Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 16.03.2011, Az.: 1 Ausl 16/11

Ermittlung der örtlichen Zuständigkeit des Oberlandesgerichts nach tatsächlichen Kriterien; Zuständigkeit eines Oberlandesgerichts im Hinblick auf eine durch die deutsche Strafverfolgungsbehörde veranlasste Einlieferung eines Verfolgten aus dem Ausland

Bibliographie

Gericht
OLG Celle
Datum
16.03.2011
Aktenzeichen
1 Ausl 16/11
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2011, 13638
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGCE:2011:0316.1AUSL16.11.0A

Verfahrensgang

vorgehend
GenStA Cell - AZ: 31 Ausl A 51/11 e

Amtlicher Leitsatz

§ 14 Abs. 1 IRG

Die örtliche Zuständigkeit des Oberlandesgerichts nach § 14 Abs. 1 IRG ist allein nach tatsächlichen Kriterien zu ermitteln. Veranlasst eine deutsche Strafverfolgungsbehörde die Einlieferung eines Verfolgten aus dem Ausland und ersucht ein dritter Staat um Weiterlieferung des Verfolgten, ist hierfür das Oberlandesgericht zuständig, in dessen Bezirk der Verfolgte sich erstmals auf deutschem Hoheitsgebiet aufhält, wenn er dort zum Zweck der Auslieferung ermittelt wird.

In dem Auslieferungsverfahren
...
hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Celle
auf den Antrag der Generalstaatsanwaltschaft Celle
durch
den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht xxxxxxxxxx sowie
die Richter am Oberlandesgericht xxxxxxxxxxxxxxx
und xxxxxxxxxx
am 16. März 2011
beschlossen:

Tenor:

Der Erlass eines Auslieferungshaftbefehls gegen den Verfolgten wird wegen fehlender örtlicher Zuständigkeit des Oberlandesgerichts Celle abgelehnt.

Gründe

1

I.

Die finnischen Justizbehörden haben auf der Grundlage einer SIS-Ausschreibung um Festnahme des Verfolgten zum Zweck der Auslieferung zur Strafvollstreckung ersucht. Dem Ersuchen nach ist der Verfolgte am 21. Januar 2008 durch den H. D. C. zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt worden, von der noch ein Jahr und sieben Monate zu verbüßen sind. Der Verurteilung liegt der in der Ausschreibung wie folgt beschriebene Sachverhalt zugrunde:

  1. "1)

    Am 18. 12. 2006 nahm G. gemeinschaftlich mit weiteren Personen einen Audi Quattro S4 (Kennz. xxxxxxx) durch Diebstahl bei einem Autohändler in T. in Gebrauch, indem die Täter zwei weitere Pkw bewegten und mit einem davon das Schaufenster durchbrachen, so dass der Audi an-schließend aus dem Laden gefahren werden konnte. Der Wert des entwendeten Eigentums beträgt 59.000 EUR.

  2. 2)

    Gemeinschaftlich mit weiteren Personen brach G. in ein Juweliergeschäft von O. O. L. an der Anschrift A. in H. ein. Sie fuhren mit einem Audi Kombi rückwärts in das Schaufenster des Juwelierladens und konnten so in das Geschäft eindringen, wo sie unrechtmäßig einen Großteil des Schmucks im Wert von 784.123 EUR entnahmen."

2

Der Verfolgte war bislang in Slowenien aufhältig. Auf Ersuchen der deutschen Behörden ist der Verfolgte für das Verfahren StA Verden 121 AR 42014/10 nach Deutschland überstellt worden. Zu diesem Zweck ist der Verfolgte den Beamten des LKA Niedersachsen am 14. März 2011 in L. übergeben, am 15. März 2011 auf dem Luftweg nach F. a. M. verbracht und von dort in die JVA V. verschubt worden.

3

Die mit dem Auslieferungsersuchen bereits befasste Generalstaatsanwaltschaft in Frankfurt am Main hat unter dem 11. März 2011 eine dortige Zuständigkeit unter Berufung darauf, dass sich der geplante Haftort des Verfolgten in Niedersachsen befindet, verneint und die Sache an die hiesige Generalstaatsanwaltschaft abgegeben. Diese beantragt nunmehr, gegen den Verfolgten die förmliche Auslieferungshaft anzuordnen.

4

II.

Dem Antrag der Generalstaatsanwaltschaft war mangels örtlicher Zuständigkeit des Oberlandesgerichts Celle nicht zu entsprechen.

5

1.

Die örtliche Zuständigkeit richtet sich nach § 14 Abs. 1 IRG. Danach ist das Oberlandesgericht berufen, in dessen Bezirk der Verfolgte zum Zweck der Auslieferung ergriffen oder, falls eine Ergreifung nicht erfolgt, zuerst ermittelt wird. Der Gerichtsstand des ersten Ermittlungsortes steht dabei dem des Ergreifungsortes gleich (vgl. OLG Hamm, MDR 1975, 1042; Wilkitzki in Grützner/Pötz/Kreß, Internationaler Rechtshilfeverkehr in Strafsachen, 3. Aufl., § 14 IRG Rn. 17). Eine einmal begründete Zuständigkeit endet erst mit dem Ende des Auslieferungsverfahrens und wird durch Änderungen im Aufenthalt des Verfolgten nicht berührt (vgl. schon BT-Drs. 9/1338, S. 48; Lagodny in Schomburg/Lagodny/Gleß/Hackner, Internationale Rechtshilfe in Strafsachen, 4. Aufl., § 14 IRG Rn. 4; OLG Hamm StraFo 1999, 50 (51)).

6

Vorliegend ist der Verfolgte zwar nicht zum Zweck der Auslieferung an die finnischen Justizbehörden, sondern für die Durchführung eines deutschen Strafverfahrens ergriffen worden. Gleichwohl ist aber in dem Moment, in dem sich der Verfolgte auf deutschem Hoheitsgebiet in Haft aufgehalten hat, eine die Zuständigkeit begründende erste Ermittlung im Sinne des § 14 Abs. 1, 2. Alt. IRG erfolgt. Denn zu diesem Zeitpunkt lag den für die Auslieferung an das Ausland zuständigen Behörden die Kenntnis vom Ersuchen der finnischen Justizbehörden vor (vgl. auch Lagodny a.a.O., Rn. 11).

7

Da sich der Verfolgte in diesem maßgeblichen Moment aufgrund des erfolgten Freiheitsentzugs im Bezirk des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main aufgehalten hat, ist die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts Celle für den Erlass des beantragten Auslieferungshaftbefehls zu verneinen. Die mittlerweile erfolgte Verschubung des Verfolgten in den Zuständigkeitsbereich des Oberlandesgerichts Celle hat hieran nach dem oben Gesagten nichts geändert. Der Verfolgte ist auch nicht - wovon offensichtlich die Generalstaatsanwaltschaft in Frankfurt am Main ausgeht - dadurch im Bezirk des Oberlandesgerichts Celle erstmalig ermittelt worden, dass der Verfolgte für ein Verfahren der Staatsanwaltschaft Verden gleich nach Eintreffen auf dem F. Flughafen ohne Einlieferung in eine hessische Justizvollzugsanstalt unmittelbar nach V. verschubt worden ist. Gegen ein solches Verständnis des § 14 Abs. 1 IRG spricht maßgeblich bereits der Wortlaut der Norm. Der Begriff "Bezirk" bedeutet schon in seinem allgemeinen Sprachgebrauch den räumlichen Zuständigkeitsbereich einer Behörde oder eines Gerichts (vgl. Brockhaus, Enzyklopädie, 19. Aufl. 1987). Seine Verwendung gerade in einer Regelung über die örtliche Zuständigkeit eines Gerichts lässt eine über den natürlichen Wortsinn hinausgehende Auslegung nicht zu. Soweit erkennbar orientieren sich dementsprechend Rechtsprechung und Literatur auch bei der Feststellung, in welchem Bezirk ein Verfolgter zum Zweck der Auslieferung erstmals ermittelt wird, ausschließlich an tatsächlichen Kriterien. Maßgeblich ist demnach allein, wo sich der Verfolgte aufgehalten hat (vgl. Lagodny a.a.O. Rn. 12; Wilkitzki a.a.O., Rn. 12). Auf die Dauer und den Grund des Aufenthalts des Verfolgten an dem ermittelten Ort kommt es hingegen nicht an (vgl. OLG Hamm, StraFo 1999, 50 (51); NJW 1975, 2154 [OLG Hamm 29.08.1975 - (2) 4 Ausl. 8/75]). Dass für den Fall einer von einer deutschen Behörde veranlassten Einlieferung eines Verfolgten aus dem Ausland etwas anderes gelten soll, kann hingegen auch den Gesetzesmaterialien nicht entnommen werden. Diese verhalten sich allein zu dem sich aus dem Gesetz ergebenden Grundsatz, dass sich die örtliche Zuständigkeit danach richtet, wo der Verfolgte ergriffen oder ermittelt wird (vgl. Gesetzesentwurf der Bundesregierung, BT-Drs. 9/1338, S. 48; Entwurf eines Deutschen Auslieferungsgesetzes, RT-Prot. Anl. 1928/30, 9, Nr. 362 [vgl.www.reichstagsprotokolle.de ]). Dass in Haftfällen etwas anderes gelten soll, ist nicht ersichtlich. Auch systematische Erwägungen sprechen gegen eine Abweichung vom eindeutigen Wortlaut. So stellen nämlich §§ 7 ff StPO ebenfalls auf rein faktisch zu bestimmende Örtlichkeiten bei der Frage nach der Gerichtszuständigkeit in einem Strafverfahren ab. Soweit sich die Generalstaatsanwaltschaft in Frankfurt am Main dem gegenüber auf die Fundstelle in Wilkitzki, a.a.O., Rn. 13, Fußnote 7 beruft, der unter Hinweis auf § 26 öst. ARHG in Fällen wie vorliegend die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts nach dem Haftort annimmt, vermag der Senat dieser Ansicht nicht zu folgen. Mag eine solche Auffassung auch sachgerecht sein, ist sie mit den geltenden Auslegungskriterien nicht zu vereinbaren. So bleibt auch die benannte Fundstelle eine Begründung schuldig und verweist lediglich auf die in Österreich geltende Regelung in § 26 ARHG, die ausdrücklich bei Haft die Maßgeblichkeit des Haftortes bestimmt.

8

2.

Die Zuständigkeit des Senats zum Erlass des beantragten Auslieferungshaftbefehls ergibt sich auch nicht aus einer Eilkompetenz nach§ 77 IRG i.V.m. § 21 StPO. Tatsächliche Umstände, die den Erlass des Haftbefehls zum gegenwärtigen Zeitpunkt unabdingbar machen, liegen nicht auf der Hand. Der Verfolgte befindet sich nämlich aufgrund eines nationalen Strafverfahrens bereits in justiziellem Gewahrsam.