Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Urt. v. 13.04.1994, Az.: 4 L 6200/93
Beantragung der Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung des Beigeladenen; Zustimmung der Hauptfürsorgestelle bei außerordentlicher Kündigung des Arbeitsverhältnisses eines Schwerbehinderten durch den Arbeitgeber; Möglichkeit einer Gesamtwürdigung des Kündigungsberechtigten nach Zumutbarkeitsgesichtspunkten; Berücksichtigung der auch gegen eine außerordentliche Kündigung des Arbeitnehmers sprechenden Gesichtspunkte im Rahmen einer Arbeitgeberkündigung; Anstellen von Ermittlungen zur Verschaffung einer umfassenden Kenntnis des Kündigungssachverhalts durch den Kündigungsberechtigten; Erfolgen der Kündigung aus einem Grund,der im Zusammenhang mit der Behinderung steht
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 13.04.1994
- Aktenzeichen
- 4 L 6200/93
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 1994, 13957
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OVGNI:1994:0413.4L6200.93.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- VG Stade - 01.11.1993 - AZ: 1 A 15/93
- nachfolgend
- BVerwG - 05.10.1995 - AZ: BVerwG 5 B 73.94
Rechtsgrundlagen
- § 21 Abs. 2 SchwbG
- § 21 Abs. 5 SchwbG
- § 15 SchwbG
- § 626 Abs. 2 BGB
- § 123 GewO a.F.
- § 126 Abs. 1 VwGO
- § 126 Abs. 2 VwGO
Verfahrensgegenstand
Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung
Amtlicher Leitsatz
- 1.
Beruft sich ein Arbeitnehmer erstmals mit der Klage gegen die außerordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses auf seine Schwerbehinderteneigenschaft, kann der Arbeitgeber innerhalb von zwei Wochen nach Erlangung der Kenntnis von der Schwerbehinderteneigenschaft die Zustimmung der Hauptfürsorgestelle zu einer (erneuten) außerordentlichen Kündigung beantragen (wie BAGE 39, 59).
- 2.
In einem solchen Fall ist es jedenfalls nicht (im Sinne von BVerwGE 90, 275) "offensichtlich" ausgeschlossen, daß der Arbeitgeber die Kündigung auch dann noch unverzüglich nach Erteilung der Zustimmung erklären kann, wenn die Frist des § 626 Abs. 2 BGB bei Ausspruch der ersten Kündigung schon abgelaufen gewesen sein sollte.
Der 4. Senat des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts hat
auf die mündliche Verhandlung vom 13. April 1994
durch
den Vorsitzenden Richter am Oberverwaltungsgericht Klay,
den Richter am Oberverwaltungsgericht Willikonsky und
den Richter am Oberverwaltungsgericht Claus sowie
die ehrenamtlichen Richterinnen Bez und Baumann
für Recht erkannt:
Tenor:
Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Stade - 1. Kammer - vom 1. November 1993 teilweise geändert.
Der Bescheid des Landessozialamtes Niedersachsen vom 10. Juli 1992 und sein Widerspruchsbescheid vom 29. Dezember 1992 werden aufgehoben, soweit die Zustimmung zu einer noch auszusprechenden Kündigung versagt worden ist.
Der Beklagte wird verpflichtet, die Zustimmung zu einer noch auszusprechenden außerordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses mit dem Beigeladenen durch die Klägerin zu erteilen.
Gerichtskosten werden nicht erhoben. Die außergerichtlichen Kosten des Rechtsstreits tragen die Klägerin zu einem Viertel und der Beklagte und der Beigeladene als Gesamtschuldner zu drei Vierteln. Insoweit ist das Urteil vorläufig vollstreckbar.
Der Beigeladene darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 1.000,- DM, der Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 1.500,- DM abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung jeweils Sicherheit in derselben Höhe leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Klägerin begehrt die Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses des Beigeladenen.
Der 55 Jahre alte Beigeladene ist Schwerbehinderter (Bescheid des Versorgungsamtes ... vom 7.10.1991 - 36 152 78-5341 6 -; GdB 50). Er wurde am 1. Februar 1963 als Leiter der ... von der Klägerin, einem Verlags- und Druckereiunternehmen, eingestellt. Im Juli 1970 wurde er Betriebsleiter. Im Jahre 1975 wurde ihm Gesamtprokura erteilt. Gemäß dem Einstellungsvertrag vom 21. Dezember 1976 wurde er gemeinsam mit einem weiteren Geschäftsführer damit betraut, den geschäftsführenden Gesellschafter zu unterstützen und im Verhinderungsfalle zu vertreten. Als besonderes Arbeitsgebiet wurde ihm die gesamte technische Leitung übertragen. Der monatliche Verdienst des Beigeladenen betrug zuletzt etwa 12.000,- DM brutto. Gemäß Nr. 5 Abs. 2 einer Vereinbarung über die Alters- und Witwenversorgung vom 1. Juli 1970 i.V.m. § 4 des Anstellungsvertrages vom 21. Dezember 1976 kann das Dienstverhältnis des Beigeladenen nach 25-jähriger Betriebszugehörigkeit nur aus Gründen gelöst werden, welche dieses nach § 626 BGB und § 123 GewO (a. F.) ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist zulassen.
Nach dem Ausscheiden des weiteren Geschäftsführers war der Beigeladene zeitweise auch für die kaufmännische Verlagsleitung zuständig. Zum 1. Oktober 1990 stellte die Klägerin einen Herrn ... als zweiten Geschäftsführer (zuständig für die Bereiche Anzeigen und Vertrieb) ein. Mit Schreiben vom 4. März 1991 gab sie den Mitarbeitern bekannt, daß Herr ... zum Verlagsleiter und Mitglied der Geschäftsführung berufen worden sei und ihm alle Mitarbeiter des Verlagsbereiches einschließlich der Buchhaltung unterstellt seien. Die Mitarbeiter des Bereiches Technik blieben weiterhin dem Beigeladenen unterstellt. Diesem teilte die Klägerin zugleich mit, daß ihm die unmittelbare Verlagsleitung entzogen sei.
Schon vor der Einstellung des Herrn ... hatte der Beigeladene gegen diesen Vorbehalte und Bedenken geäußert. Nach dessen Einstellung kam es zunehmend zu Spannungen zwischen der Klägerin und dem Beigeladenen. Mit Schreiben vom 26. Februar 1991 wurde der Beigeladene wegen verschiedener Vorfälle abgemahnt.
Der Beigeladene erhob gegen die Abmahnung sowie gegen den Entzug der Mitverantwortung für die Verlagsleitung bei dem Arbeitsgericht Verden Klage. Das Gericht erhob über die in dem Abmahnungsschreiben enthaltenen Vorwürfe durch Zeugenvernehmung Beweis, u. a. zu der Behauptung der Klägerin, der Beigeladene habe am 13.9.1990 in der Gaststätte ... in ... andere Mitarbeiter der Firma zu Maßnahmen gegen die beabsichtigte Einstellung des Herrn ... veranlaßt. Hierzu gab der Zeuge ... bei seiner Vernehmung am 31. Oktober 1991 u. a. an: "Was mir aber aus dem Gespräch in der ... besonders in Erinnerung geblieben ist, ist eine Äußerung des Herrn ..., der Fall ... werde sich nicht so schnell erledigen wie der Fall ... Herr ... sollte etwa ein Jahr vorher den kaufmännischen Bereich übernehmen, war aber nur wenige Tage im Hause." Der Zeuge ... fügte bei seiner Vernehmung seinen Angaben zu dem Gespräch in der ... hinzu:
"Wenn ich jetzt darüber nachdenke, fällt mir insbesondere noch ein, daß Herr ... sagte, so schnell wie die Sache ... werden wir das nicht über den Tisch kriegen, aber die Probezeit dürfte Herr ... nicht überstehen." Das Arbeitsgericht wies die Klage durch Teilurteil vom 31. Oktober 1991 (2 Ca 278/91) ab, weil die in dem Abmahnungsschreiben gegen den Kläger erhobenen Vorhaltungen berechtigt seien. Im übrigen setzte es das Verfahren bis zur Entscheidung über eine inzwischen anhängig gewordene Kündigungsschutzklage (2 Cs 549/91) aus, über die Berufung gegen das Teilurteil hat das Landesarbeitsgericht Niedersachsen noch nicht entschieden (14 Sa 1585/93).
Äußerungen des Prozeßbevollmächtigten des Beigeladenen in dem arbeitsgerichtlichen Verfahren in einem Schriftsatz vom 14. Mai 1991 veranlaßten die Klägerin, mit Schriftsatz vom 7. Juni 1991 das Arbeitsverhältnis mit dem Beigeladenen zu kündigen. Auf die gegen diese Kündigung gerichtete Klage stellte das Arbeitsgericht Verden mit Urteil vom 26. November 1991 fest, daß das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung weder fristlos aufgeklärt ist noch zum 30. Juni 1992 beendet wird und daß die hilfsweise ausgesprochene Änderungskündigung sozial ungerechtfertigt ist (2 Ca 549/91). Die Berufung der Klägerin wies das Landesarbeitsgericht Niedersachsen auf die mündliche Verhandlung vom 14. Mai 1992 mit Urteil vom 21. August 1992 zurück (9 Sa 1650/91).
Mit einem Schreiben vom 29. Mai 1992 sprach die Klägerin erneut die außerordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses des Beigeladenen aus. Mit Schreiben vom 26. Juni 1992 beantragte die Klägerin bei dem Landessozialamt Niedersachsen - Hauptfürsorgestelle - (Funktionsvorgänger des Beklagten) die nachträgliche Zustimmung zu dieser außerordentlichen Kündigung, hilfsweise die Zustimmung für eine noch auszusprechende außerordentliche Kündigung. Zur Begründung trug sie vor: Erst mit der Kündigungsschutzklage vom 18. Juni 1992 habe der Beigeladene bekanntgegeben, daß er Schwerbehinderter sei. Ihr Antrag rechtfertige sich dadurch, daß sie (erst) am 27. Mai 1992 erfahren habe, daß der Beigeladene (seinerzeit im Jahre 1989) die wirksame Arbeitsaufnahme eines neuen weiteren Geschäftsführers, nämlich des Herrn Sprengler, dadurch verhindert habe, daß er andere Mitarbeiter ausdrücklich angewiesen habe, mit diesem nicht zusammenzuarbeiten und ihm Auskünfte zu verweigern. Darüber hinaus habe der Beigeladene im Zusammenhang mit dem Fall Sprengler Aktennotizen über angeblich negative Aussagen dritter Personen angefertigt und dem Arbeitgeber deren Inhalt seinerzeit vorgetragen. Dies habe dazu beigetragen, daß das Dienstverhältnis mit Herrn ... alsbald wieder gelöst worden sei. Der Arbeitgeber habe dem damaligen Vortrag des Beigeladenen vertraut. Nunmehr sei am 27. Mai 1992 durch ausdrückliches Befragen der damaligen Auskunftspersonen bekannt geworden, daß diese die ihnen zugeschriebenen Äußerungen gegenüber dem Beigeladenen energisch bestritten. Es habe sich nunmehr auch gezeigt, daß das Verhalten des Beigeladenen im Fall ... keinesfalls eine Einzelerscheinung gebildet habe.
Der Beigeladene erklärte demgegenüber in seiner schriftlichen Stellungnahme und während der Einigungsverhandlung vom 6. Juli 1992, der Klägerin seien alle wesentlichen Verdachtsmomente im "Fall ..." spätestens seit der Zeugenvernehmung in der Sitzung des Arbeitsgerichts Verden vom 31. Oktober 1991, während der der geschäftsführende Gesellschafter der Klägerin persönlich anwesend gewesen sei, hinreichend bekannt gewesen, so daß der Antrag verfristet sei.
Das Arbeitsamt gab eine Stellungnahme gem. § 17 Abs. 2 SchwbG ab. Der Betriebsrat lehnte im Hinblick darauf, daß der Beigeladene leitender Angestellter sei, eine Stellungnahme ab. Eine Schwerbehindertenvertretung besteht bei der Klägerin nicht.
Mit Bescheid vom 10. Juli 1992 wies die Hauptfürsorgestelle den Antrag der Klägerin als unzulässig zurück und führte zur Begründung aus: Eine nachträgliche Zustimmung könne bereits wegen des eindeutigen Gesetzeswortlautes (§ 21 Abs. 1 i.V.m. § 15 SchwbG) nicht ausgesprochen werden. Auch der hilfsweise gestellte Antrag bleibe erfolglos, weil der Antrag nur innerhalb von zwei Wochen, nachdem der Arbeitgeber von den für die Kündigung maßgeblichen Tatsachen Kenntnis erlangt habe, gestellt werden könne. Mit der Zeugenvernehmung in der öffentlichen Sitzung des Arbeitsgerichts Verden vom 31. Oktober 1991 seien der Klägerin hinreichende Verdachtsmomente bekannt geworden, die sie zumindest hätten veranlassen müssen, unverzüglich den Sachverhalt weiter zu ermitteln. Zwischen dem Bekanntwerden der Verdachtsmomente und der im Mai 1992 tatsächlich erneut durchgeführten Befragung der damaligen Zeugen lägen sieben Monate, so daß von einer unverzüglichen Aufnahme der Ermittlungen und Klärung des Sachverhaltes nicht mehr gesprochen werden könne. Der Antrag auf Zustimmung zu einer noch auszusprechenden außerordentlichen Kündigung sei deshalb verfristet.
Der gegen die Entscheidung der Hauptfürsorgestelle von der Klägerin eingelegte Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 29. Dezember 1992 zurückgewiesen. In der Begründung heißt es im wesentlichen: Auch nach Auffassung des Widerspruchsausschusses hätten sich durch die Zeugenvernehmung vom 31. Oktober 1991 hinreichende Verdachtsmomente ergeben, die die Klägerin zum Anlaß für eine unverzügliche weitere Aufklärung des Sachverhalts hätten nehmen müssen.
Mit der Klage hat die Klägerin ihr Begehren weiter verfolgt und vorgetragen: Die Ablehnung der Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung sei rechtswidrig, weil sie, die Klägerin, aufgrund der Beweisaufnahme im arbeitsgerichtlichen Verfahren noch nicht verpflichtet gewesen sei, sofort Ermittlungen aufzunehmen. Die Aussagen der Zeugen hätten nicht zwingend den Schluß zugelassen, daß der Beigeladene sich im Fall ... so illoyal und intrigant verhalten habe, wie sich dies später herausgestellt habe. Aus der Sicht eines objektiven Beobachters sei aus den Aussagen vielmehr lediglich der Schluß zu ziehen gewesen, daß der Beigeladene mit der Einstellung und Beschäftigung des Herrn ... nicht einverstanden gewesen sei. Dies allein habe jedoch nicht als hinreichender Anfangsverdacht ausgereicht. Die beiden von ihr benannten Zeugen hätten während der Beweisaufnahme nur Aussagen gemacht, die ihr schon vorher bekannt gewesen seien. In den umfangreichen Vorgesprächen habe sich ebenfalls nicht der geringste Anhaltspunkt dafür ergeben, daß es nicht nur im Fall ... zu einer Verschwörung unter Führung des Beigeladenen gekommen sei. Ein weiteres Nachforschen sei daher zwecklos gewesen. Die beiden Zeugen seien an sie, die Klägerin, erst wieder herangetreten, als sie nach der mündlichen Verhandlung vor dem Landesarbeitsgericht Niedersachsen vom 14. Mai 1992 hätten befürchten müssen, daß der Beigeladene wieder in die Firma zurückkehren werde. Sodann habe sie unverzüglich gehandelt.
Die Klägerin hat beantragt,
den Bescheid des Landessozialamtes Niedersachsen vom 10. Juli 1992 in der Form des Widerspruchsbescheides vom 29. Dezember 1992 aufzuheben und das Landessozialamt zu verpflichten, der außerordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses des Beigeladenen nachträglich zuzustimmen,
hilfsweise,
einer noch auszusprechenden außerordentlichen Kündigung zuzustimmen.
Der Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er hat sich zur Begründung im wesentlichen auf den Inhalt der angefochtenen Bescheide bezogen.
Der Beigeladene hat beantragt,
die Klage abzuweisen,
und ausgeführt: Die ohne vorherige Zustimmung der Hauptfürsorgestelle ausgesprochene fristlose Kündigung vom 29. Mai 1992 habe die Klägerin bereits mit Schriftsatz vom 2. Oktober 1992 aufgehoben, so daß der Hauptantrag unzulässig sei. Der Antrag auf Erteilung der Zustimmung zu einer künftigen fristlosen Kündigung sei unbegründet, weil er an der Fristversäumung durch die Klägerin scheitere.
Das Verwaltungsgericht hat die Klage mit Urteil vom 1. November 1993 abgewiesen. Es hat ausgeführt: Die Klage sei mit ihrem Hauptantrag unzulässig, da die Klägerin die fristlose Kündigung vom 29. Mai 1992 inzwischen selbst aufgehoben habe. Für die Klage habe daher von Anfang an ein Rechtsschutzinteresse nicht vorgelegen.
Auch der Hilfsantrag bleibe ohne Erfolg. Gemäß § 21 Abs. 2 SchwbG könne die Zustimmung zur Kündung nur innerhalb von zwei Wochen beantragt werden. Die Frist beginne mit dem Zeitpunkt, in dem der Arbeitgeber von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlange. Bei Versäumung der in § 21 Abs. 2 SchwbG bestimmten Antragsfrist habe die Hauptfürsorgestelle nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Beschl. v. 15.3.1989 - BVerwG 5 B 23.89 -, Buchholz Nr. 2 zu § 21) den Antrag auf Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung ohne weitere Prüfung abzulehnen, wodurch der Arbeitgeber sein Recht zur außerordentlichen Kündigung endgültig verliere. Die Klägerin habe die Frist des § 21 Abs. 2 SchwbG hier versäumt, weil die Person, die zum Ausspruch der Kündigung befugt sei - der geschäftsführende Gesellschafter - an der Beweisaufnahme vor dem Arbeitsgericht Verden teilgenommen und dadurch jedenfalls soviel Kenntnis von den zur Kündigung berechtigenden Umstände erlangt habe, daß Anlaß zur Einleitung weiterer Ermittlungen über den Sachverhalt bestanden habe. Eine Hemmung des Beginns der Ausschlußfrist komme nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts nur solange in Betracht, wie der Kündigungsberechtigte aus verständlichen Gründen mit der gebotenen Eile noch Ermittlungen anstelle. Diese vom Bundesarbeitsgericht zu § 626 BGB entwickelten Grundsätze seien auf die Ausschlußfrist des § 21 Abs. 2 SchwbG ebenso anwendbar. Durch seine Teilnahme an der Beweisaufnahme durch das Arbeitsgericht am 31. Oktober 1991 habe der geschäftsführende Gesellschafter der Klägerin hinreichende Kenntnis von Umständen erlangt, die ihn zur Prüfung hätten veranlassen müssen, ob jetzt eine außerordentliche Kündigung gerechtfertigt sei. Die Zeugen ... und ... hätten übereinstimmend den Fall des früheren kaufmännischen Leiters ... angesprochen. Wenn die Zeugen im Zusammenhang mit der Prüfung der Illoyalität des Beigeladenen gegenüber seiner Firma übereinstimmend erklärten, daß ihnen insbesondere die Aussage des Beigeladenen während des Treffens in der "..." am 13. September 1990 in Erinnerung geblieben sei, so sei damit ein weiterer gravierender Fall von Illoyalität des Beigeladenen angesprochen worden. Mit ihrer Auffassung, mit den Zeugen sei bereits vor deren Aussage alles ausführlich besprochen gewesen und die Zeugen hätten keine Aussagen gemacht, die der Klägerin nicht bereits vorher bekanntgewesen wären, weitere Nachforschungen wären aber völlig zwecklos gewesen, verkenne die Klägerin den Schutzzweck des § 21 Abs. 2 SchwbG. Der Schwerbehinderte solle darauf vertrauen können, daß ihm nach Ablauf der dort bestimmten Frist nicht mehr außerordentlich gekündigt werden könne. Dazu müsse ihm bekannt sein, daß der Arbeitgeber Kenntnis von den maßgeblichen Umständen habe, die diesen gegebenenfalls zu weiteren Ermittlungen veranlassen könnten. Wenn die Klägerin tatsächlich von diesen Aussagen bereits früher erfahren habe, so spreche dies dafür, daß der Lauf der Frist nicht erst durch die Aussagen vor dem Arbeitsgericht in Gang gesetzt worden sei. Vielmehr habe dann der Arbeitgeber bereits vor diesem Termin Kenntnis erlangt mit der Folge, daß die Frist noch früher abgelaufen gewesen sei.
Gegen dieses Urteil richtet sich die Berufung der Klägerin. Die Klägerin beantragt sinngemäß,
das angefochtene Urteil teilweise zu ändern, den Bescheid des Landessozialamtes Niedersachsen vom 10. Juli 1992 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 29. Dezember 1992 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, einer noch auszusprechenden außerordentlichen Kündigung zuzustimmen.
Im übrigen hat die Klägerin die Berufung in der mündlichen Verhandlung zurückgenommen.
Der Beklagte und der Beigeladene beantragen,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verteidigen das angegriffene Urteil.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten und die Akten des Arbeitsgerichts bzw. Landesarbeitsgerichts (2 Ca 549/91 - bzw. 9 Sa 1650/91; 2 Cs 278/91 bzw. 14 Sa 1585/93) Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Soweit die Klägerin mit der Berufung zunächst die Verpflichtung des Beklagten begehrt hat, der mit Schreiben vom 29. Mai 1992 ausgesprochenen außerordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses des Beigeladenen nachträglich zuzustimmen, ist das Berufungsverfahren beendet, nachdem die Klägerin die Berufung insoweit zurückgenommen hat (§ 126 Abs. 1 und 2 VwGO).
Im übrigen ist die Berufung der Klägerin begründet. Der Beklagte ist verpflichtet, einer noch auszusprechenden außerordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses des Beigeladenen durch die Klägerin zuzustimmen.
Gemäß § 21 Abs. 1 i.V.m. § 15 des Gesetzes zur Sicherung der Eingliederung Schwerbehinderter in Arbeit, Beruf und Gesellschaft (Schwerbehindertengesetz - SchwbG) bedarf die außerordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses eines Schwerbehinderten durch den Arbeitgeber der vorherigen Zustimmung der Hauptfürsorgestelle. § 21 Abs. 2 SchwbG bestimmt, daß die Zustimmung zur Kündigung nur innerhalb von zwei Wochen beantragt werden kann; maßgebend ist der Eingang des Antrages bei der Hauptfürsorgestelle (Satz 1). Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Arbeitgeber von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt (Satz 2). Diese Frist hat die Klägerin eingehalten.
Die Frage, wann der Arbeitgeber "Kenntnis erlangt" hat, ist entsprechend den zu § 626 Abs. 2 BGB entwickelten Grundsätzen zu beantworten (zusammenfassend BAG, Urt. v. 10.6.1988 - 2 AZR 25/88 -, AP § 626 BGB Ausschlußfrist Nr. 27 = NJW 1989, S. 733; Schaub, Arbeitsrechthandbuch, 7. Aufl. 1992, § 179 III; Dörner, SchwbG, Stand: Dezember 1993, Anm. II zu § 21; Cramer, SchwbG, Komm., 4. Aufl. 1992; Anm. 4 zu § 15). Danach kommt es für den Fristbeginn auf die sichere und möglichst vollständige positive Kenntnis der für die Kündigung maßgebenden Tatsachen an; Unkenntnis genügt nicht, selbst wenn sie auf grober Fahrlässigkeit beruht. Unter den Tatsachen, die für die Kündigung maßgebend sind, sind im Sinne der Zumutbarkeitserwägungen sowohl die für als auch die gegen die Kündigung sprechenden Umstände zu verstehen. Es genügt somit nicht die Kenntnis des konkreten, die Kündigung auslösenden Anlasses, d. h. des "Vorfalls", der einen wichtigen Grund darstellen könnte. Dem Kündigungsberechtigten muß eine Gesamtwürdigung nach Zumutbarkeitsgesichtspunkten möglich sein. Bei der Arbeitgeberkündigung gehören deswegen zum Kündigungssachverhalt auch die für den Arbeitnehmer und gegen eine außerordentliche Kündigung sprechenden Gesichtspunkte. Dabei darf der Beginn der Ausschlußfrist des § 626 Abs. 2 BGB allerdings nicht länger als unbedingt nötig hinausgeschoben werden. Sie ist nur solange gehemmt, wie der Kündigungsberechtigte aus verständigen Gründen mit der gebotenen Eile noch Ermittlungen anstellt, die ihm eine umfassende und zuverlässige Kenntnis des Kündigungssachverhalts verschaffen sollen (BAG, Urt. v. 10.6.1988, a.a.O.).
Der Lauf der Frist des § 21 Abs. 2 SchwbG kann allerdings nicht beginnen, solange dem Arbeitgeber die Schwerbehinderteneigenschaft des Arbeitnehmers nicht bekannt ist. Solange der Arbeitnehmer seine Schwerbehinderteneigenschaft dem Arbeitgeber nicht mitgeteilt hat, besteht für den Arbeitgeber weder ein rechtlicher noch ein tatsächlicher Grund, das Zustimmungsverfahren nach § 21 SchwbG einzuleiten. Die Kenntnis des Arbeitgebers von der Schwerbehinderteneigenschaft des Arbeitnehmers gehört deshalb zu den für die außerordentliche Kündigung maßgebenden Tatsachen im Sinne des § 21 Abs. 2 Satz 2 SchwbG. Auch kann die Kenntnis von der Schwerbehinderteneigenschaft den Arbeitgeber im Einzelfall dazu bewegen, anstelle der zunächst erklärten oder beabsichtigten außerordentlichen Kündigung nur eine ordentliche Kündigung auszusprechen. Dies kann insbesondere dann der Fall sein, wenn die Kündigung aus einem Grund erfolgt, der im Zusammenhang mit der Behinderung steht. Im übrigen ist die Schwerbehinderteneigenschaft eines Arbeitnehmers ein wichtiges Beurteilungselement bei der auch im Fall einer außerordentlichen Kündigung vorzunehmen umfassenden Interessenabwägung. Die zweiwöchige Ausschlußfrist des § 21 Abs. 2 Satz 1 SchwbG beginnt also erst (frühestens) mit der Erlangung der Kenntnis des Arbeitgebers von einer bereits festgestellten oder beantragten Schwerbehinderteneigenschaft zu laufen. Beruft sich ein Arbeitnehmer erstmals mit der Klage gegen die außerordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses auf seine Schwerbehinderteneigenschaft, kann der Arbeitgeber innerhalb von zwei Wochen nach Erlangung der Kenntnis von der Schwerbehinderteneigenschaft die Zustimmung der Hauptfürsorgestelle zu einer (erneuten) außerordentlichen Kündigung beantragen (BAG, Urt. v. 14.5.1982 - 7 AZR 1221/79 -, BAGE 39, S. 59 = AP § 18 SchwbG Nr. 4 = BB 1983, S. 836 = NJW 1982, S. 2144 = Der Betrieb 1982, S. 1778). Danach ist hier die Frist des § 21 Abs. 2 SchwbG gewahrt.
Der Beigeladene ist jedenfalls seit 1991 als Schwerbehinderter anerkannt, hat dies der Klägerin aber zunächst nicht offenbart. Zwischen den Beteiligten ist unstreitig, daß der Beigeladene erst mit der Kündigungsschutzklage vom 18. Juni 1992 seine Eigenschaft als Schwerbehinderter bekanntgegeben hat. Die Klägerin hat mit Schreiben vom 26. Juni 1992 bei der Hauptfürsorgestelle die Zustimmung zu der außerordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses des Beigeladenen beantragt. Sie hat damit die Frist des § 21 Abs. 2 Satz 1 SchwbG eingehalten.
Nach § 21 Abs. 4 SchwbG soll die Hauptfürsorgestelle die Zustimmung erteilen, wenn die Kündigung aus einem Grunde erfolgt, der nicht im Zusammenhang mit der Behinderung steht. Diese Voraussetzung ist hier erfüllt. Die Beteiligten sind sich zu Recht darüber einig, daß zwischen den Kündigungsgründen und den vom Versorgungsamt festgestellten Behinderungen des Beigeladenen ein Zusammenhang nicht besteht. Es liegen auch nicht Anhaltspunkte für die Annahme vor, es handele sich um einen atypischen Fall, in dem ausnahmsweise die Zustimmung nicht oder nur nach Maßgabe einer Interessenabwägung zu erteilen ist.
In der Regel hat die Hauptfürsorgestelle nicht darüber zu entscheiden, ob der von dem Arbeitgeber für die beabsichtigte Kündigung herangezogene Sachverhalt die Annahme rechtfertigt, daß ein wichtiger Grund für die Kündigung im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB vorliegt. Das Bundesverwaltungsgericht hat offen gelassen, ob etwas anderes dann gilt, wenn die von dem Arbeitgeber geltend gemachten Gründen eine außerordentliche Kündigung offensichtlich nicht zu rechtfertigen vermögen (BVerwG, Urt. v. 2.7.1992 - BVerwG 5 C 39.90 -, BVerwGE 90, S. 275 = DVBl. 1992 S. 1487 = NVwZ 1993 S. 588 - LS -). Die letztgenannte Frage braucht auch der Senat in diesem Verfahren nicht zu entscheiden. Denn in einem Fall wie diesem ist es jedenfalls nicht "offensichtlich" ausgeschlossen, daß der Arbeitgeber die Kündigung auch dann noch unverzüglich nach Erteilung der Zustimmung erklären kann, wenn die Frist des § 626 Abs. 2 BGB bei Ausspruch der ersten Kündigung schon abgelaufen gewesen sein sollte. § 21 Abs. 5 SchwbG bestimmt, daß die Kündigung auch nach Ablauf der Frist des § 626 Abs. 2 Satz 1 BGB erfolgen kann, wenn sie unverzüglich nach Erteilung der Zustimmung erklärt wird. Die Frage, ob diese Modifizierung der arbeitsrechtlichen Kündigungsfrist durch eine Vorschrift des Schwerbehindertengesetzes dann nicht gilt, wenn der Arbeitgeber die Frist des § 626 Abs. 2 BGB unabhängig davon versäumt haben sollte, daß er die Schwerbehinderteneigenschaft des Arbeitnehmers nicht gekannt hat, ist nicht von der Hauptfürsorgestelle und den Verwaltungsgerichten, sondern in einem weiteren (späteren) Kündigungsschutzverfahren von den Arbeitsgerichten zu entscheiden. Diese haben dann auch zu prüfen, ob der Einwand des Beklagten und des Beigeladenen zutrifft, die Anwendung des § 21 Abs. 5 SchwbG in Fällen dieser Art. führe dazu, daß der Schwerbehinderte allein deshalb schlechter als ein Nichtbehinderter gestellt werde, weil er sich auf seine Schwerbehinderteneigenschaft berufen habe, und ein solches Ergebnis verkehre den Schutz des Schwerbehindertengesetzes in sein Gegenteil. Diesem Argument könnte entgegengehalten werden: Der Schwerbehinderte müsse den Schutz des Schwerbehindertengesetzes nicht in Anspruch nehmen, seine Schwerbehinderteneigenschaft also nicht offenbaren, wenn er sich sicher sei, wie ein Nichtbehinderter die außerordentliche Kündigung allein mit der Berufung darauf zu Fall bringen zu können, der Arbeitgeber habe die Frist des § 626 Abs. 2 BGB versäumt. Berufe er sich aber (zusätzlich) auf den Schutz des Schwerbehindertengesetzes - mit der Folge, daß die vom Arbeitgeber in Unkenntnis von der Schwerbehinderteneigenschaft ausgesprochene Kündigung allein aus diesem Grund unwirksam sei -, nehme er in Kauf, daß für den Arbeitgeber für die erneut auszusprechende Kündigung neue Fristen in Gang gesetzt würden. Schon die Darstellung dieser für und gegen ein bestimmtes Ergebnis sprechenden Erwägungen zeigt, daß die arbeitsrechtliche Frage der Wirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung nicht "offensichtlich" zugunsten des Beigeladenen zu beantworten ist. Der Beklagte darf deshalb die Zustimmung zur Kündigung (auch) nicht mit der Begründung verweigern, die Klägerin habe offensichtlich die Frist des § 626 Abs. 2 BGB versäumt.
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1 und 3, 155 Abs. 2 und 188 Satz 2 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
Gründe für eine Zulassung der Revision gemäß § 132 Abs. 2 VwGO liegen nicht vor.
Willikonsky
Claus