Oberlandesgericht Braunschweig
Beschl. v. 20.03.2020, Az.: 2 UF 32/20

Beschwerde gegen den vorläufigen Entzug der elterlichen Sorge; Unanfechtbarkeit von Entscheidungen des Familiengerichts in Verfahren der einstweiligen Anordnung; Gleichsetzung von mündlicher Erörterung mit dem Begriff der mündlichen Verhandlung

Bibliographie

Gericht
OLG Braunschweig
Datum
20.03.2020
Aktenzeichen
2 UF 32/20
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2020, 18210
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGBS:2020:0320.2UF32.20.00

Amtlicher Leitsatz

  1. 1.

    Der von § 57 Satz 2 FamFG verwendete Begriff der mündlichen "Erörterung" ist mit dem in § 54 Abs. 2 FamFG verwendeten Begriff der mündlichen "Verhandlung" gleichzusetzen.

  2. 2.

    Die mündliche Verhandlung, die die Grundlage für eine Entscheidung bildet, die nach § 57 Satz 2 FamFG der Beschwerde zugänglich ist, muss bestimmte "Qualitätsmerkmale" erfüllen. Diese ergeben sich aus dem Sinn und Zweck einer mündlichen Verhandlung, die nach allgemeinen Grundsätzen des Verfahrensrechts eine effektive Möglichkeit zur Stellungnahme zum Verfahrensgegenstand eröffnen muss. Dies setzt mindestens voraus, dass die Beteiligten ordnungsgemäß zum Termin geladen wurden und weiter, dass sie sich qualifiziert zu einem konkreten Verfahrensgegenstand äußern können. Letzteres wird es erforderlich machen, die Erörterung förmlich in dem Verfahren durchzuführen, in dem auch die einstweilige Anordnung ergeht.

  3. 3.

    Jedenfalls aber bedarf es in einem gemischt mündlich-schriftlichen Verfahren, in dem das Gericht die einstweilige Anordnung auf Sachvortrag und Ermittlungsergebnisse stützt, die nicht Gegenstand der mündlichen Erörterung waren, einer erneuten mündlichen Erörterung gemäß § 54 Abs. 2 FamFG, bevor die Beschwerde auf der Grundlage von § 57 Satz 2 FamFG eröffnet ist (Anschluss an OLG Bamberg, Beschluss vom 1.7.2019, Az. 2 WF 140/19 - juris).

Tenor:

Das Verfahren wird zur Durchführung der mündlichen Verhandlung und Entscheidung an das Amtsgericht - Familiengericht - Salzgitter zurückgegeben.

Gründe

I.

Auf die Kindeswohlgefährdungsmeldung des Jugendamtes vom 20.11.2019 leitete das Amtsgericht - Familiengericht - Salzgitter zum Aktenzeichen 32 F 182/19 SO das Hauptsacheverfahren betreffend die beiden Kinder S. und M. ein und führte in diesem Verfahren mit den beteiligten Kindeseltern, dem für die Kinder bestellten Verfahrensbeistand und dem Jugendamt am 17.12.2019 einen Erörterungstermin durch.

In diesem Termin überreichte die Vertreterin des Jugendamtes zwei Entlassungsberichte der K. Kliniken vom 2.7.2019, die Kindeswohlgefährdungsmeldungen betreffend die Kinder S. und M. enthielten.

Die Familienrichterin sicherte den Beteiligten zu, eine Abschrift hiervon gemeinsam mit dem Protokoll der Sitzung an sämtliche Beteiligten zu übersenden.

Weiter setzte das Gericht die Kindeseltern im Verlaufe des Termins vom 17.12.2019 darüber in Kenntnis, dass nach dem Ergebnis der Anhörung beabsichtigt sei, im Wege der einstweiligen Anordnung zu entscheiden und die Sorge für die Kinder S. und M. dem Jugendamt Salzgitter als Vormund zu übertragen.

Im Hauptsacheverfahren solle ein Gutachten zur Erziehungsfähigkeit beider Elternteile eingeholt werden.

Nach diesem Termin leitete das Amtsgericht das hier gegenständliche einstweilige Anordnungsverfahren zum Aktenzeichen 32 F 3/20 EASO ein und hörte die betroffenen Kinder am 21.1.2020 persönlich an.

Mit Beschluss vom 14.2.2020 entzog das Amtsgericht - Familiengericht - Salzgitter im Wege der einstweiligen Anordnung sodann der allein sorgeberechtigten Kindesmutter vorläufig die elterliche Sorge für die Kinder S. F. R., geboren am .....2012, und M. R., geboren am ....2013, und übertrug diese dem Jugendamt Salzgitter als Vormund.

Der Beschluss ist mit einer Rechtsbehelfsbelehrung dahingehend versehen, dass die Entscheidung innerhalb von zwei Wochen mit der Beschwerde angefochten werden könne.

Gegen diese einstweilige Anordnung vom 14.2.2020 wendet sich die Kindesmutter mit ihrem als Beschwerde bezeichneten Rechtsbehelf.

Daraufhin hat das Amtsgericht mit Verfügung vom 5.3.2020 die Akten dem Senat zur Entscheidung vorgelegt.

II.

Das Verfahren ist ohne eine inhaltliche Entscheidung des Senats zur Durchführung der mündlichen Verhandlung an das Amtsgericht zurückzugeben.

Der entsprechend der fehlerhaften Rechtsbehelfsbelehrung des Amtsgerichts als Beschwerde gegen die einstweilige Anordnung des Amtsgerichts - Familiengericht - Salzgitter vom 14.2.2020 bezeichnete Rechtsbehelf der Kindesmutter stellt bei zutreffender Auslegung unter den Umständen des vorliegenden Falles tatsächlich einen Antrag auf Neuentscheidung nach mündlicher Verhandlung gemäß § 54 Abs. 2 FamFG dar (gleichsinnig OLG Celle, Beschluss vom 2.11.2012, Az. 10 UF 269/12, Rn. 10, 12 - juris; OLG Koblenz, Beschluss vom 7.12.2016, Az. 11 UF 626/16, Rn. 1 - juris).

Die Beschwerde zum Oberlandesgericht ist nicht eröffnet.

Im Grundsatz sind Entscheidungen des Familiengerichts im Verfahren der einstweiligen Anordnung nach § 57 Satz 1 FamFG nicht anfechtbar.

§ 57 Satz 2 FamFG eröffnet die Beschwerde zum Oberlandesgericht gegen Entscheidungen im einstweiligen Anordnungsverfahren nur ausnahmsweise, nämlich nur für bestimmte freiheitsentziehende Maßnahmen sowie für dort abschließend aufgezählte Verfahrensgegenstände, unter anderem den auch hier betroffenen Bereich der elterlichen Sorge, § 57 Satz 2 Nr. 1 FamFG.

Im zuletzt genannten Fall ist die Beschwerde jedoch nur dann gegeben, "wenn das Gericht des ersten Rechtszuges auf Grund mündlicher Erörterung [...] entschieden hat" (Hervorhebung des Senats).

Die hier angefochtene Entscheidung vom 14.2.2020 ist nicht aufgrund einer mündlichen Erörterung im Sinne des § 57 Satz 2 FamFG ergangen.

Denn das Amtsgericht hat die mündliche Erörterung nicht in diesem Verfahren zum Aktenzeichen 32 F 3/20 EASO durchgeführt, sondern stützt seine Entscheidung ausdrücklich auf die Erörterung vom 17.12.2019 im Hauptsacheverfahren 32 F 182/19 SO.

Unabhängig davon fehlt es an einer mündlichen Erörterung im Sinne des § 57 Satz 2 FamFG deshalb, weil das Amtsgericht seine Entscheidung auf Ermittlungsergebnisse und Gesichtspunkte gestützt hat, die nicht Gegenstand der mündlichen Erörterung vom 17.12.2019 im Verfahren 32 F 182/19 SO waren.

Dazu im Einzelnen:

1.Von einer mündlichen Erörterung im Sinne des § 57 Satz 2 FamFG ist nur dann auszugehen, wenn diese in demselben Verfahren erfolgt, in dem auch die einstweilige Anordnung ergeht.

a) Der von § 57 Satz 2 FamFG verwendete Begriff der mündlichen "Erörterung" ist mit dem in § 54 Abs. 2 FamFG verwendeten Begriff der mündlichen "Verhandlung" gleichzusetzen.

Die unterschiedliche Wortwahl in beiden Vorschriften nehmen - allerdings vereinzelt gebliebene - Stimmen in der Literatur zum Anlass, für die Erörterung im Sinne des § 57 Satz 2 FamFG bereits ein Telefonat mit lediglich einem Beteiligten ausreichen zu lassen (Zimmermann, Das neue FamFG, 2009, Rn. 143, zitiert nach BeckOK FamFG/Schlünder, 33. Ed. 1.1.2020, FamFG § 57 Rn. 6).

Nach weit überwiegender Ansicht muss für die Eröffnung der Beschwerde im Sinne des § 57 Satz 2 FamFG eine mündliche Verhandlung im Sinne des § 54 Abs. 2 FamFG stattgefunden haben, die mindestens die ordnungsgemäße Ladung der Beteiligten zum Termin voraussetzt (BeckOK FamFG/Schlünder, 33. Ed. 1.1.2020, FamFG § 57 Rn. 6; Keidel/Giers, FamFG, 20. Aufl. 2020, FamFG § 57 Rn. 5 unter Hinweis auf § 32 FamFG; Stockmann, in: Kemper/Schreiber, Familienverfahrensrecht, 3. Aufl. 2015, FamFG § 57 Rn. 9; Musielak/Borth/Borth/Grandel, FamFG, 6. Aufl. 2018, FamFG § 57 Rn. 9; Zöller/Feskorn, ZPO, 33. Aufl. 2020, FamFG § 57 Rn. 4; OLG Frankfurt, Beschluss vom 12.4.2011, Az. 3 UF 25/11, Rn. 7 - juris).

Der zuletzt genannten Ansicht ist zu folgen.

Dafür spricht der Sinn und Zweck des § 57 FamFG.

Beim Blick auf die Genese der Vorschrift lässt sich der Begründung des Gesetzentwurfs zum FamFG nicht entnehmen, warum der Reformgesetzgeber bei § 57 Satz 2 FamFG von der Formulierung in § 54 Abs. 2 FamFG und dem bisherigen Wortlaut in § 620c ZPO a.F. ("auf Grund mündlicher Verhandlung") abgewichen ist (ebenso: BeckOK FamFG/Schlünder, 33. Ed. 1.1.2020, FamFG § 57 Rn. 6). Auf der anderen Seite ergeben sich keine Anhaltspunkte dafür, eine Abkehr vom bisherigen Verständnis einleiten zu wollen. So heißt es in der Begründung zum Gesetzentwurf etwa zum einstweiligen Rechtsschutz nach §§ 49 ff. FamFG: "Die Vollstreckung, das Außerkrafttreten und die Anfechtung einer einstweiligen Anordnung orientieren sich inhaltlich im Wesentlichen an dem [sic!] bisherigen § 620 ff. ZPO" (BT-Drucks. 16/6308, Gesetzentwurf der Bundesregierung - Entwurf eines Gesetzes zur Reform des Verfahrens in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit [FGG-Reformgesetz - FGG-RG] vom 7.9.2007, S. 167; vgl. auch ebd., S. 202). Die auf der Basis dieses Gesetzentwurfes entwickelte Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses, die vom Bundestag schließlich angenommen wurde und auch den Bundesrat passierte, änderte an den hier interessierenden Vorschriften - mit Ausnahme der Schreibweise "aufgrund" - nichts (vgl. BT-Drucks. 16/9733, Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses [6. Ausschuss] zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung - Drucksache 16/6308 vom 23.6.2008, S. 40 f.).

Jedenfalls aber verfolgte der Reformgesetzgeber mit der Verabschiedung des FamFG das Ziel, das Verfahrensrecht zu vereinfachen, indem er seinem eigenen Anspruch nach einen "anwenderfreundlichen Gesetzesaufbau" und - unter Beibehaltung der Grundstruktur des familiengerichtlichen Verfahrens - eine Konzentration der Verfahrensordnung in einem Gesetz erschaffen wollte, die "nach Inhalt, Aufbau und Sprache auch für den interessierten Laien verständlich sein" solle (BT-Drucks. 16/6308, S. 163 f.).

Eine unterschiedliche Auslegung der Begriffe "Erörterung" und "Verhandlung" würde dieser Intention zuwiderlaufen (BeckOK FamFG/Schlünder, 33. Ed. 1.1.2020, FamFG § 57 Rn. 6).

Noch deutlicher aber spricht die teleologische Auslegung für einen Gleichlauf der Begriffe "Erörterung" und "Verhandlung".

§ 57 Satz 1 FamFG behält den auch schon unter der Geltung des alten Rechts herrschenden Grundsatz bei, den Rechtsschutz im einstweiligen Anordnungsverfahren bei den Amtsgerichten zu konzentrieren (vgl. BT-Drucks. 16/6308, S. 202; vgl. auch MüKoFamFG/Soyka, 3. Aufl. 2018, FamFG § 57 Rn. 1), indem die Beschwerde nur für besonders benannte Ausnahmefälle eröffnet wird, wobei in § 57 Satz 2 FamFG mit Ausnahme von freiheitsentziehenden Maßnahmen die vorangegangene mündliche "Erörterung" Voraussetzung hierfür ist.

Die Konzentration des Rechtsschutzes beim Amtsgericht ist nur dann effektiv, wenn alle Beteiligten rechtliches Gehör im Rahmen einer mündlichen "Erörterung" erhalten, die sich als Verhandlung darstellt.

Der Wortlaut steht dem Gleichlauf in der Auslegung nicht entgegen.

b) Sind demnach die Begriffe "Erörterung" und "Verhandlung" gleichlaufend auszulegen, muss die mündliche Verhandlung, soll sie Grundlage für eine Entscheidung sein, die nach § 57 Satz 2 FamFG der Beschwerde zugänglich ist, bestimmte nachfolgend näher bezeichnete "Qualitätsmerkmale" erfüllen.

Diese ergeben sich aus dem Sinn und Zweck einer mündlichen Verhandlung, die nach allgemeinen Grundsätzen des Verfahrensrechts eine effektive Möglichkeit zur Stellungnahme zum Verfahrensgegenstand eröffnen muss.

Ihr Sinn und Zweck ist zum einen die Aufklärung des Sachverhalts (§ 26 FamFG), zum anderen die Verwirklichung des subjektiven Rechts auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG, § 37 Abs. 2 FamFG), wobei die Mündlichkeit den Beteiligten die Gelegenheit eröffnet, dem Gericht ihre Positionen mündlich zu vermitteln und sich unmittelbar mit dem Vorbringen der Gegenseite auseinanderzusetzen. Schließlich dient die mündliche Verhandlung dazu, mit allen Beteiligten die Möglichkeiten einer gütlichen Einigung auszuloten (vgl. auch OLG Frankfurt, Beschluss vom 28.2.2013, Az. 5 UF 55/13, Rn. 6 - juris; OLG Celle, Beschluss vom 2.11.2012, Az. 10 UF 269/12, Rn. 14 - juris; OLG Zweibrücken, Beschluss vom 2.3.2011, Az. 6 WF 222/10, Rn. 2 - juris; Keidel/Giers, FamFG, 20. Aufl. 2020, FamFG § 57 Rn. 5a).

Diese Aspekte haben insbesondere im Verfahren der einstweiligen Anordnung, in dem wegen Dringlichkeit innerhalb kurzer Zeit auf vergleichsweise "dünner" Tatsachengrundlage im Rahmen einer Folgenabwägung möglicherweise einschneidende Maßnahmen angeordnet werden, besonderes Gewicht.

Die effektive Möglichkeit zur Stellungnahme setzt mindestens voraus, dass alle Beteiligten ordnungsgemäß zum Termin geladen wurden (OLG Frankfurt, Beschluss vom 12.4.2011, Az. 3 UF 25/11, Rn. 7 - juris; OLG Celle, Beschluss vom 2.11.2012, Az. 10 UF 269/12, Rn. 15 - juris; OLG Frankfurt, Beschluss vom 16.8.2012, Az. 5 UF 221/12, Rn. 7 - juris; OLG Frankfurt, Beschluss vom 9.1.2014, Az. 5 UF 406/13, Rn. 6 - juris; OLG Koblenz, Beschluss vom 7.12.2016, Az. 11 UF 626/16, Rn. 1 - juris; Musielak/Borth/Borth/Grandel, FamFG, 6. Aufl. 2018, FamFG § 57 Rn. 9; Keidel/Giers, FamFG, 20. Aufl. 2020, FamFG § 57 Rn. 5; BeckOK FamFG/Schlünder, 33. Ed. 1.1.2020, FamFG § 57 Rn. 8a).

c) Darüber hinaus ist streitig, ob die Erörterung nach § 57 Satz 2 FamFG in dem Verfahren erfolgen muss, in dem auch die einstweilige Anordnung ergeht.

Soweit ersichtlich lässt die bislang zu dieser Frage ergangene Rechtsprechung die Erörterung in einem anderen Verfahren bzw. einem Parallelverfahren, jedenfalls aber im Hauptsacheverfahren, ausreichen (Erörterung im Hauptsacheverfahren genügt: OLG München, Beschluss vom 31.8.2016, Az. 16 UF 1019/16, Rn. 16 - juris; Brandenburgisches Oberlandesgericht, Beschluss vom 23.9.2013, Az. 9 UF 135/13, Rn. 9 - juris; OLG Hamm, Beschluss vom 14.11.2011, Az. II-8 UF 172/11, Rn. 11 - juris; für das Ausreichen einer Erörterung in einem Parallelverfahren: OLG Zweibrücken, Beschluss vom 2.3.2011, Az. 6 WF 222/10, Rn. 2 - juris; zustimmend: Keidel/Giers, FamFG, 20. Aufl. 2020, FamFG § 57 Rn. 5; dagegen: BeckOK FamFG/Schlünder, 33. Ed. 1.1.2020, FamFG § 57 Rn. 8).

Unter welchem Aktenzeichen die Anhörung und Erörterung erfolgt, ist demnach unerheblich. Sämtliche zitierten Entscheidungen heben darauf ab, dass es allein darauf ankomme, dass die Gewährung rechtlichen Gehörs gesichert sein muss.

Der Senat ist der herrschenden Meinung entgegen jedoch der Auffassung, dass eine Entscheidung auf Grund mündlicher Erörterung im Sinne des § 57 Satz 2 FamFG nur dann vorliegt, wenn die Erörterung auch in dem gegenständlichen Verfahren stattfindet, in dem die einstweilige Anordnung ergeht, das Verfahren zur Zeit der mündlichen Erörterung daher bereits eingeleitet worden ist und förmlich unter einem eigenen Aktenzeichen existiert (so schon OLG Braunschweig, Beschluss vom 13.8.2019, Az. 2 UF 123/19, S. 3, n.v.).

Dafür spricht, dass die Beteiligten sich nur in diesem Fall qualifiziert zu einem konkreten Verfahrensgegenstand äußern können.

Dies ist nicht der Fall, wenn sie in einem Parallelverfahren oder selbst im Hauptsacheverfahren plötzlich oder gar überraschend mit der Möglichkeit des Erlasses einer einstweiligen Anordnung konfrontiert werden. Nur bei entsprechender Vorbereitung - und das heißt, nur dann, wenn die Beteiligten vor dem Termin die Gelegenheit hatten, sich auf den konkreten Verfahrensgegenstand vorzubereiten - können sie die notwendigen Schritte einleiten, um effektiven Rechtsschutz wahrzunehmen: einerseits durch die eigene gehörige Vorbereitung auf den Verfahrensgegenstand, andererseits durch Hinzuziehung notwendigen rechtlichen Beistandes und die Beantragung von Verfahrenskostenhilfe (so schon OLG Braunschweig, Beschluss vom 13.8.2019, Az. 2 UF 123/19, S. 4, n.v.; dazu tendiert wohl auch Zöller/Feskorn, ZPO, 33. Aufl. 2020, FamFG § 57 Rn. 4; in dieselbe Richtung auch BeckOK FamFG/Schlünder, 33. Ed. 1.1.2020, FamFG § 57 Rn. 7-8, der ebenfalls darauf abstellt, dass die Beteiligten Gelegenheit haben müssten, im Rahmen einer mündlichen Erörterung zum Streitstoff Stellung zu nehmen, und der darauf hinweist, dass das Verfahren der einstweiligen Anordnung nach § 51 Abs. 3 Satz 1 FamFG ein selbständiges Verfahren ist).

Die von der Gegenseite vorgebrachten Argumente überzeugen nicht.

Soweit darauf verwiesen wird, dass im einstweiligen Anordnungsverfahren vorgenommene Verfahrenshandlungen nach § 51 Abs. 3 Satz 2 FamFG in einem nachfolgenden Hauptsacheverfahren nicht noch einmal wiederholt werden müssten und dies selbstverständlich auch für den umgekehrten Fall zu gelten habe (so Stockmann, in: Kemper/Schreiber, Familienverfahrensrecht, 3. Aufl. 2015, FamFG § 57 Rn. 9), führt dieser Hinweis in die Irre.

Denn der Verweis auf § 51 Abs. 3 Satz 2 FamFG besagt nichts über die Qualitätsmerkmale der mündlichen Verhandlung.

Wie dargelegt genügt nicht irgendeine mündliche Erörterung, sondern nur eine solche, die aufgrund ordnungsgemäßer Ladung der Beteiligten und klaren Umreißens des Verfahrensgegenstandes die Möglichkeit effektiver Stellungnahme für die Beteiligten eröffnet. Literatur und Rechtsprechung sind sich einig darüber, dass Zentrum der Problematik die Einräumung rechtlichen Gehörs ist (so auch Stockmann, in: Kemper/Schreiber, Familienverfahrensrecht, 3. Aufl. 2015, FamFG § 57 Rn. 9 a.E.).

Auch § 156 Abs. 3 Satz 1 FamFG steht der von dem Senat favorisierten Rechtsansicht nicht entgegen.

Nach dieser Vorschrift hat das Gericht in Kindschaftssachen, die u.a. den Aufenthalt des Kindes betreffen, in dem Fall, in dem eine einvernehmliche Regelung nicht erreicht werden kann, mit den Beteiligten und dem Jugendamt den Erlass einer einstweiligen Anordnung zu erörtern.

Aus dieser Regelung wird nunmehr vereinzelt die Schlussfolgerung gezogen, es widerspreche dem Beschleunigungsprinzip, wollte man für die Anfechtbarkeit einer daraufhin ergehenden einstweiligen Anordnung noch fordern, dass zuvor zusätzlich eine gesonderte mündliche Verhandlung stattzufinden habe (Stockmann, in: Kemper/Schreiber, Familienverfahrensrecht, 3. Aufl. 2015, FamFG § 57 Rn. 9 a.E.).

Niemand hindert das Amtsgericht, in dringenden Fällen eine einstweilige Anordnung ohne mündliche Verhandlung zu erlassen, was auch ausdrücklich zulässig ist, § 51 Abs. 2 Satz 2 FamFG. Wenn aber einer der Beteiligten Einwände erhebt und ein "Rechtsmittel" einlegt, ist zunächst beim Amtsgericht mündlich darüber zu verhandeln, § 54 Abs. 2 FamFG.

§ 156 Abs. 3 Satz 1 FamFG entfaltet vorrangig eine Appellfunktion an das Gericht, in dem Sinne, dass es frühestmöglich und unter Einbeziehung der Beteiligten erwägen soll, ob zur Sicherung des Kindeswohls einstweilige Maßnahmen erforderlich sind. Nicht aber zeitigt diese im besonderen Teil des FamFG verortete Vorschrift Auswirkungen auf die Auslegung der allgemeinen Vorschriften der §§ 54 und 57 FamFG.

2. Letztlich kann die Frage, ob eine Erörterung in einem Parallelverfahren für die Eröffnung der Beschwerde gemäß § 57 Satz 2 FamFG ausreicht, hier offenbleiben.

Denn nach ganz herrschender Auffassung, die der Senat teilt, bedarf es in einem sogenannten gemischt mündlich-schriftlichen Verfahren einer erneuten mündlichen Verhandlung vor dem Amtsgericht, bevor die Anfechtbarkeit gemäß § 57 Satz 2 FamFG gegeben ist.

Ein sogenanntes gemischt mündlich-schriftliches Verfahren liegt vor, wenn zwar zunächst verhandelt, dann aber nicht sofort entschieden wird, vielmehr neuer Sachvortrag herangezogen oder gar weitere Ermittlungen angestellt werden, die sodann in der Entscheidung verarbeitet werden, ohne Gegenstand der mündlichen Erörterung gewesen zu sein.

In all diesen Fällen ist unzweifelhaft die Entscheidung nicht auf Grund mündlicher Erörterung im Sinne des § 57 Satz 2 FamFG ergangen, sodass die Beschwerde nicht eröffnet ist (OLG Bamberg, Beschluss vom 1.7.2019, Az. 2 WF 140/19, Rn. 2 - juris; Musielak/Borth/Borth/Grandel, FamFG, 6. Aufl. 2018, FamFG § 57 Rn. 9-10 m.w.N. aus der älteren Rspr.; BeckOK FamFG/Schlünder, 33. Ed. 1.1.2020, FamFG § 57 Rn. 7; Stockmann, in: Kemper/Schreiber, Familienverfahrensrecht, 3. Aufl. 2015, FamFG § 57 Rn. 10; Zöller/Feskorn, ZPO, 33. Aufl. 2020, FamFG § 57 Rn. 4; Büte, in: Johannsen/Henrich, Familienrecht, 6. Aufl. 2015, FamFG § 57 Rn. 4; MüKoFamFG/Soyka, 3. Aufl. 2018, FamFG § 57 Rn. 2; in diese Richtung auch Bayerischer Verfassungsgerichtshof, Entscheidung vom 30.5.2016, Az. Vf. 58-VI-15, Rn. 44 - juris; zur alten Rechtslage vgl.: OLG Zweibrücken, Beschluss vom 22.1.2008, Az. 5 WF 2/08, Rn. 10 ff. m.w.N. und KG Berlin, Beschluss vom 23.10.2007, Az. 16 WF 234/07 - juris; a.A. Keidel/Giers, FamFG, 20. Aufl. 2020, FamFG § 57 Rn. 5a; Socha, in: Bahrenfuss, FamFG, 3. Aufl. 2017, § 57 Rn. 4).

Begründet wird dies mit dem Wortlaut der Norm ("auf Grund mündlicher Erörterung [...] entschieden"), die als Ausnahmevorschrift eng auszulegen sei (OLG Bamberg, Beschluss vom 1.7.2019, Az. 2 WF 140/19, Rn. 2 - juris; BeckOK FamFG/Schlünder, 33. Ed. 1.1.2020, FamFG § 57 Rn. 8).

Diese Ansicht überzeugt. Darüber hinaus verhilft nur dieses Verständnis der gesetzgeberischen Entscheidung zur vorrangigen mündlichen Erörterung beim Amtsgericht und der Konzentration des Rechtsschutzes im einstweiligen Anordnungsverfahren ebenda zu praktischer Wirksamkeit (vgl. auch Zöller/Feskorn, ZPO, 33. Aufl. 2020, FamFG § 57 Rn. 4).

Eine solches gemischt mündlich-schriftliches Verfahren liegt auch hier vor.

Das Amtsgericht hat am 17.12.2019 auf die Kindeswohlgefährdungsmeldung des Jugendamtes vom 20.11.2019 in den Verfahren 32 F 182/19 und 32 F 196/19 EASO mit den beteiligten Kindeseltern, dem für die Kinder bestellten Verfahrensbeistand und dem Jugendamt einen Erörterungstermin durchgeführt.

In diesem Termin überreichte die Vertreterin des Jugendamtes zwei Entlassungsberichte der K. Kliniken vom 2.7.2019, die Kindeswohlgefährdungsmeldungen betreffend die Kinder S. und M. enthielten. Ausweislich des Protokolls wurde den Beteiligten zugesichert, dass eine Abschrift hiervon gemeinsam mit dem Protokoll der Sitzung übersandt werden würde.

Von der Möglichkeit, die Sitzung zu unterbrechen und allen Verfahrensbeteiligten Gelegenheit zu geben, die Berichte zu lesen, um diese dann mündlich zu erörtern, hat das Amtsgericht keinen Gebrauch gemacht.

Darüber hinaus kündigte das Gericht nach dem Ergebnis der Anhörung im Verlaufe des Termins vom 17.12.2019 an, im Wege der einstweiligen Anordnung zu entscheiden und die Sorge für die Kinder S. und M. dem Jugendamt Salzgitter als Vormund zu übertragen.

Ausweislich des Protokolls wurde am Ende der Sitzung beschlossen und verkündet, dass eine Entscheidung in Kürze im schriftlichen Wege und im Wege einer einstweiligen Anordnung ergehen werde. Dafür werde ein neues Aktenzeichen mitgeteilt, da die in diesem Termin erfolgte Anhörung auch für das bereits angekündigte einstweilige Anordnungsverfahren, das lediglich statistisch noch eröffnet werden müsse, gelte.

Die betroffenen Kinder hörte das Amtsgericht sodann am 21.1.2020 persönlich an.

Die angefochtene einstweilige Anordnung erließ das Amtsgericht schließlich am 14.2.2020 unter dem für das einstweilige Anordnungsverfahren angelegten Aktenzeichen 32 F 3/20 EASO.

In dieser Entscheidung wird sowohl auf die im Nachgang zur mündlichen Erörterung vom 17.12.2019 durchgeführten persönlichen Anhörungen der Kinder S. und M. Bezug genommen als auch der Inhalt der in dem Verhandlungstermin an das Gericht überreichten Berichte der K. Kliniken vom 2.7.2019 verwertet.

Damit hat das Amtsgericht Tatsachen und Ermittlungen in die Entscheidung einfließen lassen, die nicht Gegenstand der mündlichen Erörterung waren, sodass seine Entscheidung nicht auf Grund mündlicher Erörterung im Sinne des § 57 Satz 2 FamFG ergangen ist.

3. Nach alledem ist der als Beschwerde bezeichnete Rechtsbehelf der Kindesmutter der Auslegung zugänglich und daher als Antrag auf mündliche Verhandlung gemäß § 54 Abs. 2 FamFG anzusehen.

Denn es ist davon auszugehen, dass die Beschwerdeführerin den effektivsten und kostengünstigen sowie im Zweifel den zulässigen Rechtsbehelf einlegen will, um ihr Rechtsschutzziel zu erreichen, und zur Bezeichnung ihrer Eingabe als Beschwerde nur durch die unzutreffende Rechtsbehelfsbelehrung des Amtsgerichts veranlasst wurde (vgl. auch OLG Koblenz, Beschluss vom 21.3.2016, Az. 13 UF 149/16, Rn. 8 - juris, wo allerdings der Weg der Auslegung nicht beschritten wird).

Der einzig erfolgversprechende Rechtsbehelf ist hier mangels Statthaftigkeit der Beschwerde der Antrag nach § 54 Abs. 2 FamFG (ebenso: OLG Celle, Beschluss vom 2.11.2012, Az. 10 UF 269/12, Rn. 10, 12 - juris; OLG Frankfurt, Beschluss vom 28.2.2013, Az. 5 UF 55/13, Rn. 5 - juris; OLG Koblenz, Beschluss vom 7.12.2016, Az. 11 UF 626/16, Rn. 1 - juris).

Eine Kostenentscheidung ist deshalb hier nicht veranlasst.