Verwaltungsgericht Lüneburg
v. 07.04.2017, Az.: 3 A 96/16

Kind; Kinder

Bibliographie

Gericht
VG Lüneburg
Datum
07.04.2017
Aktenzeichen
3 A 96/16
Entscheidungsform
Gerichtsbescheid
Referenz
WKRS 2017, 54081
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Die frühere rechtskräftige gerichtliche Verpflichtung der Bundesrepublik Deutschland, Eltern eines Klägers die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen, ist der unanfechtbaren Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft durch das Bundesamt (im Sinne des § 26 Abs. 2 AsylG) gleichzustellen.

Tatbestand:

Der Kläger wendet sich gegen die Ablehnung der Gewährung internationalen Schutzes und der Feststellung von Abschiebungsverboten durch die Beklagte.

Der am D. geborene Kläger ist afghanischer Staatsangehöriger, tadschikischer Volks- und schiitischer Religionszugehörigkeit. Nach seinen eigenen Angaben verließ er mit seinen Eltern, E. und F. G., im Sommer 2013 Afghanistan und reiste am 10. März 2014 in das Gebiet der beklagten Bundesrepublik Deutschland ein. Am 13. März 2014 stellte er seinen Asylantrag.

Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) lehnte mit Bescheid vom 13. Juni 2016, dem Prozessbevollmächtigten des Klägers am 16. Juni 2016 zugegangen, die Anträge auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, Asylanerkennung sowie auf subsidiären Schutz ab und stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 S. 1 AufenthG nicht vorliegen, forderte den Kläger unter Androhung der Abschiebung nach Afghanistan zur Ausreise innerhalb von 30 Tagen nach Bekanntgabe des Bescheides bzw. nach dem unanfechtbaren Abschluss des Asylverfahrens auf und befristete das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gem. § 11 Abs. 1 AufenthG auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung.

Gegen diesen Bescheid hat der Kläger am 27. Juni 2016 Klage erhoben.

Mit Urteil des Verwaltungsgerichts Lüneburg vom 20. Januar 2017, Az. 3 A 45/16, wurde die Beklagte verpflichtet, den dortigen Klägern und Eltern des hiesigen Klägers die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen, weil sie sich aus begründeter Frucht vor Verfolgung wegen ihrer Religion außerhalb ihres Heimatlandes befinden. Das Urteil hat das Bundesamt am 24. Januar 2017 erhalten, ein Rechtsmittel wurde nicht eingelegt.

Der Kläger beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung des am 16. Juni 2016 zugestellten Bescheides vom 13. Juni 2016 (Az.: 5735283-423) zu verpflichten, den Kläger als Asylberechtigten anzuerkennen und ihm die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen, hilfsweise die Beklagte unter Aufhebung des am 16. Juni 2016 zugestellten Bescheides vom 13. Juni 2016 (Az.: 5735283-423) zu verpflichten, dem Kläger den subsidiären Schutzstatus zuzuerkennen, weiter hilfsweise die Beklagte unter Aufhebung des am 16. Juni 2016 zugestellten Bescheides vom 13. Juni 2016 (Az.: 5735283-423) zu verpflichten, das Vorliegen eines Abschiebeverbotes im Sinne des § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 des AufenthG festzustellen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten verwiesen.

Entscheidungsgründe

Die Klage, über die nach Anhörung der Beteiligten gem. § 84 Abs. 1 VwGO durch Gerichtsbescheid entschieden werden konnte, weil die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt geklärt ist, ist zulässig und begründet. Der angefochtene Bescheid des Bundesamtes ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Er hat einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 26 Abs. 2, Abs. 5 Satz 1, Satz 2 AsylG, so dass die Beklagte insoweit wie tenoriert zu verpflichten war, § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO. Aufgrund des Anspruchs des Klägers war auch die Abschiebungsandrohung unter Setzung einer Ausreisefrist sowie die Bestimmung der Dauer des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbotes rechtswidrig und aufzuheben, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.

Gem. § 26 Abs. 2, Abs. 5 Satz 1, Satz 2 AsylG wird einem zum Zeitpunkt seiner Asylantragstellung minderjährigen Kind eines international Schutzberechtigten, dem die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt wurde, auf Antrag die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt, wenn die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft des Ausländers unanfechtbar und diese Zuerkennung nicht zu widerrufen oder zurückzunehmen ist.

Diese Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt. Die Bundesrepublik Deutschland wurde durch rechtskräftiges Urteil vom 20. Januar 2017, Az. 3 A 45/16 dazu verpflichtet, beiden Elternteilen des Klägers die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen. Dies ist der unanfechtbaren Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft durch das Bundesamt gleichzustellen (vgl. BVerwG, Urt. v. 05.05.2009 - 10 C 21/08 -, juris Rn. 28 zu § 26 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. Abs. 4 AsylG i.d.F.v. 02.09.2008; Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 11. Auflage 2016, AsylG § 26 Rn. 6; und wohl auch Schleswig-Holsteinisches VG, Urt. v. 06.10.2016 - 12 A 651/16 -, juris Rn. 33; VG Regensburg, Urt. v. 29.06.2016 - RN 11 K 16.30666 -, juris Rn. 50; VG München, Urt. v. 22.04.2016 - M 16 K 14.30987 -, juris Rn. 40). Eine verzögerte Erfüllung der durch ein rechtskräftiges Urteil festgelegten Verpflichtung kann nicht zu Lasten des Familienangehörigen gehen (vgl. Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 11. Auflage 2016, AsylG § 26 Rn. 6). Hierdurch wird auch der Sinn und Zweck der vom Gesetz geforderten Unanfechtbarkeit nicht beeinträchtigt, Statusdifferenzen innerhalb der Familie zu vermeiden, die sonst durch unterschiedliche Entscheidungen der Instanzen hinsichtlich des Stammberechtigten auftreten könnten (vgl. BVerwG, Urt. v. 05.05.2009 - 10 C 21/08 -, juris Rn. 28).

Der Kläger war bei Stellung seines Asylantrages (vgl. hierzu Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 11. Auflage 2016, AsylG § 26 Rn. 15) am 13. März 2014 16 Jahre alt, mithin unter 18 Jahre alt und damit minderjährig (vgl. § 12 Abs. 2 Satz 1 AsylG i.V.m. § 2 BGB).

Anhaltspunkte dafür, dass die Voraussetzungen für einen Widerruf oder eine Rücknahme (§ 73 AsylG) der Zuerkennungen der Eltern des Klägers vorliegen könnten (vgl. § 26 Abs. 2 letzter Halbs.) oder diese gar erloschen wären (§ 72 AsylG), sind weder von der Beklagten vorgetragen, noch sonst ersichtlich. Auch sind keine Hinweise für das Vorliegen der Ausschlussgründe des § 26 Abs. 4 und Abs. 6 AsylG gegeben.

Ob der Kläger neben dem Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft aufgrund seines Vorbringens zu einer angeblichen Verfolgung trotz seiner Einreise über Griechenland auch - wie beantragt - einen (einfachgesetzlichen) Anspruch auf die Anerkennung als Asylberechtigter aus § 26a AsylG ggf. i.V.m. Art 16a GG hat (vgl. Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, Kommentar, 11. Auflage 2016, AuslG § 26a Rn. 10; OVG NRW, Urt. v. 27.04.2015 - 9 A 1380/12.A -, juris und nachfolgend (offengelassen) BVerwG, Beschl. v. 16.09.2015 - 1 B 36/15 -, juris Rn. 4), kann hier dahinstehen, weil eine Asylanerkennung jedenfalls nicht mit einer für den Kläger günstigeren Rechtsstellung verbunden wäre (BVerwG, Beschl. v. 16.09.2015 - 1 B 36/15 -, juris Rn. 5).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 83b AsylG. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.