Landgericht Aurich
Urt. v. 08.11.2017, Az.: 12 Ns 310 Js 8712/15 (158/15)

Bibliographie

Gericht
LG Aurich
Datum
08.11.2017
Aktenzeichen
12 Ns 310 Js 8712/15 (158/15)
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2017, 54295
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Tenor:

Die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Amtsgerichts Aurich vom 14.09.2015 (Az. 6 Cs 356/15) wird auf seine Kosten mit der Maßgabe verworfen, dass die verhängte Geldstrafe auf 25 Tagessätze á 30 € herabgesetzt wird.

Die Kosten des Berufungsverfahrens einschließlich des Revisionsverfahrens und notwendigen Auslagen des Angeklagten im Berufungs- wie Revisionsverfahren hat der Angeklagte zu tragen.

Angewendete Vorschriften:§§ 369, 370 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 AO; §§ 25 Abs. 3, 46 Abs. 2 Nr. 4 EStG; § 56 EStDVO [jew. i.d.F. des VZ 2012]; §§ 22, 23 StGB; §§ 465, 473 StPO

Gründe

I.

Mit Urteil des Amtsgerichts Aurich – Strafrichter – vom 14.09.2015 wurde der Angeklagte wegen versuchter Steuerhinterziehung zu einer Geldstrafe von 30 Tagessätzen zu je 30 € verurteilt. Auf die Berufung wurde das amtsgerichtliche Urteil mit Urteil des Landgerichts Aurich vom 23.11.2016 aufgehoben und der Angeklagte freigesprochen. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wiederum wurde das landgerichtliche Urteil mit Urteil des Oberlandesgerichts Oldenburg vom 15.05.2017 mit den Feststellungen aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen, die auch über die Kosten der Revision zu entscheiden hat.

Die Berufung hatte lediglich in dem im Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg.

II.

Nach Durchführung der Berufungshauptverhandlung steht folgender Sachverhalt zur Überzeugung der Kammer fest:

1. Der bislang nicht als vorbestraft geltende, seit einem Schlaganfall im Jahr 2004 zu 50% behinderte 55-jährige Angeklagte ist als Elektroingenieur beim X.-Y. in A. mit einem derzeitigen monatlichen Nettoverdienst in Höhe von etwa 4.000 € tätig. Seit Anfang Januar 2014 ist er wiederverheiratet. Aus erster Ehe sind zwei Söhne hervorgegangen; für den jüngeren Sohn zahlt er monatlichen Unterhalt von über 200 €. Seine derzeitige Ehefrau erzielt aus einer Erwerbsunfähigkeitsrente ebenfalls ein monatliches Einkommen in Höhe von 770 €. Insbesondere infolge der Scheidung hat der Angeklagte monatliche Verbindlichkeiten sowie weitere Unterhaltszahlungen in Höhe von über 2.000 € zu leisten. Daneben trägt er in Raten weiterhin die verfahrensgegenständliche Steuerschuld ab.

2. Der schon seit Jahren steuerlich beim Finanzamt N. geführte, seit Anfang Mai 2011 dauernd von seiner ersten Ehefrau getrennt lebende Angeklagte stellte unter dem 12.01.2012 einen Antrag auf Lohnsteuerermäßigung für den Veranlagungszeitraum 2012. In diesem, vom Angeklagten selbst unterschriebenen Antrag heißt es einleitend und drucktechnisch hervorgehoben:

„Wird Ihnen auf Grund dieses Antrags ein Steuerfreibetrag gewährt - ausgenommen Behinderten-/Hinterbliebenen-Pauschbetrag oder Änderungen bei der Zahl der Kinderfreibeträge - und übersteigt der im Kalenderjahr insgesamt erzielte Arbeitslohn 10.200 €, bei zusammenveranlagten Ehegatten der von den Ehegatten insgesamt erzielte Arbeitslohn 19.400 €, oder wird ein Faktor eingetragen, sind Sie nach § 46 Abs. 2 Nr. 3a oder 4 des Einkommensteuergesetzes verpflichtet, für das Kalenderjahr 2012 eine Einkommensteuererklärung abzugeben.“

Am 13.01.2012 wurden antragsgemäß Werbungskosten in Höhe von 2.810 € abzüglich des Pauschbetrages in Höhe von 1.000 € und zuzüglich eines Pauschbetrages für behinderte Menschen über 570 €, mithin ein Gesamtbetrag in Höhe von 2.380 € verfügt, der dem Angeklagten auf dessen Lohnsteuerkarte als Entlastungsbetrag eingetragen wurde. Aus welchem Grund im Zuge dessen eine Änderung der Steuerklasse am Ende dieses Antrags von Seiten des Finanzamts nicht verfügt wurde, konnte im Rahmen der Beweisaufnahme nicht geklärt werden. Insoweit findet sich für den Angeklagten im EDV-System der Finanzbehörde zur „Anweisungshistorie“ erst wieder unter dem 20.06.2012 der Eintrag „dauernd getrennt lebend“ mit der Gültigkeitsdauer 28.04.2011 bis 13.01.2012 und ab dem 14.01.2012. Gleichwohl blieb – aus ebenfalls nicht mehr feststellbaren Gründen – nach wie vor die Steuerklasse III im EDV-System für die „Sachbearbeitung 2012“ des Angeklagten hinterlegt.

Bereits zuvor, nämlich am 22.11.2011, hatte seine erste Ehefrau ebenfalls einen solchen Ermäßigungsantrag für sich gestellt und in diesem Zusammenhang dem Finanzamt N. ihr Getrenntleben mitgeteilt, woraufhin – anders als beim Angeklagten – in ihrem Antrag eine Änderung in die Steuerklasse II verfügt wurde.

Obwohl der Angeklagte aufgrund der antragsgemäßen Gewährung eines Freibetrags gem. § 39a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG und der Erzielung die o.g. Freigrenzen übersteigender Einkünfte aus nichtselbständiger Tätigkeit gem. §§ 25 Abs. 3, 46 Abs. 2 Nr. 4 EStG verpflichtet war, eine Einkommensteuererklärung bis zum 31.05. des jeweiligen Folgejahres abzugeben, gab er bewusst die für das Kalenderjahr 2012 einzureichende Einkommensteuererklärung nicht bis zum 31.05.2013 gegenüber dem zuständigen Finanzamt N. ab.

Auch wenn sich der Angeklagte insoweit seit dem Getrenntleben von seiner ersten Ehefrau im Mai 2011 bis zu seiner Wiederheirat mit seiner jetzigen Frau im Januar 2014 in einer emotional eskalierenden Scheidungssituation befand, wusste er doch – zumindest gelegentlich – um seine steuerlichen Erklärungspflichten, zumal er diesen in den vorangegangenen Veranlagungszeiträumen stets nachkam und er auch trotz laufenden Scheidungsverfahrens noch in der Lage war, etwa mit Schreiben vom 14.02.2013 selbst die Aussetzung der Vollziehung aus dem Einkommensteuerbescheid 2011 zu beantragen. Ein ebenfalls auf Aussetzung der Vollziehung gerichtetes Schreiben will der Angeklagte bereits unter dem 13.12.2012 verfasst und beim Finanzamt abgegeben haben, wobei – anders als bezüglich des Schreibens vom 14.02.2013 – nicht festgestellt werden konnte, dass dieses den zuständigen Sachbearbeiter tatsächlich auch erreichte bzw. zur Akte gelangte. Dieser Schriftsatz hatte auszugsweise folgenden Wortlaut:

„Durch die Trennung/ Scheidung in diesem Jahr ist mir leider ein grober Fehler unterlaufen! Dieser wurde jetzt durch meinen Steuerberater erkannt und dieser hat mir dann auch dringend geraten mit ihnen Kontakt aufzunehmen. Sie haben mir im letzten Jahr eine Elektronische Lohnsteuerabzugsmerkmale-Mitteilung gesendet. Durch das Wort Elektronische war ich in der Annahme, dass die Lohnsteuerklassenänderung automatisch meinem Arbeitgeber mitgeteilt wird. Meine Dummheit, ich bitte dies zu entschuldigen. Ich bitte um Aussetzung eines Vollzuges gegen mich!“

Der für die Steuerfestsetzung des Angeklagten zuständige Mitarbeiter des Finanzamts N., der Zeuge K., erlangte – bezogen auf den Veranlagungszeitraum 2012 – nach der Antragstellung am 12.01.2012 erst in dem Moment wieder Kenntnis von diesem Verfahren, als aufgrund einer Prüfaufforderung seitens der Oberfinanzdirektion Anfang des Jahres 2014 ihm anhand der dann abgerufenen elektronischen Lohnsteuerbescheinigung bekannt wurde, dass die Lohnsteuer des Angeklagten von dessen Arbeitgeber nach wie vor über die Steuerklasse III abgerechnet wurde, obwohl der Angeklagte nach Steuerklasse I hätte veranlagt werden müssen. Die in diesem Zusammenhang ebenfalls zutage getretene, bislang unterbliebene Abgabe der Steuererklärung 2012 veranlasste den Zeugen K., diesen Sachverhalt zwecks strafrechtlicher Prüfung dem Finanzamt für Fahndung und Strafsachen zu unterbreiten.

Aufgrund dieser Anzeige leitete das Finanzamt für Fahndung und Strafsachen Oldenburg unter dem 23.04.2014 ein Ermittlungsverfahren gegen den Angeklagten wegen der Nichtabgabe der Steuererklärung 2012 ein. Die Einleitungsverfügung wurde dem Angeklagten am 26.04.2014 zugestellt. Daraufhin reichte der Angeklagte am 02.05.2014 die Unterlagen für die Bearbeitung der Einkommensteuererklärung 2012 bei der Steuerberaterkanzlei „A.“ ein und beauftragte – konkludent – diese Kanzlei mit der Erstellung der Steuererklärung, welche auch unter dem 23.05.2014 beim Finanzamt N. einging.

Anhand der – unstreitigen und von der Finanzverwaltung für zutreffend erachteten – Angaben des Angeklagten ergaben sich ein Gesamtbetrag der Einkünfte von 75.929 € und ein zu versteuerndes Einkommen von 61.144 €, welche zu der gesetzlich geschuldeten Einkommensteuer in Höhe von 19.716 € und dem gesetzlich geschuldeten Solidaritätszuschlag in Höhe von 962,94 € führten. Nach Anrechnung der Lohnsteuerabzüge von 14.744 € auf die Einkommensteuer und 561,44 € auf den Solidaritätszuschlag setzte das Finanzamt N. mit Bescheid vom 03.07.2014 die Einkommensteuer und den Solidaritätszuschlag für das Kalenderjahr 2012 in Höhe von 4.972 € bzw. 401,50 € fest. Die Steuerbescheide wurden bestandskräftig. Die Steuerschuld ist bislang zu 2/3 getilgt; es besteht eine Ratenzahlungsvereinbarung zwischen dem Finanzamt und dem Angeklagten.

Dem zuständigen Sachbearbeiter K. wäre eine Steuerfestsetzung in der tatsächlich festgesetzten Höhe allein auf Grundlage der bislang dem Finanzamt N. zur Verfügung stehenden Informationen nicht möglich gewesen. Denn abgesehen davon, dass es angesichts 70.000-80.000 auf einem zentralen Server der Finanzverwaltung hinterlegter Lohnsteuerbescheinigungen in seinem Veranlagungsbezirk faktisch nicht möglich war und nach wie vor ist, gleichsam anlasslos den betreffenden Datensatz zu ziehen, hätte eine zutreffende Veranlagung auf Basis der Lohnsteuerbescheinigung schon deshalb nicht erfolgen können, da diese auf den pauschalen Annahmen des Ermäßigungsverfahrens beruhte und nicht die tatsächlichen steuerlichen Verhältnisse des Angeklagten widerspiegelte, wie diese auch später erklärt wurden. So basierte beispielsweise der antragsgemäß gewährte Freibetrag auf der Annahme, dass der Angeklagte seine Arbeitsstätte an 220 Tagen aufsuchen wird, während dies im Veranlagungszeitraum 2012 tatsächlich nur an 191 Tagen der Fall war. Dies war dem Angeklagten, auf dessen Angaben die gegenüber dem Ermäßigungsantrag abweichenden Feststellungen im Steuerbescheid beruhen, auch bewusst, so dass er nicht mehr ernsthaft darauf vertrauen konnte, dass allein die elektronische Lohnsteuerbescheinigung eine ausreichende Grundlage für eine zutreffende Steuerfestsetzung bildet.

III.

1. Die Feststellungen zu den persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen des Angeklagten beruhen auf dessen glaubhaften Angaben bzw. dem verlesenen Bundeszentralregisterauszug.

2. Die Feststellungen in der Sache wiederum beruhen auf der Einlassung des Angeklagten, soweit dieser gefolgt werden konnte, den Angaben der Zeugen K. und R. sowie den verlesenen und im Protokoll näher bezeichneten Urkunden.

a) Der Angeklagte hat sich (zunächst) dahingehend eingelassen, dass er – durch seine Unterschrift auf dem Formular bestätigt – den Antrag auf Lohnsteuerermäßigung 2012 selber gestellt habe. Nachdem er Anfang 2013 von seinem Arbeitgeber die Lohnsteuer-Bescheinigung für das Jahr 2012 erhalten habe, habe er diese mit seinen Unterlagen und relevanten Belegen – wie auch in den Vorjahren – seinem Steuerberater „A.“ in N. übergeben. Er habe seitdem nichts mehr gehört und glaubt nunmehr, nach längerer Zeit per E-Mail oder per Telefon beim Steuerberater nachgefragt zu haben, wann die Steuererklärung erstellt werde. Im Übrigen sei er hinsichtlich der geänderten Steuerklasse – seit Mai 2011 habe er von seiner ersten Ehefrau getrennt gelebt – davon ausgegangen, dass der Wechsel von der Steuerklasse III zu I automatisch erfolgen und er aufgrund der Lohnsteuerbescheinigung zutreffend veranlagt werde. In diesem Kontext überreichte er – erstmals in diesem Verfahren – den Ausdruck seines Schreibens vom 13.12.2012, welches er dem Finanzamt übergeben haben will und dessen Inhalt bereits im Rahmen der obigen Feststellungen auszugsweise wiedergegeben wurde.

Auf Vorhalt der Stellungnahme des später als Zeugen vernommenen Steuerberaters R. vom 16.10.2017 (Blatt 46 Bd. II der Hauptakte), wonach der Angeklagte erst am 02.05.2014 die Unterlagen für die Bearbeitung der Einkommensteuererklärung 2012 in der Steuerberaterkanzlei eingereicht haben soll, musste der Angeklagte allerdings einräumen, dass er seine Belege und Unterlagen tatsächlich – so wörtlich – „erst nach Februar 2014“ bei seinem Steuerberater eingereicht habe. Es sei für ihn jedoch eine turbulente Zeit gewesen; er habe in diesem Zeitraum ein Scheidungsverfahren durchleben, im Zuge dessen sein Haus verlassen und sich zugleich in beruflicher Hinsicht bei V. in E. in ein neues Aufgabenfeld einarbeiten müssen. Auf Nachfrage räumte er aber auch insoweit gegenüber der Kammer ein, dass er sich nicht nur mit diesen Umständen habe gedanklich beschäftigen müssen und auch wollen. Vielmehr sei es ihm durchaus möglich gewesen, zwischenzeitlich an seine Steuererklärung und sonstigen Verpflichtungen zu denken. Weitergehende Aussagen zur inneren Tatseite wurden nicht gemacht.

b) Der zuständige Sachbearbeiter des Finanzamts N., der Zeuge K., bestätigte insoweit die Angaben des Angeklagten, als Letzterer über seinen Steuerberater antragsgemäß am 13.01.2012 einen Freibetrag in festgestellter Höhe auf seiner Lohnsteuerkarte eingetragen bekommen habe. Warum in diesem Zusammenhang eine Änderung der Lohnsteuerklasse nicht verfügt worden bzw. im EDV-System weiterhin die Steuerklasse III für den Angeklagten hinterlegt geblieben sei, konnte sich der Zeuge nicht erklären. Seine geschiedene Ehefrau habe ihren Lohnsteuerermäßigungsantrag bereits am 22.11.2011 gestellt und in diesem Kontext das dauernde Getrenntleben beim Finanzamt angezeigt. Von diesem Verfahren habe er als Sachbearbeiter erst wieder Kenntnis erlangt, als Anfang des Jahres 2014 aufgrund einer Prüfaufforderung seitens der Oberfinanzdirektion bekannt geworden sei, dass die Lohnsteuer des Angeklagten nach wie vor über die Steuerklasse III abgerechnet würde, obwohl dieser nach Steuerklasse I hätte veranlagt werden müssen. Hierbei habe er auch umfassend geprüft, ob Tatbestände wie etwa Fristverlängerungsanträge etc. vorlägen, die die bis dahin unterbliebene Abgabe der Steuererklärung 2012 rechtfertigten. In diesem Fall habe er allerdings weder Fristverlängerungsanträge noch das vom Angeklagten im Rahmen der Berufungshauptverhandlung überreichte Schreiben vom 13.12.2012 noch sonstigen Schriftverkehr wie etwa Vollmachten etc. feststellen und der Akte entnehmen können. Auch sei weder ein fernmündlicher noch sonst ein Kontakt seitens des Angeklagten bzw. seiner Steuerberaterkanzlei zu ihm hergestellt oder in den Akten vermerkt worden. Vor diesem Hintergrund habe er nicht zuletzt angesichts des nicht unerheblichen Hinterziehungsbetrags den Sachverhalt dem Finanzamt für Fahndung und Strafsachen zwecks strafrechtlicher Überprüfung mitgeteilt.

Die Nachfrage der Kammer, ob eine Steuerveranlagung des Angeklagten nicht aufgrund der bereits seitens seines Arbeitgebers übermittelten elektronischen Lohnsteuerbescheinigung möglich gewesen wäre, verneinte der Zeuge. Denn aufgrund der Tatsache, dass allein schon für den dortigen Veranlagungsbezirk 70.000-80.000 Datensätze auf einem zentralen Server hinterlegt worden seien, sei es bereits faktisch ausgeschlossen, sich ohne Veranlassung den betreffenden Datensatz zu ziehen. Zudem sei eine Übernahme der Angaben aus der Lohnsteuerbescheinigung zum Zwecke der Steuerfestsetzung – abgesehen davon, dass dort unzutreffend noch die Steuerklasse III zugrunde gelegt worden sei – bereits deshalb nicht möglich gewesen, weil die Lohnsteuer unter Zugrundelegung des antragsgemäß eingetragenen Pauschbetrages berechnet worden sei, was aber die tatsächliche Belastung nicht widerspiegele. So beruhe etwa – wie der Abgleich zwischen dem Ermäßigungs-Antrag und dem Einkommensteuerbescheid 2012 zeige – der Freibetrag auf der Annahme, dass die Arbeitsstätte an 220 Tagen aufgesucht werde, während dies tatsächlich nur an 191 Tagen der Fall gewesen sei. Allein schon dieses zeige, dass eine Steuerfestsetzung lediglich auf Grundlage der bislang dem Finanzamt zur Verfügung stehenden Informationen unzutreffend gewesen wäre.

c) Der in der vom Angeklagten beauftragten Steuerberaterkanzlei als Steuerberater tätige Zeuge R. wiederum konkretisierte die Einlassung des Angeklagten, seine Belege und Unterlagen „nach Februar 2014“ eingereicht zu haben, in der Weise, dass diese Unterlagen tatsächlich erst am 02.05.2014 bei ihnen in der Kanzlei eingereicht worden seien; dies sei auch so in ihrem EDV-System vermerkt. Zwar habe er der EDV ebenfalls entnehmen können, dass ein nicht unterschriebener Schriftsatz vom 26.08.2013 im System abgespeichert sei, welcher eine Fristverlängerung bis zum 31.12.2013 für die Abgabe der Einkommensteuererklärung 2012 beim Finanzamt N. beinhalte; er könne jedoch nicht mehr ersehen, ob dieser Antrag dann tatsächlich auch bei dem Finanzamt N. gestellt worden sei. Ungeachtet dessen würden sie aus drei Gründen Fristverlängerungsanträge stellen, von denen die ersten beiden Varianten im vorliegenden Fall höchst unwahrscheinlich seien: 1. Das Finanzamt habe zur Abgabe einer Einkommensteuererklärung aufgefordert. Dies könne er jedoch nicht bestätigen, da ihm weder ein entsprechendes Schreiben des Finanzamts vorläge noch ein solches – wie bei allen Schriftstücken – eingescannt im System abgespeichert sei. 2. Die Fristverlängerung stehe im Zusammenhang mit der Beauftragung durch den Mandanten, was hier aber ebenfalls ausscheide. Denn die Einreichung der Unterlagen und die damit einhergehende – konkludente – Beauftragung seien erst am 02.05.2014 erfolgt. Zu diesem Zeitpunkt wäre die Frist (31.12.2013) weit überschritten gewesen, sodass der Angeklagte mehrmals von ihnen angemahnt worden wäre. Ein entsprechender Schriftverkehr liege ihm aber ebenfalls nicht vor. Vor diesem Hintergrund gebe die folgende 3. Variante den plausibelsten Grund dafür, warum ein Fristverlängerungsantrag im System abgelegt worden sei: In der zweiten Jahreshälfte würde ihre Kanzlei die Mandanten häufiger anschreiben und um die Hereingabe der Unterlagen für die Bearbeitung der Steuererklärung bitten. In diesem Zusammenhang werde auch „gleich mal“ eine Fristverlängerung beim Finanzamt beantragt.

Im Übrigen könne er entgegen den Angaben des Angeklagten nicht bestätigen, dass dieser auf die Steuerberaterkanzlei per E-Mail oder telefonisch zugegangen sei, um sich nach dem Stand der Erstellung der Steuererklärung zu erkundigen. Insofern fänden sich auch in ihrem EDV-System keine dahingehenden Vermerke oder sonstigen Dokumente. Hinsichtlich des vom Angeklagten im Rahmen der Hauptverhandlung überreichten Schriftsatzes könne er lediglich bestätigen, dass dieses ebenfalls nur als nicht unterschriebener Ausdruck am 05.05.2014 in ihrem System hinterlegt worden sei, was dafür spreche, dass dieses Schreiben zusammen mit den übrigen Belegen am 02.05.2014 bei ihnen eingereicht worden sein müsse. Ob das Schreiben tatsächlich zum Finanzamt gelangt sei, wisse er allerdings nicht.

d) Die weiteren Abläufe und der Inhalt des Steuer(straf)verfahrens lassen sich schließlich den verlesenen Urkunden entnehmen. So ergeben sich der auszugsweise in den Feststellungen zitierte Antrag auf Lohnsteuerermäßigung 2012 aus dem verlesenen Formular auf Blatt 5 ff. der Hauptakte Bd. I und der entsprechende Antrag seiner ersten Ehefrau aus dem Formular auf Bl. 8/8 Rs. der Hauptakte Bd. I. Dass der Angeklagte – wie er schließlich einräumte – auch in der Phase der Ehescheidung sehr wohl in der Lage war, sich nachhaltig um seine steuerlichen Angelegenheiten zu kümmern, beweist das an das Finanzamt N. gerichtete Schreiben des Angeklagten vom 14.02.2013, in welchem er sich hinsichtlich der Steuerfestsetzung für das Jahr 2011 (Bl. 12 ff. und 18 der Hauptakte Bd. I) um eine Aussetzung der Vollziehung bemühte (Bl. 16 der Hauptakte Bd. I), wie auch das Schreiben vom 13.12.2012 (Anlage 2 zu Protokoll). Die Einleitung des steuerstrafrechtlichen Ermittlungsverfahrens lässt sich dem verlesenen Einleitungsvermerk vom 23.04.2014  (Bl. 21 der Hauptakte Bd. I), die Bekanntgabe dieser Einleitungsverfügung gegenüber dem Angeklagten der Zustellungsurkunde vom 26.04.2014 (Bl. 27 der Hauptakte Bd. I), der Eingang der Steuererklärung am 23.05.2014 der ausgedruckten Steuererklärung 2012 (Bl. 4 der Hauptakte Bd. II) und der Zeitpunkt sowie die Art und Höhe der festgesetzten Steuer dem Einkommensteuerbescheid 2012 vom 03.07.2014 (Bl. 30 ff. der Hauptakte Bd. I) entnehmen. Die Feststellungen bezüglich der im finanzbehördlichen System hinterlegten Steuerklassen beruhen auf den verlesenen EDV-Ausdrucken (Bl. 9 ff. der Hauptakte Bd. I).

Nach alledem ergeben die Aussagen im Zusammenwirken mit den verlesenen Urkunden ein stimmiges und sich wechselseitig ergänzendes Gesamtbild zu dem unter Ziffer II. 2. festgestellten Inhalt und Ablauf des Steuer(straf)verfahrens.

e) Lediglich die vom Angeklagten zunächst bekundete Tatsache, dass er sich nach längerem Zeitablauf bei seinem Steuerberater nach dem Fortgang der Steuererklärungsarbeiten erkundigt haben will, muss zur Überzeugung der Kammer als widerlegt angesehen werden. Zum einen dürfte der Angeklagte mit seiner nachfolgenden Einlassung, dass er seine Unterlagen erst nach Februar 2014 eingereicht haben will, mit dieser Aussage im Widerspruch stehen. Denn wenn er erst zu diesem späten Zeitpunkt den Steuerberater in die Lage versetzt hat, seine Steuererklärung erstellen zu können, und die Steuererklärung sodann Ende Mai 2014 beim Finanzamt abgegeben wurde, gab es für ihn aufgrund der zeitnahen Abgabe schlechterdings noch keine Veranlassung, sich per E-Mail oder telefonisch nach dem Sachstand zu erkundigen. Hiergegen sprechen überdies die Aussagen der beiden Zeugen, die nicht den geringsten Hinweis darauf zu geben vermochten, dass der Angeklagte – über die Einreichung der Unterlagen am 02.05.2014 hinaus – weitere (Überwachungs-)Tätigkeiten hinsichtlich der Erstellung und Abgabe der Einkommensteuererklärung 2012 entfaltete.

Bezüglich des Fristverlängerungsantrages vom 26.08.2013 konnte sich die Kammer ebenfalls nicht davon überzeugen, dass dieser tatsächlich auf den Weg gebracht wurde. Denn ungeachtet der Tatsache, dass der Zeuge R. dies nicht bestätigen konnte, vermochte jedenfalls der zuständige Sachbearbeiter im Finanzamt, der Zeuge K., einen dahingehenden Fristverlängerungsantrag nicht in der Steuerakte festzustellen. Letzteres trifft auch auf das Schreiben des Angeklagten vom 13.12.2012 zu. Mag dieses auch vom Angeklagten gefertigt und eingereicht worden sein, so konnte zur Überzeugung der Kammer gleichwohl nicht festgestellt werden, dass dies sodann zur Akte gelangt ist bzw. dem zuständigen Sachbearbeiter zur Kenntnis gebracht wurde. Gegen die Annahme, dass insoweit das Schreiben innerhalb der Behörde abhandengekommen sein könnte, spricht der Umstand, dass sich das ähnliche Schreiben des Angeklagten vom 14.02.2013 sehr wohl in der Akte befindet. Selbst wenn man zugunsten des Angeklagten davon ausgehen wollte, dass sowohl der Fristverlängerungsantrag vom 26.08.2013 als auch das Schreiben vom 13.12.2012 tatsächlich dem Finanzamt zugange wären, bliebe diese Annahme – wie die rechtliche Würdigung sogleich zeigen wird – im Ergebnis ohne Auswirkung.

Schließlich erweist sich auch der Einwand des Angeklagten, dass er davon ausgegangen sei, dass der Wechsel von der Steuerklasse III zu I automatisch erfolgen und er aufgrund der Lohnsteuerbescheinigung zutreffend veranlagt werde, zur Überzeugung der Kammer als eine Schutzbehauptung. Denn ihm war schon im Ausgangspunkt bewusst, dass das Finanzamt jedenfalls von seiner Seite aus – im Sinne des § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO – über die steuerlich erheblichen Tatsachen in Unkenntnis gelassen wurde: So war es vielmehr seine erste Ehefrau, die das Finanzamt über das Getrenntleben und die damit einhergehende Notwendigkeit des Steuerklassenwechsels informierte; bezüglich seiner Einkünfte etc. wiederum war es sein Arbeitgeber, der das Finanzamt mittels elektronischer Lohnsteuerbescheinigung über die relevanten Lohndaten in Kenntnis setzte. Selbst wenn man in Ansehung der im EDV-System des Finanzamts hinterlegten Informationen davon ausgehen muss, dass dem Finanzamt N. jedenfalls seit dem 20.06.2012 (Tag des Eintrages) die Tatsache des dauernden Getrenntlebens bekannt war und die daraufhin (offensichtlich) versäumte Änderung der Steuerklasse innerhalb des Finanzamts schlechterdings nicht zum Nachteil des Angeklagte gereichen kann, so musste er gleichwohl davon ausgehen, dass sich jedenfalls die weiteren, für eine Steuerfestsetzung erforderlichen Angaben auf der Lohnsteuerbescheinigung nicht für eine zutreffende Steuerfestsetzung eigneten. Insofern wusste er gerade vor dem Hintergrund seines Antrags auf Lohnsteuerermäßigung, dass zu seinen Gunsten über den pauschalierten Werbungskostenbetrag hinaus weitere Aufwendungen berücksichtigt wurden und dementsprechend die Lohnsteuerbescheinigung lediglich auf prognostischen Annahmen beruhte, welche zwingend der nachträglichen Verifizierung anhand verpflichtend einzureichender Steuererklärung bedurften. Dementsprechend stellt die Gewährung des Freibetrages gem. § 39a EStG – um mit den Worten der Vertreter des Fahndungsfinanzamts im Rahmen der Berufungshauptverhandlung zu sprechen – ein Vertrauensvorschuss seitens der Finanzverwaltung dar, die der Steuerpflichtige nicht zu seinen Gunsten bei der späteren steuerlichen Festsetzung ausnutzen können soll und darf. Vor diesem Hintergrund konnte der Angeklagte nicht mehr ernsthaft darauf vertrauen, von seiner Erklärungspflicht suspendiert zu sein, zumal ihm anhand der auch ihm übermittelten Lohnsteuerbescheinigung nicht verborgen geblieben sein konnte, dass auf dieser trotz seines Getrenntlebens nach wie vor Steuerklasse III vermerkt war. Auch die Tatsache, dass er in den Vorjahren regelmäßig seine Lohnsteuererbescheinigung nebst Belegen bei seinem Steuerberater einreichte, um auf diese Weise für die rechtzeitige Abgabe der Steuererklärung Sorge zu tragen, lässt die Annahme, nunmehr davon ausgegangen zu sein, dass ohne seine Mitwirkung eine richtige Steuerfestsetzung erfolgen könne, wenig glaubhaft erscheinen. Insofern ist weder ersichtlich noch dargetan, warum er dieser Vorstellung nicht bereits in den Vorjahren, sondern ausgerechnet nur im verfahrensgegenständlichen Veranlagungszeitraum erlegen sein soll. Daran vermag auch das vom Angeklagten im Rahmen der Hauptverhandlung vorgelegte Schreiben vom 13.12.2012 nichts zu ändern. Im Gegenteil: Das Schreiben bringt vielmehr – verallgemeinernd – zum Ausdruck, dass der Angeklagte spätestens zu diesem Zeitpunkt und damit noch weit vor Ablauf der Erklärungsfrist am 13.05.2013 wusste, dass allein die elektronische Übermittlungsform eine automatische Änderung steuerlich erheblicher Merkmale nicht herbeiführt. Insofern kann der Angeklagten mit dem (weiteren) möglichen Einwand, aufgrund der elektronischen Lohnsteuerbescheinigung von einer automatischen Festsetzung/Änderung seiner Einkünfte ausgegangen zu sein, jedenfalls bezüglich des hier in Rede stehenden Tatzeitraums ab dem 13.05.2013 nicht mehr gehört werden.

IV.

Der Angeklagte hat sich nach den getroffenen Feststellungen einer versuchten Steuerhinterziehung gem. §§ 369, 370 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 AO; §§ 25 Abs. 3, 46 Abs. 2 Nr. 4 EStG, 56 EStDVO [jew. i.d.F. des VZ 2012]; §§ 22, 23 StGB strafbar gemacht.

1. Hinsichtlich der rechtlichen Erwägungen wird zwecks Vermeidung von Wiederholungen zunächst auf die zutreffenden Ausführungen im angefochtenen Urteil des Amtsgerichts Aurich (S. 4 UA) verwiesen, die sich auch die hiesige Kammer zu Eigen macht. Insoweit war die Tat – in Ansehung des wie hier bei einfach gelagerten Sachverhalten spätestens anzunehmenden Vollendungszeitpunkts (hier 31.05.2014) – im Zeitpunkt der Erklärungseinreichung am 23.05.2014 (objektiv) noch nicht vollendet (vgl. BGH v. 19.01.2011 – 1 StR 640/10, wistra 2012, 484 (485)).

2. Andererseits hat der Angeklagte dadurch, dass er die Einkommensteuererklärung nicht bis zum 31.05.2013 gegenüber dem zuständigen Finanzamt N. abgegeben hat, bereits ein objektives Tatbestandsmerkmal des § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO verwirklicht und somit zur Verwirklichung des Tatbestandes im Sinne des § 22 StGB „unmittelbar angesetzt“. Die Finanzbehörde war aufgrund des zeitweiligen In-Unkenntnis-Lassens des steuerlichen Sachverhalts nicht in der Lage, die Einkommensteuer für 2012 rechtzeitig festzusetzen (vgl. nur BGH v. 12.6.2013 – 1 StR 6/13, wistra 2013, 430 (431 f.)).

Selbst wenn man zugunsten des Angeklagten – wofür es indes keine zureichenden Anhaltspunkte gibt – unterstellen wollte, dass sein Steuerberater am 26.08.2013 tatsächlich einen Fristverlängerungsantrag gestellt hat, würde dies an dem Versuchsbeginn nichts ändern. Denn ungeachtet der Tatsache, dass mangels Einreichung der relevanten Unterlagen seitens des Angeklagten zu diesem Zeitpunkt eine tatsächliche Beauftragung des Steuerberaters mehr als zweifelhaft erscheint – die bloße Möglichkeit hierzu reicht eben nicht aus (vgl. BGH v. 12.6.2013 – 1 StR 6/13, wistra 2013, 430 (431)) –, so hätte dieser Umstand nur ein Hinausschieben des Fälligkeitszeitpunkts längstens bis zum 31.12.2013 zur Folge gehabt (vgl. koordinierter Ländererlass, BStBl. I 2013, 66). D.h. mit Einreichung seiner Unterlagen am 02.05.2014 und der damit einhergehenden – konkludenten – Beauftragung der Kanzlei mit der Erstellung der Steuererklärung für 2012 war der Angeklagte „so oder so“ verspätet.

3. Die nachträgliche Einreichung der Unterlagen bzw. Steuererklärung unter dem 02.05.2014 bzw. 23.05.2014 vermag an der Versuchsstrafbarkeit nichts zu ändern.

Zwar liegt ein strafbefreiender Rücktritt vom Versuch der Steuerhinterziehung durch Unterlassen vor, wenn die steuerlichen Pflichten nunmehr erfüllt werden und insbesondere eine Steuererklärung freiwillig abgegeben wird (vgl. Spatscheck/Bertrand, DStR 2015, 2420 (2423)). Ein derartiger Rücktritt war dem Angeklagten am 02.05.2014 – mithin in dem Moment, als er eine etwaige gegenläufige Kausalkette in Gang setzte – indes nicht mehr möglich. Denn zum einen war die versuchte Steuerhinterziehung fehlgeschlagen, da diese nach den durchgeführten Ermittlungen des Finanzamts für Fahndung und Strafsachen entdeckt war und nicht mehr zur Vollendung gelangen konnte; zum anderen fehlte es an der Freiwilligkeit der Tataufgabe, nachdem dem Angeklagten bereits unter dem 26.04.2014 die Einleitung des Strafverfahrens bekannt gegeben wurde (vgl. BGH v. 05.05.2004 – 5 StR 548/03, NJW 2005, 2720 [BGH 05.05.2004 - 5 StR 548/03] (2722)).

Das Nachtatverhalten des Angeklagten stellt auch keine strafbefreiende Selbstanzeige gem. § 371 AO dar. Denn mit der Zustellung der Einleitungsverfügung war der Ausschlussgrund des § 371 Abs. 2 Nr. 1 b) AO erfüllt. Überdies war in diesem Zeitpunkt die versuchte Hinterziehungstat bereits „entdeckt“ im Sinne des § 371 Abs. 2 Nr. 2 AO.

4. Der Angeklagte handelte ferner gem. § 22 StGB „nach seiner Vorstellung“ von der Tat. Dementsprechend lag bezüglich der verspäteten Abgabe der Einkommensteuererklärung und der damit einhergehenden nicht rechtzeitigen Festsetzung der Steuer ein – zumindest bedingt – vorsätzliches Handeln aus Sicht des Angeklagten vor (vgl. Fischer, StGB64, § 22 Rz. 8a).

Wie bereits der Senat im verfahrensgegenständlichen Urteil vom 15.05.2017 – 1 Ss 41/17 (S. 5 unten/6 oben UA) in diesem Kontext ausgeführt hat, kann das Wissen über die Erklärungspflicht und die Nichtabgabe der Steuererklärung auch bei einem vorübergehenden Fehlen von Abrufreizen als sog. sachgedankliches Mitbewusstsein fortbestehen und einen Vorsatz begründen. Sachgedankliches Mitbewusstsein ist das nicht aktuell reflektierte, aber zumindest unterbewusst vorhandene Begleitwissen um Tatumstände. Für einen tatbestandausfüllenden Vorsatz ist es daher nicht erforderlich, dass ein Täter sämtliche Tatumstände permanent reflektiert und diesen in jedem Moment der Tatausführung die volle Aufmerksamkeit seines Bewusstseins zuwendet. Gemessen an diesen Maßstäben steht nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme zu Überzeugung der Kammer fest, dass der Angeklagte bezüglich der Verletzung seiner steuerlichen Erklärungspflicht vorsätzlich handelte: Der Angeklagte wusste als langjährig beim Finanzamt N. geführter Steuerpflichtiger, dass er – wie auch in der Vergangenheit – als Arbeitnehmer mit Einkünften aus nichtselbständiger Tätigkeit seine Steuererklärung bis zum 31.05. bzw. – im Falle der Beauftragung eines Steuerberaters – bis zum 31.12. des Folgejahres einzureichen hat. Dies gilt umso mehr, als der Angeklagte im Rahmen der Antragstellung auf Lohnsteuerermäßigung für das Jahr 2012 noch einmal explizit auf diese Verpflichtung hingewiesen wurde. Der Angeklagte war sich zudem bewusst, dass er hier die Steuererklärung verspätet eingereicht hatte. Denn schon die erhebliche Überschreitung der Abgabefrist um knapp ein Jahr bis zur Beauftragung seines Steuerberaters Anfang Mai 2014 lässt sich nicht mehr mit einem bloßen Vergessen der Abgabepflicht über einen Zeitraum von derart vielen Monaten erklären. Im Gegenteil: Der Angeklagte räumte selber im Rahmen der Hauptverhandlung ein, dass er trotz seiner privaten Überlastung durch die Scheidung zumindest zeitweise in der Lage war, seinen Verpflichtungen nachzukommen – ein Umstand, der sich im Übrigen auch daran festmachen lässt, dass er während der Scheidungsphase gegenüber dem Finanzamt in N. einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung zu stellen vermochte. Dies indiziert ein vorhandenes sachgedankliches Mitbewusstsein; dem Angeklagten war es insoweit durchaus möglich, von Zeit zu Zeit seine steuerlichen Erklärungspflichten zu reflektieren.

Der Vorsatz des Angeklagten bezog sich ebenfalls auf eine vollendete Steuerhinterziehung. Der von der Verteidigung in diesem Zusammenhang erhobene Einwand, dass ein solcher hier schon deshalb ausscheide, weil der Angeklagte die Steuererklärung noch vor dem vom Bundesgerichtshof (vgl. BGH v. 19.01.2011 – 1 StR 640/10, wistra 2012, 484 (485)) angenommenen Vollendungszeitpunkt – dem 31.05.2014 – eingereicht habe, verfängt nicht. Denn zum einen hat der Bundesgerichtshof mit dem Jahreszeitraum aus Vereinfachungsgründen lediglich einen Zeitpunkt erwogen, ab dem bei unterlassener Abgabe einer Steuererklärung in objektiver Hinsicht spätestens von einer Tatvollendung auszugehen ist. Insoweit verhält sich die Entscheidung gerade nicht dazu, ob und inwiefern in dem vorgelagerten Zeitraum gleichwohl der Versuch einer Steuerhinterziehung verwirklicht werden kann bzw. ob der erwogene Jahreszeitraum auch tatsächlich erst überschritten worden sein muss, um in subjektiver Hinsicht überhaupt den Steuerhinterziehungsversuch annehmen zu können. Zum anderen darf das vorerwähnte Judikat nicht den Blick dafür verstellen, dass Tatvollendung nicht mit endgültiger Steuerverkürzung gleichzusetzen ist. D.h. der Umstand, dass der Angeklagte (überhaupt noch) eine Steuererklärung abgegeben hat, lässt für sich genommen lediglich den Rückschluss zu, dass dieser keine endgültige Steuerhinterziehung herbeiführen wollte und sein Vorsatz dementsprechend nicht auf eine dauerhafte Vermeidung der Steuerlast gerichtet war. Da aber das Gesetz in § 370 Abs. 4 Satz 1 1. Halbsatz AO die Steuerverkürzung auf Zeit tatbestandlich der Steuerverkürzung auf Dauer gleichsetzt und somit eine Steuerhinterziehung bereits dann vorliegt, wenn die Steuer nicht rechtzeitig festgesetzt wird, genügt es für die Bejahung des Vorsatzes, dass der Täter die verzögerte Festsetzung der Steuer billigend in Kauf nimmt. Und dies ist hier angesichts der festgestellten Zeitabläufe genau der Fall. Denn der Angeklagte hat die für eine Steuererklärung relevanten Unterlagen erst derart spät bei seinem Steuerberater eingereicht, dass er erkannte, dass die Steuererklärung beim Finanzamt zu einem Zeitpunkt eingehen wird, zu dem seine Veranlagung bei fristgemäßer Einreichung seiner Steuererklärung höchstwahrscheinlich schon längst abgeschlossen gewesen wäre. Mit anderen Worten, selbst wenn man mit der Verteidigung den vom Bundesgerichtshof erwogenen Zeitraum im Rahmen des Tatentschlusses berücksichtigen wollte, konnte der Angeklagte nicht mehr ernsthaft darauf vertrauen, dass angesichts der Überlassung seiner Unterlagen Anfang Mai 2014 und unter Berücksichtigung einer gewöhnlichen Bearbeitungsdauer beim Steuerberater die Einreichung der Steuererklärung beim zuständigen Finanzamt noch „so rechtzeitig“ hätte erfolgen können, dass die Steuer noch vor dem 31.05.2014 hätte festgesetzt werden können. Im Gegenteil: Die Tatsache, dass die Steuer vorliegend tatsächlich erst mit Bescheid vom 03.07.2014 festgesetzt werden konnte, zeigt einmal mehr, dass das enge, vom Angeklagten zu verantwortende Zeitfenster nur den Schluss auf den – zumindest bedingten – Vorsatz zulässt, die Steuerfestsetzung möglichst lange hinauszuzögern. Dafür spricht nicht zuletzt auch der Umstand, dass der Angeklagte nur knapp eine Woche nach Einleitung des Steuerstrafverfahrens und damit erst in dem Moment, als die verspätete Abgabe aus seiner Sicht nicht länger verborgen bleiben konnte, seine Unterlagen beim Steuerberater einreichte. Die Annahme, dass dieser Umstand auf ein bloßes Vergessen zurückzuführen sein könne, welches dem Angeklagten erst mit der Einleitung des Ermittlungsverfahrens bewusst geworden sei, liegt demgegenüber aus den bereits im vorangegangen Absatz angestellten Erwägungen ersichtlich fern.

5. Eine versuchte Steuerhinterziehung scheidet auch nicht deshalb aus, weil es – in Anlehnung an die Entscheidung des OLG Köln v. 31.01.2017 – III-1 RVs 253/16 (wistra 2017, 363 ff.) – tatbestandlich an einem pflichtwidrigen In-Unkenntnis-Lassen der Finanzbehörde im Sinne des § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO mangelt.

a) Schon der rechtliche Ausgangspunkt des OLG Köln begegnet nach Auffassung der Kammer, die sich insoweit vollumfänglich der von Roth (NZWiSt 2017, 308 ff.) vertretenen Ansicht anschließt, durchgreifenden Bedenken. Das OLG Köln führte aus, dass der Steuerpflichtige die Finanzbehörde nicht in „Unkenntnis“ lassen könne, wenn diese über alle wesentlichen Umstände informiert sei; Kenntnis schließe den Tatbestand aus. Diese Auslegung ist indes nicht zwingend. Sie berücksichtigt den auf das Täterverhalten abstellenden Bezug der Formulierung „wer...in Unkenntnis lässt“ zu wenig. Danach wird die vom Wortlaut vorgegebene Unterlassungshandlung des Täters („in Unkenntnis lassen“) vom OLG Köln in unzulässiger Weise mit der weiteren Voraussetzung gekoppelt, dass die Finanzbehörde tatsächlich auch „in Unkenntnis ist“. Die auf das Unterlassen des Täters abstellende täterbezogene Sichtweise der Unterlassensvariante („...wer...in Unkenntnis lässt...“) wird damit durch eine opferbezogene, rein objektive Tatsache („Unkenntnis der Finanzbehörde“) aufgeladen. Damit werden dem Passus letztlich zwei Merkmale entnommen: Zum einen die Unterlassungshandlung des Täters (der aus seiner Sicht „in Unkenntnis lässt“) sowie darüber hinaus die generelle Unkenntnis des Tatopfers Finanzbehörde (die „in Unkenntnis ist“). Die damit einhergehende Verdopplung der objektiven Tatbestandsmerkmale findet im Gesetzeswortlaut indes keinen Niederschlag, zumal dieser („in Unkenntnis lassen“) grundsätzlich nur das erste tathandlungsbezogene Merkmal in Bezug nimmt. Zudem ist es begrifflich ohne weiteres möglich, dass ein Täter – aus seiner Sicht betrachtet – aufgrund seiner Untätigkeit die Finanzbehörde in Unkenntnis lässt, obwohl diese durch andere Abläufe Kenntnis hat. Genau dies lässt sich auch am vorliegenden Sachverhalt festmachen: So hatte zwar die Finanzbehörde über das dauernde Getrenntleben Kenntnis; sie war hierüber aber von der ersten Ehefrau und nicht vom Angeklagten selbst informiert worden. Mit anderen Worten, es bleibt trotz Kenntnis der Finanzbehörde dabei, dass der Täter die Finanzbehörde nicht in Kenntnis gesetzt, mithin in Unkenntnis gelassen hat. Das Merkmal „in Unkenntnis lassen“ – das an die nicht-handelnde Person (Täter) anknüpft und damit auf eine bestimmte Person bezogen ist – kann daher nach dem allgemeinen Sprachverständnis auch dann vorliegen, wenn das Tatopfer durch andere Personen oder Vorgänge dennoch Kenntnis erlangt hat. Der Wortlaut der Norm lässt – anders als das OLG Köln meint – nicht nur beide Auslegungen zu; er streitet vielmehr sogar dafür, eine Unterlassens-Strafbarkeit unabhängig vom tatsächlichen Kenntnisstand der Finanzbehörde zuzulassen.

Für die von der Kammer vertretene Ansicht und gegen die Auslegung des OLG Köln sprechen zudem die Systematik und der Gesetzeszweck. So ist bereits für die Tatvariante des aktiven Tuns (§ 370 Abs. 1 Nr. 1 AO) vom Bundesgerichtshof (vgl. etwa BGH v. 19.10.1999 – 5 StR 178/99, NJW 2000, 528) anerkannt, dass die Kenntnis der Finanzbehörden eine Strafbarkeit nicht ausschließt. Es liegt daher systematisch nahe, dies bei § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO genauso zu sehen. In Übereinstimmung mit einer Entscheidung des Bayerischen Obersten Landesgerichts (BayObLG v. 14.03.2002 – 4 St RR 8/02, wistra 2002, 393) ist darüber hinaus insbesondere auf die Regelbeispiele des § 370 Abs. 3 Nr. 2 und 3 AO hinzuweisen. Diese normieren Fälle besonders schwerer Steuerhinterziehung, obwohl die Finanzbehörde Kenntnis aller wesentlichen Umstände hat. Das Gesetz geht daher davon aus, dass die Kenntnis der Finanzbehörde nicht tatbestandsausschließend ist. Insofern hat es das Bayerische Oberste Landesgericht richtigerweise als – so wörtlich – „fraglich“ angesehen, dass die Erfüllung des Merkmals „In-Unkenntnis-lassen“ vom Kenntnisstand der Finanzbehörden abhängen kann. Die Finanzbehörden könnten deshalb ungeachtet ihres anderweitig erlangten Kenntnisstandes bereits dann „in Unkenntnis gelassen“ werden, wenn Steuererklärungen pflichtwidrig (§ 149 AO) nicht abgegeben würden. Die hiergegen erhobenen Bedenken des OLG Köln, dass die Anwendung des Strafrahmens nach § 370 Abs. 3 Satz 1 AO zunächst die Erfüllung des Grundtatbestands voraussetze, sind unbegründet. Diese allgemeine Erkenntnis (Grundtatbestand vor Regelbeispiel) wird nicht dadurch in Frage gestellt, dass man bei Auslegungsfragen der Tatbestandsmerkmale des Grundtatbestands auch die Gesetzesinhalte der Regelbeispiele als Auslegungshilfen (systematische Auslegung) zu Rate zieht. Insofern werden nicht – eigentlich bestehende – Merkmale unberücksichtigt gelassen, sondern ein Merkmal des Grundtatbestands unter Berücksichtigung der hierzu bestehenden Regelbeispiele systematisch konsistent ausgelegt. Für die Zulässigkeit dieser Argumentationskette (Berücksichtigung von § 370 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 und 3 AO) streitet überdies der Umstand, dass der Bundesgerichtshof bezüglich § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO und das Bayerische Oberste Landesgericht zu § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO ebenso verfahren sind (vgl. BGH v. 14.12.2010 – 1 StR 275/10, NStZ 2011, 28; BayObLG v. 14.03.2002 – 4 St RR 8/02, wistra 2002, 393). Das OLG Köln setzt sich demnach mit seiner Argumentation in Widerspruch zum Auslegungsverständnis dieser Gerichte. Anders als das OLG Köln meint, vermengt die hier vertretene Auslegung nicht in unzulässiger Weise Versuch mit Vollendung der Steuerhinterziehung. Diese Abgrenzung erfolgt für den Fall der Nichtabgabe (ohne Schätzungsbescheid) nach dem Zeitpunkt, zu dem der Steuerpflichtige bei ordnungsgemäßer Abgabe veranlagt worden wäre (hypothetische Betrachtung). Insofern bleibt auch nach der hier vertretenen Ansicht ein Versuchszeitraum (Erklärungsfristablauf bis Veranlagungsabschluss) bestehen. Die Sichtweise des OLG Köln führt umgekehrt zu Wertungswidersprüchen zwischen den Tathandlungsvarianten Tun und Unterlassen. So erfasst das aktive Tun nach § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO auch Konstellationen, die in Teilen auch ein „Untätigbleiben“ beinhalten können. Dies ist etwa der Fall, wenn der Steuerpflichtige eine Steuererklärung einreicht, aber nicht alle Einnahmen bzw. Umsätze erklärt – er mit anderen Worten nur die Hälfte der Wahrheit sagt und den Rest „verschweigt“. Bei diesem teilweise „Verschweigen“ von Einnahmen im Rahmen der Erklärungsabgabe liegt dennoch ein aktives Tun vor. Aufgrund der herrschenden Abgrenzung des aktiven Tuns vom Unterlassen nach dem Schwerpunkt der Vorwerfbarkeit, wäre ein solcher „Halb-Erklärer“ – trotz der verschwiegenen Teilbereiche wegen aktiven Tuns zu bestrafen (§ 370 Abs. 1 Nr. 1 AO). Eine Kenntnis der Finanzbehörde wirkt in diesen Fällen nach BGH-Rechtsprechung jedoch nicht tatbestandsausschließend. Folgt man aber nunmehr dem OLG Köln, würde der gänzlich untätige Steuerpflichtige bei Kenntnis der Finanzbehörde demgegenüber straffrei ausgehen (tatbestandsausschließende Kenntnis). Der Unterlassungstäter (straflos) wäre damit in unzulässiger Weise besser gestellt, als der als Handlungstäter zu behandelnde „Halb-Erklärer“ (strafbar), der sich gegenüber der Finanzbehörde zumindest als steuerpflichtige Person zu erkennen gegeben und wenigstens teilweise seine Einkünfte offen gelegt hat. Eine solche Privilegierung des Unterlassungstäters wäre sachlich nicht gerechtfertigt.

Schließlich führt die Ansicht des OLG zu praktisch zufälligen Ergebnissen. So hinge die Strafbarkeit von der jeweiligen Ausgestaltung des Besteuerungsverfahrens durch die Finanzverwaltung ab. Bei nicht erklärten Einkünften, zu denen (ggf. standardmäßige, elektronische) Datenzulieferungen und Kontrollmitteilungen erfolgten, würde die Kenntnis der Behörde tatbestandsausschließend wirken, wohingegen das Nichterklären von Einkünften, bei denen solche Mechanismen nicht bestehen, zur Strafbarkeit führen könnten. Gerade die Praxis des Kontrollmitteilungs-Schreibens ist jedoch in den Finanzämtern und hier sogar von Prüfer zu Prüfer/Beamten höchst unterschiedlich. Ein Tatbestandsausschluss wäre daher häufig vom Zufall abhängig. Letztlich würde damit die Verwaltung (durch Ausprägung ihrer Verfahren bzw. durch den Kontrollmitteilungseifer einzelner Prüfer/Beamter) über Strafbarkeit bzw. Straflosigkeit entscheiden. Der jeweilige Täter hat hierauf keinen Einfluss, so dass gleich strafwürdige Handlungsweisen unterschiedlich sanktioniert werden würden. Auch in zeitlicher Hinsicht wäre eine Bestrafung vom Zufall abhängig, je nachdem, ob die Kenntnis herbeiführenden Umstände vor oder erst nach Unterlassens-Vollendungszeitpunkt (Versuch/Vollendung) bzw. vor oder nach Erklärungsabgabefrist (straflose Vorbereitungshandlung/Versuch) in der Behörde eingehen. Des Weiteren berücksichtigt der Einwand des OLG Köln, eine Gefährdung des Steueraufkommens sei bei „Kenntnis“ ausgeschlossen, kaum die Gegebenheiten der Praxis. Steuerverwaltung ist Massengeschäft. Entsprechende Datenzulieferungen bzw. Mitteilungen gehen zudem mit erheblichem Zeitversatz zum eigentlichen Veranlagungszeitpunkt ein, sind nicht immer inhaltlich valide und werden häufig geändert. Insbesondere bei sog. Veranlagungssteuern wird das Verfahren erst durch die vom Steuerpflichtigen abgegebene Erklärung tatsächlich in Gang gesetzt. Ferner sind Fälle denkbar, in denen zwar eine Information bei den Behörden eingegangen ist, deren Wahrheitsgehalt jedoch nicht eindeutig eingeschätzt werden kann (etwa Information von dritter Seite). Letztlich müsste in jedem Einzelfall die Validität und Belastbarkeit der Informationsquelle/Mitteilung geprüft werden, um Kenntnis des Finanzamts (nicht nur von der Mitteilung, sondern auch vom tatsächlichen Vorliegen der darin deklarierten Einnahmen/behaupteten Sachverhalte) annehmen zu können. Und eben dies trifft auch auf das vorliegende Verfahren zu: Allein aus dem Vorhandensein eines Datenbestandes von 70.000-80.000 Datensätzen lässt sich nicht ohne weiteres auf die für die konkrete Festsetzung der Steuer erforderliche Kenntnis des Finanzamts oder gar des zuständigen Sachbearbeiters schließen, zumal hier die im Ermäßigungsantrag gemachten Angaben noch auf ihrer Validität überprüft werden müssen. Nach der Sichtweise des OLG Kölns bestünde nicht zuletzt die Gefahr erheblicher Strafbarkeitslücken, da sich der Steuerpflichtige bei entsprechenden Besteuerungsverfahren – wie hier – darauf berufen könnte, er sei davon ausgegangen, dass bei ordnungsgemäßem (Kontrollmitteilungs-) Verfahren die entsprechende (tatbestandsausschließende) Kenntnis beim Finanzamt vorgelegen habe. Damit würde man aber im Ergebnis die Nichtabgabe der Steuererklärung insbesondere in den massenhaft vorkommenden Fällen der Arbeitnehmerveranlagung praktisch sanktionslos stellen und § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO ins Leere laufen lassen.

b) Aber selbst unter Berücksichtigung der Entscheidung des OLG Köln wären die dort erstmals obergerichtlich aufgestellten Voraussetzungen in der hiesigen Fallkonstellation nicht erfüllt. Denn – wie bereits oben in den Feststellungen und den diesbezüglichen Erörterungen im Rahmen der Beweiswürdigung ausgeführt – muss zwar davon ausgegangen werden, dass das Finanzamt N. von dem dauernden Getrenntleben Kenntnis hatte und insofern um die für eine Steuerklassenänderung relevanten Umstände wusste. Gleichwohl hätte eine Veranlagung in zutreffender Höhe auf der (weiteren) Grundlage der Lohnsteuerbescheinigung schon deshalb nicht erfolgen können, da diese auf den nicht validen Annahmen des Ermäßigungsverfahrens beruhte und sich im Ergebnis – etwa im Hinblick auf die Anzahl der Fahrten zur Arbeitsstätte – gar als unzutreffend erwies. Dies war dem Angeklagten, auf dessen Angaben die gegenüber dem Ermäßigungsantrag abweichenden Feststellungen im Steuerbescheid beruhen, aus den bereits im Rahmen der Beweiswürdigung gemachten Ausführungen auch bewusst, so dass er nicht mehr ernsthaft darauf vertrauen konnte, dass allein die elektronische Lohnsteuerbescheinigung eine ausreichende Grundlage für eine zutreffende Steuerfestsetzung bildet.

V.

Unter Zugrundelegung des Strafrahmens des § 370 Abs. 1 AO hat die Kammer zu Gunsten des Angeklagten insbesondere berücksichtigt, dass er als nicht vorbestraft gilt und den Tatvorwurf – die verspätete Abgabe der Steuererklärung – im Kern eingeräumt hat. Zudem ist ihm zugute zu halten, dass er nachträglich seinen steuerlichen Erklärungspflichten nachgekommen ist und die Steuer lediglich auf Zeit hinterzogen wurde. Andererseits musste die nicht ganz unerhebliche Höhe von u.a. 4.972 € hinterzogener Steuer in den Blick genommen werden, sodass die Kammer die Strafe nicht mehr dem absolut unteren Ende des Strafrahmens entnehmen konnte. Vielmehr hielt die Kammer unter Abwägung aller für und gegen den Angeklagten sprechenden Umständen eine

Geldstrafe von 25 Tagessätzen

für tat- und schuldangemessen.

Zwar wäre es der Kammer angesichts der Herabsetzung der Anzahl der Tagessätze möglich gewesen, im Gegenzug ohne Verstoß gegen das Verschlechterungsverbot die Tagessatzhöhe geringfügig zu erhöhen (vgl. Meyer-Goßner, in: Meyer-Goßner/Schmitt, StPO60, § 331 Rz. 12). Angesichts der gegenüber dem Zeitpunkt der amtsgerichtlichen Verhandlung unverändert gebliebenen wirtschaftlichen Verhältnisse des Angeklagten, namentlich des um erhebliche Unterhaltspflichten und sonstige laufenden Verbindlichkeiten – auch gegenüber dem Finanzamt – gemilderten Nettoeinkommens, hat die Kammer die Tagessatzhöhe auf 30 € belassen.

VI.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 473 Abs. 1 StPO. Angesichts des Umstandes, dass dem nach wie vor unbeschränkten, auf Freispruch gerichteten Rechtsmittel des Angeklagten nur ein äußerst geringfügiger Erfolg – Herabsetzung der Tagessatzanzahl lediglich um 1/6 – beschieden war, hielt es die Kammer für billig, kostenrechtlich nicht mehr von einem Teilerfolg und einer damit einhergehender Kostenquotelung im Sinne des § 473 Abs. 4 StPO auszugehen (vgl. Schmitt, in: Meyer-Goßner/Schmitt, StPO60, § 473 Rz. 25 f. und Rz. 27; Temming, in: HK-StPO5, § 473 Rz. 16 f.), zumal der geringfügige Berufungserfolg allein darauf zurückzuführen ist, dass infolge Zeitablaufs die vom Amtsrichter noch als strafschärfend berücksichtigte Vorstrafe nunmehr in Wegfall geraten ist (vgl. Schmitt, in: Meyer-Goßner/Schmitt, StPO60, § 473 Rz. 31). Die Kosten des Revisionsverfahrens und notwendigen Auslagen waren ebenfalls dem Angeklagten aufzuerlegen. Hat nämlich – wie hier – das Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft Erfolg, so gehören die Rechtsmittelkosten wie auch seine Auslagen zu den Verfahrenskosten, die der Angeklagte gem. § 465 StPO zu tragen hat (vgl. Schmitt, in: Meyer-Goßner/Schmitt, StPO60, § 473 Rz. 15 m.w.N.).