [BSG 09.06.1960 - 1 RA 123/59]) gekleidet hat. Dennoch hat sie in der Sache nur denselben und durch den Senat bereits rechtskräftig abgewiesenen Anspruch zum wiederholten Mal geltend gemacht. Eine solche Klage ist unzulässig (vgl hierzu Keller in: aaO., § 141 Rn 6a mwN).

3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 197a Abs 1 S 1 SGG iVm § 154 Abs 2 und 3 sowie § 162 Abs 3 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).

Gründe, die Revision zuzulassen (§ 160 Abs 2 SGG), sind nicht ersichtlich.

Die Festsetzung des Streitwerts ergibt sich aus § 197a Abs 1 S 1 SGG iVm den §§ 47, 52 Abs 1 Gerichtskostengesetz (GKG) und bemisst sich anhand der tatsächlichen Umsätze der Klägerin abzüglich des durchschnittlichen Praxiskostenanteils in einem Zeitraum von drei Jahren.