Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 02.03.2011, Az.: 1 ARs 84/10 P

Bewilligung einer Pauschgebühr aufgrund mangelnder Zumutbarkeit der Gebührenberechnung nach dem Vergütungsverzeichnis wegen des besonderen Umfangs und der besonderen Schwierigkeit der Sache; Gesamtgepräge des Verfahrens als maßgebliches Kriterium für die Bestimmung der Höhe der Pauschgebühr bei Großverfahren

Bibliographie

Gericht
OLG Celle
Datum
02.03.2011
Aktenzeichen
1 ARs 84/10 P
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2011, 11693
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGCE:2011:0302.1ARS84.10P.0A

Fundstellen

  • RVGreport 2011, 177-178
  • StRR 2011, 240-241 (Volltext mit red. LS u. Anm.)

Verfahrensgegenstand

hier: Mord u.a.
Pauschgebühr des Verteidigers,

In der Strafsache
...
hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Celle
auf den Antrag des gerichtlich bestellten Verteidigers des Angeklagten vom 13. Oktober 2010 nach Anhörung des Vertreters der Landeskasse
durch
den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht,
den Richter am Oberlandesgericht und
den Richter am Oberlandesgericht - dieser zu 1. als Einzelrichter -
am 2. März 2011
beschlossen:

Tenor:

  1. 1.

    Die Sache wird dem Senat in der Besetzung mit drei Richtern übertragen.

  2. 2.

    Dem Antragsteller wird für die Verteidigung des Angeklagten X. zusätzlich zu den Gebühren nach dem Vergütungsverzeichnis eine Pauschgebühr in Höhe von 26.000,- EUR bewilligt.

    Hinzu treten Auslagen und die Mehrwertsteuer, die besonders zu erstatten sind.

Gründe

1

I.

Gegenstand des vorliegenden Verfahrens waren insgesamt vier sukzessive erhobene Anklagen vor dem Schwurgericht, die sich gegen den Mandanten des Antragstellers und vier Mitangeklagte richteten und miteinander zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden wurden. Dem Mandanten des Antragstellers wurde siebenfacher Mord in Tateinheit mit schwerem Raub und einem Verstoß gegen das Waffengesetz, begangen gemeinschaftlich bzw. unter Beteiligung der Mitangeklagten. vorgeworfen.

2

Die Akten inklusive Spurenakten und Sonderheften sowie Beiakten hatten bis zum Beginn der Hauptverhandlung einen Umfang von rund 40.000 Blatt. Während der laufenden Hauptverhandlung kam noch weiteres Ermittlungsmaterial in dem gleichen Umfang hinzu, welches den Verteidigern gespeichert auf Datenträgern zur Verfügung gestellt wurde. Die Beiordnung des Antragstellers erfolgte am 28. Juni 2007.

3

Die Hauptverhandlung begann am 27. August 2007 und wurde nach dem 19. Sitzungstag am 12. Dezember 2007 wegen Erkrankung einer Richterin ausgesetzt. Die Hauptverhandlung begann erneut am 9. Januar 2008 und endete nach 105 Sitzungstagen mit dem Urteil vom 13. Mai 2009. Der Antragsteller hat an insgesamt 100 Sitzungstagen teilgenommen. Das Urteil umfasst 209 Seiten. Die Revisionen der Angeklagten X. hat der Bundesgerichtshof mit Beschluss vom 22. Juli 2010 als unbegründet verworfen.

4

Wegen der weiteren Einzelheiten des Verfahrensablaufs wird auf den Sachbericht des Vorsitzenden der Hilfsstrafkammer 2 a des Landgerichts Stade vom 1. Dezember 2010 sowie die Stellungnahme des Vertreters der Landeskasse vom 28. Dezember 2010 Bezug genommen.

5

Dem Antragsteller sind für seine Tätigkeit als Pflichtverteidiger bisher Gebühren nach dem Vergütungsverzeichnis (ohne Auslagen und Mehrwertsteuer) in Höhe von insgesamt 51.112,00 EUR bewilligt worden. Mit Schriftsatz vom 13. Oktober 2010 hat er die Bewilligung einer zusätzlichen Pauschgebühr in Höhe von mindestens 25.000,00 EUR beantragt.

6

II.

1.

Der Einzelrichter hat die Sache gemäß §§ 51 Abs. 2 Satz 4, 42 Abs. 3 Satz 2 RVG auf den Senat in der Besetzung mit drei Richtern übertragen, weil dies zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung geboten ist.

7

2.

Dem Antragsteller war nach § 51 Abs. 1 Satz 1 RVG eine Pauschgebühr zu bewilligen, weil die Gebühren nach dem Vergütungsverzeichnis wegen des besonderen Umfangs und der besonderen Schwierigkeit der Sache unzumutbar sind.

8

3.

a)

"Besonders umfangreich" im Sinne des § 51 Abs. 1 Satz RVG ist eine Strafsache. wenn der vom Verteidiger hierfür erbrachte zeitliche Aufwand erheblich über dem Zeitaufwand liegt, den er in einer "normalen" Sache zu erbringen hat (vgl. Senatsbeschluss vom 4. Dezember 2007 - 1 ARs 68/07 P; Burhoff, RVG, 2. Aufl., § 51 Rdnr. 20 m.w.N.). Als Vergleichsmaßstab sind dabei Verfahren heranzuziehen, die den Durchschnittsfall der vor dem jeweiligen Spruchkörper verhandelten Sachen darstellen (vgl. BGH RPfleger 1996, 169; NStZ 1997, 98; OLG Hamm JurBüro 1999, 194; Burhoff a.a.O.). "Besonders schwierig" im Sinne des § 51 Abs. 1 Satz 1 RVG ist eine Sache, wenn sie aus besonderen rechtlichen oder tatsächlichen Gründen über das Normalmaß hinaus erheblich verwickelt ist (vgl. Senat a.a.O.; Burhoff, a.a.O. Rdnr. 13 m.w.N.).

9

Beide Voraussetzungen sind im vorliegenden Fall zweifelsfrei erfüllt. Auch insoweit wird zur näheren Begründung auf den Sachbericht des Vorsitzenden der Hilfsstrafkammer 2 a des Landgerichts Stade vom 1. Dezember 2010 sowie die Stellungnahme des Vertreters der Landeskasse vom 28. Dezember 2010 Bezug genommen.

10

b)

Es steht auch außer Frage, dass die Gebühren nach dem Vergütungsverzeichnis unzumutbar sind. Der Senat hält im Rahmen seines insoweit auszuübenden pflichtgemäßen Ermessens (vgl. Hartmann, RVG 39. Aufl. § 51 Rdnr. 33) eine Pauschgebühr von zusätzlich 26.000 EUR für angemessen.

11

Maßgebend für die Höhe der Pauschgebühr ist bei Großverfahren - wie hier - das Gesamtgepräge des Verfahrens (st. Rspr.; vgl. Senat a.a.O. und Beschluss vom 2. März 2010 - 1 ARs 48/09 P; ebenso OLG Hamm, Beschl. vom 2.1.2007, 2 (s) Sbd. IX - 147/06, bei Burhoff-Online). Dieses wird nicht allein durch die Anzahl der Hauptverhandlungstage bestimmt. Sie stellt zwar gerade bei Großverfahren ein wichtiges Kriterium dar. Gleichzeitig muss aber auch die Dauer der einzelnen Verhandlungstage und die Dichte der Terminierung berücksichtigt werden (vgl. Burhoff a.a.O. Rdnrn. 99, 100). Als weitere Beurteilungskriterien sind insbesondere heranzuziehen der Umfang der Gerichtsakten, die Anzahl der vernommenen Zeugen und Sachverständigen, die Anzahl und Dauer von Vorbesprechungen mit dem (inhaftierten) Mandanten, der sonstige Vorbereitungsaufwand sowie Anzahl und Umfang gefertigter Schriftsätze (vgl. Senat vom 11.2.2005, 1 ARs 293/04 P, StraFo 2005, 273; Burhoff a.a.O. Rdnr. 13.). Nur soweit eine Gesamtschau dieser Kriterien dem Verfahren das Gepräge gibt, dass die Arbeitskraft des Verteidigers durch das Verfahren in besonderer Weise gebunden war (vgl. dazu BVerfG NStZ-RR 2007, 359 [BVerfG 20.03.2007 - 2 BvR 51/07]), ist eine Pauschvergütung im Bereich der Wahlverteidigerhöchstgebühr veranlasst.

12

Nach diesem Maßstab hält der Senat im vorliegenden Fall eine Pauschgebühr in Höhe der Wahlverteidigerhöchstgebühr nicht über den gesamten Zeitraum der Hauptverhandlung für angemessen. Ein - mit den Gebühren nach dem Vergütungsverzeichnis nicht angemessen vergütetes - Schwergewicht der Arbeit des Verteidigers lag hier ohne Zweifel in der erstmaligen Einarbeitung in die - mit 40.000 Blatt weit überdurchschnittlich umfangreichen - Ermittlungsakten bis zum Beginn der Hauptverhandlung. Diese Beurteilung deckt sich mit derjenigen des Vorsitzenden der Hilfsstrafkammer 2 a und auch mit den Ausführungen anderer in vorliegender Sache tätiger Verteidiger im Rahmen ihrer Pauschgebührenanträge (vgl. hiesige Verfahren 1 ARs 82/10 P und 1 ARs 83/10 P). Dementsprechend hat der Senat für die Einarbeitung einen - über dem Durchschnitt in Schwurgerichtssachen liegenden - zusätzlichen Arbeitsaufwand angenommen, der zehn Terminstagen entspricht, und hierfür zehn zusätzliche Terminsgebühren eines Pflichtverteidigers mit Zuschlag nach VV Nr. 4121 (= 434,00 EUR), mithin insgesamt 4.340,00 angesetzt. Des Weiteren war die Terminierungsdichte in der Anfangsphase vergleichsweise hoch, während sie später abnahm. In der Anfangsphase ist erfahrungsgemäß auch der Arbeitsaufwand für den Verteidiger durch die Vor- und Nachbereitung der Sitzungen und aufgrund des noch nicht "verinnerlichten" Akteninhalts höher als in späteren Phasen, in denen auch der Verteidiger die weiteren Entwicklungen des Verfahrens "mitdurchlebt" und sich nach und nach erarbeiten kann. ohne seine sonstigen Tätigkeit völlig vernachlässigen zu müssen. Auch die Möglichkeit einer Arbeitsteilung mit dem weiteren Pflichtverteidiger seines Mandanten und der Ablösung bei der Wahrnehmung der Termine bestand zu Beginn des Verfahrens nicht in dem Maße wie in späteren Phasen. Um diesen Umständen angemessen Rechnung zu tragen, hat der Senat überschlägig für jeden der ersten 40 wahrgenommenen Sitzungstage eine zusätzliche Gebühr in Höhe der Differenz zwischen derreits bewilligten Pflichtverteidigergebühr nach VV Nr. 4121 (434 EUR) und der entsprechenden Wahlverteidigerhöchstgebühr (975 EUR), mithin 541 EUR pro Tag, insgesamt 21.640,00 angesetzt.

13

Hiernach "errechnet" sich eine zusätzliche Pauschgebühr von insgesamt 25.980.00 E. die der Senat auf 26.000,00 EUR aufgerundet hat. Mit diesem Betrag sind alle in der vorliegenden Sache festzustellenden überdurchschnittlichen Belastungen - auch soweit sie im Vorstehenden nicht ausdrücklich erwähnt worden sind - angemessen berücksichtigt, so dass die Heranziehung des Antragstellers als Pflichtverteidiger für ihn kein unzumutbares Sonderopfer mehr darstellt.