Oberlandesgericht Braunschweig
Beschl. v. 15.03.2019, Az.: 1 Ws 164/18

Negative Prognose zur Fortdauer der Maßregel aufgrund noch nicht rechtskräftiger neuer Verurteilung

Bibliographie

Gericht
OLG Braunschweig
Datum
15.03.2019
Aktenzeichen
1 Ws 164/18
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2019, 47116
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
LG Göttingen - 12.04.2018 - AZ: 51 StVK 45/18

Fundstelle

  • JR 2020, 193-198

Amtlicher Leitsatz

Bei der gemäß § 67 d Abs. 3 S. 1, Abs. 6 S. 3 StGB für die Fortdauer der Maßregel erforderlichen negativen Prognose dürfen Angaben einer Zeugin, die den Schluss auf eine Straftat des Untergebrachten (hier: Vergewaltigung) rechtfertigen und von einem aussagepsychologischen Gutachten mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit als erlebnisbasiert angesehen werden, berücksichtigt werden. Es begründet keinen Verstoß gegen die Unschuldsvermutung, dass der bestreitende Untergebrachte deswegen (noch) nicht rechtskräftig verurteilt ist.

Wenn die Maßregelvollstreckungseinrichtigung solche substantiierten Vorwürfe einer Zeugin zum Anlass nimmt, trotz einer ansonsten positiven Entwicklung Lockerungen einzuschränken, ist das nicht zu beanstanden. Allein das Fehlen von Vollzugslockerungen und die damit verbundene Rückfallgefahr kann die für die Fortdauer der Maßregel erforderliche negative Prognose rechtfertigen.

Ist im Anschluss an die aktuell vollstreckte Unterbringung im psychiatrischen Krankenhaus die Vollstreckung einer weiteren Unterbringung im psychiatrischen Krankenhaus notiert, hat die Strafvollstreckungskammer gemäß §§ 463 Abs. 1, 454b Abs. 4 StPO durch einen einheitlichen Beschluss über die Fortdauer beider Maßregeln zu entscheiden.

Tenor:

Die sofortige Beschwerde des Verurteilten gegen den Beschluss der 51. großen Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Göttingen vom 12. April 2018 wird auf seine Kosten als unbegründet verworfen.

Gründe

I.

1.

Der 43 Jahre alte Beschwerdeführer wurde durch Urteil der 12. großen Strafkammer des Landgerichts Hannover vom 29. November 2000 (KLs 184 Js 14189/00 - 46 a 11/00), rechtskräftig seit dem 07. Dezember 2000, wegen Vergewaltigung unter Verwenden eines Messers mit einer Freiheitsstrafe von 5 Jahren belegt. Gleichzeitig ordnete das Gericht seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an.

Nach den Feststellungen zu der Anlasstat hatte der Verurteilte seine Freundin, die er Anfang 2000 kennengelernt und die sich zuvor nach heftigen Auseinandersetzungen von ihm getrennt hatte, unter Bedrohung mit einem Küchenmesser und Androhung von Gewalt in der Nacht vom 28. auf den 29. Februar 2000 gezwungen, mit ihm mehrfach den Geschlechtsverkehr zu vollziehen, wobei er erheblich alkoholisiert war. Nach den weiteren Feststellungen der durch den Sachverständigen Dr. H. beratenen Strafkammer war die Steuerungsfähigkeit des Verurteilten bei Begehung der Anlasstat erheblich vermindert im Sinne des § 21 StGB. Der Verurteilte leide an einer Alkoholkrankheit vom Gammatyp sowie an einer dissozialen Persönlichkeitsstörung, die sich durch Gehemmtheit, Empfindlichkeit und Kränkbarkeit auszeichne. Teil dieser Persönlichkeitsstörung sei, dass es bei dem Verurteilten nach krisenhaften Entwicklungen immer wieder zu plötzlichen Kontaktabbrüchen komme. Er neige in Krisensituationen auch dazu, impulsiv zu reagieren. Diese Kriterien erfüllten die Voraussetzungen der "anderen seelischen Abartigkeit" im Sinne des § 20 StGB. Aufgrund des vor der Tat genossenen Alkohols sei nicht auszuschließen, dass bereits insoweit die Voraussetzungen des § 21 StGB vorgelegen hätten. Angesichts der Vorgeschichte zu der Tat, nämlich der entstandenen Spannungen auf der Arbeitsstelle und mit seiner Freundin sowie unter Berücksichtigung des genossenen Alkohols und des Umstands, dass der Angeklagte wiederholt in ähnlicher Weise gehandelt habe, müssten die Voraussetzungen des § 21 StGB als sicher gegeben angesehen werden. Die Prognose weiterer Gefährlichkeit leitete die auch insoweit sachverständig beratene Strafkammer aus den vorhandenen krankhaften Störungen sowie der forensischen Vorgeschichte her.

Vor dieser Tat war der Beschwerdeführer seit 1991 bereits erheblich in Erscheinung getreten.

So wurde er durch Urteil des Amtsgerichts Stade vom 23. November 1994 wegen versuchter Vergewaltigung, Diebstahls und Diebstahls in einem besonders schweren Fall zu der Erbringung von Arbeitsleistungen verurteilt; er erhielt eine richterliche Weisung und eine Verwarnung. Durch Urteil des Amtsgerichts Stade vom 27. März 1996 wurde er wegen Vergewaltigung zu einer Jugendstrafe von 3 Jahren verurteilt. Daneben wurde erstmals seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Auch diese Tat erfolgte unter Alkoholeinfluss. Nach Verbüßung der Jugendstrafe wurde die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus durch Beschluss vom 23. September 1998 zur Bewährung ausgesetzt. Die Strafvollstreckung war erledigt am 08. Oktober 1998. Die Aussetzung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus wurde mit Beschluss vom 01. Juni 2001 widerrufen und die Unterbringung als Anschlussvollstreckung an die vorliegende Unterbringung notiert.

2.

Der Verurteilte befand sich in der Zeit vom 01. März bis 06. September 2000 in Untersuchungshaft und anschließend bis zum 25. Februar 2001 in Sicherungshaft. Seit dem 26. Februar 2001 wird die Unterbringung durchgehend im MRVZN X. (ehemals Niedersächsisches Landeskrankenhaus X.) vollzogen.

Aus dem Verlauf des Vollzugs in den vergangenen Jahren ist hervorzuheben, dass der Verurteilte am 02. September 2005 einen Einzelausgang zu einer Entweichung ausnutzte. Im Rahmen dieser Entweichung griff er eine ihm unbekannte Spaziergängerin plötzlich und ohne Vorwarnung an, nahm sie in den Schwitzkasten und fiel mit ihr zu Boden. Sodann würgte er die Geschädigte durch Umklammerung mit dem Arm und bedrohte sie verbal mit dem Tode. Schließlich ließ der Verurteilte die Geschädigte los, woraufhin diese flüchten konnte. Wegen dieser Tat wurde der Verurteilte durch das Landgericht Göttingen am 26. Juli 2006 wegen vorsätzlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von 8 Monaten verurteilt worden, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde (2 KLs 11 Js 30635/05 - 22/06).

Die Unterbringung erfolgte seit dem 17. Februar 2012 auf der Station 17 im gelockerten Bereich der Vollzugseinrichtung. Der Schwerpunkt dieser Station sind sozialtherapeutische Maßnahmen sowie ein intensives gruppentherapeutisches Setting. In dieser Zeit nahm der Verurteilte motiviert und regelmäßig an den Empathiegruppen-Terminen der Station sowie an einer Einzeltherapie beim Dipl-Psych. A. teil. Anhaltspunkte für Alkoholmissbrauch fanden sich bei den durchgeführten Kontrollen nicht. Der Verurteilte arbeitete in der hauseigenen Gärtnerei und wollte ab dem 01. August 2015 eine Gärtnerlehre beginnen. Die Lockerungen wurden stetig erweitert und er nahm mehrere Tagesausgänge im Umkreis von 40 km wahr. Dabei zeigte sich der Verurteilte stets zuverlässig und absprachefähig, so dass eine Ausweitung auf 100 km beabsichtigt war.

Im Juni 2015 kam es - als sich der Verurteilte auf dem Weg zur Arbeit befand - durch ein unklares, möglicherweise krampfartiges Ereignis zu einem Fahrradsturz mit anschließenden Verwirrungszuständen. Daraufhin befand sich der Verurteilte vier Tage lang im Krankenhaus.

Im September 2015 kam es erneut zu einem Ereignis, welches den Verdacht auf symptomatische Epilepsie bei passagerer Hypästhesie begründete und mit einer Parese des rechten Armes, Bewusstseinsstörungen und Desorientiertheit verbunden war. Die kausalen Zusammenhänge ließen sich allerdings trotz umfangreicher Zusatzdiagnostik nicht eruieren. Bei dem Verurteilten lösten die Vorfälle eine intensive Besorgnis aus.

Am 19. September 2015 entwich der Verurteilten während eines Tagesausgangs. Er kündigte telefonisch bzw. per SMS an, dass er einen Suizid verüben werde. Nach eingeleiteter Fahndung meldete er sich dann aber von sich aus noch am gleichen Abend bei der Polizei und wurde in die Klinik zurückgebracht. In der Folgezeit war das Verhalten des Verurteilten verändert, er vermied den Gesprächskontakt zu einigen Mitbewohnern. Im Rahmen eines Krisengespräches im November 2015 konnte sich der Verurteilte allerdings glaubhaft von suizidalen Gedanken distanzieren. Die Lockerungen wurden in dieser Zeit jedoch vorübergehend auf Gemeinschaftsausgang beschränkt.

Im Januar 2016 kam es zu einer allmählichen Normalisierung. Der Verurteilte war im Innenbereich der Gärtnerei tätig. Aufgrund nächtlicher Alpträume wurde er mit Seroquel behandelt.

Im Februar 2016 entstand eine Freundschaft zu einer schwangeren Mitpatientin, die der Verurteilte nach der Entbindung in Begleitung von Personal in G. besuchen durfte. Ab Anfang April 2016 wurden dem Verurteilten erneut Einkaufsausgänge in X. mit einer Dauer von je anderthalb Stunden zweimal wöchentlich genehmigt sowie WG-Einkaufsgänge einmal wöchentlich mit je zwei Stunden Dauer. In dieser Zeit plagten den Verurteilten erhebliche Ängste vor einem Hirnschlag.

Die Beziehung zu seiner Freundin wurde Ende April 2016 durch diese beendet. Der Verurteilte verkraftete dies gut. Er nahm in der Folgezeit die Beschäftigung im Tierprojekt wieder auf und bereitete sich auf eine Musiktherapie vor. Anfang Juni 2016 wurden die Halbtagesausgänge nach Z. wieder eingesetzt, später auch Ganztagesausgänge.

Am 01. Juli 2016 berichtete eine Mitpatientin, mit der der Verurteilte zuvor ein gutes Verhältnis gehabt zu haben schien, gegenüber ihrer Einzeltherapeutin, sie sei im Juli 2015 durch den Verurteilten im Rahmen eines gemeinsamen Tagesausgangs mit dem Fahrrad nach Z. vergewaltigt worden. Auf eine Bekanntmachung des Geschehens habe sie verzichtet, da sie nicht die geplante berufliche Ausbildung des Verurteilten in einer Gärtnerei habe verhindern wollen. Der Verurteilte, der die Vergewaltigung bestritt, wurde daraufhin noch am selben Tag auf die Kriseninterventionsstation und am 19. Juli 2016 in die Außenstelle des MRVZN X. in G. verlegt. Mit seiner Verlegung nach G. brach der Verurteilte seine psychologische Einzeltherapie ab.

Das MRVZN X. regt die Fortdauer der Unterbringung an und hat in seiner Stellungnahme vom 26. Januar 2018 i.V.m. der ergänzenden Stellungnahme vom 04. April 2018 u.a. ausgeführt, dass das zurückliegende Unterbringungsjahr weiterhin von dem Vergewaltigungsvorwurf der Mitpatientin geprägt war. Der Vergewaltigungsvorwurf ist Gegenstand eines immer noch andauernden staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahrens, das u.a. wegen der Einholung eines Glaubhaftigkeitsgutachtens erhebliche Zeit in Anspruch nahm. Zwischenzeitlich hat die Staatsanwaltschaft Göttingen unter dem 02. Januar 2019 Anklage gegen den Verurteilten erhoben.

Der Verurteilte, der aufgrund des Vorwurfs zwischenzeitlich auf die hochgesicherte Station 24 der Außenstelle Y. verlegt worden war, wurde am 18. Januar 2018 auf die Station 08 des MRVZN X. verlegt. Eine frühere Rückkehr nach X. wurde dem Verurteilten bereits im April 2017 angeboten, von diesem jedoch abgelehnt, da er befürchtete, der Mitpatientin, die die Vorwürfe gegen ihn erhoben hatte, in X. zu begegnen und hierdurch womöglich weitere Nachteile zu haben.

Für den Zeitraum vor der Rückkehr des Verurteilten nach X. ist der ärztlichen Stellungnahme folgender Verlauf zu entnehmen:

Der Verurteilte gab gegenüber den behandelnden Therapeuten an, sich durch das Warten bzw. den Stillstand zunehmend frustriert und hilflos zu fühlen. Es zeigte sich eine depressive Symptomatik, die sich vor allem durch Grübeltendenzen, aber auch Interessen- und Freudverlust, Antriebslosigkeit, Verlust des Selbstwertgefühls, Schlafstörungen und Konzentrationsstörungen äußerte. Diese Symptomatik war trotz Schwankungen und Variationen im Berichtszeitraum durchgehend zu erkennen. Wegen der besonderen Situation des Verurteilten wurde auch auf der Station 24 des MRVZN Y. versucht, dem Verurteilten Lockerungen zukommen zu lassen, die denen vergleichbar sind, die er am Standort in X. auf der Station 08 genossen hatte.

Im Klinikalltag zeigte sich der Verurteilte grundsätzlich freundlich und höflich im Kontakt und fiel durch seine Gewissenhaftigkeit und gute Mit- bzw. Zusammenarbeit auf. Die Bereitschaft des Verurteilten zur Teilnahme an Stationsaktivitäten war schwankend. Bisweilen teilte der Verurteilte mit, dass ihn gemeinschaftliche Aktivitäten noch mehr "herunterziehen" würden. Auch den gemeinsamen Hofgang nutzte er aus diesem Grund nicht.

Der Verurteilte nahm grundsätzlich regelmäßig an der Ergotherapie im Holzbereich teil, ließ diese jedoch in Situationen, in denen er sich niedergeschlagen oder antriebslos fühlte, auch ausfallen.

Im April/Mai 2017 kam es innerhalb der Wohngruppe zu einer Auseinandersetzung mit einem Mitpatienten wegen dessen Hygieneverhaltens. In diesem Zusammenhang betitelte der Verurteilte den Mitpatienten mit Schimpfwörtern, entschuldigte sich jedoch später dafür. Der Mitpatient, der auch Gewalthandlungen angedroht hatte und sich hiervon später nicht distanzierte, wurde verlegt.

Am 16. Juni 2017 kam es zu einer verbalen Auseinandersetzung des Verurteilten mit einem Mitpatienten aus einer anderen WG. Der Konflikt konnte in späteren Gesprächen aufgearbeitet werden.

Im August 2017 nahm der Verurteilte an eine Mehrtagesfahrt zur Hallig Langeneß teil. Hierbei zeigte er sich äußerst zuverlässig, absprachefähig, freundlich und hilfsbereit. Seit Oktober 2017 fanden mehrere Ausführungen mit dem Verurteilten statt. Auch dabei zeigte er sich äußerst zuverlässig und absprachefähig.

Nach seiner Rückverlegung nach X. bezog der Verurteilte auf der Station 08 ein Doppelzimmer. Er hat Lockerungen in Gestalt von Gemeinschaftsausgängen zum Einkaufen, die er wahrnimmt.

Schon zum Zeitpunkt der mündlichen Anhörung durch die Strafvollstreckungskammer (im April 2018) hatte der Verurteilte zudem seit mehreren Wochen wieder die Möglichkeit erhalten, täglich stundenweise den weniger gesicherten A-Bereich des MRVZN X. aufzusuchen.

Zur Behandlungsprognose führt das MRVZN aus, die Behandlung stütze sich derzeit auf die Aktivierung und den Aufbau des Verurteilten, um eine weitere Verschlechterung der depressiven Symptomatik zu verhindern. Die ausstehende Klärung, ob der Vergewaltigungsvorwurf zutreffe, verhindere derzeit die Stellung einer differenzierten Prognose im Hinblick auf die weiteren Behandlungsschritte. Momentan fokussiere sich die Behandlung daher auf den Umgang des Verurteilten mit den Vorwürfen bzw. mit den von dem Verurteilten erlebten Konsequenzen.

Zur Sozialprognose führt die Klinik aus, dass der Verurteilte grundsätzlich zu einem eigenständigen Leben in der Lage wäre und sicherlich schnell eine Beschäftigung finden könne, da er sich bei der Arbeit stets sehr fleißig und gewissenhaft präsentiere und grundsätzlich auch Arbeiten ausführe, die anderen unliebsam erschienen.

Auch die Legalprognose sei von der Unsicherheit, ob der gegen den Verurteilten erhobene Vergewaltigungsvorwurf zutreffe, geprägt. Sollte sich der Verdacht auf eine solche Straftat während einer Lockerung erhärten, sei die Gefährlichkeit des Verurteilten als sehr hoch einzuschätzen, weil er in diesem Fall trotz guter therapeutischer Anbindung rückfällig geworden wäre. Im anderen Fall erwartet die Klinik eine schnelle Verbesserung der depressiven Symptomatik und hält ein rasches Voranschreiten der Behandlung dann für sehr gut vorstellbar.

Vor dem Hintergrund der weiter ungeklärten Situation sieht sich die Klinik außerstande, eine Empfehlung für unbegleitete Lockerungen zur Erprobung oder gar für eine Entlassung aus dem Maßregelvollzug abzugeben und empfiehlt daher die Fortdauer der Unterbringung.

Die Maßregelvollzugseinrichtung stellt dem Verurteilten die Diagnose der kombinierten Persönlichkeitsstörung mit den Merkmalen der massiven Selbstwertstörung, Depressivität und Suizidalität, hohe emotionale Verschlossenheit, hohe emotionale Labilität und Erregbarkeit sowie dissoziales Verhalten (ICD 10: F61.0) und eine Alkoholerkrankung vom Gamma-Typ (ICD 10: F10.2)

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Stellungnahme vom 26. Januar 2018 verwiesen (Bl. 90ff. Bd. IV d. VH).

Im Verlauf des Maßregelvollzugs wurden bisher zwei Prognosegutachten externer Sachverständiger eingeholt, und zwar das Gutachten des Sachverständigen Dr. med. K. vom 26. September 2009 und das Gutachten des Sachverständigen Dr. med. L. vom 08. Dezember 2014.

Die Strafvollstreckungskammer hat den Verurteilten am 04. April 2018 im Beisein seines Verteidigers und in Anwesenheit des therapeutischen Stationsleiters des MRVZN X., Herrn A., angehört. Wegen der Einzelheiten wird auf den Anhörungsvermerk vom 04. April 2018 Bezug genommen (Bl. 119ff. Bd. IV d. VH).

Mit Beschluss vom 12. April 2018 hat die Strafvollstreckungskammer die Fortdauer der Unterbringung angeordnet (Ziff. I) und zugleich den Sachverständigen Dr. med. v. d. H. mit der Erstellung eines Prognosegutachtens beauftragt, das für die nächste Entscheidung zur Verfügung stehen sollte (Ziff. II) (Bl. 124 ff. Bd. IV d. VH).

Gegen diesen Beschluss, der dem Verurteilten am 29. April 2018 und dem Verteidiger am 30. April 2018 zugestellt worden ist, hat der Verteidiger mit Schriftsatz vom 07. Mai 2018, der jedoch erst zusammen mit einem Wiedereinsetzungsantrag vom 08. Mai 2018 am 08. Mai 2018 beim Landgericht eingegangen ist, sofortige Beschwerde eingelegt.

Der Verteidiger hat die sofortige Beschwerde mit Schriftsatz vom 17. Juli 2018 begründet. Er meint, die Strafvollstreckungskammer hätte die negative Prognose nicht auf den fehlenden Behandlungsfortschritt stützen dürfen, da dieser nicht von dem Verurteilten zu verantworten sei. Wegen der Einzelheiten wird auf den Schriftsatz vom 17. Juli 2018 Bezug genommen (Bl. 163 f. Bd. IV des VH).

Der Senat hat zur weiteren Sachaufklärung das in der Zwischenzeit von der Staatsanwaltschaft Göttingen im Verfahren 45 Js 24680/16 eingeholte aussagepsychologische Gutachten hinsichtlich der Mitpatientin, die den Vergewaltigungsvorwurf gegen den Verurteilten erhoben hat, beigezogen. Dem Verteidiger wurde Einsicht in das Gutachten gewährt. Mit Schriftsatz vom 16. Oktober 2018 hat der Verteidiger dazu vorgetragen.

Mit Beschluss vom 14. November 2018 hat der Senat dem Verurteilten Wiedereinsetzung gewährt und den Sachverständigen Dr. v. d. H. mit der Erstellung eines externen Gutachtens gem. § 463 Abs. 4 S. 2 - 5 StPO beauftragt, da während des anhängigen Beschwerdeverfahrens die Übergangfrist des § 13 EGStPO abgelaufen war und das Gutachten nun schon im aktuellen Beschwerdeverfahren erforderlich wurde.

Der Sachverständige gelangt in seinem Gutachten vom 19. Januar 2019 zu den Diagnosen einer kombinierten Persönlichkeitsstörung (ICD 10, F 61.0) mit einer deutlichen Störung des Selbstwertgefühls, einer unzureichenden Frustrationstoleranz und Auffälligkeiten der Beziehungsgestaltung sowie einer Alkoholabhängigkeit (ICD 10, F 10.2), unter geschützten Bedingungen abstinent, wobei die Persönlichkeitsstörung deutlich im Vordergrund stehe. Es habe in den vergangenen Jahren ein therapeutischer Zugang zu dem Verurteilten gefunden werden können. Veränderungen fänden sich in seiner Kommunikationsfähigkeit, die sich durch eine deutlich verbesserte Offenheit ausdrückten. Die Handlungen des Verurteilten seien weniger spontan, er habe es gelernt, sich aus ihn belastenden Situationen zurückzuziehen. Seine Frustrationstoleranz sei gestiegen und er habe Lösungen für auftretende Konflikte entwickelt. Weiter sei positiv festzustellen, dass er mittlerweile in der Lage sei, angebotene Hilfen anzunehmen und gegebenenfalls auch einzufordern. Trotz dieser - aus Sicht des Sachverständigen erstaunlichen - Verbesserungen erreichten die immer noch bestehenden Auffälligkeiten nach wie vor einen solchen Schweregrad, dass die Diagnose der kombinierten Persönlichkeitsstörung aufrechterhalten werden müsse. Jedoch habe der Schweregrad der Erkrankung nicht mehr ein solches Ausmaß, dass aus medizinischer Sicht die Voraussetzungen einer schweren anderen seelischen Abartigkeit im Sinne des § 20 StGB erfüllt seien. Der Sachverständige hat jedoch ausdrücklich darauf hingewiesen, dass diese Einschätzung nur für den Fall zutreffe, dass der Verurteilte die ihm vorgeworfene Vergewaltigung der Mitpatientin nicht begangen habe. Wenn der Vergewaltigungsvorwurf hingegen richtig sei, müsse er die Frage, ob die Persönlichkeitsstörung hinsichtlich des Schweregrades die Voraussetzungen des § 20 StGB erfüllten, offenlassen, da er die genauen Umstände (Beweggründe etc.), die der Tat zugrunde gelegen hätten, nicht kenne.

Die Frage, ob der Verurteilte die Vergewaltigung tatsächlich begangen habe, wirke sich aus sachverständiger Sicht auch auf die Einschätzung der Gefährlichkeit des Verurteilten aus.

Träfe der Vergewaltigungsvorwurf zu, würde dies bedeuten, dass der Verurteilte die Tat begangen hätte, ohne sich zuvor aufgrund einer etwaigen Krisensituation Hilfe zu holen; dann hätte der Verurteilte sich völlig vor den Personen verschlossen, die ihn über Jahre therapiert haben. Der Verurteilte hätte sich dann zwar vordergründig angepasst verhalten, es wäre jedoch von einer "Zweigleisigkeit" auszugehen. Falls zudem die Tat spontan, beispielsweise im Rahmen einer Kränkung vor dem Hintergrund einer falsch eingeschätzten Beziehung zu der Mitpatientin geschehen sein sollte, wäre eine unzureichende Impulskontrolle bei einer erniedrigten Frustrationstoleranz vorstellbar. Dann könnte nach wie vor eine erheblich eingeschränkte Steuerungsfähigkeit vorgelegen haben und von einer weiter bestehenden Gefährlichkeit des Verurteilten aufgrund einer mutmaßlich als schwer i. S. d. § 20 StGB einzustufenden Persönlichkeitsstörung auszugehen sein.

Falls der Verurteilte die Tat nicht begangen hätte, sei anzunehmen, dass es unter der gegebenen therapeutischen Begleitung zu einer ausreichenden Senkung der Gefährlichkeit gekommen sei. Es seien Veränderung des Ausmaßes der Kränkbarkeit, der Frustrationstoleranz und der Impulskontrolle zu beobachten. Allerdings seien die äußeren Rahmenbedingungen für eine Stabilität des Verurteilten immens wichtig. Hier seien vor allem externale protektive Items zu nennen. Der Verurteilte benötige ein soziales Netzwerk, professionelle Hilfe und Aufsicht sowie eine geklärte Wohnsituation. Lägen diese Voraussetzungen vor, könne aus sachverständiger Sicht das Verhalten des Verurteilten außerhalb der Maßregelvollzugseinrichtung erprobt werden. Bei einer kurzfristigen Entlassung, die ohne diese Begleitfaktoren erfolge, bestehe ein erhebliches Risiko zukünftiger Delinquenz. Im Fall des Verurteilten fehlten die genannten Items. Er könne zwar vermutlich bei seinem Bruder unterkommen und würde dann nicht obdachlos. Dies sei aber auch der einzige stabilisierende Faktor. Zudem müsse davon ausgegangen werden, dass der Bruder nach kurzer Zeit überfordert wäre.

Der Senat hat den Verurteilten im Beisein seines Verteidigers sowie den Sachverständigen Dr. v. d. H. am 08. März 2019 persönlich angehört. Wegen der Einzelheiten wird auf den Anhörungsvermerk Bezug genommen.

Die Generalstaatsanwaltschaft beantragt wie erkannt. Dass der Verurteilte die Vergewaltigung begangen habe, sei überwiegend wahrscheinlich.

Der Verteidiger meint, der Vergewaltigungsvorwurf dürfe bei der zu stellenden Prognose nicht berücksichtigt werden, da dies gegen die Unschuldsvermutung verstoße. Die fehlenden Lockerungen fielen nicht in den Verantwortungsbereich des Verurteilten und dürften daher auch nicht zu seinen Lasten gehen.

II.

1.

Die sofortige Beschwerde ist nach §§ 463 Abs. 3 Satz 1, Abs. 6 Satz 1, 462 Abs. 3 Satz 1, 454 Abs. 3 Satz 1 StPO statthaft, form- und - nach gewährter Wiedereinsetzung in den vorigen Stand - fristgerecht (§§ 306 Abs. 1, 311 Abs. 2 StPO) eingelegt und auch sonst zulässig. In der Sache hat sie jedoch keinen Erfolg.

Die Voraussetzungen der Fortdauer der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus liegen gegenwärtig noch vor.

a.

aa.

Die Voraussetzungen für eine Erledigung der Maßregel gemäß § 67d Abs. 6 Satz 1, 1. Alt. StGB sind nicht erfüllt. Die Erledigung ist nur auszusprechen, wenn mit Sicherheit festgestellt werden kann, dass der bei den Anlasstaten bestehende Defektzustand oder die daraus resultierende Gefährlichkeit des Untergebrachten weggefallen ist; Zweifel gehen zu Lasten des Untergebrachten (Kinzig, in: Schönke/Schröder, StGB, 30. Auflage, § 67d, Rn. 24; Veh, in: Münchener Kommentar StGB, 2. Auflage, § 67d, Rn. 28). Diese Voraussetzungen sind nicht gegeben:

Die in der Vergangenheit mit dem Untergebrachten befassten Sachverständigen Dr. L. (2014) und Dr. K. (2009) wie auch aktuell Dr. v. d. H. kamen übereinstimmend zu dem Ergebnis, dass bei dem Verurteilten zwar nicht - wie bei der Anlassverurteilung - eine dissoziale Persönlichkeitsstörung diagnostiziert werden könne, sondern die Störung am ehesten als kombinierte Persönlichkeitsstörung (ICD 10: F 61.0) eingeordnet werden könne. Der Verurteilte zeige dissoziale, aber auch emotional-instabile Züge. Hinweise darauf, dass Gewalt zur Stimulation erotischer Gefühle notwendig sei, gebe es nicht, so dass trotz gelegentlicher Erwähnung sadistischer Phantasien in den Akten eine Störung der Sexualpräferenz nicht diagnostiziert werden könne. Es habe den Anschein, dass Sexualität für den Verurteilten ein probates Coping-Instrument sei, um mit Verstimmungen und unangenehmen Situationen fertig zu werden, wofür auch die zahlreichen Bordellbesuche, selbst bei Einkaufsausgängen während des Maßregelvollzuges sprächen. Des Weiteren liege eine schwere, vor allem psychisch manifeste Alkoholabhängigkeit (ICD 10: F 10.20) vor. Die diagnostische Einordnung entspreche im Wesentlichen den Annahmen, die der Anordnung der Unterbringung zugrunde gelegen hätten. Die behandelnden Ärzte des Maßregelvollzugszentrums stellen in ihrer Stellungnahme vom 26. Januar 2018 ebenfalls die Diagnose der kombinierten Persönlichkeitsstörung mit den Merkmalen der massiven Selbstwertstörung, Depressivität und Suizidalität. Der Verurteilte leide unter einer hohen emotionalen Verschlossenheit, unter hoher emotionaler Labilität und Erregbarkeit sowie unter dissozialem Verhalten (ICD 10: F61.0). Sie diagnostizierten zudem eine Alkoholerkrankung vom Gamma-Typ (ICD 10: F10.2).

Der Senat hat keine Zweifel an der Richtigkeit dieser grundsätzlichen Diagnose.

Ob die kombinierte Persönlichkeitsstörung noch den für § 20 StGB erforderlichen Schweregrad aufweist, ist zumindest zweifelhaft. Zwar hat der Sachverständige Dr. v. d. H. ausgeführt, dass aufgrund der Behandlungsfortschritte, die der Verurteilte in den letzten Jahren gemacht hat, die andere seelische Abartigkeit nicht mehr als schwer im Sinne des § 20 StGB anzusehen sei. Jedoch hat er dazu ausdrücklich angegeben, dass diese Bewertung unter der Prämisse erfolge, dass der Verurteilte die ihm zur Last gelegte Vergewaltigung nicht begangen habe. Träfe der Vergewaltigungsvorwurf zu, wäre die kombinierte Persönlichkeitsstörung vermutlich weiterhin als schwere andere seelische Abartigkeit einzuordnen, letztlich müsse er diese Frage aber dann offenlassen, da er die Tatumstände nicht kenne.

Es steht damit nicht mit der erforderlichen Sicherheit fest, dass der ursprüngliche Defektzustand nicht mehr als schwere andere seelische Abartigkeit i.S.d. § 20 StGB zu bewerten ist.

Es steht auch nicht mit Sicherheit fest, dass die Gefährlichkeit des Verurteilten i.S.d. § 63 StGB weggefallen ist, sie besteht vielmehr fort. Insoweit wird auf die nachstehenden Ausführungen unter bb.verwiesen.

bb.

Auch eine Erledigung wegen etwaiger Unverhältnismäßigkeit der Unterbringung kommt nicht in Betracht.

Die weitere Fortdauer der Unterbringung ist auch unter Zugrundelegung des Maßstabes des § 67 d Abs. 6 S. 3, Abs. 3 S. 1 StGB, welcher hier Anwendung findet, da die Unterbringung inzwischen seit mehr als 18 Jahren vollzogen wird, nicht unverhältnismäßig.

Von dem Verurteilten sind weiterhin mit hoher Wahrscheinlichkeit schwere Straftaten zu erwarten. Dabei verkennt der Senat nicht, dass die Erledigung der Maßregel nicht davon abhängt, dass dem Verurteilten eine günstige Prognose gestellt werden kann, sondern umgekehrt eine Fortdauerentscheidung eine festzustellende negative Prognose voraussetzt, dass von dem Verurteilten die Begehung rechtswidriger Taten zu erwarten ist, durch die die Opfer in die Gefahr einer schweren körperlichen oder seelischen Schädigung gebracht werden (OLG Hamm, Beschluss vom

29. Juni 2017 - 4 Ws 408/16 = BeckRS 2017, 117618, Rn. 18; OLG Celle, Beschluss vom 3. Mai 2017 - 2 Ws 86/17 = NStZ-RR 2017, 294 ff.; OLG Frankfurt a.M., Beschluss vom 13. April 2017 - 3 Ws 66/17 = NStZ-RR 2017, 258 ff., 259 [OLG Stuttgart 24.10.2016 - 1 Ws 146/16]; KG, Beschluss vom 5. Oktober 2016 - 5 Ws 116/16 = NStZ-RR 2017, 8 ff., 9; OLG Rostock, Beschluss vom 21. September 2016, 20 Ws 234/16, zitiert nach juris, Rn. 15; KG, Beschluss vom 20. Februar 2017, zitiert nach juris, Rn. 27; vgl. auch BT-Drucks. 18/7244, S. 33). Dazu gehören jedenfalls alle drohenden Straftaten aus dem Deliktskatalog des § 66 Abs. 1 S. 1 lit. 1 a-c StGB (OLG Braunschweig, Beschluss vom 28. Februar 2018, 1 Ws 260/17, Rn. 66, zitiert nach juris).

Gemessen an diesem Maßstab ist eine negative Prognose festzustellen. Entsprechend schwere Straftaten, nämlich Sexualstraftaten im Sinne des Anlassdeliktes, sind von dem Verurteilten zum derzeitigen Zeitpunkt mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten.

(1)

Diese Gefahr ergibt sich - zunächst unabhängig davon, ob der erhobene Vergewaltigungsvorwurf zutrifft - schon daraus, dass dem Verurteilten keine weitreichenden Lockerungen (mehr) gewährt worden sind und dementsprechend kein sozialer Empfangsraum besteht. Der Sachverständige Dr. v. d. H. hat im Rahmen der Anhörung ausgeführt, dass im Falle der sofortigen - unvorbereiteten - Entlassung des Verurteilten, die hohe Gefahr erheblicher Straftaten in Form von Sexualstraftaten im Sinne des Anlassdeliktes bestehe. Zwar habe der Verurteilte - unter Außerachtlassung des Vergewaltigungsvorwurfes - eine positive Entwicklung genommen. Jedoch habe sich diese Entwicklung bisher nur unter den Bedingungen des Maßregelvollzuges vollzogen, ohne dass deren Nachhaltigkeit in Freiheit erprobt worden wäre. Es sei eine konsequente Überleitung und Transformation der bisher erreichten Veränderungen in einen praktischen Alltag außerhalb des Vollzugs erforderlich, wozu der Verurteilte Unterstützung und Begleitung benötige. Derzeit verfüge der Verurteilte im Falle einer Entlassung weder über eine Wohnung, noch über eine Arbeit noch - mit Ausnahme seines Bruders - über soziale Beziehungen. Eine Anbindung an eine forensische Institutsambulanz sei besonders sinnvoll, zumindest müsse unbedingt eine Anbindung an einen niedrigschwelligen sozialpsychiatrischen Ansprechpartner erfolgen. Als Wohnform sei eine Wohneinrichtung wünschenswert, mindestens ein betreutes Wohnen. Dem Verurteilten müsse zuvor ausreichend Gelegenheit gegeben werden, seine zukünftigen Ansprechpartner kennenzulernen. Sodann sei eine gewisse Zeit des Probewohnens unabdingbar. Ohne diese Vorbereitungen sei das Risiko, dass der Verurteilte erneut Straftaten wie das Anlassdelikt begehen könnte, hoch. Eine günstige Legalprognose könne erst dann gestellt werden, wenn die Einbindung des Verurteilten im Alltag etabliert sei. Diesen nachvollziehbaren Ausführungen schließt sich der Senat nach eigener Prüfung an. Auch die mit dem Verurteilten in der Vergangenheit befassten Sachverständigen haben darauf hingewiesen, dass der Verurteilte Sex als Coping-Instrument zu betrachten scheine, mithin als Maßnahme, um mit Stress, Verstimmungen und unangenehmen Situationen fertig zu werden (Dr. L.) bzw. die von ihm begangenen Sexualstraftaten Ausdruck einer neurotischen Entwicklung seien und die Sexualität mit unbewältigten inneren Konflikten gekoppelt sei (Dr. K.). Dies bestärkt den Senat noch in der Annahme, dass der Verurteilte, der im Falle einer - zum jetzigen Zeitpunkt unvorbereiteten - Entlassung mit Sicherheit Enttäuschungen erleben und Zurückweisungen erfahren würde, wieder in einen Zustand verfallen würde, der dem zum Zeitpunkt der Anlasstat entspräche. Damit besteht die hohe Gefahr der Begehung von Straftaten vergleichbar dem Anlassdelikt, welches nach der heutigen Gesetzeslage mit einer Mindestfreiheitsstrafe von 5 Jahren bedroht wäre (§ 177 Abs. 8 StGB). Er bedroht damit Rechtsgüter, denen in der Abwägung ein besonders hohes Gewicht beizumessen ist.

Wenn das Fehlen von Vollzugslockerungen die Besorgnis eines Rückfalls begründet, müssen die Vollstreckungsgerichte dem Rechnung tragen (KG, Beschl. vom 29. November 2001, 5 Ws 646/01, Rn. 33). Dies vorliegend umso mehr, als dass die Vollzugslockerungen nicht grundlos von der Vollzugsbehörde zurückgenommen worden sind, sondern hierfür ein begründeter Anlass bestand, nämlich der jedenfalls nicht von vornherein unglaubhafte Vergewaltigungsvorwurf durch die Mitpatientin.

Soweit der Verteidiger meint, dass eine Erledigung in Kombination mit einer Fristenlösung iSd. § 454 a StPO in Betracht komme, verkennt er, dass zum einen nach der Rechtsprechung des Senates § 454 a StPO hinsichtlich einer Erledigung schon nicht sinngemäß anwendbar ist (OLG Braunschweig, Beschl. vom 15. Januar 2015, 1 Ws 3/15, 1 Ws 12/15, Rn. 9, zitiert nach juris). Zum anderen kann § 454 a StPO aber auch nur dann Anwendung finden, wenn die Prognose bereits zum Zeitpunkt der Entscheidung hinreichend günstig ist (OLG Frankfurt, Beschl. vom 24. Januar 2000, 3 Ws 1123-1124/99, Rn. 12ff, zitiert nach juris), was hier gerade nicht der Fall ist.

(2)

Ohne dass es nach dem oben Ausgeführten noch maßgeblich darauf ankommt, kann (und muss) der Senat im Rahmen der zu treffenden Prognoseentscheidung auch den Umstand, dass gegen den Verurteilten mittlerweile - basierend auf einem Glaubhaftigkeitsgutachten - Anklage wegen der ihm zu Last gelegten Vergewaltigung einer Mitpatientin im Juli 2015 erhoben worden ist, berücksichtigen. Darin liegt kein Verstoß gegen die Unschuldsvermutung des Art. 6 Abs. 2 MRK. Aus dem Urteil des Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) vom 27. März 2014 (54963/08, zitiert nach juris) folgt, dass die Unschuldsvermutung dann verletzt ist, wenn die Äußerung eines Amtsträgers, die eine einer Straftat angeklagten Person betrifft, die Auffassung widerspiegelt, sie sei schuldig, obwohl diese Person nicht entsprechend den gesetzlichen Bestimmungen schuldig gesprochen ist; nicht aber, wenn für eine Entscheidung, die das Vorliegen einer Straftat nicht voraussetzt, Fakten berücksichtigt werden, die (auch) von einem Strafgericht zu beurteilen sind (EGMR, a.a.O., Rn. 46, 50, 53). Vorliegend hat der Senat nach § 67 d Abs. 6 S. 3 iVm. Abs. 3 S. 1 StGB eine Prognose bezüglich der weiteren Gefährlichkeit des Verurteilten zu treffen und muss dabei alle tatsächlichen Umstände berücksichtigen, die für die Prognose relevant sind. Es müssen konkrete und gegenwärtige Anhaltspunkte dafür festgestellt werden, dass die Gefährlichkeit entgegen der gesetzlichen Vermutung fortbesteht (BVerfG, Urt. vom 05. Februar 2004, 2 BvR 2029/01, Rn. 106, zitiert nach juris, zu den Voraussetzungen der Fortdauer der Sicherungsverwahrung über 10 Jahre). Ob diese tatsächlichen Umstände zugleich einen Straftatbestand erfüllen, ist dabei unerheblich und muss für die Prognoseentscheidung auch nicht bewertet werden. Ließe man eine Berücksichtigung solcher tatsächlichen Umstände nicht zu, liefe das darauf hinaus, einen Verurteilten, dessen für die Prognose bedeutsames Verhalten zugleich einen Straftatbestand erfüllen kann, bei der Gefährlichkeitsprognose gegenüber einem Verurteilten, der ein sonstiges prognoserelevantes Verhalten zeigt, zu privilegieren. Eine solche Privilegierung ist jedoch nicht zu rechtfertigen und könnte ggf. dazu führen, besonders gefährliche Verurteilte aus der Unterbringung entlassen zu müssen, weil das Verhalten, aus dem sich die weitere Gefährlichkeit ergibt, möglicherweise eine Straftat darstellt und ein rechtskräftiges Strafurteil diesbezüglich (noch) nicht vorliegt (OLG Braunschweig, Beschl. vom 17. Juli 2014, 1 Ws 211/14, LS sowie Rn. 12, zitiert nach juris).

Der Umstand, den der Senat hier berücksichtigen kann, ist die Zeugenaussage der Mitpatientin, die den Vergewaltigungsvorwurf gegen den Verurteilten erhoben hat. Nach dem aussagepsychologischen Gutachten der Dipl.-Psych. W. vom 20. Juni 2018 und dem psychiatrischen Zusatzgutachten zur Beurteilung der Aussagetüchtigkeit der Mitpatientin des Dr. med. L. vom 18. Mai 2018 ist die Aussage der Mitpatientin mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit erlebnisbasiert. Unter Berücksichtigung dieses Umstandes erhöht sich die bereits unter (1) dargelegte Gefährlichkeitsprognose - die indes bereits für die Fortdauer der Maßregel ausreicht - noch erheblich.

cc.

Auch nach dem allgemeinen Maßstab des § 67d Abs. 6 Satz 1, 2. Alt. StGB ist der weitere Vollzug der Unterbringung nicht unverhältnismäßig.

Dem weiteren Vollzug der Unterbringung steht insbesondere nicht entgegen, dass im zurückliegenden Unterbringungszeitraum keine erheblichen Behandlungsfortschritte zu verzeichnen sind. Maßgeblich für die Beurteilung, ob fehlende Behandlungsfortschritte aus Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten zu einer Entlassung aus dem Maßregelvollzug zwingen können, sind die Gründe für das Ausbleiben nachhaltiger Behandlungsfortschritte (KG, Beschluss vom 22. Oktober 2015 - 5 Ws 121/15, zitiert nach juris, Rn. 41). Die Generalstaatsanwaltschaft hat zutreffend darauf hingewiesen, dass es bei der Entscheidung über die Fortdauer der Unterbringung auf die Gründe für die fehlenden Behandlungsfortschritte grundsätzlich nicht ankommt, es sei denn, diese würden in den Verantwortungsbereich der Vollzugsbehörde fallen. So liegt es hier gerade nicht.

In Anbetracht dieser Erwägungen überwiegt das Sicherheitsinteresse der Allgemeinheit hier den Freiheitsanspruch des Untergebrachten, so dass eine Erledigung der Unterbringung aus Verhältnismäßigkeitsgründen nicht in Betracht kommt.

b.

Die Vollstreckung der Maßregel kann auch nicht gemäß § 67d Abs. 2 StPO zur Bewährung ausgesetzt werden. Das gilt auch unter Berücksichtigung dessen, dass nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nicht nur bei Anordnung der Maßregel, sondern integrativ auch bei der Prüfung der Aussetzungsreife zu berücksichtigen ist und der Gesetzgeber dem bei der zum 01. August 2016 in Kraft getretenen Neufassung des § 67d Abs. 2 StGB durch die Aufnahme des Zusatzes "erheblich" Rechnung getragen hat (BT-Drucks. 1872/4, S. 29; BVerfG, Beschl. vom 26. August 2013, Az.: 2 BvR 371/12).

Auch unter Berücksichtigung der langen Zeit, die der Verurteilte bereits in der Unterbringung zugebracht hat und unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes ergibt sich aus dem Vorgenannten zum jetzigen Zeitpunkt eine derart negative Legalprognose bezüglich des Verurteilten, dass mögliche Auflagen im Rahmen der Bewährungs- und Führungsaufsicht nicht erfolgversprechend sind, um künftigen erheblichen Straftaten entgegenzuwirken.

c.

Dass das Landgericht Göttingen erst nach Ablauf der regelmäßigen Prüffrist gem. § 67e Abs.2 2. Alt. StGB über die Fortdauer der Unterbringung entschieden hat, lässt nicht besorgen, dass die Kammer die Bedeutung der regelmäßigen Überprüfung der Maßregel im Hinblick auf die Wahrung des Übermaßverbots bei Beschränkung des Grundrechts aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG verkannt oder gar missachtet hat.Die Strafvollstreckungskammer hat in ihrem Beschluss die Gründe für die Fristüberschreitung - die wegen Verhinderung des Pflichtverteidigers erfolgte Verlegung des Anhörungstermins auf dessen Antrag - dargelegt. Unabhängig davon führt die Fristüberschreitung aber auch nicht zu einem Vollstreckungshindernis. Das mit dem Maßregelvollzug verfolgte Sicherungsbedürfnis der Allgemeinheit vor zu erwartenden erheblichen Rechtsgutsverletzungen tritt noch nicht zurück, wenn das grundrechtlich gebotene Verfahren erst um einige Monate verzögert wurde. Das Sicherheitsinteresse ist im konkreten Fall angesichts der vergleichsweise geringen Fristüberschreitung von knapp zwei Monaten vielmehr vorrangig.

d.

Schließlich - ohne dass hier darauf ankommt - wäre der Senat auch wegen der weiteren, mit Urteil des Amtsgerichts Stade vom 27. März 1996angeordneten Unterbringung an einer sofortigen Entlassung des Verurteilten gehindert gewesen. Zwar ist Gegenstand des Maßregelvollzuges (derzeit) allein die Unterbringung aus dem Urteil des Landgerichts Hannover vom 29. November 2000. Die mit Urteil des Amtsgerichts Stade angeordnete Unterbringung ist jedoch als Anschlussvollstreckung an die vorliegende Unterbringung notiert. Daher wäre die Strafvollstreckungskammer gem. §§ 463 Abs. 1, 454b Abs. 4 StPO verpflichtet gewesen, durch einen einheitlichen Beschluss über die Unterbringungsfortdauer in beiden Verfahren zu entscheiden (KG, Beschl. vom 14. Juni 1999, 5 Ws 365/99, Rn. 5, zitiert nach juris; OLG Hamm, Beschl. vom 20. Juli 2017, 3 Ws 226/17, Rn.12, zitiert nach juris). Eine Einzelentscheidung würde nicht nur die Gefahr begründen, dass es zu widersprüchlichen Ergebnissen kommt. Die Aussetzung der einen Maßregel zur Bewährung oder deren Erledigung hätte auch keinen Einfluss auf den Vollzug der anderen Maßregel. Das bedeutet, dass eine (vorrangig zu prüfende) Erledigung oder Aussetzung der Unterbringung in dem vorliegenden Verfahren nur den Beginn des Vollzuges der Unterbringung in dem anderen Verfahren zur Folge hätte (KG, a.a.O.; OLG Hamm a.a.O.).

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 StPO.