Oberlandesgericht Oldenburg
Beschl. v. 27.09.2023, Az.: 3 W 37/23

Weite Auslegung des Begriffs des rechtlichen Interesses bzgl. der Nebenintervention; Auskunftsrecht der Gläubigerversammlung gegen den Insolvenzverwalter

Bibliographie

Gericht
OLG Oldenburg
Datum
27.09.2023
Aktenzeichen
3 W 37/23
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2023, 56064
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
LG Oldenburg - 24.03.2023 - AZ: 5 O 1764/22

Fundstellen

  • DZWIR 2024, 514-515
  • NZI 2024, 437-439
  • ZIP 2024, 741
  • ZIP 2024, 357-359

In der Beschwerdesache
AA GmbH, vertreten durch die Geschäftsführerin BB, Ort1,
Klägerin und Beschwerdeführerin,
Prozessbevollmächtigte:
(...),
Geschäftszeichen: (...)
gegen
Rechtsanwalt CC, Ort2,
als Insolvenzverwalter über das Vermögen d. DD,
Beklagter und Beschwerdegegner,
Prozessbevollmächtigte:
(...),
Beteiligte:
EE GmbH & Co. KG, diese vertreten durch die EE GmbH, diese vertreten durch den Geschäftsführer FF, Ort3,
Nebenintervenientin,
Prozessbevollmächtigte:
(...),
hat der 3. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Oldenburg durch die Richterin am Oberlandesgericht (...), den Richter am Oberlandesgericht (...) und den Richter am Oberlandesgericht (...) beschlossen:

Tenor:

  1. 1.

    Auf die Beschwerde der Parteien wird das Zwischenurteil des Landgerichts Oldenburg vom 24.03.2023 geändert und wie folgt neu gefasst:

    Die Nebenintervention wird zurückgewiesen.

  2. 2.

    Die Kosten des Zwischenstreits trägt die Nebenintervenientin.

  3. 3.

    Der Wert für das Beschwerdeverfahren beträgt 6.000 Euro.

  4. 4.

    Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen, § 574 Abs. 2 Nr. 1 ZPO.

Gründe

I.

Die Parteien des Rechtsstreits streiten über einen Unterlassungsanspruch.

1.

Der Beklagte ist Insolvenzverwalter über das Vermögen von Dr. DD (Insolvenzschuldner). Der Insolvenzschuldner war an der klägerischen GmbH beteiligt und erhielt nach seinem Ausscheiden einen Abfindungsbetrag in Höhe des nominalen Werts seiner Geschäftsanteile.

Der Beklagte beauftragte eine Wirtschaftsprüfungsgesellschaft mit der - nachträglichen - Bewertung der Anteile. Die Klägerin erklärte sich mit einer Zurverfügungstellung ihrer Geschäftsunterlagen für die Bewertung nur unter der Bedingung einer Geheimhaltungsabrede einverstanden. Der Beklagte sicherte der Klägerin daraufhin zu, die Unterlagen und das Gutachten nicht an Dritte herauszugeben.

Die Gläubigerversammlung forderte den Beklagten zur Herausgabe der Unterlagen und des Gutachtens auf. Dieser weigerte sich mit Hinweis auf die Geheimhaltungsabrede.

Die Klägerin verlangt vorliegend Feststellung, dass der Beklagte nicht zur Herausgabe der Unterlagen berechtigt ist.

Die Streithelferin ist eine Insolvenzgläubigerin, die die Zulassung zur Nebenintervention begehrt. Die Parteien lehnen dies ab.

Die Streithelferin hat gemeint, der Beklagte berücksichtige die Gläubigerinteressen nicht hinreichend, weswegen sie dem Rechtsstreit beitreten wolle. Die Gläubigerversammlung habe den Beklagten schließlich zur Offenlegung verpflichtet. Die Masse sei durch den Rechtsstreit auch mit Verfahrenskosten belastet.

Die Parteien haben die Auffassung vertreten, eine Nebenintervention sei unzulässig, weil allein der Beklagte als Insolvenzverwalter die Interessen der Gläubiger wahrnehme.

2.

Das Landgericht hat die Nebenintervention zugelassen. Die Streithelferin habe ein rechtliches Interesse am Obsiegen des Beklagten, also daran, dass keine Wirksamkeit der Geheimhaltungsabrede festgestellt werde.

Eine Nebenintervention von Insolvenzgläubigerin auf Seiten des Insolvenzverwalters solle zwar grundsätzlich ausgeschlossen sein. Etwas anderes gelte aber zB. in Anfechtungsprozessen, oder - nach Auffassung des Landgerichts - bei Massestreitiggkeiten. Grund sei die Rechtskrafterstreckung nach § 183 InsO.

Vorliegend sei die Interessenlage vergleichbar: Die Interessenlage der Streithelferin am Obsiegen des Beklagten sei wertungsmäßig mit derjenigen in einer Massestreitigkeit gleichzustellen. Der Klageantrag (Unterlassung) ziele auf die Interessensphäre der Nebenintervenientin ab und wirke auf ihr Interesse an der Sichtung der Unterlagen. Ein solcher Anspruch könne der Nebenintervenientin quasi vermittelt über die Gläubigerversammlung nach § 79 InsO zustehen, auch wenn einzelnen Gläubigern kein Auskunftsrecht nach § 79 InsO zustehe. Die Gläubigerversammlung selbst aber habe keine Möglichkeit zur Nebenintervention, weil sie nach der InsO nach außen nicht handlungsfähig sei.

Der Auskunftsanspruch der Gläubigerversammlung nach § 79 InsO liefe aber ins Leere, wenn die einzelnen Gläubiger darauf außerhalb des Insolvenzverfahrens keine Einflussmöglichkeit hätten. Deswegen sei das Auskunftsrecht der Nebenintervenientin außerhalb des Insolvenzverfahrens als mittelbar von einer zugunsten der Klägerin ausfallenden Entscheidung betroffen anzusehen und rechtlich schützenswert. Dies gelte jedenfalls dann, wenn die Gläubigerversammlung beschlossen hätte, den Insolvenzverwalter auf Auskunft in Anspruch zu nehmen.

Wegen der Einzelheiten wird auf die angefochtene Entscheidung Bezug genommen.

3.

Gegen diese Entscheidung wendet sich die Klägerin mit ihrer Beschwerde. Sie vertritt die Auffassung, die Nebenintervention sei zurückzuweisen.

Es fehle an einem rechtlichen Interesse der Nebenintervenientin. Denn deren etwaige Ansprüche seien vom vorliegenden Verfahren unabhängig.

Es gebe kein Auskunftsrecht eines Insolvenzgläubigers gegen den Insolvenzverwalter. Er sei nur über die Gläubigerversammlung berechtigt, auf das Insolvenzverfahren Einfluss zu nehmen.

Der Insolvenzverwalter werde nur durch das Insolvenzgericht überwacht (§ 58 InsO). Die Insolvenzordnung sei abschließend.

Der Beschluss der Gläubigerversammlung, den Beklagten zur Offenlegung zu verpflichten, sei im übrigen offensichtlich unwirksam. Die Nebenintervenientin nehme daher auch keine Interessen der Gläubigerversammlung wahr.

Wegen der Einzelheiten wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Das Landgericht hat der Beschwerde nicht abgeholfen.

Der Senat entscheidet nach der Übertragung des Verfahrens durch seine Einzelrichterin als Kollegialorgan. Die Beteiligten haben erneut Gelegenheit zur Stellungnahme erhalten. Auf die Schriftsätze der Streithelferin vom 11.09.2023 und des Beklagten vom 07.08.2023 wird Bezug genommen.

II.

Die gemäß §§ 71 Abs. 2, 567 Abs. 1 Nr. 1 ZPO zulässige Beschwerde ist auch in der Sache begründet.

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Nebenintervention liegen nicht vor. Es fehlt an einem rechtlichen Interesse der Nebenintervenientin an der Nebenintervention.

Ein rechtliches (kein wirtschaftliches) Interesse (= Interventionsgrund) liegt vor, wenn sich der Ausgang des Rechtsstreits auf die Rechtslage - nicht nur die tatsächliche oder wirtschaftliche Lage - des Nebenintervenienten auswirkt. Der Begriff des rechtlichen Interesses ist weit auszulegen.

Die Nebenintervenientin hat ein solches rechtliches Interesse nicht dargelegt.

1.

Der Nebenintervenientin steht gegenüber dem Beklagten als Insolvenzverwalter kein Auskunftsrecht zu. Ein solches Auskunftsrecht steht - in den Grenzen des § 79 InsO - allein der Gläubigerversammlung zu. Es widerspräche dem Grundgedanken dieser Regelung, könnte die Nebenintervenientin über den Weg der Nebenintervention außerhalb der Regelung des § 79 InsO ein eigenes, von der Gläubigerversammlung unabhängiges Recht auf Akteneinsicht in von dem Insolvenzverwalter geführte Prozesse erstreiten.

2.

Eine Nebenintervention zur Kontrolle des Insolvenzverwalters ist gerade nicht vorgesehen. Gläubiger können nur Maßnahmen der gerichtlichen Aufsicht anregen oder ggf. Schadensersatz nach § 60 InsO fordern. Die Aufsicht über den Insolvenzverwalter obliegt dem Insolvenzgericht (§ 58 InsO). Ungeschriebene Kompetenzen der Gläubigerversammlung oder einzelner Gläubiger gibt es nicht.

3.

Das Landgericht weist zu Recht darauf hin, dass die Insolvenzordnung der Gläubigerversammlung keine Handlungsfähigkeit nach außen einräumt. Die Einräumung eines Interverventionsrechts der Nebenintervenientin, die statt der Gläubigerversammlung intervenieren könnte, würde aber diese gesetzgeberische Entscheidung aushebeln. Sie ist daher abzulehnen.

4.

Eine Nebenintervention kommt daher nur in Betracht, wenn eigene rechtliche Interessen des interventionsbeabsichtigenden Gläubigers unmittelbar berührt sind. Dies ist nicht der Fall.

Grundsätzlich tritt gemäß § 80 InsO allein der Insolvenzverwalter in Zivilprozessen für die Masse auf. Er nimmt die Interessen der Masse und der Gläubiger wahr. Ihm allein steht die eigenverantwortliche Prozessführungsbefugnis und die Dispositionsbefugnis über den Streitgegenstand zu, die sich aus seiner Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über das insolvenzbefangene Vermögen ergibt (MüKo, InsO, § 80 Rn. 74 m. w. N.).

Eine Nebenintervention von Insolvenzgläubigern ist daher grundsätzlich ausgeschlossen (MüKo, a. a. O., Rn. 82).

Von diesem Grundsatz gibt es Ausnahmen:

a)

So kann, worauf das Landgericht zu Recht hinweist, anderes in Verfahren zur Feststellung von Forderungen gelten. Denn nach § 183 InsO wirkt eine rechtskräftige Entscheidung, durch die eine Forderung festgestellt oder ein Widerspruch für begründet erklärt wird, gegenüber dem Insolvenzverwalter und allen Insolvenzgläubigern. Das Gesetz normiert also eine Rechtskrafterstreckung. Eine solche Klage liegt hier gerade nicht vor. Anders als es die Nebenintervenientin behauptet, betrifft der vorliegende Rechtsstreit nicht unmittelbar die Feststellung der Insolvenzmasse. Es handelt sich vorliegend nicht um eine Massestreitigkeit. Entsprechend sind die von der Nebenintervenientin zitierten Entscheidungen des OLG Frankfurt (5 U 191/98) und des OLG Rostock (6 U 171/02) nicht einschlägig.

b)

Vergleichbar ist der Fall der Anfechtungsklage:

Gläubiger können in Anfechtungsprozessen als Streithelfer auftreten. Denn auch hier kommt eine Rechtskrafterstreckung in Betracht. Nach § 18 AnfG können Anfechtungsansprüche, die der Insolvenzverwalter geltend machen konnte, nach der Beendigung des Insolvenzverfahrens von den einzelnen Gläubigern verfolgt werden, soweit nicht dem Anspruch entgegenstehende Einreden gegen den Insolvenzverwalter erlangt sind. Die Vorschrift begründet eine Rechtskrafterstreckung zu Lasten der Einzelgläubiger (MüKo, InsO, § 129 Rn. 210). Wurde eine Anfechtungsklage des Insolvenzverwalters rechtskräftig als unbegründet abgewiesen, so kann damit zugleich auch der Anfechtungsanspruch jedes einzelnen Gläubigers auf Grund desselben Sachverhaltes aberkannt sein (MüKo, a. a. O.).

Anders als in den Fällen der von Insolvenzverwalter geführten Feststellungsverfahren und Anfechtungsprozesse fehlt es vorliegend an einer normierten Rechtskrafterstreckung und damit auch an einer vergleichbaren Interessenlage. Der vorliegende Rechtsstreit hat keine unmittelbaren Folgen für die Einzelgläubiger. Es fehlt daher an einer Rechtskrafterstreckung, die ein Interverventionsinteresse rechtfertigt.

5.

Ein rechtliches Interesse ergibt sich auch nicht daraus, dass bei einem Verstoß des Beklagten gegen ein Urteil Ordnungsgelder drohten. Es ist nicht erkennbar, dass ein Verstoß des Beklagten gegen ein mögliches Urteil zu erwarten wäre. Auch die Entstehung von Prozesskosten rechtfertigt keine Nebenintervention, weil anderenfalls jeder vom Insolvenzverwalter geführte Prozess eine Nebenintervention rechtfertigen würde, was nach allgemeiner Meinung, der sich der Senat anschließt, gerade nicht der Fall ist.

III.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 ZPO.

Den Wert hat der Senat nach dem eigenen Interesse der Nebenintervenientin festgelegt (vgl. Zöller, ZPO, 34. Aufl. Rn. 7). Es entspricht mangels anderweitiger Anhaltspunkte dem vorläufigen Wert der Hauptsache (vgl. Zöller, ZPO, 34. Aufl. § 3 Rn. 16.121).

IV.

Der Senat lässt die Rechtsbeschwerde zu. Dies ist in Entscheidungen über die Nebenintervention gemäß § 72 Abs. 2 ZPO nach § 574 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 3 grundsätzlich möglich (BGH NZG 2013, 792 (793) [BGH 14.05.2013 - II ZB 1/11]; NJW-RR 2006, 644; MüKoZPO/Schultes Rn. 10; BeckOK ZPO/Dressler, 49. Ed. 1.7.2023, ZPO § 71 Rn. 9) und im vorliegenden Falle geboten. Die Rechtsfrage, ob ein Insolvenzgläubiger einem Rechtsstreit zwischen einem Insolvenzschuldner und dem Insolvenzverwalter auch außerhalb der bereits anerkannten Fälle (Massestreitigkeiten/Tabellenfeststellungsklagen, Anfechtungsklagen) möglich ist, ist bislang nicht höchstrichterlich geklärt, dürfte jedoch in einer Vielzahl von Fällen zu erwarten sein, so dass das abstrakte Interesse der Allgemeinheit an einer einheitlichen Entwicklung und Handhabung des Rechts berührt ist.