Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 08.03.2011, Az.: 32 Ss 17/11

Der Tatbestand des § 174c Abs. 1 StGB umfasst neben geistig Behinderten und seelisch kranken Personen auch Patienten mit einfachen und kurzfristigen körperlichen Erkrankungen ; Voraussetzungen für die Erfüllung des Tatbestands des sexuellen Missbrauchs eines Patienten durch einen Arzt i.S.d. § 174c Abs. 1 StGB

Bibliographie

Gericht
OLG Celle
Datum
08.03.2011
Aktenzeichen
32 Ss 17/11
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2011, 16997
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGCE:2011:0308.32SS17.11.0A

Verfahrensgang

vorgehend
LG Stade - 14.09.2010

Fundstellen

  • GesR 2011, 442-443
  • NStZ-RR 2011, 274-275

Amtlicher Leitsatz

1. Es genügt zur Erfüllung des Tatbestandes des § 174c Abs. 1 StGB, wenn der behandelnde Arzt an einer vorübergehend körperlich erkrankten Person im Rahmen einer Heilbehandlung unter Ausnutzung des der Therapie zugrunde liegenden Vertrauensverhältnisses und der therapiebedingten physischen Rahmenbedingungen sexuelle Handlungen vornimmt.

2. Es besteht kein Anlass, bei diesem Personenkreis die Erheblichkeitsschwelle nach § 184g Nr. 1 StGB einschränkend und anders zu bestimmen als bei sonstigen Sexualstraftaten.

Tenor:

Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil der 3. kleinen Strafkammer des Landgerichts Stade vom 14. September 2010 wird als unbegründet verworfen, da die Nachprüfung des Urteils aufgrund der Revisionsrechtfertigung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben hat (§ 349 Abs. 2 StPO).

Der Angeklagte hat die Kosten des Revisionsverfahrens einschließlich der den Nebenklägerinnen im Revisionsverfahren erwachsenen notwendigen Auslagen zu tragen.

Gründe

1

I. Das Amtsgericht Tostedt hat den Angeklagten unter Freisprechung im Übrigen wegen sexuellen Missbrauchs unter Ausnutzung eines Behandlungsverhältnisses in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Monaten verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. Die gegen dieses Urteil gerichtete Berufung des Angeklagten hat die 3. kleine Strafkammer des Landgerichts Stade mit dem angefochtenen Urteil verworfen.

2

Nach den Feststellungen des Landgerichts suchte die Nebenklägerin H. den Angeklagten am 05.02.2008 in dessen Praxis für Allgemeinmedizin auf, weil sie an Beschwerden am Iliosakralgelenk litt. Der Angeklagte begab sich im Behandlungsraum hinter die auf der linken Körperseite auf der Behandlungsliege liegende und nur noch mit BH und String Tanga bekleidete Nebenklägerin, legte eine Hand auf ihren Beckenknochen, mit der anderen Hand drückte er gegen ihren Gesäßknochen. Seine am Gesäßknochen der Nebenklägerin befindliche Hand bewegte der Angeklagte weiter in Richtung Scheide, schob den auf dem Scheideneingang liegenden String Tanga zur Seite und legte mindestens einen Finger unmittelbar auf die Scheide der Nebenklägerin. Die Nebenklägerin fühlte sich hierdurch erheblich belästigt und unwohl und beendete die Behandlung.

3

Am 08.01.2009 befand sich die Nebenklägerin Frau Ho., die ebenfalls an einer Blockierung des Iliosakralgelenkes litt, in der Praxis des Angeklagten. Nachdem sich die Nebenklägerin bis auf ihren BH, ihr T-Shirt und ihren String Tanga entkleidet und sich auf die Behandlungsliege gelegt hatte, fasste der Angeklagte, der sich zu diesem Zeitpunkt hinter der auf der rechten Seite liegenden Nebenklägerin befand, mit einer Hand auf ihr Steißbein und mit der anderen Hand auf ihren Beckenknochen. Seine auf dem Steißbein liegende Hand führte der Angeklagte sodann Richtung Gesäß, schob den String Tanga beiseite und fasste die Scheide der Nebenklägerin, welche seine Finger auf ihrer Scheide massiv spürte, an. Mit der anderen Hand schob der Angeklagte ihr T Shirt nach oben und das Körbchen des BHs zur Seite und küsste sie dann auf die nackte Brust. Die Nebenklägerin schob den Angeklagten beiseite und brach die Behandlung ab.

4

Gegen die Verurteilung durch das Landgericht wendet sich der Angeklagte mit seiner Revision, mit der er die Verletzung materiellen Rechtes rügt.

5

II. Der Senat verwirft die Revision auf Antrag der Generalstaatsanwaltschaft als offensichtlich unbegründet, § 349 Abs. 2 StPO.

6

Der Erörterung bedarf im Hinblick auf den Tatbestand des § 174 c Abs. 1 StGB lediglich das Folgende:

7

Das Landgericht hat die beiden festgestellten Taten zutreffend als sexuellen Missbrauch unter Ausnutzung eines Behandlungsverhältnisses i. S. von § 174 c Abs. 1 StGB gewertet. Zu dem von § 174 c Abs. 1 StGB geschützten Personenkreis gehören nach dem am 01.04.2004 in Kraft getretenen Gesetz zur Änderung der Vorschriften über die Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung u.a. vom 27.12.2003 (BGBl. I, 3007) auch körperlich kranke Personen. Durch die Aufnahme des Begriffs der Krankheit werden vom Tatbestand auch gewöhnliche Arztbesuche bei nur einfachen und kurzfristigen Erkrankungen erfasst (vgl. Schönke/Schröder Perron/Eisele, StGB, 28. Aufl., § 174 c Rdnr. 4 a).

8

Normzweck der Vorschrift ist auf der einen Seite der Schutz der sexuellen Selbstbestimmung von Personen, die wegen einer körperlichen oder psychischen Beeinträchtigung auf eine Beratung, Betreuung oder Behandlung angewiesen sind, daneben oder sogar in erster Linie - schützt die Norm aber auch die Störungsfreiheit eines Behandlungs-, Betreuungs- oder Beratungsverhältnisses (vgl. Renzikowski in MüKoStGB, § 174 c Rdnr. 1 f.). Deshalb unterfallen dem Schutzbereich der Vorschrift nicht nur die Personen, die wegen einer seelischen bzw. einer geistigen Behinderung oder auch einer Suchterkrankung in ihrer Fähigkeit zur sexuellen Selbstbestimmung eingeschränkt sind, sondern auch solche Personen, die von derartigen Einschränkungen nicht betroffen sind, etwa weil sie ausschließlich an körperlichen Erkrankungen leiden.

9

Es besteht auch kein Anlass, bei diesem Personenkreis die Erheblichkeitsschwelle nach § 184 g Nr. 1 StGB einschränkend und anders zu bestimmen als bei sonstigen Sexualstraftaten (so auch Renzikowski in MüKoStGB, aaO. Rdnr. 24. anders wohl Fischer, StGB, 58. Aufl., § 174 c Rdnr. 9). Es genügt zur Erfüllung des Tatbestandes des § 174 c Abs. 1 StGB, wenn der behandelnde Arzt an einer vorübergehend körperlich erkrankten Person im Rahmen einer Heilbehandlung unter Ausnutzung des der Therapie zugrunde liegenden Vertrauensverhältnisses und der therapiebedingten physischen Rahmenbedingungen wie etwa einer körperlichen Auslieferungssituation während der Behandlung - sexuelle Handlungen vornimmt (vgl. hierzu auch Hörnle in LK StGB, aaO. Rdnr. 23).

10

III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 473 Abs. 1 StPO.