Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 14.04.2015, Az.: 13 K 254/12

Bibliographie

Gericht
FG Niedersachsen
Datum
14.04.2015
Aktenzeichen
13 K 254/12
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2015, 45426
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

nachfolgend
BFH - AZ: IX R 37/15

Tenor:

Die Klage wird auf Kosten des Klägers abgewiesen.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

Streitig ist die Höhe des im Jahr 2002 anzusetzenden Gewinns aus der Veräußerung eines im Dezember 2000 teilweise unentgeltlich erworbenen Aktienpaketes.

Die Mutter des Klägers war bis Dezember 2000 Eigentümerin eines Aktienpaketes an der C AG im Nennwert von insgesamt 200.000 DM. Dies entsprach einer Beteiligung am Kapital der Gesellschaft von 1,04 %. Die Aktien wurden nicht an der Börse gehandelt. Es handelte sich um vinkulierte Namensaktien. Mit Verträgen vom 5. Dezember 2000 übertrug die Mutter des Klägers das Aktienpaket jeweils zur Hälfte an den Kläger und an dessen Schwester. Als Gegenleistung erhielt sie von ihren Kindern insgesamt 1.300.000 DM (jeweils 650.000 DM), die der Kläger über die Sparkasse D finanzierte. Dies entspricht einem Kurswert von 650 %. Im Dezember 2002 veräußerte der Kläger seinen Anteil an der C AG im Rahmen eines Verkaufs der C AG an die B-Gruppe. Hierbei erzielte er einen Veräußerungserlös von 2.750.000 €.

Im Jahr 2004 wurde ein steuerstrafrechtliches Ermittlungsverfahren gegen den Kläger eingeleitet, da er die Einkünfte aus der Veräußerung der Beteiligung nicht erklärt hatte. Im Zusammenhang damit erließ das Finanzamt am 10. Mai 2004 unter dem Vorbehalt der Nachprüfung einen Bescheid zur Einkommensteuer 2002, in dem es die Besteuerungsgrundlagen gemäß § 162 AO schätzte. Dabei wurde im Rahmen der Ermittlung der Einkünfte aus Gewerbebetrieb ein Veräußerungsgewinn gemäß § 17 EStG in Höhe von 2.750.000 € erfasst und unter Anwendung des sog. Halbeinkünfteverfahrens bei der Berechnung des zu versteuernden Einkommens berücksichtigt.

Hiergegen legte der Kläger am 9. Juni 2004 Einspruch ein. Zur Begründung verwies er auf seine am Vortag eingereichte Einkommensteuererklärung und beantragte die Einkünfte aus Gewerbebetrieb im Sinne des § 17 EStG mit 0 € anzusetzen, da er von seiner Mutter, die ihrerseits zu 1,04 % an der C AG beteiligt gewesen sei, im Dezember 2000 die Hälfte des Aktienpaketes entgeltlich erworben habe. Damit sei er im Zeitpunkt der Veräußerung des Aktienpaketes nicht zu mindestens 1 % an der AG beteiligt gewesen.

Im weiteren Verlauf war in mehreren Einspruchsverfahren sowohl des Klägers als auch seiner Schwester, in denen es um die schenkungs- und einkommensteuerliche Behandlung der Aktienübertragungen ging, insbesondere der Kurswert der Aktien im Zeitpunkt der Übertragung von der Mutter des Klägers auf den Kläger und seine Schwester streitig. Daraufhin schlossen die Beteiligten am 16. Oktober 2007 eine tatsächliche Verständigung über die Feststellungen der Steuerfahndung. Darin verständigten sich der Kläger und seine Schwester mit der Finanzverwaltung bezogen auf den Stichtag 5. Dezember 2000 auf einen Kurswert der Aktien von 1.100 %.

Dementsprechend erließ das beklagte Finanzamt am 1. November 2007 einen Änderungsbescheid zur Einkommensteuer 2002, in dem es die tatsächliche Verständigung umsetzte. Die Änderung erfolgte gemäß § 164 Abs. 2 AO. Der Vorbehalt der Nachprüfung wurde aufgehoben. In dem Bescheid teilte das Finanzamt die Übertragung des Aktienpaketes von der Mutter auf den Kläger in einen entgeltlichen und einen unentgeltlichen Vorgang wie folgt auf:

Tatsächlicher Gesamtwert der übertragenen Aktien:

100.000 DM x 1.100 % = davon1.100.000 DM
entgeltlich erworben:650.000 DM = 59,09 %
unentgeltlich erworben:450.000 DM = 40,91 %

Soweit der Kläger die Beteiligung unentgeltlich erhielt, wurde ihm gemäß § 17 Abs. 1 Satz 4 EStG im Jahr der Veräußerung die "schädliche" Beteiligung seiner Mutter zugerechnet. Da sich die Aktien seit Generationen im Familienbesitz befanden und jeweils weitervererbt wurden, schätzte das Finanzamt die Anschaffungskosten des an den Kläger übertragenen Aktienpaketes in Anlehnung an den Nennwert mit 50.000 €.

Veräußerungsgewinn:

Veräußerungserlös der unentgeltlich erworbenen Aktien: (40,91 % x 2.750.000 € =) 1.125.025 €
./. Anschaffungskosten der Rechtsvorgängerin (50.000 € x 49,91 % =) 20.455 €
Veräußerungsgewinn:1.104.570 €

Der so ermittelte Veräußerungsgewinn wurde im Änderungsbescheid im Hinblick auf das sog. "Halbeinkünfteverfahren" mit 50 % (= 552.285 €) berücksichtigt.

Anschließend ruhte das Einspruchsverfahren gemäß § 363 Abs. 2 AO bis zur Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts über die dort anhängigen Verfahren zur Herabsetzung der Wesentlichkeitsgrenze des § 17 EStG (Reduzierung des Beteiligungssatzes auf 10 %) durch das Steuerentlastungsgesetz 1999/2000/2002. Nachdem das Bundesverfassungsgericht mit Beschluss vom 7. Juli 2010 über diese Verfahren entscheiden hatte (Az.: 2 BvR 748/05, 2 BvR 753/05 u. 2 BvR 1738/05; BStBl. II 2011, 86) wurde das Einspruchsverfahren im April 2010 wieder aufgenommen.

Mit Einspruchsbescheid vom 18. Juli 2011, der mit einfachem Brief zur Post gegeben wurde, setzte das Finanzamt die Einkommensteuer 2002 von bisher ... € auf ... € fest. Im Übrigen wies es den Einspruch als unbegründet zurück. Aufgrund der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ist das beklagte Finanzamt der Auffassung, dass der Gewinn aus der Veräußerung des Aktienanteils insoweit als nicht steuerbar anzusehen ist, als er auf den Wertzuwachs vor der Verkündung des Steuersenkungsgesetzes vom 23. Oktober 2000 und damit auf die Zeit bis zum 26. Oktober 2000 entfällt. Zur Ermittlung des danach anzusetzenden Veräußerungsgewinns trat der gemeine Wert der veräußerten Anteile zum 26. Oktober 2000 an die Stelle der - hier ursprünglich geschätzten - Anschaffungskosten.

Abzugsfähige Anschaffungskosten:

Nennwert des Aktienpakets: 100.000,00 DM
davon unentgeltlich übertragen (40,91 %): 40.910,00 DM
tatsächlicher Wert (1.100 %):450.000,00 DM
230.081,35 €

Veräußerungsgewinn:

Veräußerungserlös der unentgeltlich erworbenen Aktien: (40,91 % x 2.750.000 € =) 1.125.025,00 €
./. tatsächlicher Wert dieser Anteile zum 26. Okt. 2000 230.081,35 €
Veräußerungsgewinn:894.943,65 €

Der so ermittelte Veräußerungsgewinn wurde im Hinblick auf das sog. "Halbeinkünfteverfahren" mit 50 % berücksichtigt.

Mit Schreiben vom 20. August 2012 erkundigte sich der Prozessbevollmächtigte des Klägers, ob seine mit Schreiben vom 7. Juni 2011 zum Einspruchsverfahren übersandte Stellungnahme eingegangen sei, da er seither nichts mehr in der Sache gehört habe. Auf den Hinweis des Finanzamtes, dass die Stellungnahme in der Einspruchsentscheidung vom 18. Juli 2011 berücksichtigt worden sei, teilte er mit Schreiben vom 29. August 2012 mit, die Einspruchsentscheidung vom 18. Juli 2011 liege ihm nicht vor. Zugleich bat er um die Übersendung einer Kopie bzw. die Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung. Daraufhin übersandte das Finanzamt dem Prozessbevollmächtigten mit Schreiben vom 4. September 2012 eine als "nicht rechtsmittelfähige Zweitschrift" bezeichnete Kopie der Einspruchsentscheidung vom 18. Juli 2011.

Am 17. September 2012 hat der Kläger Klage erhoben. Er ist der Auffassung, dass die Klage nicht verspätet sei, da er die Einspruchsentscheidung vom 18. Juli 2011 nicht erhalten habe. In der Sache trägt er zur Begründung vor, aus Sicht des Klägers sei eine gesonderte Bewertung der Aktien auf den 26. Oktober 2000 vorzunehmen. Die Wertermittlung aus der tatsächlichen Verständigung sei hierfür nicht bindend. Im Rahmen des Steuerstrafverfahrens seien einzelne Verkäufe von Anteilen an der C AG ermittelt worden. Daher sei bekannt, dass am 17. Oktober 2000 Anteile mit einem Nennwert von 25.000 DM zu einem Kurswert von 1.300 % veräußert worden seien. Dieser Maßstab sei auch für die Bewertung der unentgeltlich erworbenen Anteile des Klägers auf den 26. Oktober 2000 anzunehmen, da er zeitlich deutlich näher an dem Bewertungsstichtag liege, als der 5. Dezember 2000. Zum Beleg legte er in Kopie aus der Ermittlungsakte eine Aufstellung der Steuerfahndung über Aktienverkäufe der C AG vor, die für den 17. Oktober 2000 Verkäufe mit einem Kurswert von 1.300 % ausweisen (Bl. 104 d.A.). Der Veräußerungsgewinn sei damit wie folgt zu ermitteln:

Veräußerungserlös, der auf den unentgeltlich erworbenen Anteil entfällt (40,91 % x 2.750.000 € =) 1.125.025,00 €
abzgl. tatsächlicher Wert dieser Anteile zum 26. Okt. 2000 100.000 DM x 1.300 % x 40,91 % (umgerechnet in Euro): 271.920,36 €
Veräußerungserlös:853.104,64 €
Steuerpflichtig nach dem Halbeinkünfteverfahren:426.552,32 €

Der Kläger beantragt,

den Einkommensteueränderungsbescheid vom 1. November 2007 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 18. Juli 2011 in der Weise zu ändern, dass der Veräußerungsgewinn gemäß § 17 EStG mit 426.552 € statt mit 447.472 € berücksichtigt wird.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung trägt das beklagte Finanzamt vor, die Klage sei unzulässig, da sie nicht innerhalb der Monatsfrist erhoben worden sei. Der Vortrag des Klägervertreters, den Einspruchsbescheid nicht erhalten zu haben, sei nicht glaubhaft. Auch in der Sache könne die Klage keinen Erfolg haben. Der Einspruchsentscheidung vom 18. Juli 2011 liege die tatsächliche Verständigung vom 16. Oktober 2007 zugrunde. Mit Abschluss der tatsächlichen Verständigung seien die Beteiligten an die Tatsachen gebunden. Nachträglich bekannt gewordene Tatsachen, die die tatsächliche Verständigung hätten beeinflussen können, wenn sie vorher bekannt geworden wären, beseitigen die Bindungswirkung der tatsächlichen Verständigung nicht.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die vom beklagten Finanzamt übersandten Steuerakten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage hat in der Sache keinen Erfolg.

I. Die Klage ist zulässig. Insbesondere wurde die am 17. September 2012 eingegangene Klage nicht verspätet erhoben. Nach § 47 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) beträgt die Frist für die Erhebung der Anfechtungsklage einen Monat. Die Frist beginnt mit der Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung (§ 47 Abs. 1 Satz 1 FGO). Die Einspruchsentscheidung vom 18. Juli 2011 wurde am selben Tag mit einfachem Brief zur Post gegeben. Nach § 122 Abs. 2 Nr. 1 der Abgabenordnung (AO) gilt ein schriftlicher Verwaltungsakt, der durch die Post übermittelt wird, bei einer Übermittlung im Inland am dritten Tage nach der Aufgabe zur Post als bekannt gegeben, außer wenn er nicht oder zu einem späteren Zeitpunkt zugegangen ist. Im Zweifel hat die Behörde den Zugang des Verwaltungsakts und den Zeitpunkt des Zugangs nachzuweisen (§ 122 Abs. 2, letzter Halbsatz AO). Damit liegt eine gesetzliche Beweislastverteilung zu Lasten der Behörde vor. Will die Finanzbehörde diese Unsicherheiten vermeiden, dann muss sie den Verwaltungsakt förmlich zustellen. Bestreitet der Bekanntgabeadressat, wie im Streitfall der Prozessbevollmächtigte des Klägers, dass ihm der Einspruchsbescheid überhaupt zugegangen ist, obliegt dem Finanzamt der volle Beweis über den Zugang. Von dem Bekanntgabeadressaten kann kein substantiierter Vortrag über die für den Nichtzugang ursächlichen Gründe erwartet werden (Koenig, Abgabenordnung, Kommentar, 3. Aufl. 2014, § 122 AO, Rn 64 ff. m.w.N. auch auf die Rspr.). Bei einem Rechtsanwalt oder Steuerberater ist ein Organisationsmangel (Fehlen eines Posteingangsbuchs bzw. Fristenkontrollbuchs) für sich allein kein ausreichendes Indiz für den Zugang, sondern kann allenfalls anderweitige Indizien für den Zugang verstärken (BFH, Urteil vom 31.05.2005 - I R 103/04, BFH/NV 2005, 1663). Derartige Indizien hat das beklagte Finanzamt weder vorgetragen noch sind Indizien hierfür sonst ersichtlich. Zwar trägt das beklagte Finanzamt insoweit vor, durch den Einspruchsbescheid sei die Einkommensteuer 2002 von... € auf ... € herabgesetzt worden. Hierdurch sei es bei dem Kläger zu einer Erstattung von ... € gekommen. Der Vortrag des Klägervertreters, den Einspruchsbescheid vom 18. Juli 2011 nicht erhalten und von seiner Existenz erst durch die Nachfrage vom August 2012 erfahren zu haben, sei daher nicht glaubhaft. Ebenso widerspreche es jeder Lebenserfahrung, dass - wie vom Klägervertreter vorgetragen - auch eine zweite von dem Finanzamt in dem Parallelverfahren am gleichen Tag in einem gesonderten Briefumschlag zur Post gegebene Einspruchsentscheidung nicht zugegangen sein soll. Dies reicht zur Überzeugung des Senats jedoch nicht aus, um daraus den Schluss zu ziehen, dass der Klägervertreter die am 18. Juli 2011 zur Post gegebene Einspruchsentscheidung tatsächlich erhalten hat. Dies gilt umso mehr, als der Klägervertreter glaubhaft versichert hat, dass er die Probeberechnung des Finanzamtes vom 8. April 2011 an seinen Mandanten mit dem Hinweis weitergeleitet hat, dass es in jedem Fall zu einer größeren Erstattung kommen werde.

Die fehlende Bekanntgabe wurde daher erst im Zeitpunkt des Zugangs der (nichtrechtsmittelfähigen) Zweitschrift der Einspruchsentscheidung mit Schreiben vom 4. September 2012 geheilt. Danach wurde die Monatsfrist des § 47 FGO durch die am 17. September 2012 eingegangene Klage gewahrt.

II. Die Klage ist nicht begründet. Der geänderte Bescheid zur Einkommensteuer 2002 vom 1. November 2007 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 18. Juli 2011 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Zu Recht hat das beklagte Finanzamt den Veräußerungsgewinn aus der Veräußerung der Beteiligung an der C AG mit 894.946,65 € (im Halbeinkünfteverfahren: 447.472 €) angesetzt.

Nach § 17 Abs. 1 Satz 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) in der hier anzuwendenden Fassung des Steuersenkungsgesetzes vom 23.10.2000 (BGBl. I 2000, 1433) gehört zu den Einkünften aus Gewerbebetrieb auch der Gewinn aus der Veräußerung von Anteilen an einer Kapitalgesellschaft, wenn der Veräußerer innerhalb der letzten fünf Jahre am Kapital der Gesellschaft unmittelbar oder mittelbar zu mindestens 1 vom Hundert beteiligt war. Hat der Veräußerer den veräußerten Anteil innerhalb der letzten fünf Jahre vor der Veräußerung unentgeltlich erworben, so gilt § 17 Abs. 1 Satz 1 EStG entsprechend, wenn der Veräußerer zwar nicht selbst, aber der Rechtsvorgänger oder, sofern der Anteil nacheinander unentgeltlich übertragen worden ist, einer der Rechtsvorgänger innerhalb der letzten fünf Jahre im Sinne von § 17 Abs. 1 Satz 1 EStG beteiligt war. Veräußerungsgewinn im Sinne des § 17 Abs. 1 EStG ist der Betrag, um den der Veräußerungspreis nach Abzug der Veräußerungskosten die Anschaffungskosten übersteigt (§ 17 Abs. 2 Satz 1 EStG). Hat der Veräußerer den veräußerten Anteil unentgeltlich erworben, so sind als Anschaffungskosten des Anteils die Anschaffungskosten des Rechtsvorgängers maßgebend, der den Anteil zuletzt entgeltlich erworben hat (§ 17 Abs. 2 Satz 3 EStG).

1.) Das beklagte Finanzamt hat zu Recht angenommen, dass die Veräußerung der Beteiligung an der C AG durch den Kläger im Jahr 2002 nach § 17 Abs. 1 Satz 1 und 4 EStG steuerpflichtig ist. Zwar war der Kläger nicht innerhalb der letzten 5 Jahre vor der Veräußerung der Anteile am Kapitalvermögen der Gesellschaft zu mindestens 1 % beteiligt gewesen. Jedoch sind nach § 17 Abs. 1 Satz 4 EStG auch solche Beteiligungen zu berücksichtigen, die zwar weniger als 1 % betragen, aber unentgeltlich von einem Rechtsvorgänger erworben wurden, der innerhalb der letzten 5 Jahre zu mindestens 1 % beteiligt war.

a) Die Mutter des Klägers besaß ein Aktienpaket der C AG im Nennwert von insgesamt 200.000 DM. Dies entsprach einem Anteil am Kapitalvermögen von 1,04 %. Dieses Aktienpaket übertrug sie mit Vertrag vom 5. Dezember 2000 je zur Hälfte an den Kläger und dessen Schwester. Als Gegenleistung erhielt sie von dem Kläger 650.000 DM. Das entspricht einem Kurswert von 650 %. Tatsächlich lag der Kurswert ausweislich der zwischen den Beteiligten am 16. Oktober 2007 geschlossenen und insoweit bindenden tatsächlichen Verständigung bei 1.100 %. Das beklagte Finanzamt hat den Erwerb der Beteiligung durch den Kläger daher zutreffend in einen entgeltlichen und einen unentgeltlichen Anteil aufgeteilt. Der Anteil des Klägers an der C AG lag damit zwar unter 1 %. Gemäß § 17 Abs. 1 Satz 4 EStG ist der Veräußerungsgewinn bei ihm aber zu erfassen, soweit der Erwerb unentgeltlich erfolgte.

b) Diesem Ergebnis steht nicht die zu § 17 Abs. 1 Satz 1 und Satz 4 EStG in der Fassung des Steuerentlastungsgesetzes 1999/2000/2002 vom 24.03.1999 (BGBl. I 1999, 402) entwickelte Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs zum veranlagungszeitraumbezogenen Beteiligungsbegriff entgegen (vgl. dazu BFH, Urteil vom 11.12.2012 - IX R 7/12, BStBl. II 2013, 372; BFH, Urteil vom 16.04.2013 - IX R 47/12, BFH/NV 2013, 1915). Die Grundsätze dieser Rechtsprechung sind auf die Absenkung der Beteiligungsgrenze durch das Steuersenkungsgesetz vom 23.10.2000 auf 1 % nicht anzuwenden. Seit der Absenkung der Beteiligungsgrenze auf 1 % durch das Steuersenkungsgesetz ist nach dem Gesetzeswortlaut des § 17 Abs. 1 Satz 1 EStG Tatbestandsvoraussetzung, dass der Steuerpflichtige "innerhalb der letzten 5 Jahre am Kapital der Gesellschaft unmittelbar oder mittelbar zu mindestens 1 % beteiligt war". Anders als die Fassung des Steuerentlastungsgesetzes 1999/2000/2002 ab dem Veranlagungszeitraum 1999 enthält § 17 Abs. 1 EStG in der Fassung des Steuersenkungsgesetzes den Begriff der Wesentlichkeit der Beteiligung nicht mehr (ebenso BMF-Schreiben vom 27.05.2013 - IV C 6-S 2244/12/10001, BStBl. I 2013, 721).

c) Die Herabsetzung der Beteiligungsgrenze in § 17 Abs. 1 EStG auf 1 % am Kapital der Gesellschaft ist zur Überzeugung des Senats auch nicht verfassungswidrig. Der Senat schließt sich insoweit den Ausführungen des Bundesfinanzhofs in seinem Urteil vom 24.10.2012 (Az.: IX R 36/11, BStBl. II 2013, 164; Verfassungsbeschwerde eingelegt, Az. des BVerfG: 2 BvR 364/13) an. Danach verstößt die in § 17 Abs. 1 Satz 1 EStG in der im Streitjahr geltenden Fassung des Steuersenkungsgesetzes enthaltene 1 % - Grenze für die Steuerbarkeit von Gewinnen aus Beteiligungsveräußerungen nicht gegen Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG), sondern bewegt sich innerhalb der gesetzgeberischen Gestaltungsfreiheit (BFH, Urteil vom 24.10.2012 - IX R 36/11, BStBl. II 2013, 164 m.w.N.). Nicht zu beanstanden ist auch die steuerliche Erfassung von Wertsteigerungen von der Gesetzesverkündung bis zum Inkrafttreten der 1 %-Grenze (BFH, Urteil vom 24.10.2012 - IX R 36/11, BStBl. II 2013, 164 m.w.N.).

2.) Die Regelungen des § 17 Abs. 1 Satz 1 und Satz 4 EStG in der Fassung des Steuersenkungsgesetzes vom 23.10.2000 (BGBI. I 2000, 1433) sind nur im Rahmen einer eingeschränkten verfassungskonformen Auslegung anwendbar. Das Bundesverfassungsgericht hat mit Beschluss vom 7. Juli 2010 (2 BvR 748/05, 2 BvR 753/05, 2 BvR 1738/05, BVerfGE 127, 61, BStBl. II 2011, 86) entschieden, dass § 17 Abs. 1 Satz 4 EStG in Verbindung mit § 52 Abs. 1 Satz 1 EStG in der Fassung des Steuerentlastungsgesetzes 1999/2000/2002 vom 24.03.1999 (BGBl. I 1999, 402) gegen die verfassungsrechtlichen Grundsätze des Vertrauensschutzes verstößt und nichtig ist, soweit in dem Veräußerungsgewinn Wertsteigerungen steuerlich erfasst werden, die bis zur Verkündung des Steuerentlastungsgesetzes 1999/2000/2002 am 31.03.1999 entstanden sind und die entweder - bei einer Veräußerung bis zu diesem Zeitpunkt - nach der zuvor geltenden Rechtslage steuerfrei realisiert worden sind oder - bei einer Veräußerung nach Verkündung des Gesetzes - sowohl zum Zeitpunkt der Verkündung als auch zum Zeitpunkt der Veräußerung nach der zuvor geltenden Rechtslage steuerfrei hätten realisiert werden können. Auf die Herabsenkung der Beteiligungsgrenze von 10 % auf 1 % durch das Steuersenkungsgesetz vom 23.10.2000 sind diese verfassungsrechtlichen Grundsätze entsprechend anzuwenden. Hierüber besteht zwischen den Beteiligten auch grundsätzlich kein Streit. Zwischen den Beteiligten ist allerdings streitig, wie hoch die Wertsteigerungen sind, die nach dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts anzusetzen sind.

a) Gemäß § 17 Abs. 2 Satz 1 EStG ist der zu versteuernde Veräußerungsgewinn der Betrag, um den der Veräußerungspreis nach Abzug der Veräußerungskosten die Anschaffungskosten übersteigt. Hat der Veräußerer den veräußerten Anteil unentgeltlich erworben, so sind als Anschaffungskosten des Anteils die Anschaffungskosten des Rechtsvorgängers maßgebend, der den Anteil zuletzt entgeltlich erworben hat (§ 17 Abs. 2 Satz 3 EStG). Der Veräußerungspreis beträgt im Streitfall unstreitig insgesamt 2.750.000 €. Angefallene Veräußerungskosten sind nicht geltend gemacht worden. Die Anschaffungskosten der Beteiligung brauchen im vorliegenden Fall nicht ermittelt zu werden. Dies hat seinen Grund darin, dass in entsprechender Anwendung des Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts vom 07.07.2010 die Wertsteigerungen bis zur Verkündung des Steuersenkungsgesetzes am 26.10.2000 nicht berücksichtigt werden dürfen. In der tatschlichen Verständigung vom 16. Oktober 2007 haben sich die Beteiligten auf einen Kurswert auf den Stichtag 5. Dezember 2000 in Höhe von 1.100 % geeinigt. Das beklagte Finanzamt hat diesen Wert auch für den Stichtag 26. Oktober 2000 zugrunde gelegt. Der Kläger ist der Auffassung, dass der Wert der Aktien zum Stichtag 26. Oktober 2002 mit 1.300 % anzusetzen sei. Hierzu beruft er sich auf eine Aufstellung der Steuerfahndung aus der Ermittlungsakte, die für den 17. Oktober 2002 Aktienverkäufe mit einem Nennwert von 25.000 DM zu einem Kurswert von 1.300 % ausweist.

b) Das beklagte Finanzamt hat zu Recht den verwirklichten Veräußerungsgewinn mit 894.946,65 € (im Halbeinkünfteverfahren: 447.442 €) angesetzt. Dies ergibt sich auch dann, wenn man mit dem Kläger zusammen davon ausgeht, dass der Wert der Aktien zum Stichtag 26. Oktober 2002 bei 1.300 % gelegen hat.

In entsprechender Anwendung des Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts vom 07.07.2010 dürfen bei der Ermittlung des Veräußerungsgewinns diejenigen Wertsteigerungen nicht erfasst werden, die bis zur Verkündung des Steuersenkungsgesetzes vom 23.10.2000 (BGBl. I 2000, 1433) am 26. Oktober 2002 entstanden sind (BVerfG, Beschluss vom 07.07.2010 - 2 BvR 748/05, 2 BvR 753/05, 2 BvR 1738/05, BStBl. II 2011,86). Nicht zu beanstanden ist dagegen die steuerliche Erfassung von Wertsteigerungen, die erst nach der Verkündung des Gesetzes am 26.10.2002 entstanden sind (vgl. BVerfG, Beschluss vom 07.07.2010 - 2 BvR 748/05, 2 BvR 753/05, 2 BvR 1738/05, BStBl. II 2011,86, unter B. I. 2). Der Wert der vom Kläger veräußerten Aktien lag im Dezember 2002 unstreitig bei annähernd 5.380 % (Verkaufserlös von 2.750.000 €). Ausweislich der am 16. Oktober 2007 geschlossenen und zwischen den Beteiligten verbindlichen tatsächlichen Verständigung lag der Kurswert der Aktien zum Stichtag 5. Dezember 2000 bei 1.100 %. Der Wert der Aktien ist damit im Zeitraum von Dezember 2000 bis Dezember 2002, und damit nach Verkündung des Steuersenkungsgesetzes vom 23.10.2000 am 26.10.2000, um 4.280 % gestiegen. Diese erst nach der Verkündung des Steuersenkungsgesetzes am 26. Oktober 2000 eingetretene Wertsteigerung war daher bei der Ermittlung des Veräußerungsgewinns nicht außer Ansatz zu lassen. Danach ermittelt sich der Veräußerungsgewinn wie folgt:

Veräußerungsgewinn:

Veräußerungserlös der unentgeltlich erworbenen Aktien: (40,91 % x 2.750.000 € =) 1.125.025,00 €
./. tatsächlicher Wert dieser Anteile zum 5. Dez. 2000 230.081,35 €
Veräußerungsgewinn:894.943,65 €

(Wertsteigerung vom 5. Dezember 2000 bis zur Veräußerung im Dezember 2002)

Der so ermittelte Veräußerungsgewinn ist im Hinblick auf das sog. "Halbeinkünfteverfahren" mit 50 % zu berücksichtigen.

III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.

IV. Die Revision wird wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO).