Staatsgerichtshof Niedersachsen
Urt. v. 24.09.2001, Az.: StGH 2/00

Zulässigkeit eines Volksbegehrens; Korrektur einer vom Parlament beschlossenen Änderung eines Gesetzes; Volksbegehren "Kindertagesstätten-Gesetz Niedersachsen" ; Wiedergabe des vollständigen Inhalts der erstrebten Regelung im Unterschriftenbogen; Darstellung der mit dem Gesetzentwurf verbundenen Kosten; Gesetz über den Landeshaushalt

Bibliographie

Gericht
StGH Niedersachsen
Datum
24.09.2001
Aktenzeichen
StGH 2/00
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2001, 18203
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:STGHNI:2001:0924.STGH2.00.0A

Fundstelle

  • FStNds 2002, 65-69

Verfahrensgegenstand

Zulässigkeit des Volksbegehrens "Kindertagesstätten-Gesetz Niedersachsen"

Prozessführer

...

Professor Dr. Horst Dreier, Bismarckstr. 13, 21465 Reinbek

Sonstige Beteiligte

1. Niedersächsischer Landtag, vertreten durch den Präsidenten, Hinrich-Wilhelm-Kopf-Platz 1, 340159 Hannover,
2. Niedersächsische Landesregierung, vertreten durch den Ministerpräsidenten, Planckstraße 2, 30169 Hannover,

Redaktioneller Leitsatz

Die Zulässigkeit eines auf die Korrektur einer vom Parlament beschlossenen Änderung eines Gesetzes abzielenden Volksbegehrens setzt nicht voraus, dass sich der vollständige Inhalt der erstrebten Regelung unmittelbar aus dem in dem Unterschriftenbogen abgedruckten Gesetzestext ergibt und eine fehlerlose Darstellung der mit dem Gesetzentwurf verbundenen Kosten enthält.
Dass bei einem erfolgreichen Volksentscheid der Haushaltsgesetzgeber zur Vermeidung zusätzlicher Kosten die bisherigen Berechnungsgrundlagen für den kommunalen Finanzausgleich für die Zukunft abändern müsste, macht den Gesetzentwurf nicht zu einem Gesetz "über den Landeshaushalt" und führt daher nicht zur Unzulässigkeit des Volksbegehrens.

hat

der Niedersächsische Staatsgerichtshof

auf die mündliche Verhandlung vom 24. September 2001

unter Mitwirkung

des Präsidenten Schinkel - als Vorsitzenden -sowie

der Richterinnen und Richter

H. P. Schneider

Starck

Beckmann

Oltrogge

Kramer

Biermann

Wendeling-Schröder

J. Schneider

für Recht erkannt:

Tenor:

  1. 1.

    Der Beschluss der Niedersächsischen Landesregierung vom 7. März 2000 wird aufgehoben.

  2. 2.

    Das "Volksbegehren Kindertagesstätten-Gesetz" Niedersachsen wird unter Anrechnung der Eintragungen in den eingereichten Unterschriftenbögen mit der Maßgabe zugelassen, dass der "Entwurf eines Niedersächsischen Gesetzes über Tageseinrichtungen für Kinder (KiTaG)" wie folgt lautet:

    § 1 Zweck des Gesetzes

    Dieses Gesetz gilt für Tageseinrichtungen für Kinder, Das Niedersächsische Gesetz über Tageseinrichtungen für Kinder (KiTaG) findet in der Fassung vom 25. September 1995 (Nds. GVBl. S. 303), zuletzt geändert durch Art. 12 des Gesetzes vom 28. Mai 1996 (Nds. GVBl. S. 242), mit der Maßgabe Anwendung, dass in § 16 Abs. 1 Satz 1 KiTaG der Satzteil "ab dem 1. Januar 1995 in Höhe von 25 vom Hundert" entfällt. § 2 In-Kraft-Treten

    Dieses Gesetz tritt mit Beginn des auf seine Verkündung folgenden Haushaltsjahres in Kraft.

Gründe

1

A.

Das Volksbegehren "Kindertagesstätten-Gesetz Niedersachsen" richtet sich gegen die durch Art. 1 des Haushaltsbegleitgesetzes 1999 vom 21. Januar 1999 (Nds. GVBl. S. 10) mit Wirkung vom 1. August 1999 (Art. 22 Abs. 2) vorgenommenen Änderungen am Gesetz über Tageseinrichtungen für Kinder in der Fassung vom 25. September 1995 (Nds. GVBl. S. 303), zuletzt geändert durch Art. 12 des Gesetzes vom 28. Mai 1996 (Nds. GVBl. S. 242), und erstrebt insoweit die Fortgeltung bzw. Wiederherstellung der früheren Rechtslage.

2

I.

Das Gesetz über Tageseinrichtungen für Kinder (KiTaG) vom 25. September 1995 enthielt - wie bereits das 1. KiTaG vom 16. Dezember 1992 (Nds. GVBl. S. 353) - im 2. und 4. Abschnitt Bestimmungen über die Ausstattung und Organisation sowie die Finanzierung von Tageseinrichtungen.

3

1.

Durch Art. 1 Nrn. 3, 4 des Haushaltsbegleitgesetzes 1999 sind im 2. Abschnitt die §§4-9, 11 KiTaG gestrichen worden. Diese Bestimmungen enthielten Vorgaben u.a. für folgende Bereiche: Anzahl und Qualifikation, Freistellungs- und Verfügungszeiten sowie Fortbildung des Personals, Räume und deren Ausstattung, Größe der Tagesstätte und ihrer Gruppen, Öffnungs- und Betreuungszeiten. Auf Grund der vormaligen - nunmehr gem. Art. 1 Nr. 9 des Haushaltsbegleitgesetzes 1999 entfallenen - Ermächtigung in § 21 Abs. 1 KiTaG a.F. waren zudem in der Verordnung über Mindestanforderungen an Kindertagesstätten (1. DVO-KiTaG) vom 24. März 1993 (Nds. GVBl. S. 82) die im Gesetz mehr allgemein gehaltenen Regelungen zu den Räumen und ihrer Ausstattung sowie zur Größe der Tagesstätte und ihrer Gruppen näher konkretisiert worden. Durch Art. 22 Abs. 3 Nr. 1 des Haushaltsbegleitgesetzes 1999 ist diese Verordnung mit Ablauf des 31. Juli 1999 außer Kraft getreten. Von den bisherigen Standards ist in abgewandelter Form nur eine Bestimmung über die Größe der Gruppen erhalten geblieben. Durch Art. 1 Nr. 2b des Haushaltsbegleitgesetzes 1999 ist insoweit in § 1 Abs. 3 KiTaG ein neuer Satz 3 angefügt worden, wonach "in der Regel" die Gruppen der sog. Krippen nicht mehr als 15, die der Kindergärten nicht mehr als 25 und die der sog. Horte nicht mehr als 20 Kinder haben. Vormals waren diese Zahlen gemäß § 2 der 1. DVO-KiTaG Höchstgrenzen, wobei zusätzlich für bestimmte Fälle (z.B. bei Gruppen mit Kindern unterschiedlicher Altersstufen oder besonders hohem Anteil ganz kleiner Kinder) niedrigere Teilnehmerzahlen vorgeschrieben waren.

4

2.

Außerdem sind durch Art. 1 Nr. 7 des Haushaltsbegleitgesetzes 1999 die Bestimmungen über die Finanzierung von Tageseinrichtungen im 4. Abschnitt des KiTaG gestrichen worden, und zwar mit Ausnahme der Regelung über die Elternbeiträge, die allerdings dahingehend geändert worden ist, dass sich die Beiträge nicht mehr nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der Eltern richten "sollen", sondern "können". Damit entfiel § 16 Abs. 1 KiTaG, wonach das Land eine Finanzhilfe in einer bestimmten prozentualen Höhe zu den Personalausgaben der Träger der Tageseinrichtungen beisteuerte. Nach der Regelung im KiTaG vom 16. Dezember 1992 bzw. 25. September 1995 sollte die Finanzhilfe zunächst 20 %, ab dem 1. Januar 1995 25 % betragen. Sie wurde jedoch abweichend davon durch Art. II des Haushaltsbegleitgesetzes 1995 vom 17. Dezember 1994 (Nds. GVBl. S. 533) bzw. Art. 5 Nr. 2 des Haushaltsbegleitgesetzes 1996 vom 20. Dezember 1995 (Nds. GVBl. S. 478) auch für die Haushaltsjahre 1995 bis 1996 bzw. 1997 bis 1999 auf 20 % begrenzt. Die Einzelheiten der Berechnung der Finanzhilfe waren in der 2. DVO-KiTaG vom 11. Mai 1993 (Nds. GVBl. S. 103) mit Änderungen vom 12. Dezember 1996 (Nds. GVBl. S. 521) festgelegt, die gemäß Art. 22 Abs. 3 Nr. 2 des Haushaltsbegleitgesetzes 1999 ebenfalls mit Ablauf des 31. Juli 1999 außer Kraft getreten ist. Nach Art. 1 Nr. 9 des Haushaltsbegleitgesetzes 1999 ist ferner die entsprechende Verordnungsermächtigung (§ 21 Abs. 2 Nr. 3 KiTaG a.F. ) entfallen. Die Mittel, die das Land Niedersachsen bislang für die Förderung von Tageseinrichtungen auf Grund des KiTaG einsetzte, sind ab 1. August 1999 in voller Höhe als zusätzliche Mittel in den kommunalen Finanzausgleich eingestellt worden. Diese Finanzierung beruht auf dem Gesetz zur Änderung des Niedersächsischen Gesetzes über den Finanzausgleich (NFAG) und anderer Gesetze vom 12. März 1999 (Nds. GVBl. S. 74), dem Niedersächsischen Gesetz zur Regelung der Finanzverteilung zwischen Land und Kommunen (NFVG) vom 12. März 1999 (Nds. GVBl. S. 79) und dem Gesetz über die Feststellung des Haushaltsplanes für die Haushaltsjahre 1999 und 2000 vom 18. März 1999 (Nds. GVBl. S. 82). Ihr liegt weiterhin eine Landesfinanzierungsquote von 20 % (ca. 260 Mio. DM pro Jahr) zu Grunde. Anders als früher (§ 16 KiTaG a.F. ) werden die Finanzhilfen des Landes aber nicht mehr direkt mit dem jeweiligen Träger der Einrichtung abgerechnet, sie sind auch nicht mehr unmittelbar zweckgebunden.

5

3.

Die Änderungen durch das Haushaltsbegleitgesetz 1999 sind inzwischen in die Neubekanntmachung des Gesetzes über Tageseinrichtungen für Kinder vom 4. August 1999 (Nds. GVBl. S. 308) eingeflossen.

6

II.

1.

Gegen diese Änderungen hat sich das "Aktionsbündnis für das Volksbegehren zum Erhalt des Kita-Gesetzes in Niedersachsen" gebildet, das u.a. von verschiedenen Gewerkschaften, kirchlichen Organisationen, Eltern- und Wohlfahrtsverbänden getragen wird. Vertreterinnen und Vertreter des Volksbegehrens im Sinne des § 14 Niedersächsisches Volksabstimmungsgesetz (NVAbStG) sind die Antragstellerinnen und Antragsteller. Gegenstand des Volksbegehrens ist der von ihnen erarbeitete "Entwurf eines Niedersächsischen Gesetzes über Tageseinrichtungen für Kinder (KiTaG)", der folgenden Wortlaut hat:

§ 1 Zweck des Gesetzes

Dieses Gesetz gilt für Tageseinrichtungen für Kinder. Das Niedersächsische Gesetz über Tageseinrichtungen für Kinder (KiTaG) findet in der Fassung vom 25. September 1995 (Nds. GVBl. S. 303) zuletzt geändert durch Art. 12 des Gesetzes vom 28. Mai 1996 (Nds. GVBl. S. 242) Anwendung.

§ 2 In-Kraft-Treten Dieses Gesetz tritt am Tage nach seiner Verkündigung in Kraft.

Begründung:

Mit diesem Volksbegehren soll die Fortgeltung des Kindertagesstättengesetzes in seiner alten Fassung erreicht werden.

Das Volksbegehren bezieht sich ausdrücklich auf die von der damaligen Landesregierung angegebene Begründung, die bei der Einbringung des Niedersächsischen Gesetzes über Tageseinrichtungen für Kinder (KiTaG) vom 01. Januar 1993 in den Landtag vorgelegt wurde. Die damals gemachten Aussagen zu den gesetzlichen Rahmenbedingungen der Kindertagesstätten sind, wie dieses Volksbegehren zeigt, weiterhin aktuell. Die Vertreterinnen des Volksbegehrens finden es unerträglich, dass ohne ein qualifiziertes Kindertagesstätten-Gesetz die Entwicklungs- und Bildungschancen der niedersächsischen Kinder davon abhängig sind, in welchem Ort sie eine Kindertagesstätte besuchen.

Kosten und Mindereinnahmen bei Annahme des Gesetzes für das Land und die Gemeinden:

Gegenüber den bei Einleitung des Volksbegehrens bestehenden Rechtsverhältnissen (bisheriges KITA-Gesetz) ergeben sich weder für das Land Niedersachsen noch für die Gemeinden Mehrkosten, wenn das vorgelegte KITA-Gesetz durch Volksbegehren (wieder) in Kraft gesetzt wird.

Die freien Träger, aber auch die kommunalen Träger, brauchen weiterhin eine langfristige Regelung der Landesbeteiligung. Nur dann ist zu erwarten, dass auch zukünftig in Kindertagesstätten investiert wird und eine "Mindest-Qualitätsabsicherung" erfolgt. Mindereinnahmen sind nicht zu erwarten.

7

In einer Erläuterung zum Volksbegehren - Bestandteil der Unterschriftenbögen nach § 13 NVAbstG - heißt es nach dem Hinweis, am 20. Januar 1999 sei über ein Haushaltsbegleitgesetz"das Kindertagesstättengesetz in seinen wesentlichen Inhalten abgeschafft" worden, ergänzend:

Damit wird den Kommunen die Verantwortung für die Qualität der Arbeit in den Kindertagesstätten übertragen. Gleichzeitig wurden die Mittel in den kommunalen Finanzausgleich eingebracht und sind damit nicht mehr zweckgebunden. Es ist zu befürchten, dass eine Reihe von Kommunen wegen ihrer kritischen Haushaltslage die bisherigen Standards nicht halten werden und dies zu einer Verschlechterung der Qualität der Arbeit in den Kindertagesstätten führen wird. Das kann z.B. geschehen durch Arbeitsplatzabbau und verstärkte Teilzeitarbeit, Einsatz von Hilfskräften an Stelle von Fachkräften, verkürzte Vorbereitungszeiten, verkürzte Öffnungszeiten, weniger Zeit für Eltern, erhöhte Elternbeiträge, größere Gruppen.

Kinder und Familien in Niedersachsen brauchen verlässliche gesetzliche Rahmenbedingungen! Wir brauchen das bewährte Kindertagesstättengesetz!

8

2.

Unter dem 24. März 1999 hat der Landeswahlleiter gem. § 15 Abs. 3 NVAbstG das Muster für den Unterschriftenbögen des Volksbegehrens verbindlich festgelegt und im Niedersächsischen Ministerialblatt (S. 172) das Volksbegehren öffentlich bekannt gemacht (§ 15 Abs. 4 NVAbstG). Nachdem bis August 1999 die für das Zustandekommen von Volksbegehren erforderliche Anzahl gültiger Eintragungen von 10 % der Wahlberechtigten der letzten Landtagswahl erreicht war, beantragten die Vertreterinnen und Vertreter des Volksbegehrens unter dem 16. September 1999, die Zulässigkeit des Volksbegehrens festzustellen.

9

III.

Mit Beschluss vom 7. März 2000 hat die Niedersächsische Landesregierung entschieden, dass das Volksbegehren "Kindertagesstätten-Gesetz Niedersachsen" mit Art. 48 Abs. 1 NV nicht vereinbar und daher unzulässig sei. Dem Volksbegehren liege zum einen kein ausgearbeiteter, mit Gründen versehener Gesetzentwurf zu Grunde (Art. 48 Abs. 1 Satz 2 NV); zum anderen sei Gegenstand des Volksbegehrens ein Gesetz über den Landeshaushalt (Art. 48 Abs. 1 Satz 3 NV).

10

1.

Der Inhalt der erstrebten Regelung gehe aus dem abgedruckten Text nicht unmittelbar hervor. Auch die Begründung unterrichte nicht über die Bedeutung der beabsichtigten Wiederherstellung des Rechtszustandes von 1995. Der Hinweis auf die seinerzeitige Begründung der Landesregierung bei Einbringung des Gesetzentwurfes von 1993 sei unergiebig, weil diese den Bürgern nicht bekannt sein könne und ihnen auch keine Fundstelle dafür benannt sei. Zudem informiere die Begründung nicht über die mit dem Gesetzentwurf verbundenen finanziellen Folgen, wozu u.a. ab 2000 die Heraufsetzung der Finanzierungsquote von 20 % auf 25 % gehöre. Auch fehlten rechtliche Regelungen, die eine Herausnahme der Mittel aus dem kommunalen Finanzausgleich herbeiführen und die im Volksbegehren dargestellte Kostenneutralität bewirken könnten; insoweit wären flankierend verschiedenste Gesetzesänderungen nötig. Um die angekündigte Rückkehr zum vormaligen Rechtszustand herbeizuführen, hätte letztlich ein Änderungsgesetz entworfen werden müssen, mit dem das erstrebte Ziel tatsächlich hätte erreicht werden können.

11

2.

Gegenstand des Volksbegehrens sei im Übrigen ein unzulässiges "Gesetz über den Landeshaushalt". Art. 48 Abs. 1 Satz 3 NV schütze das Budgetrecht des Parlaments. Diese Norm könne deshalb nicht auf die Haushaltsgesetzgebung im engen technischen Sinn (Haushaltsgesetz einschließlich Haushaltsplan) beschränkt werden. Vielmehr sei das Verbot der Verfassung materiell zu verstehen und auf Volksbegehren anzuwenden, deren finanzielle Auswirkungen den Landeshaushalt "wesentlich" beeinflussten oder das Gleichgewicht des gesamten Haushaltes störten und letztlich zu einer Neuordnung zwingen würden. Finanzwirksame Entscheidungen, die Ausgleichsmaßnahmen im Landeshaushalt verlangten, könnten deshalb nicht Gegenstand eines Volksbegehrens sein, weil dies zugleich Regelungen des Landeshaushaltes wären.

12

Bei Annahme des Gesetzes entstünden erhebliche Mehrkosten. Durch die Erhöhung der Finanzierungsquote auf 25 % ergebe sich eine zusätzliche Belastung von 67 Mio. DM jährlich. In den kommunalen Finanzausgleich seien für die Zeit vom 1. August bis 31. Dezember 1999 bereits etwa 105 Mio. DM eingestellt worden; für 2000 werde mit ca. 260 Mio. DM gerechnet. Die Wiedereinführung direkter Personalkostenzuschüsse bedeute insoweit eine entsprechende Doppelbelastung, die frühestens im Rahmen einer Neuordnung der Finanzierung ab dem Jahre 2001 kompensiert werden könne. Auf Grund dieser Mehrkosten sei von einer unzulässigen Finanzwirksamkeit des Volksbegehrens auszugehen. Denn maßgebend sei - angesichts des Ausmaßes der Haushaltsbindung durch bereits bestehende Rechtsansprüche - die sog. "freie Spitze" im Landeshaushalt, die durch Anhebung des Haushaltsvolumens im Wege der Kreditaufnahme wegen der Kreditaufnahmegrenze des Art. 71 Satz 2 NV nicht erhöht werden dürfe.

13

Das Volksbegehren greife auch strukturell in den Landeshaushalt ein, weil es eine Finanzierung der Kindertagesstätten außerhalb des kommunalen Finanzausgleiches vorschreibe.

14

3.

Die Zulässigkeit des Volksbegehrens lasse sich nicht durch eine Zulassung mit Änderungen (§ 21 NVAbstG) herbeiführen. Insoweit sei nur eine Korrektur im Hinblick auf die von den Vertretern des Volksbegehrens nicht beabsichtigte Anhebung der Finanzierungsquote auf 25 % möglich, weil hier offenbar ein redaktionelles Versehen vorliege. Die übrigen verfassungsrechtlichen Mängel ließen sich dagegen entweder aus tatsächlichen Gründen nicht mehr beheben (Verstöße gegen Art. 48 Abs. 1 Satz 2 NV) oder beträfen den Kern des Volksbegehrens (Finanzierung der Kindertagesstätten außerhalb des kommunalen Finanzausgleichs - Verstoß gegen

15

Art. 48 Abs. 1 Satz 3 NV), so dass bei einer Abänderung die gesammelten Unterstützungsunterschriften nicht angerechnet werden könnten.

16

IV.

Gegen diese Entscheidung wenden sich die Vertreterinnen und Vertreter des Volksbegehrens. Sie beantragen, den Beschluss der Niedersächsischen Landesregierung vom 7. März 2000 aufzuheben und festzustellen, dass das Volksbegehren Kindertagesstättengesetz mit der Niedersächsischen Verfassung vereinbar und zulässig ist. Zur Begründung führen sie aus:

17

1.

Ein Verstoß gegen Art. 48 Abs. 1 Satz 2 NV liege nicht vor. Die Landesregierung übersehe, dass der Gesetzentwurf auf die "Fortgeltung" des bis zum 31. Juli 1999 in Niedersachsen in Kraft befindlichen KiTaG ziele. Damit handele es sich der Sache nach nicht um die Vorbereitung eines neues Recht setzenden Volksentscheides, sondern vielmehr um ein Referendum gegen die vom Parlament vorgenommenen Änderungen. Als die Bürger sich in die Unterschriftenlisten eintrugen, hätten sie mithin für die Beibehaltung der geltenden Rechtslage votiert, die ihnen in ihren praktischen Auswirkungen geläufig gewesen sei. Deshalb habe ihnen das Anliegen des Volksbegehrens nicht zusätzlich noch einmal in einem ausführlichen Gesetzentwurf deutlich gemacht und erläutert werden müssen. Insofern genüge die dem Entwurf beigefügte Begründung. Die Begründungslast trage stets derjenige, der eine bestehende Rechtslage ändern wolle; wer sie hingegen bewahren möchte, sei nicht genötigt, die zur Einführung des entsprechenden Gesetzes vorgetragenen Gründe noch einmal zu wiederholen.

18

Soweit es angesichts mittlerweile eingetretener Rechtsänderungen zur Wiederherstellung des früheren Rechtszustandes noch weiterer Schritte und Rechtsakte bedürfe, stelle dies die Zulässigkeit des Volksbegehrens nicht in Frage. Auf die finanziellen Regelungen im NFVG, NFAG und im Doppelhaushalt 1999/2000 habe man schon zeitlich gar nicht reagieren können; Gleiches gelte für die Neubekanntmachung des KiTaG. Abgesehen davon gehöre es zum Wesen der direkten Demokratie und damit zu dem von der Niedersächsischen Verfassung vorgesehenen Nebeneinander zweier normativ gleichrangiger Legislativorgane, dass das Volk als Gesetzgeber in Konkurrenz zum parlamentarischen Gesetzgeber trete, also entweder neues Recht setze oder Entscheidungen des Landtages korrigiere. Normative Überschneidungen und Widersprüche in der Rechtsordnung würden zwischen gleichrangigen Legislativorganen allein durch Anwendung der Vorrangregel korrigiert, wonach das spätere Gesetz das frühere verdrängt.

19

2.

Es liege auch kein "Gesetz über den Landeshaushalt" vor. Gemeint seien hiermit Gesetze über den Haushalt bzw. Haushaltsplan im technischen Sinne des Art. 65 Abs. 4 NV. Im Übrigen könne von einer wesentlichen Beeinträchtigung des Haushalts keine Rede sein. Lege man die von der Landesregierung genannten Zahlen zu Grunde, gehe es um 0, 81 % des Haushaltsvolumens. Halte man dies bereits für unzulässig, müsse man fragen, welcher Raum der Volksgesetzgebung noch verbleibe, wenn sie darauf verwiesen wäre, lediglich Gesetze zu erlassen, deren Haushaltsrelevanz gegen Null tendieren müsse. Letztlich seien die angeblichen Mehrkosten in Höhe von 260 Millionen DM eine "Luftbuchung". Zu Mehrkosten komme es nur, wenn gesetzgeberische Eingriffe in das Haushaltsgesetz, den Haushaltsplan, das NFAG und das NFVG unterblieben. Das unveränderte Fortbestehen der genannten Regelungen werde insoweit zu Lasten des Volksbegehrens als Faktum unterstellt, der angebliche "Vertrauensschutz" der Gemeinden und damit die einfach-gesetzliche Regelung in § 1 Abs. 2 NFAG als Grenze der Volksgesetzgebung im Sinne der Verfassung gesehen. Dies sei unzulässig. Der Umstand, dass die Personalkostenzuschüsse wieder aus dem Gesamtvolumen des kommunalen Finanzausgleichs auszugliedern seien, könne kein Zulassungshindernis bilden; die direkte Demokratie stehe in Niedersachsen nicht unter dem Vorbehalt, den kommunalen Finanzausgleich nicht zu tangieren. Die bei richtiger Betrachtung verbleibenden Mehrkosten in Höhe von nur 67 Millionen DM beruhten - wie auch die Landesregierung einräume - auf einem Redaktionsversehen, sie könnten im Wege einer klarstellenden Änderung nach § 21 Abs. 1 Satz 1 NVAbstG ausgeschlossen werden.

20

V.

Die Landesregierung hält den Antrag für unbegründet. Sie führt dazu aus:

21

1.

Ein Gesetzentwurf müsse so ausgestaltet sein, dass er in der für das Volksbegehren zu Grunde gelegten Form Gesetz werden könne. Der streitgegenständliche Entwurf verweise auf das Gesetz über Tageseinrichtungen für Kinder "in der Fassung vom 25. September 1995, zuletzt geändert durch Art. 12 des Gesetzes vom 28. Mai´1996". Bezogen auf den Zeitpunkt der Festlegung des Musters für den Unterschriftenbogen bedeute dies, dass das Gesetz in der Fassung gelten solle, die zu diesem Zeitpunkt noch gegolten habe; nehme man den Wortlaut ernst, dann würde ein Gesetz mit diesem Inhalt an der Rechtslage nichts ändern. Der Entwurf sei zudem so formuliert, dass er das Haushaltsbegleitgesetz unberührt lasse. Er verhalte sich jedenfalls ausdrücklich nicht zum geltenden Gesetz über Tageseinrichtungen für Kinder, mittlerweile in der Fassung vom 4. August 1999, sondern stelle daneben einen -zeitlich nicht begrenzten - Gesetzesbefehl über die Anwendung dieses Gesetzes in einer früheren Fassung dar. Ein solches Vorgehen entspreche nicht dem rechtsstaatlichen Gesetzgebungsstandard; es ergebe sich durch dieses Nebeneinander ein Normwiderspruch. Auch ein Volksbegehren müsse jedoch einen Mindeststandard dahingehend einhalten, dass bei ändernden Gesetzen keine Zweifel über den künftigen Gesetzeswortlaut aufkommen dürften.

22

Es fehle - wie im angegriffenen Beschluss ausgeführt - an der erforderlichen Begründung. Soweit der Entwurf Informationen enthalte, seien diese im Übrigen teilweise falsch, teilweise unzureichend; zu wesentlichen Änderungen, die das Volksbegehren gegenüber der Entscheidung des parlamentarischen Gesetzgebers im Haushaltsbegleitgesetz herbeiführen wolle, werde nicht Stellung genommen. Auch zu den finanziellen Folgen fehle eine hinreichende Begründung bzw. sei die Aussage der Kostenneutralität falsch. Abgesehen von der Frage der Höhe der Zuschüsse führe die Wiedereinführung der direkten Personalkostenzuschüsse zu einer erheblichen Mehrbelastung. Eine Kompensation sehe das Volksbegehren nicht vor. Bei der Kostenbetrachtung komme es aber allein darauf an, was das angestrebte Gesetz bewirken könne. Dass das Parlament die Kosten ggf. durch Rechtsänderungen und daraus resultierende Einsparungen an anderer Stelle ausgleichen könne, ändere nichts an der Kostenwirksamkeit des Vorhabens.

23

2.

Im Übrigen scheitere das Volksbegehren jedenfalls an Art. 48 Abs. 1 Satz 3 NV. Gesetze über den Landeshaushalt seien auch Gesetze, die sich in bestimmter Weise materiell auf die Haushaltsgesetzgebung auswirkten, indem sie auf den Gesamtbestand des Haushalts Einfluss nähmen, das Gleichgewicht des Haushalts störten und damit zu einer wesentlichen Beeinträchtigung des Budgetrechts des Parlaments führten.

24

Art. 48 Abs. 1 Satz 3 NV diene dem Schutz der Gesamtverantwortung des Landtags für den Haushalt. Ein Gesetz, das Maßnahmen mit Auswirkungen auf einen bereits verabschiedeten Haushaltsplan zum Inhalt habe und damit an sich eine Deckungsregelung erfordere, sei unzulässig. Die in der Antragsbegründung vertretene formelle Betrachtungsweise werde dem Zweck der Haushaltsklausel nicht gerecht und lasse diese im Ergebnis leer laufen. Die in Rede stehenden, mit dem Volksbegehren zumindest verbundenen Mehrausgaben von knapp 260 Millionen DM würden - unter Berücksichtigung rechtlich oder faktisch feststehender Positionen im Haushalt - den finanziellen Spielraum des Landes in den nächsten Jahren erheblich schrumpfen lassen. Die Art der Nutzung der finanziellen Spielräume falle aber grundsätzlich in die Gesamtverantwortung der Landesregierung bzw. des Landtags.

25

VI.

Der Niedersächsische Landtag hat in seiner Sitzung vom 20. Juni 2000 beschlossen, von einer Äußerung im anhängigen Verfahren abzusehen.

26

B.

Der Antrag der Vertreterinnen und Vertreter des "Volksbegehrens Kindertagesstätten-Gesetz Niedersachsen" ist zulässig (Art. 48 Abs. 2 Halbsatz 2, Art. 54 Nr. 2 NV; § 31 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Satz 1 StGHG) und führt in der Sache zur Aufhebung des Beschlusses der Niedersächsischen Landesregierung vom 7. März 2000 und damit zur Zulassung des Volksbegehrens.

27

I.

Ein "ausgearbeiteter, mit Gründen versehener Gesetzentwurf" im Sinne von Art. 48 Abs. 1 Satz 2 NV liegt vor. Das Volksbegehren ist mit der Maßgabe zulässig, dass der im Hinblick auf § 16 Abs. 1 Satz 1 KiTaG vorliegende redaktionelle Fehler bezüglich der Heraufsetzung der Höhe der Personalkostenzuschüsse nach Maßgabe der Entscheidungsformel zu korrigieren ist (§21 NVAbstG).

28

1.

Der "Entwurf eines Niedersächsischen Gesetzes über Tageseinrichtungen für Kinder (KiTaG)" kann als Gesetz beschlossen werden und ist abstimmungsfähig, weil sich der Inhalt der intendierten Regelung durch das in § 1 in Bezug genommene Gesetz über Tageseinrichtungen für Kinder objektiv hinreichend bestimmen lässt. Dass der vollständige Inhalt der erstrebten Regelung sich nicht unmittelbar aus dem in dem Unterschriftenbogen abgedruckten Gesetzestext ergibt, ist im vorliegenden Fall unschädlich:

29

a)

Das Erfordernis der Ausarbeitung des Gesetzentwurfs dient - ebenso wie das der Begründung - dem Zweck, den Bürgern die Tragweite des Volksbegehrens deutlich zu machen. Dabei genügt es nicht, dass lediglich die am Volksbegehren unmittelbar interessierten Bürger (z.B. der von dem intendierten Volksgesetz direkt betroffene Bevölkerungsteil) kraft ihres Interesses an der Materie den Inhalt des Begehrens kennen; vielmehr muss die Gesamtheit der abstimmenden Bürger aus der Fassung des Gesetzentwurfes oder dessen Begründung die Abstimmungsfrage und deren Bedeutung entnehmen können (s. a. BayVerfGH, BayVBl. 1977, 143 <145>; 1978, 334 <335>; StGH Bremen, DÖV 1986, 792 <793>; SaarlVerfGH, NVwZ 1988, 245 [VerfGH Saarland 14.07.1987 - Lv 3/86] <246>). Soweit das Informationsbedürfnis der Bürger als Voraussetzung einer sachgerechten Abstimmung dies erfordert, ist deshalb die mit einem Volksbegehren erstrebte Regelung in den Unterschriftenbogen selbst abzudrucken.

30

Die Notwendigkeit der Information der Bürger schließt jedoch die Möglichkeit einer Verweisung im Text eines Volksbegehrens nicht zwangsläufig aus. Zwar kann nicht davon ausgegangen werden, dass bei einem Verweis auf eine Fundstelle im Gesetz und Verordnungsblatt jeder Bürger, bevor er seine Unterschrift leistet, Einsicht in den in Bezug genommenen Text nimmt und sich anhand dessen die Gesetzeslage vergegenwärtigt, sodass er bei seiner Stimmabgabe in voller Kenntnis jeder Einzelheit der Ziele des Volksbegehrens handelt. Allein aus dem Umstand, dass ein Volksbegehren auf die Korrektur einer vom Parlament beschlossenen Änderung eines Gesetzes abzielt, kann andererseits aber nicht der Schluss gezogen werden, es bestehe kein Informationsbedürfnis, weil dem Bürger die bisherige Rechtslage ausreichend bekannt sei; dies liefe auf eine nicht zulässige Unterstellung hinaus. Ein umfassender Wissensstand wäre - jedenfalls bei umfangreicheren Gesetzen mit vielen Detailregelungen, wie auch hier bei dem KiTaG - ohnehin nie sicherzustellen, auch wenn den Unterschriftenbögen ein kompletter Abdruck des Gesetzes beigefügt würde. Die Annahme, dass der zur Abstimmung aufgerufene Bürger sich vor Unterzeichung alle Regelungen durchliest, entspricht nicht der Wirklichkeit. Eine solche Verfahrensweise wäre auch kontraproduktiv, weil sie beim Bürger angesichts der Kompliziertheit der einzelnen Normen und der Gesetzessprache eher auf Unverständnis stoßen und zu einer Verwirrung über die Tragweite des Volksbegehrens führen könnte.

31

Ausgehend von Sinn und Zweck des Art. 48 Abs. 1 Satz 2 NV, dem Bürger die Tragweite des Volksbegehrens zu verdeutlichen, liegt eine ausreichende Information als Voraussetzung einer sachgerechten Abstimmung bereits dann vor, wenn der Kern des Volksbegehrens, das heißt seine tatsächliche Zielsetzung, für den Bürger erkennbar ist. Denn in einem solchen Fall besteht nicht die Gefahr einer Verfälschung des Abstimmungsergebnisses und damit des (volks-) gesetzgeberischen Willens, da hierfür eine Kenntnis von Detailregelungen regelmäßig ohne Bedeutung ist. Darüber hinaus kann der Kern des Volksbegehrens auch durch die Begründung vermittelt werden; dieser kommt, zumal wenn auf ein anderes Gesetz verwiesen wird, eine besondere Bedeutung zu (vgl. auch BayVerfGH, BayVBl. 1977, 143 <145>; BayVBl. 1995, 173<178>).

32

b)

Diese Anforderungen erfüllt der Entwurf. Der mit "Begründung" überschriebene und sich an die Formulierung der §§ 1-2 anschließende Text des Entwurfs ist zwar - für sich genommen - nicht genügend aussagekräftig. Die als Bestandteil der Unterschriftenbögen (§ 13 Abs. 2 NVAbstG) den Unterlagen beiliegende Erläuterung Volksbegehren "Kindertagesstätten-Gesetz Niedersachsen" enthält aber nähere und letztlich im Hinblick auf Art. 48 Abs. 1 Satz 2 NV ausreichende Informationen. Die beiden zentralen Punkte der vom Landtag beschlossenen Änderung des KiTaG werden behandelt: die Aufhebung der direkten, unmittelbar zweckgebundenen Finanzhilfe unter Einstellung der Mittel in den allgemeinen kommunalen Finanzausgleich sowie der Verzicht auf landesrechtliche Vorgaben für die personale und sächliche Ausstattung von Kindertagesstätten. Es wird deutlich, dass hierdurch die Verantwortung für die Qualität der Tagesstätten auf die Kommunen als örtliche Träger der Kinder- und Jugendhilfe übertragen wird und von deren finanziellem Engagement (Höhe der Kostenbeteiligung; ggf. - wie bei § 16 KiTaG - gekoppelt an Standards) künftig auch die Güte der Kindertagesstätten freier Träger abhängt. Anschließend wird im Entwurf nachvollziehbar die Sorge dargelegt, dass sich hierdurch die Situation in den Tagesstätten in verschiedener Hinsicht verschlechtern könnte.

33

Die Absicherung der Finanzierung von Kindertagesstätten durch die Regelungen im 4. Abschnitt des KiTaG a.F. sowie die Vorgabe von Mindeststandards durch die Regelungen im 2. Abschnitt des KiTaG a.F. sind auch vormals von der Landesregierung im Rahmen der Begründung des unter dem 2. Juni 1992 eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über Tageseinrichtungen für Kinder (Drs. 12/3280; S. 15) als die zentralen Pfeiler des neuen KiTaG bewertet worden.

34

Da das Volksbegehren insoweit die beiden entscheidenden Sachthemen konkret und sachgerecht anspricht, genügt der Entwurf den verfassungsrechtlichen Anforderungen des Art. 48 Abs. 1 Satz 2 NV. Hierbei ist es im Hinblick auf den Empfängerhorizont der Adressaten gerade nicht zu beanstanden, dass die gewählten Formulierungen nicht immer juristisch exakt, manchmal "volkstümlicher" ausgefallen sind.

35

2.

Die von der Landesregierung in ihrem Beschluss vom 7. März 2000 sowie im anhängigen Verfahren weiter angeführten Gesichtspunkte sind nicht geeignet, die Unzulässigkeit des Volksbegehrens zu begründen.

36

a)

Es ist unerheblich, dass der Gesetzentwurf keine näheren Regelungen im Hinblick auf das Haushaltsbegleitgesetz vom 21. Januar 1999 - das zwar in der Begründung angesprochen, aber dessen Änderung im Text des Gesetzes nicht ausdrücklich angeordnet wird - und die Neubekanntmachung des KiTaG vom 4. August 1999 enthält. Im Falle eines erfolgreichen Volksentscheids wird das alte KiTaG wieder in Kraft gesetzt und verdrängt dann nach dem Grundsatz "Lex posterior derogat legi priori" ältere entgegenstehende Gesetze. Von einem rechtsstaatswidrigen Normenwiderspruch kann nicht gesprochen werden. Dem Landesgesetzgeber steht es im Übrigen frei, im Zuge einer späteren Neubekanntmachung des KiTaG etwaige von ihm als wünschenswert angesehene klarstellende Änderungen nachzuholen.

37

b)

Die nach Auffassung der Landesregierung fehlerhafte Darstellung der Kostensituation im Entwurf ist nicht von ausschlaggebender Bedeutung. Zwar bestimmt

38

Art. 68 Abs. 1 NV, dass derjenige, der einen Gesetzentwurf einbringt, die Kosten und Mindereinnahmen darlegen muss, die für das Land, für die Gemeinden, für die Landkreise und für betroffene andere Träger öffentlicher Verwaltung in absehbarer Zeit zu erwarten sind. Diese Norm gilt für alle Gesetzesinitiatoren im Sinne des Art. 42 Abs. 3 NV und damit auch für die Volksgesetzgebung, was § 12 Abs. 2 NVAbstG verdeutlicht. Jedoch erfordert ein Gesetzentwurf im Rahmen der Volksgesetzgebung keine gesicherte Kostenermittlung. Art. 48 Abs. 1 Satz 2 NV verlangt unmittelbar nur einen Gesetzentwurf mit abstimmungsfähigem Inhalt und eine Erläuterung von Sinn und Zweck des Gesetzes. Dass ein Volksgesetz sich zu den Kosten äußern muss, ergibt sich erst aus der allgemein im 8. Abschnitt der Verfassung enthaltenen Bestimmung des Art. 68 Abs. 1 NV. Auch ein Parlamentsgesetz ist aber nicht deshalb verfassungswidrig, weil sich die in seinem Entwurf getroffenen Aussagen zu den Kosten als unzureichend erweisen. Nichts anderes gilt für die Volksgesetzgebung.

39

Wollte man demgegenüber eine fehlerfreie Kostenermittlung verlangen und hielte ein Volksbegehren immer dann für unzulässig, wenn dessen finanzielle Folgen nicht präzise und zutreffend dargestellt werden, würde dies die Möglichkeiten der Volksgesetzgebung - entgegen den Intentionen der Verfassung - massiv beschränken. Denn den Initiatoren eines Volksbegehrens fehlt häufig die Möglichkeit, die mit ihrem Gesetzentwurf verbundenen Kosten exakt zu errechnen; ihnen steht anders als der Regierung bzw. dem Parlament kein fachkundiger Verwaltungsapparat zur Verfügung. Im Übrigen kann nach § 25 Abs. 2 NVAbstG die Bekanntmachung über den Volksentscheid eine Stellungnahme der Landesregierung enthalten; insoweit ist es möglich, etwaige anders zu beurteilende Kostenfaktoren offen zu legen und dem im Rahmen des Volksentscheids zur Abstimmung aufgerufenen Bürger zu präsentieren.

40

c)

Es stellt kein relevantes Defizit dar, dass der Gesetzentwurf sich nicht unmittelbar zu den vom Landesgesetzgeber im NFVG und NFAG getroffenen Maßnahmen verhält. Zwar liegt es in der Konsequenz der intendierten Wiedereinführung direkter Personalkostenzuschüsse, dass der kommunale Finanzausgleich - im Hinblick auf die dort auf der Grundlage einer Landesfinanzierungsquote von 20% eingestellten pauschalierten Zuschüsse - im Falle eines erfolgreichen Volksentscheids geändert werden muss. Dies zu regeln ist aber- auch unabhängig von dem seitens der Antragsteller angesprochenen Zeitmoment - nicht Sache des Volksgesetzes. Soweit Änderungen des Haushalts bzw. der insoweit in den Finanzgesetzen ergangenen Ausführungs- bzw. Umsetzungsbestimmungen notwendig sein sollten, handelt es sich in der Sache um eine Vollzugsregelung zum Ausgleich des Haushalts. Eine solche Maßnahme ist dem Landtag vorbehalten (vgl. auch BayVerfGH, BayVBl. 1977, 143 <150>). Im Übrigen wäre es für die Initiatoren eines Volksbegehrens kaum möglich, den Katalog von Folgeregelungen sachgerecht zu formulieren, den die Landesregierung in ihrem Beschluss vom 7. März 2000 als notwendig bezeichnet hat. Eine entsprechende Forderung würde ein Volksbegehren in diesem Bereich unmöglich machen.

41

d)

Der Zulässigkeit des Volksbegehrens steht nicht entgegen, dass der Gesetzentwurf sich nicht mit jeder durch Art. 1 des Haushaltsbegleitgesetzes 1999 herbeigeführten Detailänderung des KiTaG näher befasst bzw. im Text insoweit nicht im Einzelnen begründet wird, weshalb die alten Regelungen den neuen ggfs. vorzuziehen sind; Gleiches gilt - die Berechtigung dieses Vorwurfs dahingestellt - soweit die Landesregierung rügt, der Entwurf enthalte teilweise unzureichende, teilweise falsche Informationen. Zwar können im Rahmen des Art. 48 Abs. 1 Satz 2 NV Ungenauigkeiten, Lücken und Fehler eines Gesetzentwurfes oder seiner Begründung zur Unzulässigkeit des Volksbegehrens führen, wenn sie "abstimmungsrelevant" sind, d. h. zentrale Aspekte betreffen, mithin der Bürger im Kern irregeleitet wird (vgl. auch BayVerfGH, BayVBl. 2000, 460 <464>; BayVBl. 1977, 143 <145 ff. >; SaarlVerfGH, NVwZ 1988, 245 [VerfGH Saarland 14.07.1987 - Lv 3/86] <248>). Hiervon kann aber im Hinblick auf die von der Landesregierung in diesem Zusammenhang angesprochenen Punkte keine Rede sein.

42

e)

Der Gesetzentwurf bedarf jedoch einer Änderung im Hinblick auf die Höhe der Personalkostenzuschüsse des Landes; dies steht einer Anrechnung der geleisteten Unterschriften nicht entgegen.

43

Durch den pauschalen Verweis in § 1 auf das KiTaG "in der Fassung vom 25. September 1995 (Nds. GVBl. S. 303), zuletzt geändert durch Art. 12 des Gesetzes vom 28. Mai 1996 (Nds. GVBl. S. 242)" wird auch § 16 Abs. 1 KiTaG in Bezug genommen. Danach gewährt das Land eine Finanzhilfe für Personalausgaben in Höhe von 20%, ab dem 1. Januar 1995 in Höhe von 25%. Wie bereits oben (A l 2) dargestellt, ist es zu der vorgesehenen Erhöhung nie gekommen. Würde nun das Volksgesetz so wie im Text vorgesehen in Kraft treten, hätte dies die Erhöhung der Quote auf 25% zur Folge.

44

Hier liegt jedoch unstreitig ein Redaktionsversehen vor. Es ging den Vertreterinnen und Vertretern des Volksbegehrens um die Wiedereinführung der zweckgebundenen Direktzuschüsse des Landes an die Träger der Kindertagesstätten, nicht um die Erhöhung der Finanzierungsquote auf einen seit Einführung des 1. KiTaG noch nie praktizierten Prozentsatz. Dies macht auch die Begründung des Volksbegehrens hinreichend deutlich, weil es als eines der Ziele bezeichnet, die bisherige Finanzierung aufrechtzuerhalten. Das ergibt sich aus der Aussage: "Gegenüber den bei Einleitung des Volksbegehrens bestehenden Rechtsverhältnissen (bisheriges KITA-Gesetz) ergeben sich weder für das Land Niedersachsen noch für die Gemeinden Mehrkosten, wenn das vorgelegte KITA-Gesetz durch Volksbegehren (wieder) in Kraft gesetzt wird". Insoweit konnte bei den Bürgern, die für das Volksbegehren gestimmt haben, kein Irrtum aufkommen, selbst dann nicht, wenn ein Einzelner vor Unterschriftsleistung Einsicht in die im Gesetzentwurf zitierten Fundstellen aus dem Niedersächsischen Gesetz- und Verordnungsblatt genommen hätte. Denn zum einen enthält § 16 Abs. 1 KiTaG in der Fassung vom 25. September 1995 (Nds. GVBl. S. 303) den Hinweis auf die 20%-Regelung im Haushaltsbegleitgesetz 1995. Zum anderen nimmt § 1 des Entwurfs auf Art. 12 des Gesetzes vom 28. Mai 1996 Bezug; dort wird auf das Haushaltsbegleitgesetz 1996 verwiesen, mit dem für 1997-1999 weiterhin die 20%-Quote festgeschrieben worden ist. Unter Berücksichtigung dessen und der Begründung des Volksbegehrens konnte selbst ein Leser des Niedersächsischen Gesetz- und Verordnungsblattes nicht annehmen, Intention des Volksbegehrens sei ab In-Kraft-Treten des Gesetzentwurfs eine 25%ige Finanzierungsquote.

45

Dieses Redaktionsversehen ist dadurch zu korrigieren, dass der Text des Volksbegehrens entsprechend geändert wird (Streichung des Satzteils "ab dem 1. Januar 1995 in Höhe von 25 vom Hundert" in § 16 Abs. 1 KiTaG). Hierzu haben sich die Vertreterinnen und Vertreter des Volksbegehrens in der mündlichen Verhandlung vor dem Staatsgerichtshof bereit erklärt (§ 21 Abs. 1 Satz 1 NVAbstG), sodass das Volksbegehren mit der entsprechenden Maßgabe zugelassen werden konnte. Da durch die Änderung der Kern des Volksbegehrens nicht verfälscht, sondern vielmehr richtig gestellt wird, können die geleisteten Unterschriften angerechnet werden (§ 21 Abs. 1 Satz 2 NVAbstG).

46

II.

Das Volksbegehren verstößt nicht gegen Art. 48 Abs. 1 Satz 3 NV.

47

Nach Art. 48 Abs. 1 Satz 3 NV können Gesetze über den Landeshaushalt, über öffentliche Abgaben sowie über Dienst- und Versorgungsbezüge nicht Gegenstand eines Volksbegehrens sein. Ähnliche Beschränkungen enthalten zahlreiche andere Landesverfassungen. Ob dabei Begriffe wie Haushalt, Landeshaushalt oder Staatshaushalt nur im formell-technischen Sinn (Haushaltsgesetz und Haushaltsplan, ggfs. einschließlich nachtragshaushaltsrechtlicher Regelungen und Haushaltsbegleitgesetzen) zu verstehen sind oder ob und in welchem Umfang von dem Verbot im Sinne einer materiellen Auslegung auch sog. finanzwirksame Gesetze erfasst werden, ist streitig. Überwiegend wird die Auffassung vertreten, Volksbegehren seien auch dann unzulässig, wenn sie auf den Gesamtbestand des Haushalts Einfluss nähmen, das Gleichgewicht des gesamten Haushalts störten und damit zu einer wesentlichen Beeinträchtigung des Budgetrechts des Parlaments führten; ob dies der Fall sei, hänge nicht nur von der Höhe etwaiger Mehrkosten ab, sondern müsse im Einzelfall auf Grund einer wertenden Gesamtbetrachtung ermittelt werden

(vgl. beispielhaft nur BayVerfGH, BayVBl. 1977, 143 <149 ff. >; DVBl. 1995, 419<425 ff. >; BayVBl. 2000, 397 <398 ff. >; BVerfGE 102, 176 [BVerfG 03.07.2000 - 2 BvK 3/98] <185 ff. [BVerfG 03.07.2000 - 2 BvK 3/98]> zu Art. 41 Abs. 2 SchlHVerf; ähnlich VerfG Brandenburg, Urteil vom 20. September 2001, Umdruck S. 38; anders im Sinne eines formellen Verständnisses z.B. Braun, Kommentar zur Verfassung des Landes Baden-Württemberg, 1984, Art. 59, Rn. 40; Nawiasky/Schweiger/Knöpfe/Leusser/Gerner, Die Verfassung des Freistaates Bayern, Loseblattsammlung, Stand 7/2000, Art. 73, Rn. 8; Kunzmann/Haas/Baumann-Hasske, Die Verfassung des Freistaates Sachsen, Kommentierte Textausgabe, 2. Aufl., 1997, Art. 73, Rn. 1; Reich, Verfassung des Landes Sachsen-Anhalt, Kommentar, 1994, Art. 81, Rn. 3).

48

In welcher Form der Haushaltsvorbehalt in Art. 48 Abs. 1 Satz 3 NV die Volksgesetzgebung begrenzt, bedarf aus Anlass dieses Verfahrens keiner Entscheidung.

49

Denn die Umsetzung des Volksbegehrens ist für den Haushaltsgesetzgeber "kostenneutral" möglich. Die vormals direkt an die Träger der Kindertagesstätten gezahlten Personalkostenzuschüsse von jährlich 260 Mio. DM sind - wie die Vertreter der Landesregierung in der mündlichen Verhandlung vor dem Staatsgerichtshof bestätigt haben - ungekürzt in den kommunalen Finanzausgleich überführt worden, wobei sich am Finanzvolumen zwischenzeitlich insoweit nichts geändert hat. Eine Rückkehr zur vormaligen Rechtslage ohne entsprechende Mehraufwendungen ist, wie auch die Landesregierung einräumt, jedenfalls zum Beginn des jeweils nächsten Haushaltsjahres möglich. Allein der Umstand, dass bei einem erfolgreichen Volksentscheid der Haushaltsgesetzgeber zur Vermeidung zusätzlicher Kosten die bisherigen Berechnungsgrundlagen für den kommunalen Finanzausgleich für die Zukunft abändern müsste, macht den Gesetzentwurf nicht zu einem Gesetz "über den Landeshaushalt" und führt daher nicht zur Unzulässigkeit des Volksbegehrens. Dem Volksbegehren liegt nicht die Forderung nach zusätzlichen Mitteln zu Grunde; es betrifft vielmehr die Art der Mittelzuwendung (zweckgebundene Zuschüsse an die Träger der Kindertagesstätten oder Einbeziehung entsprechender Mittel in den kommunalen Finanzausgleich). Die Entscheidung über diese Frage gehört aber nicht zu den Voraussetzungen der Zulässigkeit einer Volksgesetzgebung, sondern ist als Gegenstand der politischen Auseinandersetzung im Verfahren nach Art. 49 NV zu treffen.

50

Inwieweit eine Änderung der Finanzierung im Rahmen eines laufenden Haushaltsjahres möglich wäre bzw. in welchem Umfang anderenfalls Mehrkosten entstünden, kann dahinstehen. Die Vertreterinnen und Vertreter des Volksbegehrens haben in der mündlichen Verhandlung vor dem Staatsgerichtshof auf Nachfrage erklärt, Ziel des Volksbegehrens sei die Wiedereinführung der direkten Zuschüsse an die Träger der Kindertagesstätten und damit die Finanzierung außerhalb des kommunalen Finanzausgleichs; neben dieser Grundsatzfrage sei es aus ihrer Sicht unerheblich, ob die Wiedereinführung zum Beginn des auf die Verkündung des Gesetzes folgenden Haushaltsjahres oder - abhängig von den Zufälligkeiten der Dauer des Volksgesetzgebungsverfahrens - zu einem bei Einleitung des Volksbegehrens noch nicht absehbaren Zeitpunkt innerhalb eines laufenden Haushaltsjahres erfolge. Diese Erklärung steht im Einklang mit Inhalt und Zweck des Gesetzentwurfs. Die Vertreterinnen und Vertreter des Volksbegehrens haben sich im Hinblick auf die von der Landesregierung angesprochenen Probleme einer Änderung der Finanzierung im Rahmen eines laufenden Haushaltjahres damit einverstanden erklärt, dass der Zeitpunkt des Inkrafttretens nach § 2 des Gesetzentwurfs mit der laufenden Finanzierung über den kommunalen Finanzausgleich im aktuellen Haushaltsplan dergestalt "harmonisiert" wird, dass als Zeitpunkt des Inkrafttretens der Beginn des auf die Verkündung des Gesetzes folgenden Haushaltjahres bestimmt wird.

51

Da durch diese Änderung nicht der Kern des Volksbegehrens betroffen ist, können die geleisteten Unterschriften angerechnet werden ( § 21 Abs. 1 Satz 2 NVAbstG).