Oberlandesgericht Oldenburg
Urt. v. 18.09.2023, Az.: 1 ORs 132/23

Teleologische Reduktion der Bedeutung des Prophetensiegels; Verwendung des Prophetensiegels als Verstoß gegen § 86a StGB; Rechtfertigung der Verwendung eines verfassungswidrigen Kennzeichens wegen Sozialadäquanz; Facebook-Posting zu Erdogan und Kurden; Willentliche Gebrauchsmachung eines Kennzeichens aus der NS-Zeit

Bibliographie

Gericht
OLG Oldenburg
Datum
18.09.2023
Aktenzeichen
1 ORs 132/23
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2023, 49653
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
LG Osnabrück - 16.03.2023 - AZ: 5 Ns 185/22
AG Lingen - 25.08.2022

Amtlicher Leitsatz

Zur Eingrenzung der Tatbestandsvoraussetzungen der Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger und terroristischer Organisationen gem. § 86a StGB sowie der Verbreitung von Kennzeichen verbotener Vereine oder Parteien gem. § 20 Abs.1 Nr.5 VereinsG - insbesondere des sogenannten "Prophetensiegels" - im Wege teleologischer Reduktion

Tenor:

Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil der 5. kleinen Strafkammer des Landgerichts Osnabrück vom 16. März 2023 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts Osnabrück zurückverwiesen.

Gründe

I.

Das Amtsgericht - Strafrichter - Lingen (Ems) hatte den Angeklagten durch Urteil vom 25. August 2022 vom Vorwurf des Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger und terroristischer Organisationen und des Verwendens von Kennzeichen eines von einem Betätigungsverbot betroffenen Vereins freigesprochen.

Die hiergegen gerichtete Berufung der Staatsanwaltschaft hat das Landgericht Osnabrück mit Urteil vom 16. März 2023 verworfen.

Mit der hiergegen gerichteten Revision erstrebt die Staatsanwaltschaft unter Aufhebung des Berufungsurteils nach wie vor die anklagegemäße Verurteilung. Die Generalstaatsanwaltschaft ist der Revision beigetreten.

II.

Die gemäß §§ 333, 341 Abs. 1, 344, 345 StPO statthafte und auch im Übrigen zulässige Revision ist begründet. Die Erwägungen, mit denen das Landgericht eine Strafbarkeit des Angeklagten wegen Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger und terroristischer Organisationen sowie des Verwendens von Kennzeichen eines von einem Betätigungsverbot betroffenen Vereins verneint hat, halten einer rechtlichen Nachprüfung nicht stand.

1.

Das Landgericht hat im angefochtenen Urteil folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:

"Der Angeklagte postete auf seinem Facebook-Account für jedermann offen und mit allen Inhalten frei zugänglich Beiträge, in denen er sich kritisch mit Gewalttätigkeiten und Menschenrechtsverletzungen im Nahen Osten, insbesondere in den Kurdengebieten auseinandersetzte. Der Angeklagte wollte dabei insbesondere auf die Gefahren des sog. Islamischen Staates (im Folgenden: IS) und auf die Verfolgung von Kurden durch den türkischen Staat unter Führung von dessen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan aufmerksam machen. Diese Postings standen u.a. auch im Zusammenhang mit politischen Auseinandersetzungen, die sich daran entzündet hatten, dass der Angeklagte wiederholt massive öffentliche Kritik am Islamismus geübt und auch die Integrationsfähigkeit mancher Migranten in Zweifel gezogen hatte. Diese Diskussionen wurden teilweise auch über soziale Medien ausgetragen.

In diesem Kontext kam es zu folgenden Postings, die jedenfalls bis zum TT.MM.2020 allgemein öffentlich sichtbar waren:

a) Am TT.MM.2019 teilte der Angeklagte das Abbild eines Hakenkreuzes, welches sich in dem Buchstaben "O" des großgeschriebenen Wortes ERDOGAN befand. Oberhalb dieses Schriftzuges sind zwei Gesichter zu erkennen; das eine Gesicht zeigt Adolf Hitler, das andere Gesicht den Staatspräsidenten der Türkei Recep Tayyip Erdogan. [...]

Zusammen mit dem vorbeschriebenen Bild war auf der Facebookseite ein weiteres Bild zu sehen, das eine Collage enthielt, die aus sechs Fotos bestand, auf denen getötete Kinder zu sehen waren. Unterhalb dieser sechs Fotos befand sich unten links ein Kopfbild Recep Tayyip Erdogans und im Hintergrund waren Blutspritzer zu sehen, die an einer Wand herunterrannen. [...]

b) Am TT.MM.2019 teilte der Angeklagte ein Lichtbild, auf dem insgesamt fünf Menschen zu sehen sind. Vier davon tragen militärische Kleidung, sind vermummt und bewaffnet. Vor diesen vier Personen sitzt eine männliche, unvermummte Person, die ein graues Gewand trägt und in der rechten Hand eine Machete hält. Diese vordere Person hat das Gesicht des Staatspräsidenten der Türkei Recep Tayyip Erdogan; hinter der Personengruppe befindet sich in der Mitte die Flagge des IS mit dem sog. Prophetensiegel; rechts und links davon wird eine strahlende Glühbirne gezeigt, unter der sich der Schriftzug AK PARTi befindet. Dabei handelt es sich um das Symbol der Adalet ve Kalkinma Partisi, welcher der Staatspräsident der Türkei vorsitzt und bei der es sich um die führende Partei der türkischen Regierung handelt. [...]

c) Am TT.MM.2019 teilte der Angeklagte eine Abbildung, die auf ihrer linken Hälfte die Vorderseite einer männlichen Person in traditioneller islamischer Kleidung zeigt. In Höhe des Brustbeines befindet sich ein pinkfarbenes lächelndes Herz mit Heiligenschein. Die linke Hand dieser Person befindet sich hinter ihrem Rücken. Rechts daneben erkennt man die Rückseite derselben Person. Dort ist zu sehen, dass die Person mit der rechten Hand ein langes Messer hinter ihrem Rücken versteckt. In Höhe der Schulterblätter befindet sich das sog. Prophetensiegel. [...]

Dem Angeklagten ging es bei diesen Postings darum, seine Gegnerschaft sowohl zu dem türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan zum Ausdruck zu bringen also auch zum IS: Gerade deshalb zog er eine Parallele zwischen Adolf Hitler und Recep Tayyip Erdogan und versah dessen Namenszug mit einem Hakenkreuz. Dem Angeklagten ging es darum, Parallelen der menschenverachtenden Aktivitäten des IS einerseits und des türkischen Staatspräsidenten andererseits zu ziehen, vor den Gefahren des IS zu warnen und dies u.a. auch mithilfe des Hinweises auf das sog. Dritte Reich und Adolf Hitler als dessen führendem Repräsentanten, die gleichsam als Prototyp für das staatliche Unrechtsregime stehen."

Wegen der näheren Einzelheiten dieser Abbildungen hat das Landgericht gemäß § 267 Abs. 1 Satz 3 StPO auf die betreffenden Fundstellen in der Akte verwiesen.

2.

Der Freispruch des Landgerichts hält aus Rechtsgründen einer revisionsgerichtlichen Überprüfung nicht stand. Die Annahme des Landgerichts, dass das Verhalten des Angeklagten in allen Fällen nicht die Tatbestände des § 86a Abs. 1 Nr. 1 StGB bzw. § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 VereinsG erfüllt, ist rechtsfehlerhaft.

Im Einzelnen:

a)

Das Landgericht hat sowohl das im Posting vom TT.MM.2019 abgebildete Hakenkreuz als auch das Bildnis von Adolf Hitler zunächst zutreffend als verbotene Kennzeichen im Sinne der §§ 86a Abs. 1 Nr. 1, 86 Abs. 1 Nr. 4 StGB bewertet, welche der Angeklagte mit dem Einstellen auf seinem Facebook-Profil einer unbestimmten Vielzahl von Personen zugänglich gemacht und damit öffentlich verwendet hat. Es hat jedoch rechtsfehlerhaft angenommen, dass im Hinblick auf den Schutzzweck der Norm eine teleologische Reduktion des § 86a StGB vorliegend zur Verneinung der Strafbarkeit führt.

aa)

Die Anwendbarkeit des Straftatbestandes in Bezug auf die Verwendung eines Kennzeichens setzt nicht den Nachweis der Unterstützung verfassungsfeindlicher Ziele, der Ziele der verbotenen Organisation oder einer mit der Verwendung verbundenen Gefährdung des demokratischen Rechtsstaates voraus. Selbst die bloße Unmöglichkeit, eine damit verbundene konkrete Gefährdung des politischen Friedens oder die naheliegende Möglichkeit einer solchen Gefährdung nachzuweisen, hindert eine Bestrafung nicht. Ebenso wenig ist in subjektiver Hinsicht eine verfassungsgefährdende Absicht erforderlich; vielmehr genügt das willentliche Gebrauchmachen des Kennzeichens in dem Wissen, dass dieses ein nationalsozialistisches Kennzeichen ist, wobei bedingter Vorsatz ausreicht (vgl. OLG Oldenburg, Urteil vom 26.07.2010 - 1 Ss 103/10, juris Rn. 13; OLG Braunschweig, Urteil vom 05.10.2022 - 1 Ss 34/22, NStZ 2023, 419 <420>). Damit will die Vorschrift die Verwendung derartiger Kennzeichen grundsätzlich aus dem politischen Leben in Deutschland verbannen und auf diese Weise ein kommunikatives Tabu errichten (vgl. BVerfG, 1. Kammer des Ersten Senats, Beschluss vom 01.06.2006 - 1 BvR 150/03, NJW 2006, 3050 <3051>; BayObLG, Urteil vom 07.10.2022 - 202 StRR 90/22, NStZ-RR 2023, 10; OLG Braunschweig a.a.O. jew. m.w.N.).

Die dergestalt weite Fassung des Tatbestandes der als abstraktes Gefährdungsdelikt ausgestalteten Strafrechtsnorm würde bei wortgetreuer Auslegung - von Fällen der sog. Sozialadäquanzklausel nach § 86a Abs. 3 i.V.m. § 86 Abs. 4 StGB abgesehen - jegliches Verwenden eines solchen betreffen. Um eine solche Überdehnung des Tatbestandes des § 86a StGB zu vermeiden, sind jedoch solche Kennzeichenverwendungen vom Tatbestand ausgenommen, die dem Schutzzweck des § 86a StGB ersichtlich nicht zuwiderlaufen (vgl. BayObLG a.a.O.; OLG Braunschweig a.a.O.).

Nach ständiger - vom Bundesverfassungsgericht gebilligter (vgl. BVerfG, 1. Kammer des Ersten Senats, Beschlüsse vom 23.03.2006 - 1 BvR 204/03, NJW 2006, 3052 <3053> und vom 01.06.2006 - 1 BvR 150/03, NJW 2006, 3050 <3051>) - Rechtsprechung liegt der Schutzzweck dieser Norm in der Abwehr einer Wiederbelebung der verbotenen Organisation oder der von ihr verfolgten verfassungsfeindlichen Bestrebungen, auf die das Kennzeichen symbolhaft hinweist. Die Vorschrift dient aber auch der Wahrung des politischen Friedens dadurch, dass jeglicher Anschein einer solchen Wiederbelebung sowie der Eindruck bei in- und ausländischen Beobachtern des politischen Geschehens in der Bundesrepublik Deutschland vermieden werden soll, in ihr gebe es eine rechtsstaatswidrige innenpolitische Entwicklung, die dadurch gekennzeichnet ist, dass verfassungsfeindliche Bestrebungen der durch das Kennzeichen angezeigten Richtung geduldet würden, da auch ein solcher Eindruck und die sich daran anknüpfenden Reaktionen den politischen Frieden empfindlich stören können. Schließlich soll § 86a StGB verhindern, dass die Verwendung von Kennzeichen verbotener verfassungsfeindlicher Organisationen - ungeachtet der damit verbundenen Absicht - sich wieder derart einbürgert, dass das Ziel, solche Kennzeichen aus dem Bild des politischen Lebens in der Bundesrepublik grundsätzlich zu verbannen, nicht erreicht wird, mit der Folge, dass sie schließlich auch wieder von den Verfechtern der politischen Ziele, für die das Kennzeichen steht, gefahrlos gebraucht werden können (vgl. BGH, Urteil vom 15.03.2007 - 3 StR 486/06, NJW 2007, 1602 Rn. 5; BayObLG, Urteil vom 07.10.2022 - 202 StRR 90/22, NStZ-RR 2023, 10 <11>; OLG Braunschweig a.a.O. jew. m.w.N.).

Vor diesem Hintergrund kann im Einzelfall unter bestimmten Voraussetzungen der Gebrauch eines Kennzeichens einer verfassungswidrigen Organisation in einer Darstellung, deren Inhalt in offenkundiger und eindeutiger Weise die Gegnerschaft zu der Organisation und die Bekämpfung ihrer Ideologie zum Ausdruck bringt, dem Schutzzweck ersichtlich nicht zuwiderlaufen; sie wird daher vom Tatbestand des § 86a StGB nicht erfasst. Da sich in einem derartigen Fall die gegnerische Zielrichtung bereits aus dem Aussagegehalt der Darstellung selbst ergeben muss, erstreckt sich der Tatbestandsausschluss grundsätzlich auf jeglichen Gebrauch der Kennzeichen. Auf die Umstände des Gebrauchs kommt es dabei zur Begründung eines Tatbestandsausschlusses nicht an. Jedoch ist ein Tatbestandsausschluss stets nur dann gerechtfertigt, wenn die Gegnerschaft sich eindeutig und offenkundig ergibt und ein Beobachter sie somit auf Anhieb zu erkennen vermag. Für diese Wertung sind die gesamten Umstände der Tat zu berücksichtigen. Ist dagegen der Aussagegehalt einer Darstellung mehrdeutig oder die Gegnerschaft nur undeutlich erkennbar, ist der Schutzzweck des § 86a StGB verletzt (vgl. BGH, Urteil vom 15.03.2007 - 3 StR 486/06, NJW 2007, 1602 <1603 Rn. 12>; BayObLG a.a.O.).

bb)

Nach diesen Maßstäben ist die rechtliche Wertung des Landgerichts, dass der - dem Senat aufgrund der ausdrücklichen Bezugnahme der Berufungskammer nach § 267 Abs. 1 Satz 3 StPO in den Urteilsgründen aus eigener Anschauung zugängliche und damit in seine revisionsgerichtliche Prüfung einzubeziehende - Post vom TT.MM.2019 "offenkundig und eindeutig die Gegnerschaft des Angeklagten in Bezug auf die NS-Ideologie" (S. 8 UA) erkennen lasse, nicht haltbar.

So hat die höchstrichterliche Rechtsprechung eine Gegnerschaft zu der nationalsozialistischen Ideologie nur in solchen Fällen angenommen, in denen eine Distanzierung zum Beispiel mittels Durchstreichungen des Kennzeichens, Darstellungen der Zerstörung des betreffenden Kennzeichens oder dessen Kombination mit der üblichen Symbolik aus dem Bereich der Abfallentsorgung ("Umweltmännchen") erfolgt und damit die Ablehnung zu der Organisation und die Bekämpfung ihrer Ideologie zum Ausdruck gebracht wird (vgl. OLG Braunschweig, Urteil vom 05.10.2022 - 1 Ss 34/22, NStZ 2023, 419 <421> m.w.N.). Eine solche optische Distanzierung ist der tatgegenständlichen Abbildung des Hakenkreuzes sowie des Konterfeis Adolf Hitlers indes gerade nicht zu entnehmen.

Auch die Wertung der Kammer, wonach aus der bildlichen Gleichstellung Hitlers und Erdogans offenkundig ist, "dass an letzterem gerade dadurch Kritik geübt werden soll, dass er mit Hitler als Repräsentanten des NS-Regimes gleichgesetzt [...] und dass damit - nicht zuletzt - auch gegen die Entwicklung der Türkei unter der Herrschaft Erdogans protestiert werden" und auch "die Integration des Hakenkreuzes in das "O" des Namenszuges "ERDOGAN" [...] eine Gegnerschaft zu Erdogan zum Ausdruck gebracht werden soll" (S. 8 UA), ist keineswegs derart eindeutig, wie die Kammer meint. So fußt die Wertung der Kammer auf der - nicht offenkundigen und damit auch nicht auf Anhieb für den objektiven Facebook-Nutzer erkennbaren - Annahme, dass der Angeklagte sowohl den Nationalsozialismus als auch das rechtsstaatlich bedenkliche Vorgehen von Erdogan ablehnt. Mit anderen Worten, auch wenn eine bildliche Gleichstellung beider Regierungssysteme eindeutig ist, ergibt sich aus der Abbildung selbst nicht, ob der Angeklagte die Werte und Ziele der NSDAP nun ablehnt oder sogar gutheißt (vgl. BayObLG a.a.O.; OLG Braunschweig a.a.O.).

Daran vermag auch die Feststellung der Kammer nichts zu ändern, dass "Zusammen mit dem vorbeschriebenen Bild [...] auf der Facebookseite ein weiteres Bild zu sehen [war], das eine Collage enthielt, die aus sechs Fotos bestand, auf denen getötete Kinder zu sehen waren" (S. 4 UA). Denn abgesehen davon, dass sich die gegnerische Zielrichtung bereits aus dem Aussagegehalt der Darstellung selbst ergeben muss, bleibt offen, wie der von der Kammer festgestellte "Zusammenhang" ausgestaltet war. Jedenfalls ergibt sich aus den Feststellungen nicht, dass die beiden Bilder derart verknüpft waren, dass sich dem objektiven Betrachter gleichsam auf den ersten und einzigen Blick (bzw. "Klick") und ohne weiteres Hintergrundwissen die Ablehnung des Nationalsozialismus eindeutig hätte erschließen müssen. Wollte man demgegenüber - wie es die Kammer vertreten hat und anders als es beim Vorwurf der Strafbarkeit einer reinen Äußerung zu erfolgen hat (vgl. BayObLG, Beschluss vom 14.02.2020 - 207 StRR 8/20, juris Rn. 15) - eine weitergehende, kontextualisierende Deutung des verfahrensgegenständlichen Posts zulassen, etwa gar unter Berücksichtigung des Inhalts der gesamten Facebook-Accounts, so liefe dies dem Schutzzweck des § 86a StGB zuwider, indem hier dem unverändert dargestellten Hakenkreuz und Abbild Hitlers als Kommunikationsmittel uneingeschränkt Raum gegeben würde (vgl. OLG Braunschweig a.a.O.).

b)

Im Ansatz zutreffend hat das Landgericht zwar das im Posting vom TT.MM.2019 dargestellte Prophetensiegel als ein Kennzeichen des - aufgrund der Verfügung des Bundesministers des Innern vom 12. September 2014 (Ziffer 3.) von dem Betätigungsverbot erfassten - "Islamischen Staat" (im Folgenden: IS) eingeordnet. Der Angeklagte hat das verbotene Kennzeichen in seinem öffentlich einsehbaren Facebook-Account auch verbreitet bzw. öffentlich verwendet (vgl. BayObLG, Beschluss vom 14.02.2020 - 207 StRR 8/20, juris Rn. 6 f.).

Entgegen der Auffassung des Landgerichts scheidet aber auch insoweit eine teleologische Reduktion des Tatbestandsmerkmals des "Verwendens" aus. Denn überträgt man die zu § 86a Abs. 1 Nr. 1 StGB entwickelten und vorstehend bereits unter lit. a) entwickelten Grundsätze auf die Strafnorm des § 20 Abs. 1 Nr. 5 VereinsG (vgl. BGH, Urteil vom 09.07.2015 - 3 StR 33/15, NStZ 2016, 86 <89 Tz. 23>), sind nur solche Verhaltensweisen tatbestandlich nicht erfasst, die den Schutzzweck der Norm offensichtlich nicht beeinträchtigen (vgl. Heinrich, in MüKo-StGB, § 20 VereinsG Rn. 115 im Kontext der Sozialadäquanzklausel).

Hier ist indes nicht erkennbar, dass das verbotene Prophetensiegel in offenkundig und eindeutig ablehnender Tendenz verwendet wurde. Diese Einschätzung ist schon deshalb nicht haltbar, weil sich allenfalls auf den zweiten Blick für den Betrachter erschließt, dass es sich bei dem Gesicht der in der Front sitzenden Person um dasjenige von Erdogan handeln soll, zumal diese Person einen - für das Erscheinungsbild Erdogans untypischen - Bart sowie Umhang trägt. Selbst wenn man trotz dieser eher karikaturhaft anmutenden Darstellung Erdogans eine Gleichstellung zwischen Letzterem und dem IS für eindeutig erkennbar halten wollte, wäre gleichwohl eine Gegnerschaft zu dem IS auch bei längerer Reflexion des Bildes nicht eindeutig zu erkennen. Denn auch dieser Darstellung lässt sich nicht entnehmen, welche Einstellung der Angeklagte zu Erdogan hat.

Dem steht auch der Hinweis des Landgerichts auf eine "kontextualisierte Betrachtung des Postings" (S. 13 UA) nicht entgegen. Auch wenn sich die Facebook-Seite des Angeklagten "der pointiert kritischen Auseinandersetzung mit der Verfolgung und Unterdrückung der Kurden in der Türkei, insbesondere unter der Führung des türkischen Staatspräsidenten, sowie den Auswüchsen des Islamismus widmet" (S. 14 UA), ist der Schutzzweck des § 20 Abs. 1 Nr.5 VereinsG tangiert. Denn hierdurch wird nicht verhindert, dass - ungeachtet der damit verbundenen Absichten - die Verwendung des Prophetensiegels, welches hierzulande bislang nur eingeweihten Kreisen bekannt ist, sich derart ungehindert verbreitet, dass das Ziel, solche Kennzeichen aus dem Bild des politischen Lebens in Deutschland grundsätzlich zu verbannen, nicht erreicht wird.

c)

Nach denselben Maßstäben erweist sich auch die Verwendung des Prophetensiegels im Posting vom TT.MM.2019 als tatbestandsmäßig. Dieses Kennzeichen wird hier ebenfalls nicht in einer für den Durchschnittsbetrachter eindeutig ablehnenden Haltung gebraucht. Vielmehr lässt die Karikatur durchaus auch eine ambivalente Deutung des IS zu: So kann die abgebildete Person zum einen für die Durchsetzung von (islamistischem) Recht und Gesetz ("Dolch"), aber zugleich auch für Zugewandtheit und Fürsorge ("Herz") stehen.

Zwar ist es denkbar, dass ein Betrachter über die isolierte Wertung der reinen Bildgestaltung hinaus unter Berücksichtigung der Bildunterschrift gleichwohl eine Gegnerschaft hineinlesen könnte. Indes muss berücksichtigt werden, dass dieser Text in arabischen Schriftzeichen abgefasst ist und sich daher dessen Sinngehalt dem durchschnittlichen - der arabischen Sprache weitgehend nicht mächtigen - Betrachter im Inland gerade nicht auf Anhieb erschließt (vgl. BayObLG, Urteil vom 07.10.2022 - 202 StRR 90/22, NStZ-RR 2023, 10 <11>).

d)

Schließlich scheidet auch eine Rechtfertigung der Kennzeichenverwendung nach der sog. Sozialadäquanzklausel gemäß den § 86a Abs. 3 i.V.m. § 86 Abs. 4 StGB bzw. § 20 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 9 Abs. 1 Satz 2 VereinsG aus. Nach Intention und Inhalten der vom Angeklagten geposteten Abbildungen diente deren Verwendung weder der staatsbürgerlichen Aufklärung noch der Berichterstattung über Vorgänge des Zeitgeschehens oder der Geschichte oder ähnlichen Zwecken. Denn dem Begriff der staatsbürgerlichen Aufklärung unterfallen Handlungen, die der Wissensvermittlung zur Anregung der politischen Willensbildung und Verantwortungsbereitschaft der Staatsbürger und damit der Förderung ihrer politischen Mündigkeit durch Information dienen, was hier ersichtlich aber nicht der Fall ist. Dabei steht einer Tatbestandsverwirklichung nicht entgegen, dass die verwendeten Abbildungen bzw. Karikaturen etwa im Rahmen einer Berichterstattung über Vorgänge der Geschichte in Presse, Rundfunk und Fernsehen oder über entsprechend ausgerichtete Mediatheken straflos gezeigt bzw. abgerufen werden könnte. Auch soweit die konkret verwendete Karikatur aus einer Quelle geschichtlicher Berichterstattung ohne strafbaren Inhalt entnommen worden sein sollte, kommt es für die Bewertung der Strafbarkeit allein auf den Kontext der Verwendung in ihrer konkreten Form an (vgl. BayObLG, Urteil vom 07.10.2022 - 202 StRR 90/22, NStZ-RR 2023, 12 [OLG Celle 11.10.2022 - 2 Ss 127/22]).

e)

Ein Verstoß gegen § 130 Abs. 2 Nr.1 c StGB liegt demgegenüber nicht vor. Eine gegen Muslime als solche gerichtete, verleumderische Aussage kann insbesondere dem dritten Posting nicht entnommen werden. Die Karikatur wählt die teilweise der Religionszugehörigkeit zuzuordnenden Insignien - insbesondere die Gebetskette - ersichtlich nur deshalb, weil die Mitglieder des IS schon aufgrund der Ausrichtung der Organisation gewöhnlich dieser Religion angehören. Ein darüberhinausgehender, auf alle Muslime bezogener Aussagegehalt, etwa dahingehend, Angehörige dieser Religion neigten generell zur Radikalisierung und seien insoweit in besonderem Maße anfällig für das Gedankengut des IS, lässt sich der Abbildung nicht beimessen. Sie richtet sich weder gegen die Gruppe der Muslime als solche wegen ihrer Eigenart noch gegen Angehörige dieser Gruppe gerade wegen ihrer Zugehörigkeit zu selbiger.

III.

Nach alledem war das angefochtene Urteil mit den Feststellungen aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts Osnabrück zurückzuverweisen, die auch über die Kosten der Revision zu entscheiden hat.