Amtsgericht Hannover
Beschl. v. 13.07.2023, Az.: 202 Cs 32/23
Bibliographie
- Gericht
- AG Hannover
- Datum
- 13.07.2023
- Aktenzeichen
- 202 Cs 32/23
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2023, 30623
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgegenstand
Steuerhinterziehung
Tenor:
wird dem Betroffenen bezüglich der Versäumung des Hauptverhandlungstermins am 11.07.2023 auf seine Kosten Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt.
Es wird festgestellt, dass der Einspruch des Angeklagten vom 16.04.2023 durch Rücknahme erledigt und damit der Strafbefehl des Amtsgerichts Hannover vom 31.03.2023 rechtskräftig geworden ist.
Die Kosten der Wiedereinsetzung trägt die Staatskasse.
Gründe
I.
Das Amtsgerichts Hannover hat gegen den Angeklagten am 31.03.2023 einen Strafbefehl erlassen. Nach fristgerechtem Einspruch des Angeklagten hat das Amtsgericht Hauptverhandlungstermin für den 29.06.2023 anberaumt. Zu diesem Termin war der Angeklagte erschienen. Der Termin musste unterbrochen werden und sollte am 11.07.2023 fortgesetzt werden. Der Angeklagte war mündlich mit Hinweis auf die Belehrungen in der schriftlichen Ladung zu diesem Fortsetzungstermin geladen worden. Zum Fortsetzungstermin erschien der Angeklagte nicht, nachdem er mit Schreiben vom 04.07.2023, eingegangen bei Gericht am 07.07.2023, seinen Einspruch zurückgenommen hatte.
Da das Schreiben zum Termin weder dem Gericht, noch der Geschäftsstelle vorlag, führte das Gericht unter Hinzuziehung der ebenfalls geladenen Dolmetscherin den Termin am 11.07.2023 in der Zeit von 09.00 Uhr bis 09.16 Uhr durch. In Unkenntnis der Einspruchsrücknahme verkündete das Gericht entsprechend §§ 412, 329 StPO ein Verwerfungsurteil.
II.
Dem Angeklagten ist gemäß §§ 412, 329 Abs. 7, 44 Abs. 1, 45 Abs. 2 Satz 3 StPO Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung des Hauptverhandlungstermins ohne Antrag zu gewähren. Zwar ist dies bei Versäumung der Hauptverhandlung streitig (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt StPO, 66. Aufl. § 45 Rdnr. 12 m. w. N.).
1. Jedenfalls kommt eine Wiedereinsetzung von Amts wegen auch im Rahmen von § 329 Abs. 7 StPO nach Auffassung des Gerichts dann in Betracht, wenn nach den Umständen des Einzelfalles sicher davon auszugehen ist, dass den Angeklagten kein Verschulden an der Versäumung des Hauptverhandlungstermins trifft. Dabei hat das Gericht zunächst in den Blick genommen, dass das Gesetz dem Angeklagten zugesteht, eine Wiedereinsetzung "beanspruchen" zu können. Der Verweis auf §§ 44, 45 StPO schließt daher wegen § 45 Abs. 2 Satz 3 StPO eine Gewährung der Wiedereinsetzung auch ohne Antrag nicht von vornherein aus.
2. Anerkannt ist dies in Fällen, in denen die Säumnis des Angeklagten auf Ladungsmängeln beruht und das Gericht irrtümlich von einer schuldhaften Versäumung ausgeht (vgl. insoweit OLG Köln, Beschluss vom 14.03.2000 - Ss 10/00 -, juris). Dies setzt aber voraus, dass der Angeklagte sich bewusst wäre, zum Termin erscheinen zu müssen, um das Verfahren fortzusetzen. Will der Angeklagte allerdings - wie im vorliegenden Fall - das Verfahren beenden und teilt dies dem Gericht mit, wird er davon ausgehen können, dass bei einem bereits mehrere Tage vor dem Termin abgesandten Schreiben dieses das Gericht im ordentlichen Geschäftsgang erreicht und daher sein Erscheinen nicht mehr erforderlich ist.
3. Aufgrund des Schreibens des Angeklagten ist daher davon auszugehen, dass er den Hauptverhandlungstermin nicht schuldhaft versäumt hat. Auch wenn die Rücknahmeerklärung zum Zeitpunkt der Hauptverhandlung noch nicht in den Akten war, hat sie jedenfalls das Gericht erreicht, womit die Rücknahme des Einspruchs wirksam wurde und der Strafbefehl rechtskräftig. Der Fortsetzung der Hauptverhandlung war damit die Grundlage entzogen, weil die Rechtskraft des Strafbefehls ein von Amts wegen zu berücksichtigendes Verfahrenshindernis darstellt, durch das sich das gerichtliche Verfahren von selbst erledigt hat. Dabei ist es ohne Belang, dass dem die Hauptverhandlung durchführenden Richter die Rücknahme des Einspruchs unbekannt geblieben ist (OLG Koblenz, Beschluss vom 28.09.2021 - 4 OLG 32 Ss 147/21 -, juris).
4. Aufgrund der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist das Verwerfungsurteil gegenstandslos. Einer förmlichen Aufhebung bedarf es nicht. Alleiniges Straferkenntnis ist der nunmehr rechtskräftig gewordene Strafbefehl, was klarstellend festzustellen war (OLG Koblenz a. a. O.).
III.
Die Kostenentscheidung war analog § 467 Abs. 1 StPO zu treffen. Die Kostenauferlegung nach § 473 Abs. 7 StPO kam schon deshalb nicht in Betracht, weil durch den Angeklagten gar kein Antrag gestellt wurde, der Kosten hätte verursachen können. Zudem war zu berücksichtigen, dass die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gerade nicht auf einem Verhalten des Angeklagten beruht. Er hat alles aus seiner Sicht Erforderliche getan. Der fehlerhafte Erlass eines Verwerfungsurteils hat allein seinen Grund in den organisatorischen Mängeln des Gerichts und ist daher dessen Sphäre zuzurechnen (in diesem Sinne auch zutreffend AG Erfurt, Beschluss vom 22.03.2022 - 50 Cs 682 Js 36004/21 -, juris). Daher war auch die Kostenentscheidung für die Korrektur der gerichtlichen Entscheidung entsprechend zu treffen, zumal auch im Falle der - zweifellos erfolgreichen - Revision die Staatskasse die Kosten nach § 473 Abs. 2 StPO zu tragen hätte (OLG Koblenz a. a. O.). Weil das Urteil vom 11.07.2023 durch die Wiedereinsetzung ersatzlos entfällt, ist auch die dort ausgesprochene Kostenentscheidung nach § 464 c StPO hinfällig.