Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Urt. v. 05.05.2004, Az.: L 4 KE 277/01

Bewegungsfreiheit; Bewegungsfreiheit 500m; Hilfsmittel; Körperlicher Freiraum; Rollstuhl; Versehrten-Fahrrad; Wahlrecht

Bibliographie

Gericht
LSG Niedersachsen-Bremen
Datum
05.05.2004
Aktenzeichen
L 4 KE 277/01
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2004, 50645
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
SG - 13.11.2001 - AZ: S 8 KR 106/00

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

1. Unter verschiedenartigen, aber gleichmäßig geeigneten wirtschaftlichen Hilfsmitteln hat der Versicherte auch in der gesetzlichen Krankenversicherung ein Wahlrecht (Anschluss an BSG, Urteil vom 3. 11. 1999 - B 3 KR 16/99 R - in SozR 3-1200 § 33 Nr. 1).

2. Ist ein Versehrten-Fahrrad in gleicher Weise als Hilfsmittel geeignet wie ein Rollstuhl, hat eine Versicherte das Recht, sich für die Versorgung mit dem Versehrten-Fahrrad zu entscheiden.

Tenor:

Die Berufung wird zurückgewiesen.

Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten der Klägerin.

Tatbestand:

1

Der Rechtsstreit betrifft die Kostenübernahme für ein Versehrtendreirad.

2

Die im März 1968 geborene Klägerin wohnt auf der Insel Borkum. Sie leidet an einer spastischen Lähmung beider Beine nach Meningeom-Operation. Ein Laufen ist ihr ohne Gehhilfen nicht möglich. Mit Gehhilfen kann sie eine Strecke von maximal 500m zurücklegen. Die Klägerin ist mit Unterarmgehstützen versorgt.

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Sie beantragte im Mai 2000 bei der Beklagten die Kostenübernahme für ein Kynast-Versehrten-Shoppingrad mit Oversize-Rundrohr-Rahmen mit tiefem Einstieg und Feststellbremse. Sie legte eine Verordnung ihrer Hausärztin Dr. B. und einen Kostenvoranschlag der Firma Fahrradverleih C. vom 2. Mai 2000 vor, wonach das Rad 1.499,- DM kosten sollte. Sie bezog sich dabei auf frühere positive Entscheidungen der Beklagten und wies darauf hin, dass das von ihr derzeit benutzte Fahrrad verbraucht und nicht mehr verkehrssicher sei.

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Die Beklagte lehnte den Antrag mit Bescheid vom 18. Mai 2000 (ohne Rechtsmittelbelehrung) ab und wies zur Begründung darauf hin, dass es sich bei dem beantragten Fahrrad nicht um ein Hilfsmittel im Sinne des Krankenversicherungsrechtes handele. Mit ihrem am 20. Juni 2000 erhobenen Widerspruch machte die Klägerin geltend, sie könne nur kurze Wegstrecken mit den üblichen Gehhilfen bewältigen und sei auf das Fahrrad für alle Erledigungen wie z.B. Einkaufen, Arztbesuch oder Aufsuchen des Krankengymnasten angewiesen. Ein Rollstuhl, der sonst als Hilfsmittel zu bewilligen wäre, sei zum einen sehr viel teurer, zum anderen entfalle bei dessen Benutzung das für sie absolut notwendigen Training der noch vorhandenen Beinmuskulatur.

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Die Beklagte wies den Widerspruch mit Bescheid vom 24. Oktober 2000 mit der Begründung zurück, Hilfsmittel im Sinne der gesetzlichen Krankenversicherung sollten zwar unter anderem das Grundbedürfnis eines gewissen körperlichen und geistigen Freiraums abdecken, aber nur im Sinne eines sogenannten Basisausgleichs. Insoweit sei bezüglich der Fähigkeit zur Fortbewegung auf die Entfernungen abzustellen, die auch ein Gesunder noch zu Fuß zurücklegt. Ein Fahrrad werde üblicherweise nur für längere Wegstrecken eingesetzt, während die Klägerin es für kürzere Wege benutzen wolle.

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Mit ihrer am 17. November 2000 erhobenen Klage hat die Klägerin geltend gemacht, sie sei auf die Kostenübernahme angewiesen, da sie zeitweise arbeitslos und allein lebend sei. Die Inselsituation bringe auch im übrigen hohe Ausgaben mit sich. Für das nach Ablehnung der Beklagten angeschaffte Fahrrad habe sie einen Betrag von 1.749,- DM aufgewendet. Sie beanspruche von der Beklagten einen Teilbetrag von 1.249,- DM.

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Das Sozialgericht (SG) Aurich hat der Klage durch Urteil vom 13. November 2001 stattgegeben und die ablehnenden Bescheide der Beklagten aufgehoben sowie diese zur Erstattung des von der Klägerin beanspruchten Betrages verurteilt. Zur Begründung hat es ausgeführt, bei dem Versehrtendreirad handele es sich nicht um einen Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens. Im Falle der Klägerin erschließe es dieser den Nahbereich, denn mit der für die Klägerin unter Zuhilfenahme von Gehilfen zurückzulegenden Strecke von maximal 500m seien die üblichen Geschäfte des täglichen Lebens nicht zu bewältigen. Ein Eigenanteil von 500,- DM sei im übrigen angemessen.

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Gegen dieses ihr am 22. November 2001 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 19. Dezember 2001 Berufung eingelegt. Sie macht geltend, dass es für die Beurteilung des Anspruchs auf ein Hilfsmittel nicht auf die Besonderheiten der jeweiligen Wohnlage ankomme. Auch Gesunde benutzten üblicherweise für Wegstrecken von mehr als 500m Hilfsmittel. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichtes (BSG) bestehe unter den bei der Klägerin gegebenen Umständen kein Anspruch auf die Gewährung eines Versehrtendreirades. Sie legt im Berufungsverfahren auf Aufforderung des Senates ein Gutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung Niedersachsen (MDKN) vom 28. April 2003, angefertigt von Dr B., vor. Danach sei die Versorgung der Klägerin mit dem begehrten Hilfsmittel medizinisch nicht erforderlich.

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Die Beklagte beantragt,

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das Urteil des Sozialgerichtes Aurich vom 13. November 2001 aufzuheben und die Klage abzuweisen,

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hilfsweise, die Revision zuzulassen.

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Die Klägerin beantragt,

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die Berufung zurückzuweisen.

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Sie hält die erstinstanzliche Entscheidung für rechtmäßig und weist darauf hin, dass ihre behandelnde Ärztin das Training ihrer Beinmuskulatur durch das Fahrradfahren über die Krankengymnastik hinaus für notwendig erachtet habe.

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Der Senat hat zur weiteren Aufklärung des Sachverhaltes eine Auskunft der behandelnden Ärztin der Klägerin vom 24.11.2003 eingeholt.

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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes sowie des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und den Inhalt des beigezogenen Verwaltungsvorgangs der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Die gemäß §§ 143 und 114 Abs. 1 Ziffer 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte Berufung ist form- und fristgerecht eingelegt worden, mithin zulässig.

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Sie ist jedoch nicht begründet.

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Die Klägerin hat Anspruch auf Erstattung der Kosten für die Anschaffung eines Versehrten-Fahrrades.

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Rechtsgrundlage für das Begehren der Klägerin ist – nachdem das Hilfsmittel nach Bescheidablehnung durch die Beklagte bereits beschafft und von der Versicherten bezahlt wurde - § 13 Abs 3 Satz 1 Sozialgesetzbuch, Fünftes Buch (SGB V). Diese Vorschrift lautet:

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„Konnte die Krankenkasse eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen (Voraussetzung 1) oder hat sie die Leistung zu Unrecht abgelehnt (Voraussetzung 2) und sind dadurch Versicherten für die selbstbeschaffte Leistung Kosten entstanden, sind diese von der Krankenkasse in der entstandenen Höhe zu erstatten, soweit die Leistung notwendig war.“

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Die Beklagte hat die von der Klägerin begehrte Leistung zu Unrecht abgelehnt.

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Nach § 33 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch –Fünftes Buch - (SGB V) haben Versicherte Anspruch auf Versorgung mit Seh- und Hörhilfen, Körperersatzstücken, orthopädischen und anderen Hilfsmitteln, die im Einzelfall erforderlich sind, um den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern oder eine Behinderung auszugleichen, soweit die Hilfsmittel nicht als allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens anzusehen oder nach § 34 Abs. 4 SGB V ausgeschlossen sind.

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Das von der Klägerin beanspruchte Versehrten-Fahrrad ist kein Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens. Ein Versehrten-Fahrrad wird nicht regelmäßig von Gesunden benutzt. Erwachsene Gesunde benutzen regelmäßig Fahrräder mit zwei Rädern. Sie sind nicht, wie das Versehrten-Fahrrad, mit drei Rädern ausgestattet. Auch sind sie nicht mit einer Feststellbremse versehen, wie es bei dem Rad der Klägerin der Fall ist.

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Das Versehrten-Fahrrad ist auch nicht nach § 34 Abs. 4 SGB V ausgeschlossen.

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Es ist ein Hilfsmittel iSd § 33 Abs. 1 Satz 1 SGB V.

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§ 33 Abs. 1 Satz 1 SGB V ist durch das Gesundheitsreformgesetz (GRG) vom 20. Dezember 1988 (BGBl I 2477) eingeführt worden und entspricht im wesentlichen dem  vor-

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angegangenen § 182b Reichsversicherungsordnung (RVO). Bereits für diese Vorschrift hatte das BSG entschieden (BSGE 45, 133, 134 ff = SozR 2200 § 182b Nr 4), dass der vom Gesetzgeber angestrebte Leistungsumfang nicht aus dem (zu weiten Wortlaut) der gesetzlichen Vorschrift abgelesen, sondern nur unter Berücksichtigung seiner Einbettung in das Gesamtsystem der sozialen Sicherheit bestimmt werden kann. Aufgabe der GKV ist auch nach dem GRG allein die medizinische Rehabilitation, also die möglichst weitgehende Wiederherstellung der Gesundheit und der Organfunktionen einschließlich der Sicherung des Behandlungserfolges, um ein selbständiges Leben führen und die Anforderungen des Alltags meistern zu können. Eine darüber hinausgehende berufliche oder soziale Rehabilitation, die auch die Versorgung mit einem Hilfsmittel umfassen kann, ist hingegen Aufgabe anderer Sozialleistungssysteme: Mit der beruflichen Rehabilitation sind die gesetzliche Renten- und Unfallversicherung, die Arbeitsförderung, die soziale Entschädigung und die Sozialhilfe (Eingliederungshilfe) nach dem Bundessozialhilfegesetz beauftragt; letztere hat außerdem die soziale Rehabilitation Behinderter zu verwirklichen (so BSG, Urteil  vom 16. September 1999 - B 3 KR 9/98 R = SozR 3-2500 § 33 Nr 32, unter Hinweis auf Schulin in: ders. - Hg -, Handbuch des Sozialversicherungsrechts, Bd 1 KV, 1994, § 6 Rdnr 167 ff, Berstermann in: Peters, Handbuch der KV, Bd 1, Stand Oktober 1997, § 33, Rdnr 42, 72 ff).

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Nach der Rechtsprechung des BSG zu § 182b RVO und § 33 SGB V ist bei einem unmittelbar auf den Ausgleich der beeinträchtigten Organfunktion selbst gerichteten Hilfsmittel, insbesondere einem künstlichen Körperglied, ohne weiteres anzunehmen, dass eine medizinische Rehabilitation vorliegt (vgl etwa BSG SozR 2200 § 182 Nr 55 - Badeprothese -). Hingegen werden nur mittelbar oder nur teilweise die Organfunktionen ersetzende Mittel lediglich dann als Hilfsmittel im Sinne der gesetzlichen Krankenversicherung angesehen, wenn sie die Auswirkungen der Behinderung nicht nur in einem bestimmten Lebensbereich (Beruf/Gesellschaft/Freizeit), sondern im gesamten täglichen Leben (allgemein) beseitigen oder mildern und damit ein “Grundbedürfnis des täglichen Lebens“ betreffen (BSG ebda, S 5 f. des Urteilumdrucks mwN).

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Nach dieser ständigen Rechtsprechung des BSG, der sich der erkennende Senat angeschlossen hat, gehören zu derartigen Grundbedürfnissen die allgemeinen Verrichtungen des täglichen Lebens wie Gehen, Stehen, Greifen, Sehen, Hören, Nahrungsaufnahme, Ausscheidung, elementare Körperpflege, das selbständige Wohnen sowie die Erschließung eines gewissen körperlichen und geistigen Freiraums, die auch die Aufnahme von Informationen, die Kommunikation mit anderen sowie das Erlernen eines lebensnotwendigen Grundwissens (Schulwissens) umfassen (vgl zum Ganzen BSG SozR 3-2500 § 33 Nr 29 mwN; Urteil des erkennenden Senats vom 20. September 2000 - L 4 KR 53/99 -).

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Auch das Grundbedürfnis der Erschließung eines “gewissen körperlichen Freiraums“ (vgl dazu BSG SozR 3-2500 § 33 Nr 29, 28, 27, 25, 7 sowie BSG SozR 2200 § 182 Nr 29, 13) hat die Rechtsprechung nur im Sinne eines Basisausgleichs der Behinderung selbst und nicht im Sinne des vollständigen Gleichziehens mit den letztlich unbegrenzten Mobilitätsmöglichkeiten des Gesunden verstanden. So hat das BSG in seiner Entscheidung vom 8. Juni 1994 (SozR 3-2500 § 33 Nr 7) zwar die “Bewegungsfreiheit“ als Grundbedürfnis bejaht, dabei aber lediglich auf diejenigen Entfernungen abgestellt, die auch ein Gesunder zu Fuß zurücklegt. Zu den elementaren Grundbedürfnissen zähle auch die Möglichkeit, die Wohnung zu verlassen und die Stellen zu erreichen, an denen Alltagsgeschäfte, wie das Einkaufen von Lebensmitteln und Gegenständen des täglichen Bedarfs zu erledigen seien (SozR 3-1200 § 33 Nr 1). Soweit überhaupt die Frage eines größeren Radius über das zu Fuß Erreichbare hinaus aufgeworfen worden ist, sind bisher immer zusätzliche qualitative Momente verlangt worden: So hat das BSG in seiner Entscheidung vom 16. April 1998 (SozR 3-2500 § 33 Nr 27) zwar diejenigen Entfernungen als Maßstab genommen, die ein Jugendlicher mit dem Fahrrad zurücklegt; das Hilfsmittel ist aber nicht wegen dieser - rein quantitativen - Erweiterung, sondern wegen der dadurch geförderten Integration des behinderten Klägers in seiner jugendlichen Entwicklungsphase zugesprochen worden.

32

Nach Inkrafttreten des Sozialgesetzbuchs - Neuntes Buch (SGB IX) hat das BSG betont, dass die vorstehend skizzierte Rechtsprechung nicht zu modifizieren ist. Denn das Leistungsbild der gesetzlichen Krankenversicherung habe sich durch das SGB IX nicht wesentlich geändert. Das bisherige Leistungsbild bleibe maßgebend (Urteil vom 26. März 2003, B 3 KR 23/02 R, Umdruck Seite 6).

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Die Klägerin hat Anspruch auf Versorgung mit einem weiteren Hilfsmittel zur Fortbewegung. Allein mit den Unterarmgehstützen ist ihr Grundbedürfnis auf Bewegungsfreiheit nicht gewährleistet.

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Aus Sicht des erkennenden Senats ist es bereits zweifelhaft, ob das Grundbedürfnis auf Fortbewegung, das nach der Rechtsprechung des BSG die Erledigung der täglichen Alltagsgeschäfte einschließt, in dem gebotenen Maße befriedigt werden kann, wenn von einem Bewegungsradius von 500m ausgegangen wird. Da inzwischen viele kleine Geschäfte durch große Supermärkte im Außenbereich ersetzt werden, Poststellen geschlossen sind und überdies der öffentliche Nahverkehr erheblichen Einschränkungen unterliegt, muss regelmäßig auch ein Gesunder deutlich größere Entfernungen zurücklegen, um seine Alltagsgeschäfte erledigen zu können. Die Klägerin kann sich mit Unterarmgehstützen jedoch nur maximal 500m fortbewegen. Bereits aus diesem Grunde steht ihr neben den Unterarmgehstützen ein weiteres Hilfsmittel für ihre Fortbewegung zu.

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Aber auch wenn dem nicht gefolgt wird, hat die Klägerin Anspruch auf ein weiteres Hilfsmittel zur Fortbewegung. Denn bei ihr liegt ein zusätzliches qualitatives Merkmal im Sinne der Rechtsprechung des BSG vor, das ihre Versorgung mit einem weiteren Hilfsmittel zur Fortbewegung als Ersatz für das Gehen erforderlich macht. Dieses zusätzliche Merkmal erblickt der Senat darin, dass die Klägerin die üblichen Alltagsgeschäfte wie Einkaufen von Lebensmitteln und Gegenständen des täglichen Bedarfs mit den beiden Unterarmgehstützen nicht bewerkstelligen kann. Die Klägerin hat glaubhaft dargelegt, dass sie ihre Einkäufe nicht in einem Rucksack transportieren kann. Sie hat beim Gehen mit den Unterarmgehstützen bereits ohne Belastungen Schwierigkeiten. Ihre Probleme verstärken sich, wenn die Wege uneben sind. Mit dem Versehrten-Fahrrad kann sie nach ihrem glaubhaften Vortrag die Alltagsgeschäfte ohne Weiteres bewältigen.

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Die Beklagte hat der Klägerin im Verlaufe des Klageverfahrens insbesondere in Urlaubszeiten leihweise bereits einen Rollstuhl zur Verfügung gestellt und damit die Erforderlichkeit weiterer Gehhilfen für die Klägerin im Alltagsleben bestätigt. Zudem hat die Klägerin unwidersprochen dargelegt, dass ihr ein Mitarbeiter der Beklagten dauerhaft die Versorgung mit einem Rollstuhl zugesagt hat. Sie habe eine derartige Versorgung jedoch nicht gewollt, weil sie mit einem Versehrten-Fahrrad das noch verbliebene Restleistungsvermögen ihrer Beine erhalten könne.

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Zwischen der Versorgung mit einem Rollstuhl und einem Versehrten-Fahrrad steht der Klägerin ein Wahlrecht zu.

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Das BSG hat bereits entschieden, dass der Versicherte unter verschiedenartigen, aber gleichermaßen geeigneten und wirtschaftlichen Hilfsmitteln, von denen zur ausreichenden Bedarfsdeckung nur das eine oder das andere erforderlich sei, gemäß § 33 Sozialgesetzbuch – Erstes Buch (SGB I) die Wahl habe. Die Vorschrift entfalte ihre besondere Bedeutung auch in den Fällen eines bloßen Auswahlermessens. Bei der Versorgung mit Hilfsmitteln sei die Notwendigkeit, eine Wahl zu treffen, schon deshalb häufig gegeben, weil der Wettbewerb der Leistungserbringer für mehrere, unter Umständen auch zahlreiche gleichwertige Angebote auf dem Markt sorge. Auch dort, wo nicht speziell ein Wahlrecht des Versicherten gesetzlich hervorgehoben werde, wie z.B. bei der freien Arztwahl, oder der Wahl des Krankenhauses, wolle § 33 SGB I nach der Begründung des Gesetzentwurfes mit der Berücksichtigung der persönlichen Verhältnisse und der Wünsche der Betroffenen sicherstellen, dass nicht nur die Menschenwürde und die Freiheit des einzelnen gewahrt würden, sondern auch Gesichtspunkte der Effizienz zum Tragen kämen. Denn unter mehreren objektiv gleichwertigen Versorgungsmöglichkeiten wisse der Betroffene im Zweifel besser als der Versicherungsträger, welches Mittel seinen Bedürfnissen am ehesten gerecht werde (vgl. BSG in SozR 3-1200 § 33 Nr. 1). Der erkennende Senat hält diese Rechtsprechung für überzeugend und schließt sich ihr ausdrücklich an.

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Die Klägerin hat in zulässiger Weise von dem ihr zustehenden Wahlrecht Gebrauch gemacht. Denn das Versehrten-Fahrrad ist in gleicher Weise zum Ausgleich ihrer Beeinträchtigung geeignet wie ein Rollstuhl. Es ist überdies deutlich billiger als ein Rollstuhl.

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Die Beklagte hat den Antrag auf Versorgung mit einem Versehrten-Fahrrad daher zu Unrecht abgelehnt. Der Klägerin sind durch die Anschaffung des Versehrten-Fahrrades Kosten in Höhe von 1.249,00 DM entstanden. Ihr steht somit ein entsprechender Kostenerstattungsanspruch zu.

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Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

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Es hat keine Veranlassung bestanden, die Revision zuzulassen.