Sozialgericht Aurich
Urt. v. 27.03.2014, Az.: S 55 AS 1055/10

Übernahme der Zinsen aufgrund von ratenweise zu zahlenden Kanalbaubeiträgen der Gemeinde im Rahmen der Grundsicherung für Arbeitssuchende; Anerkennung von Zinsen für Kanalbaubeiträge der Gemeinde als Bedarf für die Unterkunft

Bibliographie

Gericht
SG Aurich
Datum
27.03.2014
Aktenzeichen
S 55 AS 1055/10
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2014, 37532
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:SGAURIC:2014:0327.S55AS1055.10.0A

Tenor:

Der Bescheid vom 3.5.2010 geändert mit Bescheid vom 22.6.2010 in Gestalt eines Widerspruchsbescheides vom 1.9.2010, geändert wieder am 27.10.2010, 10.1.2011 und 17.2.2011 sowie alle weiteren Bescheide für Mai bis Oktober 2010 werden insoweit abgeändert, als der Beklagte weitere 44,79 EUR an Unterkunftskosten zu übernehmen hat. Der Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers zu 75%. Die Berufung wird zugelassen.

Tatbestand

Im Klageverfahren streiten die Beteiligten nach Abgabe von Teilanerkenntnissen des Beklagten noch über die Höhe der vom Beklagten in der Zeit Mai bis Oktober 2010 in rechtmäßiger Weise zu übernehmenden Kosten der Unterkunft des Klägers. In der Sache besteht nur noch Streit darüber, ob Zinsen aufgrund von ratenweise zu zahlenden Kanalbaubeiträgen der Gemeinde im Rahmen des § 22 des Zweiten Buches des Sozialgesetzbuches Grundsicherung für Arbeitssuchende (SGB II) durch den Beklagten zu übernehmen sind.

Der im Jahre 1958 geborene Kläger lebte zumindest seit dem Jahre 2008 im Bereich der örtlichen Zuständigkeit des Beklagten in der Gemeinde G., in H. in der I ...

Zwischen den Beteiligten besteht Streit um die Rechtmäßigkeit eines Bescheides vom 3.5.2010 mit dem Leistungen nach dem SGB II für Mai 2010 bis Oktober 2010 als Darlehen gem. § 23 Abs. 5 SGB II bewilligt wurden. Dieser Bescheid wurde bereits im laufenden Widerspruchsverfahren mit einem Änderungsbescheid vom 22.6.2010 dahingehend geändert, das Krankenversicherungsbeiträge als Bedarf aufgenommen wurden und ein Zuschlag gem. § 24 Abs. 2 SGB II in Höhe von monatlich 41,00 EUR bewilligt wurde. Nach Erlass des insoweit teilweise erfolgreichen Widerspruchsbescheides vom 1.9.2010 erging ein umsetzender Änderungsbescheid am 27.10.2010, mit dem die Einkommensanrechnung des Klägers modifiziert wurde. Mit weiterem Bescheid vom 10.1.2011 wurde die ursprüngliche darlehensweise Bewilligung gem. § 23 Abs. 5 SGB II wegen potenziell verwertbarem Vermögen in eine Bewilligung als Zuschuss umgewandelt und insoweit dem Begehren des Klägers stattgegeben. Mit weiterem Bescheid vom 17.2.2011 wurde für den hier nicht streitigen Monat November 2011 eine Heizkostennachzahlung von 51,89 EUR erbracht und der Zuschlag gem. § 24 SGB II auf die Höhe von 68,00 EUR pro Monat abgeändert.

In den streitigen Bescheiden wurde beim Kläger ein Einkommen aus Vermietung angesetzt, im Monat Mai 2010 ein weiteres Einkommen aus Erzielung von Leistungen des Arbeitslosengeldes I.

Der Kläger wohnt in einer ihm gehörenden Immobilie mit einer Grundfläche von ca. 150 qm auf einem Grundstück von ca. 3.674 qm, hat große Teile dieses Hauses an zwei Mieter vermietet. Er selbst bewohnt noch eine Wohnung von 53,74 qm. Im Grundbuch betreffs der Immobilie ist (unter anderem) eine Sicherungshypothek in Höhe von 2.172,34 EUR zugunsten der Gemeinde G. am 21.10.2008 eingetragen. Mit dieser Hypothek ist abgesichert eine Forderung der Gemeinde aufgrund von Kanalbaubeiträgen zulasten des Grundstücks des Klägers aus dem Jahre 2004. Diese Beiträge sind von der Gemeinde insoweit gestundet, als der Kläger eine monatliche Rate von 30,00 EUR auf die Beiträge zu entrichten hat, die jeweils am ersten eines Monats fällig ist. Im streitigen Zeitraum von Mai 2010 bis Oktober 2010 waren von den Zahlungen insgesamt 44,79 EUR Zinszahlungen. Dies ausweislich eines Zins- und Tilgungsplans der Gemeinde.

Ausweislich der Abrechnung des Energieversorgers vom 21. Oktober 2009 waren im streitigen Zeitraum monatlich für den Kläger und seine Mieter insgesamt 172,00 EUR an Abschlägen für die Belieferung mit Gas zu leisten. Bereits im ersten streitigen Bescheid vom 3.5.2010 war ausdrücklich aufgenommen, dass bis zum 30.10.2010 die vollen tatsächlichen Heizkosten als Bedarf anerkannt werden.

Der Kläger ist nach Abgabe der teilweisen Anerkenntnisse durch den Beklagten und Annahme dieser noch der Auffassung, dass die aufgrund der Kanalbaubeiträge entstehenden Zinsen als Bedarfe für die Kosten der Unterkunft anzuerkennen sind. Diese seien keine Privatschulden und lasteten unmittelbar auf dem Grundstück.

Der Kläger beantragt,

den Bescheid vom 3.5.2010, geändert 22.6.2010, in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 1.9.2010, wiederum geändert 27.10.2010 und 17.2.2011 und durch den Bescheid vom 10.1.2011 insoweit abzuändern, als dass Leistungen nach dem SGB II für Bedarfe der Unterkunft in Höhe der nachgewiesenen Zinsen für Kanalbaubeiträge zu übernehmen sind.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Des Weiteren die Berufung zuzulassen.

Der Beklagte ist der Auffassung, dass dem Kläger keine Leistungen für die Zinsen der Kanalbaubeiträge der Gemeinde zuständen. Es handele sich um Erschließungsbeiträge, die den Kosten des Grunderwerbs zuzurechnen seien und nicht als Bedarfe im Rahmen der Kosten der Unterkunft berücksichtigt werden könnten.

Dem ursprünglichen Begehren des Klägers betreffs des Erhalts zuschussweiser Leistungen entsprach der Beklagte bereits mit Bescheid vom 10.1.2011 im laufenden Gerichtsverfahren. Weitere Begehren bezüglich des Erhalts von Leistungen für die Pflege der Gartenanlage und Kontoführungskosten werden vom Kläger nicht mehr verfolgt. Nachweise sind hierzu auch nicht erbracht.

Die Kammer führte in dieser Angelegenheit am 27.3.2014 eine mündliche Verhandlung durch. In der mündlichen Verhandlung anerkannte der Beklagte das Begehren des Klägers bezüglich des Erhalts höherer Leistungen für die Kosten der Heizung unter Zugrundelegung der anteiligen tatsächlich zu zahlenden Abschläge. Dieses Anerkenntnis wurde durch den Kläger angenommen.

Gegenstand der Entscheidungsfindung war der Inhalt der mündlichen Verhandlung vom 27.3.2014, bezüglich dessen auf das Protokoll verwiesen wird, des Weiteren der Inhalt der Gerichtsakten sowie der vom Beklagten überreichten Verwaltungsvorgänge.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist im tenorierten Umfang begründet. Auch nach Abgabe der teilweisen Anerkenntnisse durch den Beklagten im Gerichtsverfahren bzw. in der mündlichen Verhandlung stellt sich der Bescheid vom 3.5.2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 1.9.2010 und in Gestalt der Änderungsbescheide weiterhin als rechtswidrig in Bezug auf die Leistungen für die Kosten der Unterkunft dar und verletzt den Kläger insoweit in seinen Rechten.

I.

Streitgegenständlich ist in diesem Verfahren der Zeitraum Mai bis Oktober 2010 betreffs der Bewilligungen für laufende Leistungen der Grundsicherung für Arbeitssuchende nach dem SGB II. Hieran ändert sich nichts, auch wenn der Beklagte ausweislich des Widerspruchsbescheides vom 1.9.2010 von einer vorläufigen Leistungsbewilligung im Sinne des § 40 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1a SGB II in Verbindung mit § 328 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 des Dritten Buches des Sozialgesetzbuches Arbeitsförderung (SGB III) ausgeht. Diese Einschätzung dürfte in Anbetracht des Bescheides vom 10.1.2011 nicht zutreffen. Jedenfalls ist für das Gericht aus dem Akteninhalt nicht erkennbar, dass ausdrücklich eine (geänderte) endgültige Entscheidung bezüglich des hier streitigen Zeitraums durch den Beklagten getroffen wurde. Vielmehr dürfte die Entscheidung mit Bescheid vom 10.1.2011 klar stellen, dass der ursprüngliche Bescheid in Gestalt der Änderungsbescheide nunmehr mit diesem Regelungsinhalt für endgültig erklärt worden ist in Bezug auf eine zuschussweise Leistung.

II.

Der streitige Bescheid und damit die Leistungsbewilligungen für die Monate Mai bis Oktober 2010 verstoßen insoweit gegen die Regelungen des § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II, als dass nicht jedenfalls die Zinsen für Kanalbaubeiträge der Gemeinde als Bedarf für die Unterkunft anerkannt sind. Nach der im streitigen Zeitraum geltenden Regelung des § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II werden Leistungen für Unterkunft und Heizung in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen erbracht, soweit diese angemessen sind. Zu diesen Leistungen für die Kosten der Unterkunft und Heizung gehören die für ein Eigenheim aufzuwendenden Kosten. Zu den erstattungsfähigen Aufwendungen für die Unterkunft bei Eigenheimen gehören nach der ständigen Rechtsprechung der Obergerichte alle mit dem Eigentum verbundenen notwendigen Ausgaben, die bei der Berechnung der Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung abzusetzen wären (BSG v. 15.4.2008, Az. B 14/7b AS 34/06 R; BSG v. 3.3.2009, Az. B 4 AS 38/08 R jeweils zitiert nach ). Dabei sei § 7 Abs. 2 der Verordnung zu § 82 des Zwölften Buches des Sozialgesetzbuches Sozialhilfe (SGB XII) entsprechend anzuwenden. Hiernach gehören unter anderem zu den berücksichtigungsfähigen Ausgaben die Steuern zum Grundbesitz, sowie sonstige öffentliche Abgaben und Versicherungsbeiträge, § 7 Abs. 2 Nr. 2 der VO zu § 82 SGB XII. Jedenfalls die vom Kläger nur noch geforderten Zinsen für Kanalbaubeiträge sind sonstigen öffentlichen Abgaben zuzuordnen. Nach § 6, 8 des Niedersächsischen Kommunalabgabengesetzes (NKAG) können Beiträge in Form von Kanalausbaubeiträgen erhoben werden. Die Beiträge lasten nach Auffassung der Kammer in gleicher Weise auf dem Grundstück wie beispielsweise die Grundsteuern. Diese sind jedenfalls zu übernehmen als Kosten der Unterkunft. Öffentliche Lasten sind dabei die auf einem nicht privatrechtlichen Titel beruhenden Abgaben und Leistungen, die auf dem Grundstück nach Gesetz haften. Diese ruhen auch ausweislich der vorgelegten Unterlagen und Grundbuchauszüge bis zur Tilgung als dingliches Recht auf dem Grundstück.

Die Kammer kann es im Falle des hiesigen Verfahrens dahin stehen lassen, ob eine Unterscheidung zwischen werterhaltenden und wertsteigernden Belastungen bzw. Aufwendungen entscheidungserheblich ist. Die vom Kläger alleine begehrten Zinsen stellen jedenfalls keine wertsteigernden Leistungen dar. Sie sind für den Kläger als Grundstückseigentümer im Übrigen auch unausweichlich (vgl. zu allem umfänglich: LSG Sachsen-Anhalt v. 3.3.2011, Az. L 5 AS 181/07 zitiert nach ).

Die Höhe der entsprechenden Zinsleistungen ergibt sich aus dem vom Kläger vorgelegten Unterlagen der Gemeinde G. (Zins- und Tilgungsplan) und erreichen bezüglich des streitigen Zeitraumes von Mai bis Oktober 2010 insgesamt 44,79 EUR, die demnach als weitere Kosten der Unterkunft durch den Beklagten zu übernehmen waren.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG). Der Kläger ist im Ergebnis aufgrund dieser Entscheidung und aufgrund der teilweisen Anerkenntnisse des Beklagten zu großen Teilen obsiegt. Das zentrale Begehren der Erlangung zuschussweiser Leistungen wurde erreicht. Bezüglich der weiteren Begehren der Erzielung höherer Leistungen nimmt das Gericht im Ergebnis ein hälftiges Obsiegen des Klägers bezüglich der Leistungshöhe an. Dies in Bezug auf einen Teil der von ihm begehrten Heizkosten und die Zinsen der Kanalbaubeiträge. Ein Unterliegen liegt vor bezüglich der noch darüber hinausgehend begehrten Heizkosten und der Kanalbaubeiträge als solcher. Dies aufgrund der Rücknahme der entsprechenden Begehren durch den Kläger.

Die Berufung war nicht gem. § 144 Abs. 1 SGG zulässig, da der maßgebliche Streitwert nicht erreicht war. Die Berufung war jedoch gem. § 144 Abs. 2 Satz 1 SGG zuzulassen. Die Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung. Es ist auch nach umfänglicher Recherche keine Entscheidung des zuständigen Obergerichtes bezüglich Kanalbaubeiträgen bzw. Erschließungsbeiträgen erkennbar. Des Weiteren befasst sich die auffindbare Entscheidung eines anderen Obergerichtes nicht mit Kanalbaubeiträgen und basiert auf dem Kommunalrecht eines anderen Bundeslandes (vgl. oben). Von daher misst die Kammer der Rechtssache grundsätzliche Bedeutung insbesondere in Anbetracht der Tatsache, dass bei Wohnungs- und Hauseigentümern kommunale Abgaben regelmäßig erhoben werden zu.

Nippen