Verwaltungsgericht Göttingen
Beschl. v. 23.08.1995, Az.: 4 B 4135/95

Anspruch auf die Gestattung der Hinzuziehung einer Stützkraft während des Schulunterrichts ; Modalitäten des Schulbesuchs in bezug auf eine sonderpädagogische Förderung ; Vorliegen eines streitigen Rechtsverhältnisses bei einem Verpflichtungsbegehren

Bibliographie

Gericht
VG Göttingen
Datum
23.08.1995
Aktenzeichen
4 B 4135/95
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 1995, 17140
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:VGGOETT:1995:0823.4B4135.95.0A

Verfahrensgegenstand

Hinzuziehung einer Stützkraft während des Schulunterrichts,

Antrag nach § 123 VwGO.

Prozessführer

Minderjähriger ... vertreten durch ...

Prozessgegner

... vertreten durch ...

Redaktioneller Leitsatz

  1. 1.

    Bei einem Verpflichtungsbegehren ist ein streitiges Rechtsverhältnis grundsätzlich erst dann gegeben, wenn der Antragsteller bei der zuständigen Behörde einen entsprechenden Antrag gestellt hat, und wenn dieser entweder ausdrücklich abgelehnt worden ist, oder wenn sich aus den näheren Umständen eindeutig ergibt, dass er erfolglos bleiben wird.

  2. 2.

    Diese Beschulungsmöglichkeit gemäß §§ 14 Abs. 2 S. 1, Abs. 4, 68 Abs. 1 S. 2 NSchG besteht nur vorbehaltlich der staatlichen Personal- und Finanzhoheit im Schulwesen und gewährt einem Antragsteller keinen Anspruch darauf, dass außenstehende Dritte, nämlich pädagogische Fachkräfte, die von den Erziehungsberechtigen des Antragstellers angestellt werden, im Unterricht zur Unterstützung herangezogen werden.

  3. 3.

    Aus den Bestimmungen des Niedersächsischen Schulrechts läßt sich kein subjektives öffentliches Recht des einzelnen auf eine bestimmte, seinen Wünschen entsprechende Gestaltung der Bildungseinrichtung und des Unterrichts ableiten. Eine Berechtigung des einzelnen existiert nur insoweit, als er das Recht auf Zugang zu bestehenden Bildungseinrichtungen hat, die eine seinen Anlagen, Fähigkeiten und Neigungen entsprechende Bildung vermitteln.

In der Verwaltungsrechtssache
hat die 4. Kammer des Verwaltungsgerichts Göttingen
am 23. August 1995 beschlossen:

Tenor:

Der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes wird zurückgewiesen.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.

Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 4.000,00 DM festgesetzt.

Gründe

1

I.

Der am ... geborene Antragsteller wurde zum Schuljahr 1995/96 in die ... in ... eingeschult.

2

Aus Anlaß dieser Einschulung befindet sich der Antragsteller seit Dezember 1994 in kinder- und jugendpsychiatrischer Behandlung der Universität ... Wegen bestehender Teilleistungsschwächen wurde der Antragsteller zudem im Rahmen der Frühförderstelle in ... betreut und erhielt Wahrnehmungsübungen. Zusätzlich nahm er an einer Psycho-Motorik-Gruppe teil und seit 1994 zusätzlich an einer Sensomotorischen Integrationstherapie. Der medizinische Befund ergab Teilleistungsschwächen der visuellen Wahrnehmung und der visuomotorischen Koordination und graphomotorischen Reproduktion. Gleichzeitig wurde beim Antragsteller ein hohes Maß an Motivation bei gut entwickeltem Lern- und Arbeitsverhalten festgestellt.

3

Die kinderpsychiatrische Stellungnahme vom 17.02.1995 empfiehlt die Beschulung des Antragstellers an einer Grundschule und hält eine zusätzliche heil- oder sonderpädagogische Fachkraftunterstützung während des überwiegenden Teils des Vormittags für erforderlich.

4

Am 27.02.1995 beantragte der Antragsteller bei der Stadt ... die Übernahme der Kosten für eine besondere pädagogische Betreuung in der Grundschule nach § 35a KJHG (bzw. §§ 39, 40 BSHG i.V.m. § 12 der EingliederungshilfeVO), was von den behandelnden Ärzten des Antragstellers unterstützt wurde.

5

Der von der Stadt ... um Stellungnahme gebetene Antragsgegner sprach sich mit Schreiben vom 05.04.1995 gegen die Bereitstellung einer pädagogischen Fachkraft während der Unterrichtszeit aus. Dem Antragsteller sollten Trainingsprogramme zur Behebung der Störungen außerhalb des Unterrichts angeboten werden.

6

Parallel dazu leitete der Antragsgegner auf Antrag der Eltern des Antragstellers das Verfahren auf Feststellung eines sonderpädagogischen Förderbedarfs des Antragstellers ein. Nach dem sonderpädagogischen Beratungsgutachten vom 27.03.1995 spricht sich die Gutachterin für eine Beschulung im Rahmen eines integrierenden Unterrichts an der Grundschule mit unterstützenden Maßnahmen im Bereich psychomotorische Förderung mit den Schwerpunkten Körperwahrnehmung, Figur-Grund-Wahrnehmung und visuomotorische Koordinationsübungen sowie eine gezielte Einzel- bzw. Kleingruppenförderung im fein- und graphomotorischen Bereich aus.

7

Die auf Antrag der Eltern vom Antragsgegner berufene Förderkommission empfahl die Beschulung des Antragstellers an der Grundschule mit einer Stützkraft während des Unterrichtes für 10 Wochenstunden.

8

Mit Bescheid vom 14.06.1995 ordnete der Antragsgegner die Einschulung des Antragstellers in die ... mit Wirkung vom 01.08.1995 an. Sollten für die festgestellten Störungen im motorischen Lernbereich zusätzliche Lehrerstunden erforderlich sein, könne die Grundschule diese über einen Zusatzbedarf nach der einschlägigen Erlaßlage geltend machen. Der Empfehlung der Förderkommission folgte der Antragsgegner nicht.

9

Mit Schreiben vom 22.06.1995 legte der Antragsteller hiergegen Widerspruch ein. Er bat um umfassende Überprüfung der Sach- und Rechtslage und wies darauf hin, daß nach dem sonderpädagogischem Gutachten eine integrierende Beschulung mit Hilfe einer Stützkraft zu erfolgen habe.

10

Über diesen Widerspruch ist bisher ebensowenig wie über den Antrag auf Eingliederungshilfe entschieden worden.

11

Am 20.06.1995 hat der Antragsteller um die Gewährung vorläufigen gerichtlichen Rechtsschutzes nachgesucht.

12

Unter Hinweis auf die fachlichen Stellungnahmen führt er aus, er habe nur eine adäquate Chance auf angemessene Bildung, wenn es ihm gestattet werde, am Unterricht wenigstens teilweise mit einer Stützkraft teilzunehmen. Durch die Haltung des Antragsgegners werde sein Recht auf Bildung verletzt. Angesichts des hohen Ranges, den die Rechtsordnung der Erfüllung der Schulpflicht einräume, dürfe der Antragsteller nicht auf den Ausgang des Hauptsacheverfahrens verwiesen werden.

13

Der Antragsteller beantragt,

den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihm die Hinzuziehung einer Stützkraft während des Schulunterrichts an der ... Grundschule in ... ab dem Schuljahr 1995/96 bis auf weiteres zu gestatten.

14

Der Antragsgegner beantragt,

den Antrag abzulehnen.

15

Er hält den Antrag für unzulässig. Stellungnahmen im Verfahren auf Eingliederungshilfe nach § 39 BSHG oder § 35a KJHG hätten keine Außenwirkung, so daß gegen sie nicht selbständig vorgegangen werden könne. Im übrigen sei der gestellte Antrag verfrüht, solange sich im Rahmen der Einführungsphase in der 1. Klasse der Grundschule der konkrete Förderbedarf des Antragstellers noch nicht habe feststellen lassen.

16

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte sowie die beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Antragsgegners und der Stadt bzw. des Landkreises ... in diesem Verfahren sowie den Verfahren 4 B 4136/95, 4 B 4143/95, 4 B 4144/95 und 4 B 4147/95 Bezug genommen. Diese Unterlagen sind Gegenstand der Beratung gewesen.

17

II.

Der Antrag hat keinen Erfolg.

18

Gemäß § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO kann das Gericht, auch schon vor Klageerhebung, in bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes treffen, wenn diese Regelung nötig erscheint, um wesentliche Nachteile abzuwenden. Die besondere Dringlichkeit (Anordnungsgrund) einer solchen Entscheidung sowie einen entsprechenden Regelungsanspruch (Anordnungsanspruch) hat der Antragsteller glaubhaft zu machen (§ 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. §§ 920 Abs. 2, 294 Abs. 1 ZPO).

19

Der Antrag ist zulässig.

20

Es besteht grundsätzlich ein der begehrten Regelung zugängliches Rechtsverhältnis zwischen dem Antragsteller und dem Antragsgegner. Der Antragsteller möchte im schulrechtlichen Verhältnis zum Antragsgegner geklärt wissen, ob er berechtigt ist, für den vom Antragsgegner mit Bescheid vom 14.06.1995 angeordneten Besuch der ... eine Stützkraft hinzuzuziehen. Dabei begehrt der Antragsteller nach dem ausdrücklichen Antrag eine Regelung mit Außenwirkung, nämlich ihm die Hinzuziehung einer Stützkraft während des Unterrichts zu gestatten. Diese Gestattung ist keine bloße behördliche Verfahrenshandlung gemäß § 44a VwGO im Rahmen der Entscheidung über den bei der Stadt Göttingen gestellten Antrag auf Kostenübernahme für die Stützkraft. Auf den Rechtscharakter der Stellungnahme des Antragsgegners gegenüber der Stadt ... kommt es vorliegend nicht an, denn der Antragsteller begehrt hier nicht die Verpflichtung des Antragsgegners zur Abgabe einer seinem Antrag bei der Stadt zustimmenden Stellungnahme. Schließlich ist die begehrte Hinzuziehung einer Stützkraft nicht auf den Fall beschränkt, daß die Stadt ... die Kosten übernimmt.

21

Das Verfahren ist auch gegen den richtigen Gegner gerichtet. Dem Regelungsgefüge des § 68 Nds. Schulgesetz - NSchG - ist zu entnehmen, daß die untere Schulbehörde (§ 119 Nr. 3 i.V.m. § 120 Abs. 6 NSchG) die Modalitäten des Schulbesuchs in bezug auf eine sonderpädagogische (Individual-)Förderung bestimmt. Hierzu gehört auch die hier streitige Fragestellung (ebenso OVG Lüneburg, Beschl. v. 26.10.1994 - 4 M 5846/94 -).

22

Dem steht nicht entgegen, daß gemäß § 111 Abs. 2 NSchG die Schulleiterin oder der Schulleiter das Hausrecht über die Schulanlage ausübt und damit im wesentlichen aus dem Eigentumsrecht über den Zutritt schulfremder Personen zu entscheiden hat.

23

Da der Antragsteller gerade nicht die Einrichtung einer Integrationsklasse gemäß § 23 Abs. 4 NSchG begehrt, sind weder die Schule, noch der Schulträger (als Antragsberechtigte gemäß § 23 Abs. 5 Satz 2 NSchG) bzw. das Kultusministerium als Genehmigungsbehörde (§ 23 Abs. 5 Satz 1, 119 Nr. 1, 120 NSchG und Erlaß des MK vom 20.09.1993 - 301 - 81006, SVBl. 1993, 408 und Erlasse vom 25.05.1994 - 3012 - 81006/2 und vom 18.12.1994 - 3013 - 81006/2) als Antragsgegner in Betracht zu ziehen.

24

Es kann dahinstehen, ob dieses Rechtsverhältnis auch i.S.v. § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO streitig ist. Bei einem Verpflichtungsbegehren - wie hier - ist ein streitiges Rechtsverhältnis grundsätzlich erst dann gegeben, wenn der Antragsteller bei der zuständigen Behörde einen entsprechenden Antrag gestellt hat, und wenn dieser entweder ausdrücklich abgelehnt worden ist, oder wenn sich aus den näheren Umständen eindeutig ergibt, daß er erfolglos bleiben wird (vgl. Finkelnburg/Jank, Vorläufiger Rechtsschutz im Verwaltungsstreitverfahren, 3. Aufl., Rn. 186).

25

Mit seinem Widerspruchsschreiben vom 22.06.1995 gegen die vom Antragsgegner verfügte Einschulung des Antragstellers in die Grundschule vom 14.06.1995 macht der Antragsteller die Rechtswidrigkeit des Bescheides mit der Begründung geltend, ihm werde dringend benötigte Hilfe versagt, wenn die Gestellung einer Stützkraft nicht ermöglicht werde, was sein Recht auf angemessene Schulbildung verletze. Ein konkreter Antrag i.S.d. im gerichtlichen Verfahren geäußerten Begehrens ist hiermit allerdings nicht ausdrücklich gestellt.

26

Auch wenn ein streitiges Rechtsverhältnis i.S.v. § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO bejaht werden kann und im übrigen auch im Hinblick auf die sonderpädagogische Förderungsbedürftigkeit des Antragstellers, die sich aus den verschiedenen Gutachten und fachpädagogischen Stellungnahmen ergibt, die Eilbedürftigkeit und damit der Anordnungsgrund nicht in Frage stehen, ist der Antrag nicht begründet.

27

Dem Antragsteller steht der von ihm geltend gemachte Anspruch nicht zur Seite. Er findet im Schulrecht, auf das hier ausschließlich abzustellen ist (vgl. Beschlüsse des OVG Lüneburg vom 26.10.1994 a.a.O. und 16.02.1995 - 12 M 6181/94 -), keine Grundlage. Dem Anspruch steht die staatliche Personalhoheit im Schulwesen entgegen.

28

Sonderpädagogische Förderung, wie sie der Antragsteller in der Sache anstrebt, findet im Nds. Schulgesetz an mehreren Stellen Erwähnung. So sollen gemäß § 4 NSchG Schülerinnen und Schüler, die einer sonderpädagogischen Förderung bedürfen, an allen Schulen gemeinsam mit anderen Schülerinnen und Schülern erzogen und unterrichtet werden, wenn auf diese Weise dem individuellen Förderbedarf der Schülerinnen und Schüler entsprochen werden kann und soweit es die organisatorischen, personellen und sächlichen Gegebenheiten erlauben.

29

Gemäß § 14 Abs. 2 Satz NSchG werden in der Sonderschule Schülerinnen und Schüler unterrichtet, die wegen körperlicher, geistiger und psychischer Beeinträchtigungen oder einer Beeinträchtigung ihres sozialen Verhaltens einer sonderpädagogischen Förderung bedürfen und diese Förderung nicht in einer Schule einer anderen Schulform erfahren können. Dabei besteht gemäß § 68 Abs. 1 Satz 2 die Verpflichtung zum Besuch der Sonderschule nicht, wenn die notwendige Förderung in einer Schule einer anderen Schulform gewährleistet ist.

30

Darüber hinaus enthält § 23 Abs. 4 NSchG die Möglichkeit im 1. bis 10. Schuljahrgang der allgemeinbildenden Schulen Integrationsklassen einzurichten, in denen Schülerinnen und Schüler, die einer sonderpädagogischen Förderung bedürfen, gemeinsam mit anderen Schülerinnen und Schülern unterrichtet werden und in denen die Leistungsanforderungen der unterschiedlichen Lernfähigkeit der Schülerinnen und Schüler entsprechen.

31

Um die Einrichtung einer Integrationsklasse i.S.v. § 23 Abs. 4 NSchG geht es dem Antragsteller erkennbar nicht. Neben einer derartigen, als "zieldifferent" bezeichneten sonderpädagogischen Förderung (vgl. Woltering/Bräth, Nds. Schulgesetz, 3. Aufl., § 23 Anm. 5) besteht gemäß §§ 14 Abs. 2 Satz 1, Abs. 4, 68 Abs. 1 Satz 2 NSchG auch die Möglichkeit der als "zielgleich" bezeichneten Beschulung förderbedürftiger Schülerinnen und Schüler mit anderen Schülern an allgemeinbildenden Schulen.

32

Diese Beschulungsmöglichkeit besteht jedoch vorbehaltlich der staatlichen Personal- und Finanzhoheit im Schulwesen und gewährt dem Antragsteller keinen Anspruch darauf, daß außenstehende Dritte, nämlich pädagogische Fachkräfte, die von den Erziehungsberechtigen des Antragstellers angestellt werden, im Unterricht zur Unterstützung herangezogen werden.

33

Gemäß § 50 Abs. 2 NSchG stehen Lehrkräfte an den öffentlichen Schulen in einem unmittelbaren Dienstverhältnis zum Land. Dies gilt gemäß § 53 NSchG auch für Schulassistentinnen und Schulassistenten, pädagogische Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sowie das Betreuungspersonal an den öffentlichen Schulen. Zu diesen Mitarbeitern gehörten von ihrem Aufgabenbereich her die von dem Antragsteller für seine Unterstützung begehrten Stützkraft während des Unterrichtes. Die sich aus diesen Bestimmungen ergebende Personalhoheit des Landes wird durch die entsprechende, nach § 112 Abs. 1 NSchG bestehende Finanzhoheit ergänzt.

34

Aus § 14 Abs. 2 Satz 1 und Abs. 4 NSchG wird weiter deutlich, daß sonderpädagogische Förderung von besonders förderungsbedürften Schülerinnen und Schülern an allgemeinbildenden Schulen eine Angelegenheit der Sonderschule als Förderzentrum für Unterricht und Erziehung von Schülerinnen und Schülern mit sonderpädagogischem Förderbedarf ist. Eine derartige Förderung erfolgt ggf. im Abordnungswege (vgl. Seyderhelm/Nagel, Nds. Schulgesetz, Stand: Juli 1994, § 14 Rn. 5).

35

Hiervon ist auch der Niedersächsische Gesetzgeber ausgegangen. In der Begründung zum Nds. Schulgesetz (Ltds. 12/3300, S. 90) heißt es u.a.:

"Die Integration Behinderter ist ein zentrales gesellschaftspolitisches Ziel und ist auch Aufgabe in allen Bildungsbereichen. Die Landesregierung wird deshalb den schulischen Integrationsprozeß durch die Möglichkeit der Einrichtung von Integrationsklassen maßgeblich fördern. Der gemeinsame Unterricht von behinderten und nichtbehinderten Schülerinnen und Schülern soll in diesen Klassen zieldifferent erfolgen. Hiervon nicht berührt ist die Integration einzelner Schülerinnen und Schüler durch zielgleichen Unterricht und ggf. die Förderung durch den mobilen Dienst der Sonderschule (§§ 11, 38, 92)."

36

Die in der Klammer der Gesetzesbegründung in Bezug genommenen Vorschriften finden sich im späteren Gesetz als §§ 14, 53, 112 NSchG wieder. Daraus ergibt sich, daß die Integration einzelner Schülerinnen und Schüler durch zielgleichen Unterricht, wie sie hier vom Antragsteller angestrebt wird, von Lehrkräften der Sonderschule unternommen werden soll, die in einem unmittelbaren Dienstverhältnis zum Land stehen (§ 53 NSchG) und für die das Land die persönlichen Kosten aufbringt (§ 112 Abs. 1 NSchG).

37

Etwas anderes läßt sich auch nicht dem § 4 NSchG entnehmen, der auf Empfehlung des Kultusausschusses in das Gesetz aufgenommen worden ist. Hierzu führte die Berichterstatterin des Kultusausschusses in der Gesetzesberatung (Stenographischer Bericht der 83. Sitzung vom 09.06.1993 S. 7788) aus:

"Übereinstimmend positiv wurde auch der nun in § 3a (Anm. des Gerichts: jetzt § 4 NSchG) enthaltene Grundsatz der schulischen Integration behinderter und nichtbehinderter Kinder beurteilt. Der vorgesehene Wortlaut stellt klar, daß entsprechende Bemühungen nur im Rahmen der bestehenden personellen und sächlichen Gegebenheiten unternommen werden dürfen. Die angestrebte Integration kann mit anderen Worten nur in kleinen Schritten unter Berücksichtigung des finanziell Machbaren erfolgen."

38

Diese gesetzgeberische Absicht, die ihren Ausdruck auch im Wortlaut der Bestimmung gefunden hat, weist darauf hin, daß es sich bei § 4 NSchG um eine bloße Zielbestimmung handelt, die dem einzelnen keinen subjektiv-öffentlichen Anspruch auf bestimmte sonderpädagogische Fördermaßnahmen gibt.

39

Dem kann der Antragsteller nicht mit Erfolg sein aus § 54 Abs. 1 Satz 1 NSchG ableitbares Recht auf Bildung und das Gebot der Chancengleichheit (§ 54 Abs. 1 Satz 2 NSchG) entgegenhalten. Diese Bestimmungen gewähren ebensowenig wie der eben erwähnte § 4 NSchG ein subjektives öffentliches Recht i.S. des antragstellerischen Begehrens. Wie sich aus dem Wortlaut des § 54 Abs. 1 Satz 1 NSchG ergibt, besteht das Recht auf Bildung nur im Rahmen der finanziellen und personellen Möglichkeiten des Landes. Mit der herrschenden Meinung in Literatur (Seyderhelm/Nagel a.a.O., § 54 Anm. 3.2; Woltering/Bräth a.a.O., § 54 Anm. 4; Heckel/Avenarius, Schulrechtskunde, 6. Aufl., S. 22) und Rechtsprechung (vgl. nur BVerwG, Beschl. v. 21.09.1993 - 6 B 53.93 - Buchholz 421 Nr. 110 m.w.N.) ist die Kammer der Ansicht, daß sich aus diesen Bestimmungen kein subjektives öffentliches Recht des einzelnen auf eine bestimmte, seinen Wünschen entsprechende Gestaltung der Bildungseinrichtung und des Unterrichts ableiten läßt. Eine Berechtigung des einzelnen existiert nur insoweit, als er das Recht auf Zugang zu bestehenden Bildungseinrichtungen hat, die eine seinen Anlagen, Fähigkeiten und Neigungen entsprechende Bildung vermitteln.

40

Die Kammer kann offenlassen, ob ein Anspruch auf Errichtung bestimmter Bildungseinrichtungen oder, wie hier, auf Hinzuziehung dritter Personen zum Unterricht besteht, wenn sonst eine evidente Verletzung des verfassungsrechtlich gebotenen festzustellen wäre (so Heckel/Avenarius a.a.O.). Eine solche evidente Verletzung kann die Kammer hier nicht erkennen. Der Antragsteller kann die für ihn erforderliche Hilfe im Rahmen des bestehenden Schulsystems, nötigenfalls durch den Besuch einer Sonderschule nach § 14 NSchG erhalten. Die Inanspruchnahme dieser Schulform, die von ihrer Zielsetzung über einen längeren Zeitraum spezifische, kontinuierliche und umfassende Hilfen bei einer festgestellten Beeinträchtigung der Entwicklungs-, Lern- und Bildungsmöglichkeiten von Schülerinnen und Schülern anbietet, steht dem Antragsteller grundsätzlich frei. Es bleibt ihm unbenommen, nach einer entsprechenden Überweisungsverfügung des Antragsgegners zu dieser Schulform zu wechseln, wenn sich herausstellen sollte, daß sein sonderpädagogischer Förderbedarf an der Grundschule nicht befriedigt werden kann. Es ist für die Kammer nicht ersichtlich und vom Antragsteller auch nicht vorgetragen, daß eine sonderpädagogische Betreuung an der Sonderschule von vornherein als unzumutbar bezeichnet werden müßte.

41

Als Unterlegener hat der Antragsteller gemäß § 154 Abs. 1 VwGO die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Streitwertbeschluss:

Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 4.000,00 DM festgesetzt.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 20 Abs. 3, 13 Abs. 1 Satz 1 GKG. Dabei orientiert sich die Kammer am Streitwertkatalog für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (DVBl. 1991, S. 1239, 1243). Danach ist für die Aufnahme in eine bestimmte Schule oder Schulform ein Streitwert 6.000,00 DM vorgesehen. Berücksichtigt man einerseits die Tatsache, daß es hier nicht um die Aufnahme in eine bestimmte Schule, sondern eine bestimmte schulische Maßnahme geht und andererseits die Tatsache, daß der Auffangstreitwert, an dem sich auch der Streitwertkatalog orientiert, mit dem Kostenrechtsänderungsgesetz 1994 von 6.000,00 auf 8.000,00 DM erhöht wurde, hält die Kammer einen Streitwert von 4.000,00 DM in diesem Verfahren für angemessen.

Kaiser,
Dr. Rudolph,
Dr. Wenderoth