Oberlandesgericht Oldenburg
Beschl. v. 06.10.2020, Az.: 3 W 86/20 (NL)
Antrag auf Erteilung eines Erbscheins; Unwirksamkeit eines Erbvertrags nach Scheidung; Unwirksamkeit des ganzen Vertrags
Bibliographie
- Gericht
- OLG Oldenburg
- Datum
- 06.10.2020
- Aktenzeichen
- 3 W 86/20 (NL)
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2020, 66538
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- vorgehend
- AG Varel - 11.08.2020 - AZ: 1 VI 100/20
Rechtsgrundlagen
- § 2298 Abs. 1 BGB
- § 2279 Abs. 2 BGB
- § 2077 Abs. 1 BGB
Tenor:
Der Senat beabsichtigt auf die Beschwerde der Beteiligten zu 1. den Beschluss des Amtsgerichts - Nachlassgericht - Varel vom 11. August 2020 abzuändern und das Amtsgericht anzuweisen, den von der Beteiligten zu 1. beantragten Erbschein, nachdem sie den Erblasser AA, verstorben am TT.MM.2019, allein beerbt hat, zu erteilen.
Die Beteiligten erhalten Gelegenheit zum Hinweisbeschluss des Senats binnen 2 Wochen nach Zustellung des Beschluss Stellung zu nehmen.
Gründe
Die form- und fristgerecht erhobene Beschwerde der Beteiligten zu 1. ist begründet.
Die Beteiligte zu 1. ist ausweislich des Testaments des Erblasser AA vom 28.05.2001, welches am 07.01.2020 vor dem Amtsgericht Jever unter dem Aktenzeichen (...) eröffnet wurde, Alleinerbin des Erblassers.
Der Einsetzung der Beteiligten zu 1. als alleinige Erbin stehen die Verfügungen des Erblassers im Erbvertrag vom 26. Juni 1987 nicht entgegen. Der Erblasser hatte unstreitig mit seinen Eltern am 26. Juni 1987 einen Erbvertrag geschlossen, in dem der Erblasser als Erbe des Letztversterbenden seiner Eltern eingesetzt wurde und der Erblasser wechselseitig seine Eltern und im Falle des Überlebens seiner Eltern als Ersatzerben zur Hälfte EE und zu je 1/10 FF, DD, GG, JJ und HH eingesetzt hatte.
Der Erbvertrag ist gemäß §§ 2298 Absatz 1, 2279 Absatz 2, 2077 Absatz 1 BGB aufgrund der Scheidung der Eltern des Erblassers am 4. September 1992 insgesamt unwirksam. Es ist nicht anzunehmen, dass der Erblasser und seine Eltern die vertragsmäßigen Verfügungen auch für den Fall der Scheidung der Eltern getroffen hätten.
Maßgeblich ist insoweit, wie das Amtsgericht zutreffend ausgeführt hat, sofern ein realer Wille nicht festgestellt werden kann, der hypothetische Wille der Vertragsschließenden zum Zeitpunkt der Erbvertragserrichtung (vgl. BGH FamRZ 60, 28). Dabei können spätere Umstände für die Ermittlung des Willens insoweit herangezogen werden, als sie Rückschlüsse darauf zulassen, wie der Vertragsschließenden verfügt hätten, wenn sie die Auflösung der Ehe vorausbedacht hätten.
Zunächst kann festgestellt werden, dass der Erblasser und seiner Eltern keine ausdrückliche Regelung für den Fall der Scheidung getroffen haben. In diesem Fall greift zunächst einmal die gesetzliche Regelung entsprechend dem vom Gesetz vermuteten wirklichen Willen der Vertragsschließenden, nämlich dass die letztwillige Verfügung bei Auflösung der Ehe keine Bestand haben soll. Entgegen der Annahme des Amtsgerichts spricht die allgemeine Lebenserfahrung zunächst dafür, dass die Eltern des Erblassers diesen als gemeinsames Kind, zumindest was die erbvertragliche Bindung angeht, in der getroffenen Form maßgeblich mit Rücksicht auf den Bestand der Ehe bedacht haben. Die Regelungen im Erbvertrag vom 26. Juni 1987 zielen darauf ab, dass der beiderseitige Nachlass der Eltern dem Erblasser erst nach dem Tode des Letztversterbenden zufallen sollte. Die Eltern wollten dem Erblasser damit nur eine vom überlebenden Ehegatten abhängige Rechtsstellung einräumen. Der Erblasser wurde nicht auf einen selbständigen Erbanteil neben dem überlebenden Elternteil eingesetzt. Der Umstand, dass die Bindungswirkung des Erblassers entfallen sollte, wenn er ein leibliches Kind bekommen sollte, lässt keinen Rückschluss darauf zu, dass die Bindungswirkung bedacht wurde und eine Ausnahme nur für einen bestimmten Fall gelten sollte. Entgegen der Auffassung des Amtsgerichts kann mit der gleichen Argumentation auch im Umkehrschluss gefolgert werden, dass für weitere Fälle die gesetzlichen Bestimmungen gelten sollten und bewusst für den Fall der Scheidung keine (weitere) Regelung getroffen wurde. Einen Rückschluss auf den tatsächlichen Willen der Vertragsschließenden lässt sich aus diesem Umstand nicht herleiten. Vielmehr lassen sich aus den später hinzutretenden Umständen durchaus Rückschlüsse auf den hypothetischen Willen zum Zeitpunkt des Abschlusses des Erbvertrages ziehen. So haben sowohl die Mutter des Erblassers, Frau KK, als auch der Erblasser selbst nach der Scheidung jeweils ein neues Testament errichtet. Offensichtlich gingen beide nicht davon aus, dass der bisherige Erbvertrag nach der Scheidung unter dem 4. September 1992 noch weiter bestand hat.
Im Ergebnis bedarf es insoweit jedoch keiner abschließenden Würdigung, da jedenfalls nicht positiv festgestellt werden kann, dass der Erblasser und seine Eltern die erbvertraglichen Regelungen auch für den Fall der Scheidung getroffen hätten.
Soweit schließlich das Amtsgericht einräumt, dass die Scheidung die gegenseitige Einsetzung der Eltern selbst beeinflusst haben mag, aber dadurch die gegenseitige Einsetzung des Kindes mit den geschiedenen Eltern nicht beeinflusst wird, verkennt das Gericht die weitere Auslegungsregelung nach § 2298 BGB.
Nach § 2298 BGB hat die Nichtigkeit einer in einem Erbvertrag von beiden Teilen getroffenen vertragsmäßigen Verfügung die Unwirksamkeit des ganzen Vertrages zur Folge. Die in § 2298 BGB getroffenen Regelungen beruhen auf der Erwägung, dass bei einem zweiseitigen Erbvertrag die Vertragschließenden im Regelfall den Bestand des Vertrages nur wünschen, wenn sämtliche von ihnen getroffenen, vertragsmäßigen Verfügungen wirksam sind. Entsprechend dieser Annahme wird in Absatz 1 festgelegt, dass die Nichtigkeit einer vertragsmäßigen Verfügung die Unwirksamkeit des ganzen Vertrages zur Folge hat, wenn nicht gemäß Absatz 3 dieser Vorschrift ein anderer Wille der Vertragschließenden anzunehmen ist (vgl. Münch Komm./Musielak, BGB, 8. Aufl., § 2298 Rn. 1). § 2298 Absatz 1 BGB stellt somit eine Auslegungsregel dar. Diese beruht auf dem vermuteten Willen der Vertragsteile zur Zeit des Vertragsschlusses und findet daher keine Anwendung, wenn ein anderer Wille der Vertragsteile anzunehmen ist (§ 2298 Absatz 3 BGB).
Soweit das Amtsgericht hierbei maßgeblich auf die Sicht des Erblassers als Kind seiner Eltern abstellt, reicht dies nicht aus, um auf einen anderen Willen aller Vertragsschließenden zu schließen. Im Ergebnis muss es daher bei den gesetzlichen Auslegungsregeln verbleiben. Ein anderer Wille der Vertragsschließenden kann positiv nicht festgestellt werden.