Oberlandesgericht Oldenburg
Urt. v. 08.10.2003, Az.: 5 U 31/03
Schadensersatz auf Grund nicht erfüllten Winterdienstes; Vorliegen eines Unfalls bei Ausübung öffentlicher Dienstleistungen; Delegierung der Streupflicht an Mietpartei; Voraussetzungen für ein Mitverschulden des Geschädigten
Bibliographie
- Gericht
- OLG Oldenburg
- Datum
- 08.10.2003
- Aktenzeichen
- 5 U 31/03
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2003, 30293
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGOL:2003:1008.5U31.03.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- LG Osnabrück - 11.12.2002 - AZ: 7 O 918/02 (1594/02)
Rechtsgrundlagen
- § 286 ZPO
- § 97 Abs. 1 ZPO
- § 708 Nr. 10 ZPO
- § 713 ZPO
- § 823 BGB
Fundstellen
- IVH 2004, 78-79 (Volltext mit amtl. LS)
- InfLVuH 2004, 78-79 (Volltext mit amtl. LS)
- NJW 2004, XII Heft 10 (Kurzinformation)
- NZV 2004, 203-204 (Volltext mit amtl. LS)
- ZfS 2004, 274-275 (Volltext mit amtl. LS)
- zfs 2004, 274-275 (Volltext mit amtl. LS)
Prozessführer
1. G... AG,
vertreten durch den Vorstandsvorsitzenden ...
2. P...
Prozessgegner
1. U... ,
Körperschaft des Öffentlichen Rechts,
vertreten durch den Geschäftsführer ...
2. H... B...
3. E... B...
4. B...
In dem Rechtsstreit hat
der 5. Zivilsenat auf die mündliche Verhandlung vom 24. September 2003
durch
den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht ...,
den Richter am Oberlandesgericht ... und
den Richter am Oberlandesgericht ...
für Recht erkannt:
Tenor:
Die Berufungen der Nebenintervenientin gegen das Teil-Urteil des Einzelrichters der 7. Zivilkammer des Landgerichts Osnabrück vom 4. Dezember 2002, das Urteil des Einzelrichters der 7. Zivilkammer des Landgerichts Osnabrück vom 11. Dezember 2002 und das End-Urteil des Einzelrichters der 7. Zivilkammer des Landgerichts Osnabrück vom 11. Dezember 2002 werden auf ihre Kosten zurückgewiesen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Gründe
I.
Wegen des erstinstanzlichen Sach- und Streitstandes wird auf das Urteil des Einzelrichters der 7. Zivilkammer des Landgerichts Osnabrück vom 11. Dezember 2002 verwiesen, welches das Teil-Urteil vom 4. Dezember 2002 und das End-Urteil vom 11. Dezember 2002 zusammenfasst.
Zum besseren Verständnis: Die Klägerin hat als Unfallversicherungsträger wegen eines Glatteisunfalls der Postbotin B... am 20. Januar 2001 auf dem Grundstück des Hauses ... , ... , Leistungen erbracht, die sie vom (vermeintlichen) Schädiger, dem Beklagten P... als Mieter des Hauses, wegen Verletzung seiner Streupflicht zurückfordert. Der Beklagte hat sich gegen die Klage verteidigt, aber eingeräumt, auf Grund mündlicher Absprache mit den Vermietern, den Eheleuten B... , zum Streuen verpflichtet gewesen zu sein. Die Berufungsführerin ist als Haftpflichtversicherer des Beklagten dem Rechtsstreit auf Beklagtenseite im Wege der Nebenintervention beigetreten und hat ihren Klageabweisungsantrag - über den Vortrag des Beklagten hinausgehend - damit begründet, dass der Beklagte keine Streupflicht gehabt habe.
Unstreitig haben die Vermieter, die nicht über eine Haftpflichtversicherung verfügten, und der Beklagte den schriftlichen Mietvertrag nach dem Unfall unter dem (falschen) Datum vom 10. August 1998 um eine Regelung zur Streupflicht des Beklagten ergänzt. Als der Rechtsmittelführerin dieser in ihren Augen betrügerische Umstand bekannt wurde, stellte sie ihre Leistungen an die Klägerin und die Postbotin ein und forderte sie mit einer "Gegenklage" zurück.
Das Landgericht hat die "Gegenklage" für zulässig, aber unbegründet und die Klage unter Berücksichtigung eines Mitverschuldens der Postbotin für teilweise begründet gehalten. Hinsichtlich der Klage sei die Streupflicht des Beklagten P... als unstreitig, hinsichtlich der "Gegenklage" jedenfalls als erwiesen anzusehen. Dagegen richtet sich die Berufung der Nebenintervenientin.
Die Berufungsführerin und Berufungsklägerin meint, entgegen der Auffassung des Landgerichts habe keine vertragliche Streupflicht des Beklagten bestanden. Das Landgericht hätte im Rahmen der Klage die angebliche mündliche Vereinbarung zur Streupflicht nicht für unstreitig halten dürfen. Eine Beweiswürdigung nach § 286 ZPO ergebe, dass der Beklagte die Streupflicht nicht übernommen habe. Die - unterstellte - Streupflicht sei nicht verletzt worden. Angesichts des streitigen Unfallhergangs fehle es an der Kausalität. Schließlich entfalle eine Haftung wegen des ganz überwiegenden Verschuldens der Postbotin, die eine von ihr erkannte Gefahr in Kauf genommen habe.
Die Berufungsführerin und Berufungsklägerin beantragt,
die Klage abzuweisen,
im Wege der Gegenklage
die Klägerin und die Streitverkündeten zu 1) und 2) als Gesamtschuldner zu verurteilen, an die Gegenklägerin 3.550,79 EUR nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 25. 04. 2001,
die Streitverkündeten zu 1) bis 3) als Gesamtschuldner zu verurteilen, an die Gegenklägerin 1.789,51 EUR nebst 5 % Zinsen seit dem 06. 04. 01,
die Streitverkündeten zu 1) bis 4) als Gesamtschuldner zu verurteilen, an die Gegenklägerin 89,17 EUR nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 06. 04. 01
zu zahlen.
Die Berufungsbeklagten beantragen,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Berufungsbeklagte zu 4) meint, es könne nicht zweifelhaft sein, dass der Beklagte P... bereits im Jahre 1998 auf Grund mündlicher Absprache die Streupflicht übernommen habe. Die Berufungsführerin sei an die übereinstimmenden Erklärungen der Klägerin und des Beklagten gebunden. Die vorbehaltlose Zahlung an die geschädigte Postbotin schließe eine Rückforderung aus. Selbst unter Berücksichtigung eines höheren Mitverschuldensanteils sei der gezahlte Schmerzensgeldbetrag in Höhe von 3.500,- DM angemessen.
Die Klägerin meint, die Berufungsführerin habe sich mit ihrem Vortrag zur Streupflicht in nicht zulässiger Weise in Widerspruch zum Parteivortrag des Beklagten gesetzt. Die vom Landgericht vorgenommene Beweiswürdigung sei nicht zu beanstanden. Mit dem Nachtrag im Mietvertrag sei lediglich eine bereits bestehende mündliche Vereinbarung schriftlich fixiert worden. Ein Rechtsfehler hinsichtlich der Haftungsquote sei von der Berufungsführerin nicht aufgezeigt worden.
Die Berufungsbeklagten zu 2) und 3) meinen, die Streupflicht sei wirksam auf den Beklagten übertragen worden.
II.
Die Berufung der Nebenintervenientin hat jedenfalls im Ergebnis keinen Erfolg.
1)
Zweifel an der Zulässigkeit der Berufung bestehen nicht. Zwar darf der Nebenintervenient gegen den erklärten Willen der unterstützten Partei Rechtsmittel nicht einlegen (BGH NJW 1997, 2385; 1993, 2944) [BGH 13.07.1993 - III ZB 17/93]. Ein entgegenstehender Wille des Beklagten kann aus dem Schriftsatz seines Prozessbevollmächtigten RA ... vom 7. Mai 2003 trotz des Berufungszurückweisungsantrags nicht entnommen werden. RA ... ging dabei offensichtlich noch von der falschen Annahme aus, sein Mandant werde auf Zahlung von Beträgen verklagt. In der mündlichen Verhandlung ist er dann aber nicht aufgetreten. Ansonsten ist der Nebenintervenient im Rechtsstreit der unterstützten Partei zur Einlegung von Rechtsmitteln befugt (Thomas/Putzo-Putzo, ZPO, 24. Aufl. § 67 Rz. 6). Legt der Nebenintervenient Rechtsmittel ein, so ist er zwar allein Rechtsmittelführer (RGZ 147, 125), doch ist lediglich die unterstützte Partei auch Partei im höheren Rechtszug (Thomas/Putzo-Putzo a.a.O. § 67 Rz. 4; Zöller-Gummer, ZPO, 23. Aufl. vor § 511 Rz. 24), weshalb es berechtigt ist, den Beklagten P... als Berufungskläger zu bezeichnen. Darüber hinaus ist die G... Berufungsklägerin in eigener Sache.
Die G... war auch gemäß § 66 ZPO befugt, dem Rechtsstreit auf Seiten des Beklagten als dessen Streithelferin beizutreten. Ihr rechtliches Interesse ergibt sich aus der Bindungswirkung des Haftpflichturteils für den Deckungsprozess (OLG Hamm VersR 1997, 853, 854) [OLG Hamm 29.04.1996 - 6 U 187/95].
2)
Die Berufung ist aber unbegründet.
a)
Klage:
Die Berufung ist hinsichtlich der Klage unbegründet. Das Landgericht hat den Beklagten zutreffend in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang verurteilt.
aa)
Das Landgericht ist insbesondere zu Recht davon ausgegangen, dass dem Beklagten unstreitig auf Grund mündlicher Vereinbarung bei Abschluss des Mietvertrages die Streupflicht übertragen worden war. Der Beklagte hat dies bei seiner Anhörung gemäß § 141 ZPO - wie bereits in der Klageerwiderung vom 10. Juli 2002 - erklärt und damit den Vortrag der Klägerin unstreitig gestellt. Der hiervon abweichende Sachvortrag der Nebenintervenientin ist, weil im Widerspruch zu den Erklärungen des Beklagten stehend, gemäß § 67 ZPO unbeachtlich (OLG Hamm VersR 1997, 854, 853) [OLG Hamm 29.04.1996 - 6 U 187/95]. Nach § 67 ZPO dürfen Erklärungen und Handlungen des Streithelfers nicht mit denen der unterstützten Partei in Widerspruch stehen (Zöller-Vollkommer a.a.O. § 67 Rz. 9; Thomas/Putzo-Putzo a.a.O. Rz. 13). Anders als in den Entscheidungen des OLG Köln (VersR 2000, 1302) und des OLG Celle (Nds. Rpfl. 2002, 286), bei denen es nicht zuletzt um die Würdigung einer Parteivernehmung gemäß § 445 ZPO geht, lässt sich im vorliegenden Fall den Erklärungen des anwaltlich vertretenen, Klageabweisung beantragenden Beklagten ein gegenteiliger Wille (hinsichtlich seiner Streupflicht) deutlich entnehmen.
Dem steht auch nicht entgegen, dass der Beklagte gemäß § 5 Nr. 4 AHB verpflichtet ist, der Streithelferin die Prozessführung zu überlassen. Hierdurch kann der Versicherungsnehmer nämlich nicht verpflichtet werden, gegen seine Wahrheitspflicht (§ 138 Abs. 1 ZPO) zu verstoßen.
Allerdings wäre nicht der Sachvortrag der Streithelferin, sondern die abweichende Darstellung des Beklagten unbeachtlich, wenn feststände, dass sie falsch ist und die übereinstimmende Sachverhaltsdarstellung der Parteien auf einen Betrug zu Lasten der Streithelferin abzielte (OLG Hamm VersR 1997, 853, 854) [OLG Hamm 29.04.1996 - 6 U 187/95]. Davon kann allein auf Grund der nachträglichen Ergänzung des Mietvertrages nicht ausgegangen werden. Weitere Anhaltspunkte liegen nicht vor.
bb)
Die weiteren Ausführungen der Berufungsführerin zur Unbegründetheit der Klage (keine Verletzung der Streupflicht, fehlende Kausalität, ganz überwiegendes Mitverschulden der Postbotin) rechtfertigen angesichts des Ergebnisses der Beweisaufnahme eine Abänderung des Urteils des Landgerichts nicht. Insoweit kann auf die zutreffenden Ausführungen des Landgerichts verwiesen werden. Aus der angeführten Entscheidung des OLG Köln (VersR 1997, 506) ergibt sich nichts zu Gunsten der Berufungsführerin. Das Mitverschulden der Postbotin wegen der erkannten Glätte war jedenfalls nicht so groß, dass demgegenüber eine Haftung des Beklagten entfiele. Im Übrigen wäre selbst bei der Annahme eines höheren Mitverschuldensanteils, wofür allerdings keine Veranlassung besteht, angesichts der erlittenen Verletzungen der Postbotin der Schmerzensgeldbetrag immer noch angemessen.
b)
"Gegenklage":
aa)
Die Nebenintervenientin ist im vorliegenden Fall nicht nur Berufungsführerin für den Beklagten, sondern zugleich Berufungsklägerin in eigener Sache. Zwar darf nach einhelliger Ansicht der Nebenintervenient keine Widerklage erheben (BGH JR 1973, 18; Thomas/Putzo-Putzo a.a.O. § 67 Rz. 13; Zöller-Vollkommer a.a.O. § 67 Rz. 10): Als Nicht-Partei kann die Nebenintervenientin nämlich keine Anträge für sich selbst stellen, um eine Entscheidung über eigene Rechtsbeziehungen zum Gegner der Hauptpartei und/oder Dritten herbeizuführen. Geht der Streithelfer aber gleichwohl in dieser Weise vor, ist zu prüfen, ob darin nicht die Erhebung einer eigenen Klage oder Widerklage liegt, die den Streithelfer im Verhältnis zum Gegner der Hauptpartei seinerseits zur Hauptpartei macht (Schneider MDR 1990, 505, 506) [BGH 19.02.1990 - AnwSt R 11/89]. Unter welchen Voraussetzungen eine solche Widerklage durch Dritte (gegen Dritte) zulässig ist, ist noch ungeklärt (vgl. BGH ZZP 86, 67 = JR 1973, 18 m.Anm. Fenge; Wieser ZZP 86, 36; Schröder AcP 164, 517, 533; Schneider a.a.O.). Dem muss aber nicht weiter nachgegangen werden. Das Landgericht hat die Sachdienlichkeit der nachträglichen subjektiven Klagehäufung bejaht und die beiden Verfahren durch Beschluss vom 2. September 2002 gemäß § 147 ZPO verbunden. Dadurch ist eine Verbindung des neuen Prozesses mit dem alten eingetreten (BGH ZZP 86, 67; Thomas/Putzo-Reichold a.a.O. § 147 Rz. 8). Ob das sinnvoll war, kann durchaus bezweifelt werden. Der Vertreter der Berufungsbeklagten zu 4) weist völlig zu Recht darauf hin, dass "man es sich wirklich einfacher (hätte) machen können." Aber selbst wenn durch das Prozedere des Landgerichts "aus einem relativ einfachen Sachverhalt ein prozessuales Schlachtschiff" entstand, war der Senat an die eingetretene Prozesslage gebunden.
bb)
Die Widerklage der G... ist unbegründet. Insbesondere ist die Beweiswürdigung des Landgerichts nicht zu beanstanden. Der allerdings zunächst nahe liegende Verdacht eines betrügerischen Handelns der Mietvertragsparteien zu Lasten der G... hat sich nicht bestätigt. Es muss vielmehr davon ausgegangen werden, dass die nachträgliche Ergänzung des Mietvertrages lediglich der schriftlichen Fixierung einer früheren mündlichen Absprache diente.
Der Beklagte hat von sich aus 'ohne Not' gegenüber dem Versicherungsvertreter Z... den Nachtrag in dem Mietvertrag eingeräumt. Nach den Bekundungen der Zeugin K... hat der Beklagte auch sofort von einer mündlichen Vereinbarung zur Streupflicht berichtet. Indizien dafür, dass der Vortrag des Beklagten unzutreffend sein könnte, hat der Versicherungsvertreter nach eigenem Bekunden nicht.
Die Eheleute P... und H... B... haben die mündliche Vereinbarung zur Übernahme der Streupflicht bestätigt. Eine solche - wie dem Beklagten bekannt - übliche Übernahme lag bereits deshalb nahe, weil die Vermieter 15 km entfernt wohnten. Die Zeuginnen J... P... und D... L... haben auch bekundet, dass der Beklagte zwischen Einzug und Unfall bei Bedarf gestreut hatte und - so die Zeugin K... - der Vermieter ihm Streusalz gebracht habe.
III.
Die Nebenentscheidungen folgen aus den §§ 97 Abs. 1, 708 Nr. 10, 713 ZPO. Die Kosten des Rechtsmittels waren allein der Nebenintervenientin aufzuerlegen (Zöller-Vollkommer a.a.O. § 67 Rz. 6).
Dr. Herbst
Dr. Lesting