Landgericht Braunschweig
Beschl. v. 31.01.2000, Az.: 8 T 1098/99 (656)

Zwangsvollstreckung aus einem vor dem Arbeitsgericht geschlossenen Vergleich ; Zwangsvollstreckung von an das Sozialamt übergeleiteten Ansprüchen auf Arbeitsentgelt, Urlaubsabgeltung, Abfindung und Entschädigung; Freigabe dieser Ansprüche durch das Sozialamt nach Einleitung der Zwangsvollstreckung; Recht des Gläubigers zur Geltendmachung der Ansprüche aus dem Vergleich auch nach Überleitung derselben an das Sozialamt; Anzeige des Übergangs eventueller Ansprüche gegen den Arbeitgeber als Pfändungsbeschluss und Überweisungsbeschluss; Wirkung einer Abtretung der Überleitungsanzeige; Reine Schutzfunktion der Überleitungsanzeige für den Fall eines gesetzlichen Forderungsüberganges; Vereinbarung eines Überleitungsvorbehaltes in einem Vergleich

Bibliographie

Gericht
LG Braunschweig
Datum
31.01.2000
Aktenzeichen
8 T 1098/99 (656)
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2000, 22731
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LGBRAUN:2000:0131.8T1098.99.656.0A

Verfahrensgang

vorgehend
AG Braunschweig - 30.08.1999 - AZ: 26 M 28007/99

Fundstelle

  • Rpfleger 2000, 284

In dem Zwangsvollstreckungsverfahren
hat die 8. Zivilkammer des Landgerichts Braunschweig
durch
den Vorsitzenden Richter am Landgericht ... und
die Richterinnen am Landgericht ... und
...
am 31. Januar 2000
beschlossen:

Tenor:

Die sofortige Beschwerde der Schuldnerin gegen den Beschluß des Amtsgerichts Braunschweig vom 30. August 1999 - 26 M 28007/99 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Beschwerdewert: Wertstufe bis 1.200,- DM.

Gründe

1

I.

Der Gläubiger (früherer Arbeitnehmer der Schuldnerin) betreibt gegen die Schuldnerin die Zwangsvollstreckung aus dem arbeitsgerichtlichen Vergleich der Parteien vor dem Arbeitsgericht Solingen vom 29.06.1999 - 5 Ca 984/99 -, der folgenden Inhalt hat:

"1)
Die Parteien sind sich darüber einig, daß ihr Arbeitsverhältnis aufgrund ordentlicher, betriebsbedingter Kündigung der Beklagten vom 31.03.1999 mit Ablauf des 30.04.1999 beendet worden ist.

2)
Das Arbeitsverhältnis wird bis zu diesem Zeitpunkt ordnungsgemäß abgewickelt.

3)
Die Beklagte verpflichtet sich, für den Monat März 1999 DM 5.000,- brutto (i.W. fünftausend Deutsche Mark) abzüglich am 01.04.1999 netto gezahlter DM 2.000,-(i.W. zweitausend Deutsche Mark) nebst 4 % Zinsen aus dem Nettorestbetrag seit dem 01.04.1999 an den Kläger zu zahlen.

4)
Die Beklagte verpflichtet sich, für den Monat April 1999 DM 5.000,- brutto (i.W. fünftausend Deutsche Mark) nebst 4 % Zinsen aus dem Nettobetrag seit dem 01.05.1999 an den Kläger zu zahlen.

5)
Wegen der Aufgabe des sozialen Besitzstandes zahlt die Beklagte an den Kläger eine Abfindung gem. §§ 9, 10 KSchG i.V.m. § 3 Ziffer 9 EstG in Höhe von DM 6.000,-(i.W. sechstausend Deutsche Mark) fällig am 20.07.1999.

6)
Dieser Vergleich kann von beiden Parteien widerrufen werden durch schriftliche Eingabe bei Gericht eingehend bis zum 13.07.1999."

2

Nachdem der Gläubiger die Vollstreckung wegen der Hauptforderung in Höhe von 11.286,22 DM für erledigt erklärt hat, vollstreckt er jetzt nur noch wegen der Kosten der Zwangsvollstreckung, der Gerichtskosten des Verfahrens, der Kosten seiner anwaltlichen Vertretung im Vollstreckungsverfahren und der Kosten für die Erwirkung eines vorläufigen Zahlungsverbotes am 04.08.1999.

3

Auf Antrag des Gläubigers hat das Amtsgericht Braunschweig am 11.08.1999 einen Pfändungs- und Überweisungsbeschluß erlassen, wonach die angeblichen Ansprüche der Schuldnerin gegen die ... aus der Kontoverbindung Nr. ... gepfändet und dem Gläubiger zur Einziehung überwiesen wurden. Die Schuldnerin hat gegen diesen Pfändungs- und Überweisungsbeschluß mit Schriftsatz vom 24.08.1999 Vollstreckungserinnerung eingelegt und zur Begründung vorgetragen:

4

Mit Schreiben vom 10.06.1999 habe das Arbeitsamt Solingen der Schuldnerin angezeigt, daß die Ansprüche des Gläubigers auf Arbeitsentgelt, Urlaubsabgeltung, Abfindung, Entschädigung oder ähnliche Leistungen aus dem Arbeitsverhältnis auf die Bundesanstalt für Arbeit übergeleitet worden seien (Überleitungsanzeige gemäß § 115 Abs. 1 SGB X). Das Arbeitsamt sei insoweit Gläubiger der Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis geworden, so daß Herr ... nicht mehr darüber verfügen dürfe. Die ... möge beachten, daß sie durch Zahlungen an Herrn ... nicht von ihrer Zahlungspflicht gegenüber dem Arbeitsamt befreit werde.

5

Mit Schreiben vom 14.06.1999 habe das Sozialamt Solingen die Ansprüche des Gläubigers ebenfalls auf sich übergeleitet (§ 90 BSHG).

6

Sowohl das Arbeitsamt als auch das Sozialamt hätten die Schuldnerin aufgefordert, zunächst keinerlei Zahlungen an den Gläubiger zu leisten, bis mitgeteilt werde, in welcher Höhe die durch Herrn ... geltend gemachten Ansprüche tatsächlich übergegangen seien.

7

Das Sozialamt der Stadt Solingen habe die Ansprüche des Gläubigers mit Schreiben vom 03.08.1999, bei der Schuldnerin eingegangen am 04.08.1999, freigegeben. Das Arbeitsamt der Stadt Solingen habe mit Schreiben ohne Datum, bei der Schuldnerin eingegangen am 09.08.1999, die Freigabe erklärt. Nach erfolgter Freigabe habe die Schuldnerin an den Gläubiger unverzüglich (am 11.08.1999), mithin noch vor Zustellung des Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses, gezahlt. Bereits bei Antragstellung am 04.08.1999 sei der Gläubiger nicht mehr berechtigt gewesen, Zahlung an sich zu verlangen. Die Freigabe sei erst nach Einleitung der Zwangsvollstreckung erfolgt. Die Folgen der verspäteten Zahlung habe daher nicht die Schuldnerin zu tragen.

8

Durch Beschluß vom 30.08.1999 hat das Amtsgericht Braunschweig die Vollstreckungserinnerung der Schuldnerin zurückgewiesen. Gegen diesen ihr am 10.09.1999 zugestellten Beschluß hat die Schuldnerin mit Schriftsatz vom 24.09.1999, bei dem Amtsgericht Braunschweig eingegangen am selben Tage, (sofortige) Beschwerde eingelegt.

9

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Verfahrensakten Bezug genommen.

10

II.

Die sofortige Beschwerde der Schuldnerin ist zulässig gemäß §§ 793, 577 Abs. 2 ZPO, insbesondere fristgemäß, hat in der Sache aber keinen Erfolg.

11

Der Gläubiger war auch nach Überleitung seiner Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis berechtigt, die Forderungen aus dem Vergleich vor dem Arbeitsgericht Solingen weiter im eigenen Namen gegen die Schuldnerin geltend zu machen.

12

Die Anzeige des Übergangs eventueller Ansprüche gegen den Arbeitgeber hat nicht die Wirkung eines Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses. Die Bedeutung der Anzeige liegt vielmehr darin, daß das Arbeitsamt bzw. das Sozialamt als neuer Gläubiger nach einem eventuell erfolgten gesetzlichen Forderungsübergang es nicht mehr gegen sich gelten lassen muß, daß die Schuldnerin etwaige Ansprüche für die Zeit nach dem Ende des Arbeitsverhältnisses gegenüber dem alten Gläubiger erfüllt (vgl. Hessisches Landesarbeitsgericht - Beschluß vom 29.06.1998 - 6 Ta 26/98). Die Überleitungsanzeige hat auch nicht die Wirkung einer Abtretung, sondern stellt eine bloße Sicherung zugunsten des Arbeits- bzw. Sozialamtes dar, indem sich Dritte für den Fall des gesetzlichen Forderungsüberganges nicht mehr auf den Rechtsschein der Forderungsinhaberschaft des Altgläubigers berufen können. Die eigentliche Abtretungswirkung hat der Forderungsübergang kraft Gesetzes gemäß §§ 115 Abs. 1 SGB X, 90 BSHG. Ob ein solcher gesetzlicher Forderungsübergang stattgefunden hatte, stand zum Zeitpunkt der Pfändung und des vorläufigen Zahlungsverbotes noch nicht fest. Entsprechende Feststellungen konnten vom Arbeitsamt und vom Sozialamt zu diesem Zeitpunkt noch nicht getroffen werden. Später hat sich jedoch herausgestellt, daß ein solcher Forderungsübergang nicht erfolgt ist, so daß die "Freigabe" der Ansprüche erklärt wurde. Arbeitsamt und Sozialamt sind danach nie Forderungsinhaber geworden. Die Überleitungsanzeige hatte reine Schutzfunktion für den Fall, daß ein gesetzlicher Forderungsübergang stattgefunden hätte.

13

Der Anspruch des Gläubigers auf Zahlung einer Abfindung aufgrund des Vergleiches vor dem Arbeitsgericht Solingen war auch fällig, als der Gläubiger seine Anträge auf Pfändung und Erlaß eines vorläufigen Zahlungsverbotes gestellt hat.

14

Schließen die Parteien einen Abfindungsvergleich, nachdem das Arbeitsverhältnis bereits zu einem früheren Zeitpunkt geendet hat und verpflichtet sich die Arbeitgeberin zur Zahlung einer Abfindung, ohne daß eine besondere Fälligkeitsvereinbarung aufgenommen worden ist oder der Zahlungsanspruch unter den Vorbehalt der Erklärung des Arbeitsamtes über die Geltung einer vorangegangenen Anmeldung eines Anspruchsüberganges gestellt worden wäre, so ist die Abfindung sofort fällig. Leistet die Schuldnerin auf Mahnung nicht, entsteht aufgrund entsprechender Maßnahmen eine Zwangsvollstreckungsgebühr (vgl. Hessisches LAG, a.a.O.).

15

Der von den Parteien geschlossene Vergleich enthält einen solchen Überleitungsvorbehalt nicht. Der vereinbarte Fälligkeitstermin für die Zahlung der Abfindung (13.07.1999) war bei Antragstellung durch den Gläubiger bereits abgelaufen. Einer Mahnung der Schuldnerin bedurfte es daher nicht. Der Gläubiger war aufgrund des abgeschlossenen Vergleiches berechtigt, mit sofortiger Wirkung Zahlung an sich zu verlangen. Um nicht Gefahr zu laufen, durch die Zahlung an den Gläubiger nicht von ihrer Leistungspflicht befreit zu werden, hätte die Schuldnerin die Möglichkeit gehabt, den geschuldeten Betrag unter Ausschluß der Rücknahme zu hinterlegen. Diese Form der Hinterlegung hat Erfüllungsfunktion (§ 378 BGB).

16

Die sofortige Beschwerde der Schuldnerin war aus den genannten Gründen zurückzuweisen.

17

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

Streitwertbeschluss:

Beschwerdewert: Wertstufe bis 1.200,- DM.

Der festgesetzte Beschwerdewert entspricht dem Betrag der Vollstreckungskosten, die zur Zeit noch Gegenstand der Pfändung sind. Hinsichtlich der Hauptforderung hat der Gläubiger auf seine Rechte aus dem Pfändungs- und Überweisungsbeschluß verzichtet (Schriftsatz vom 31.08.1999).