Verwaltungsgericht Göttingen
Urt. v. 19.09.1995, Az.: 3 A 3222/93

Erstattung von außerhalb der Bundesrepublik Deutschland entstandenen Aufwendungen; Anforderungen an Erhebung einer Verpflichtungsklage durch anwaltlich nicht vertretenen Kläger; Rechtmäßigkeit des Ausschlusses von Aufwendungen für wissenschaftlich nicht allgemein anerkannte Behandlungsmethoden; Medizinische Notwendigkeit einer Behandlung bei fehlendem Ausschluss durch den Bundesminister des Inneren; Anerkennung eines Produktes als Arzneimittel ohne Zulassung in der BRD; Erforderlicher Nachweis der zwingenden Notwendigkeit einer Behandlung hinsichtlich Fahrtkosten, Unterkunftskosten und Tageszuschuss

Bibliographie

Gericht
VG Göttingen
Datum
19.09.1995
Aktenzeichen
3 A 3222/93
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1995, 17527
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:VGGOETT:1995:0919.3A3222.93.0A

Verfahrensgegenstand

Beihilfe

Prozessführer

Herr ...

Prozessgegner

...

Redaktioneller Leitsatz

  1. 1.

    Eine Behandlungsmethode, die nicht vom Bundesminister des Inneren von der Beihilfefähigkeit ausgeschlossen worden ist, ist als medizinisch notwendig anzusehen und damit dem Grunde nach beihilfefähig.

  2. 2.

    Die Eigenschaft eines Produktes als Arzneimittel bestimmt sich nicht nach seiner Zulassung oder Registrierung, sondern allein nach seinem materiellen Zweckcharakter, der sich aus § 1 und § 2 Abs. 1 Nr. 1 ArzneimittelG ergibt.

  3. 3.

    Bei einer Behandlung im Ausland ist für die Anerkennung der Beihilfefähigkeit von Fahrt- und Unterkunftskosten sowie für einen "Tageszuschuss" die zwingende Notwendigkeit dieser Behandlung dahingehend nachzuweisen, dass die in der Bundesrepublik Deutschland durchgeführten Heilmethoden im Krankheitsfall nicht ausreichend wären; der Umstand, dass bessere Heilungsergebnisse erzielt werden können oder die Behandlung gesundheitsverträglicher ist, genügt nicht.

Die 3. Kammer des Verwaltungsgerichts Göttingen hat
auf die mündliche Verhandlung vom 19. September 1995
durch
den Vorsitzenden Richter am Verwaltungsgericht Lichtenfeld,
den Richter am Verwaltungsgericht Rühling und
den Richter Dr. Rudolph sowie
die ehrenamtliche Richterin ... und
den ehrenamtlichen Richter ...
für Recht erkannt:

Tenor:

Die Beklagte wird unter teilweiser Aufhebung ihres Bescheides vom 10.08.1992 und des Widerspruchsbescheides vom 9.02.1993 - soweit die Bescheide die Beihilfefähigkeit der Positionen Nr. 4, 5 und 6 des Beihilfeantrages vom 22.06.1992 betreffen - verpflichtet, dem Kläger hierzu Beihilfe in gesetzlicher Höhe zu gewähren.

Im übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Kosten des Verfahrens trägt der Kläger zu 11/20 und die Beklagte zu 9/20.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kostenentscheidung vorläufig vollstreckbar. Jeder Kostenschuldner kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des jeweils festzusetzenden Kostenerstattungsbetrages abwenden, wenn nicht der jeweilige Kostengläubiger zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

1

Der Kläger ist niedersächsischer Landesbeamter und begehrt eine Beihilfe zu den bei einer NADH-Behandlung durch Prof. Dr. ... entstandenen Aufwendungen.

2

Der 1934 geborene Kläger leidet seit Jahren an der Parkinsonschen Krankheit.

3

Mit Schreiben vom 28.04.1992 teilte der Kläger der Beklagten mit, daß er beabsichtigte, sich am ... stationär behandeln zu lassen, und beantragte die Anerkennung der dabei entstehenden Aufwendungen als beihilfefähig. Zur Begründung nahm er Bezug auf eine Bescheinigung von Prof. ... (Klinik für Psychiatrie der ...) vom 16.04.1992, in der festgestellt wird, daß der Kläger wegen der Schwere seines Krankheitsbildes bei dem "wissenschaftlich außerordentlich ausgewiesenen Kollegen Herrn Prof. ... in ... mehrfach in Behandlung gewesen sei. Da eine Behandlung in Deutschland mit dem hier nicht zugelassenen Präparat nicht möglich sei, werde empfohlen, es dem Kläger zu ermöglichen, die Behandlung in ... stationär durchführen zu lassen. Mit Schreiben vom 07.05.1992 teilte die Beklagte dem Kläger mit, daß sein Beihilfeantrag noch nicht abschließend bearbeitet werden könne und die Einholung eines amtsärztlichen Gutachtens beabsichtigt sei. Nachdem die Beklagte vom Gesundheitsamt ... fernmündlich am 03.06.1992 erfahren hatte, daß eine gleichwertige Behandlung in der BRD zwar nicht möglich, doch auch nicht zwingend erforderlich sei, weil die Krankheit im Inland behandelt werden könnte, wurde der Kläger am selben Tage telefonisch darüber informiert, er müsse davon ausgehen, daß die Behandlung in ... nicht beihilfefähig sei. Er solle aber die Aufwendungen trotzdem einreichen, da eine Einzelfallentscheidung vom Finanzministerium eingeholt werden könnte.

4

Der Kläger begab sich sodann bei Prof. ... in ... in stationäre Behandlung.

5

Unter dem 22.06.1992 beantragte der Kläger unter anderem Beihilfe zu den Kosten für ein Rezept von Prof. ... für das Medikament NADH über 285,71 DM, für eine physiotherapeutische Behandlung von Köck über 668,57 DM, für eine Behandlung durch Prof. ... über 1.085,71 DM sowie für die Fahrtkosten nach ... und Unterkunft vom 04.06. bis 19.06.1992 in Höhe von 2.101,00 DM und schließlich einen "Tageszuschuß wie bei Kur" in Höhe von 375,00 DM. Mit Bescheid vom 10.08.1992, zugestellt am 25.08.1992, lehnte die Beklagte die beantragte Beihilfe mit der Begründung ab, die Voraussetzungen des § 13 Abs. 2 Nr. 2 BhV für die Erstattung von außerhalb der Bundesrepublik Deutschland entstandenen Aufwendungen lägen nicht vor. So sei die Inanspruchnahme der Behandlung bei Prof. ... nicht zwingend erforderlich gewesen, da auch in Deutschland gleichwertige medizinische Maßnahmen hätten durchgeführt werden können. Außer der Beihilfe zu den Fahrtkosten könnten auch die weiter geltend gemachten Aufwendungen nicht berücksichtigt werden, weil NADH in Deutschland nicht zugelassen und somit kein Arzneimittel i.S.v. § 6 Abs. 1 Nr. 2 BhV sei.

6

Der Kläger legte hiergegen am 17.09.1992 mit Schreiben vom 15.09.1992 Widerspruch ein, den er im wesentlichen damit begründete, daß in Deutschland gleichwertige medizinische Maßnahmen nicht durchgeführt werden könnten. Die Beklagte wies den Widerspruch des Klägers mit Widerspruchsbescheid vom 09.02.1993, zugestellt am 20.02.1993, zurück. Gemäß § 13 Abs. 2 Nr. 2 BhV komme die vorherige Anerkennung der Beihilfefähigkeit ausnahmsweise nur dann in Betracht, wenn durch ein amts- oder vertrauensärztliches Gutachten nachgewiesen sei, daß die Behandlung außerhalb der Bundesrepublik Deutschland wegen wesentlich größerer Erfolgsaussichten zwingend notwendig sei. Dies sei beim Kläger nicht gegeben, weshalb gemäß § 13 Abs. 1 BhV die entstandenen Aufwendungen nur bis zur Höhe, wie sie in Deutschland beim Verbleiben am Wohnort entstanden wären, beihilfefähig seien. Hier sei das Präparat NADH weder zugelassen noch wissenschaftlich anerkannt, so daß weder die Aufwendungen für die ärztliche Behandlung durch Prof. ... mit dem Präparat NADH, noch die Fahrt- und Unterkunftskosten als beihilfefähig anerkannt werden könnten.

7

Am Montag, den 22. März 1993 ging bei Gericht ein Schriftsatz des damals noch nicht anwaltlich vertretenen Klägers vom 18.03.1993 ein, in dem es heißt:

"Verwaltungsrechtssache

... gegen ...

Bezug: Meine Klage vom 18.03.1993

Versehentlich wurden die Kopien der angefochtenen Bescheide der Klageschrift nicht beigefügt. Ich hole dies hiermit nach."

8

Dem vom Kläger unterschriebenen Schriftstück waren Kopien des Bescheides der Beklagten vom 10.08.1992 und ihres Widerspruchsbescheides vom 09.02.1993 beigefügt.

9

Sodann ging bei Gericht am 26.03.1993 die eigentliche Klageschrift ein.

10

Der Kläger, der am 07.04.1993 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Klagefrist beantragt hat, ist der Auffassung, die gutachterlichen Äußerungen des Gesundheitsamtes der Stadt ... setzten sich nicht mit der Stellungnahme von Prof. Dr. ... vom 09.03.1993 auseinander. Aus den Äußerungen des Gesundheitsamtes gehe nicht hervor, welche in der BRD durchführbaren Behandlungsmethoden beim Kläger den gleichen Erfolg gehabt hätten.

11

Der Kläger beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheides vom 10.08.1992 und des Widerspruchsbescheides vom 09.02.1993 zu verpflichten, ihm antragsgemäß Beihilfe in gesetzlicher Höhe zu den Aufwendungen laut Rechnung vom 17.06.1992 (Prof. ... Rezept) über 285,71 DM, vom 16.06.1992 (Köck, physiotherapeutische Behandlung) über 668,57 DM vom 17.06.1992 (Prof. ... Behandlung) über 1.085,71 DM, und zu den Kosten für die Fahrt nach ... und die Unterkunft vom 04.06. bis 19.06.1992 über 2.101,00 DM sowie einen "Tageszuschuß" in Höhe von 375,00 DM zu gewähren.

12

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

13

Sie verteidigt ihre angegriffenen Bescheide und nimmt Bezug auf sie.

14

Wegen der weiteren Einzelheiten im Vorbringen der Beteiligten wird auf die gewechselten Schriftsätze, wegen des Sachverhalts im übrigen auf die Gerichtsakten und die Verwaltungsvorgänge der Beklagten Bezug genommen. Diese Unterlagen waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Entscheidungsgründe

15

Die Klage hat nur im aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg.

16

Einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bedarf es nicht, da die Klage fristgemäß erhoben worden ist.

17

Ihrer Zulässigkeit steht nicht entgegen, daß der Schriftsatz mit den Sachanträgen (Blatt 1 der Gerichtsakte) erst am 26.03.1993, also vier Tage nach Ablauf der Klagefrist bei Gericht eingegangen ist, denn die Kammer sieht den weiteren Schriftsatz des Klägers vom 18.03.1993, der - fristgerecht - am 22.03.1993 eingegangen ist, als Klageschrift an.

18

Nach Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts (Urteil vom 27.04.1990 - 8 C 70.88 -, Buchholz 310, § 74 VwGO Nr. 9) ist auch im verwaltungsgerichtlichen Verfahren zugunsten eines anwaltlich nicht vertretenen Klägers ein "großzügiger Maßstab" bei der Beurteilung von Prozeßhandlungen anzulegen. Für die ordnungsgemäße schriftliche Erhebung einer Verpflichtungsklage durch einen nicht rechtskundigen Bürger genügt, daß aus seinem an das Gericht gerichteten Schriftsatz im Wege der Auslegung hinreichend der Wille zu erkennen ist, gerichtlichen Rechtsschutz gegen einen bezeichneten angegriffenen Verwaltungsakt in Anspruch nehmen zu wollen. So liegt es hier. Der Schriftsatz vom 18.03.1993 (Blatt 3 der Gerichtsakte) drückt mit den Worten "meine Klage vom 18.03.1993" unzweifelhaft aus, daß der Kläger sich gegen die diesem Schriftsatz beigefügten Bescheide wendet und sein abgelehntes Beihilfebegehren weiterverfolgt, so daß seine prozessuale Erklärung aus objektiver Sicht somit als Klageschrift i.S. von § 81 Abs. 1 S. 1 VwGO zu bewerten ist, die den notwendigen Inhalt des § 82 Abs. 1 S. 1 VwGO aufweist.

19

Die Klage ist allerdings nur zum Teil begründet. Die Beklagte ist lediglich verpflichtet, dem Kläger Beihilfe zu den streitigen ärztlichen Leistungen und verschriebenen Arzneimitteln, nicht jedoch zu den Fahrt- und Unterkunftskosten zu gewähren.

20

Die Beihilfefähigkeit der hier streitigen, im Juni 1992 entstandenen Behandlungskosten richtet sich nach den allgemeinen Verwaltungsvorschriften über die Gewährung von Beihilfe in Krankheits-, Geburts- und Todesfällen - BhV - vom 19.04.1985 (Nds. MBl. S. 393), in der Fassung vom 10.12.1991 (GMBl. 1991, S. 1051), da für die Beihilfefähigkeit von Aufwendungen das zum Zeitpunkt ihres Entstehens geltende Beihilferecht maßgeblich ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 24.03.1982 - 6 C 95.75 -, Buchholz 238.4, § 30 Nr. 6, S. 8/10 f.). Gemäß § 87 Abs. 3 NBG gelten diese Vorschriften auch für niedersächsische Landesbeamte.

21

Außerhalb der Bundesrepublik Deutschland entstandene Aufwendungen sind gemäß §§ 6, 13 Abs. 1 BhV nur beihilfefähig, wenn sie dem Grunde nach erstattungsfähig sind, jedoch nur insoweit und bis zu der Höhe, wie sie in Deutschland beim Verbleiben am Wohnort entstanden und beihilfefähig gewesen wären. Nach § 13 Abs. 2 Nr. 2 BhV entfällt diese Beschränkung auf die in der Bundesrepublik Deutschland beihilfefähigen Kosten dann, wenn die Beihilfefähigkeit vor Antritt der Auslandsreise anerkannt worden ist, was allerdings den durch amts- oder vertrauensärztliches Gutachten belegten Nachweis voraussetzt, daß die Behandlung im Ausland zwingend notwendig ist, weil hierdurch eine wesentlich größere Erfolgsaussicht zu erwarten ist. Dabei ist die Anerkennung der Beihilfefähigkeit von Aufwendungen, die im Zusammenhang mit kurähnlichen Maßnahmen entstehen, ausgeschlossen.

22

Erste Voraussetzung der Anerkennung von Auslandsaufwendungen ist somit das Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen von § 6 BhV. Nach § 6 Abs. 1 BhV sind Aufwendungen für ärztliche Leistungen grundsätzlich dann beihilfefähig, wenn sie gemäß § 5 Abs. 1 BhV dem Grunde nach notwendig und der Höhe nach angemessen sind. Sie dürfen ferner nicht - so § 6 Abs. 2 Satz 1 BhV - vom Bundesminister des Innern als Aufwendungen für eine Untersuchung und Behandlung nach einer wissenschaftlich nicht allgemein anerkannten Methode von der Beihilfefähigkeit ausgeschlossen sein. Die Rechtmäßigkeit dieses Ausschlusses von Aufwendungen für wissenschaftlich nicht allgemein anerkannte Behandlungsmethoden unterliegt keinen rechtlichen Bedenken. Insbesondere ist der Ausschluß mit der Fürsorgepflicht des Dienstherrn vereinbar. Es ist weder beamten- noch verfassungsrechtlich zu beanstanden, wenn der Dienstherr die Erstattung von Kosten für eine Behandlung, deren wissenschaftliche Bewährung zweifelhaft ist, als nicht notwendig i.S.v. § 5 Abs. 1 BhV ansieht (Nds. OVG, Urteil vom 10.06.1993 - 5 L 4574/92 -, S. 6 f. des amtl. Urteilsabdrucks mit weiteren Rechtsprechungsnachweisen). Die Fürsorgepflicht gebietet dem Dienstherrn auch nicht, Beihilfen für Aufwendungen zu gewähren, die durch ärztliche Verfahren entstanden sind, die nach dem derzeitigen Stand der Wissenschaft eine Anerkennung noch nicht gefunden haben. Wesentlich in diesem Zusammenhang ist, daß es nicht darauf ankommt, ob eine Behandlungsmethode in einem Einzelfall zu einem Erfolg geführt haben mag; vielmehr soll mit der generellen Voraussetzung wissenschaftlicher Anerkennung der staatlichen Finanzierung unseriöser Behandlungsmethoden vorgebeugt und damit zugleich auch dem Gebot sparsamer Haushaltsführung durch den Dienstherrn Rechnung getragen werden (Nds. OVG, a.a.O.). Als wissenschaftlich anerkannt sind nur solche Methoden und Heilmittel anzusehen, die von der überwiegenden Meinung in der medizinischen Wissenschaft für die Behandlung der jeweiligen Krankheit, sei es als alleiniges Heilmittel oder als zusätzliche Therapie, als wirksam und geeignet erachtet werden (BVerwG, Beschluß vom 15.03.1984 - 2 C 2/83 -, NJW 1985, S. 1413).

23

Unter Beachtung der vorstehenden Grundsätze sind die Aufwendungen des Klägers für die NADH-Behandlung durch Prof. ... in ... sowie für die dabei verschriebenen Medikamente beihilfefähig.

24

Zwar gilt die NADH-Behandlung nach Prof. ... nicht als wissenschaftlich allgemein anerkannt, sie ist jedoch nicht vom Bundesminister des Innern von der Beihilfefähigkeit ausgeschlossen worden (vgl. Hinweise des BMI zur allgemeinen Verwaltungsvorschrift zu § 79 BBG, hierzu Runderlaß des Nds. MP vom 09.07.1985, Nds. MBl. S. 644, zuletzt geändert am 24.06.1993, Nds. MBl. 1993, S. 595). Mangels Vorliegen des Ausschlußtatbestandes ist die streitige Behandlungsmethode somit als medizinisch notwendig anzusehen, da es nach den objektiven medizinischen Befunden zum Zeitpunkt der Behandlung vertretbar war, den Kläger nach dieser Methode zu behandeln (vgl. Topka/Möhle Beihilfevorschriften, Landeskommentar Niedersachsen, S. Aufl., Stand: Juni 1995, Esl. 20. 7 k zu § 6 Abs.2). Dies ergibt sich aus den ärztlichen Stellungnahmen von Prof. Dr. ... vom 18.04.1991 (Blatt 8 der Beiakten), vom 16.04.1992 (Blatt 13 der Beiakten), vom 17.11.1992 (Blatt 47 der Beiakten) und vom 09.03.1993 (Bl. 85/86 der Beiakten). Die Vertretbarkeit der Behandlung des Klägers mit der NADH-Therapie wird von der Beklagten auch nicht in Zweifel gezogen, insbesondere geht auch die amtsärztliche Stellungnahme vom 27.05.1992 (Blatt 23 der Beiakten), die sich die Beklagte zu eigen gemacht hat, hiervon aus.

25

Soweit die Beklagte die Auffassung vertritt, die Beihilfefähigkeit der NADH-Behandlung scheitere daran, daß sie nicht zwingend erforderlich sei, weil auch in Deutschland gleichwertige medizinische Maßnahmen durchgeführt werden könnten, ist darauf hinzuweisen, daß dieser Einwand innerhalb der Prüfung des Vorliegens der Voraussetzungen von § 13 Abs. 1 BhV irrelevant ist, vielmehr ist das Vorliegen der zwingenden Notwendigkeit einer bestimmten Behandlungsmethode als Tatbestandsvoraussetzung lediglich bei der Beihilfefähigkeit von Aufwendungen ohne Beschränkung auf die Kosten in der BRD (§ 13 Abs. 2 Nr. 2 BhV) zu berücksichtigen. Festzuhalten ist somit, daß die Behandlung durch Prof. ... (Beleg Nr. 6 vom 17.06.1992 über 1.085,71 DM) dem Grunde nach beihilfefähig ist.

26

Gleiches gilt für die physiotherapeutische Behandlung durch Köck (Beleg Nr. 5 vom 16.06.1992 über 668,57 DM), denn auch diese Behandlung wurde von einem Arzt, Prof. ... schriftlich dem Kläger verordnet.

27

Beihilfefähig sind auch die Aufwendungen des Klägers für das Medikament NADH (Beleg Nr. 4 vom 17.06.1992 über 285,71 DM). Die Beklagte vermag hiergegen nicht erfolgreich einzuwenden, NADH sei mangels Zulassung in der BRD kein Arzneimittel i.S.d. § 6 Abs. 1 Nr. 2 BhV. Ob ein Produkt ein Arzneimittel ist oder nicht, bestimmt sich nicht nach seiner Zulassung oder Registrierung, etwa durch Aufführung des Mittels in der sog. "Rote Liste", sondern einzig und allein nach seinem materiellen Zweckcharakter, der sich aus § 1 und § 2 Abs. 1 Nr. 1 ArzneimittelG ergibt. Daß NADH die dort aufgestellten Kriterien erfüllt, liegt auf der Hand und wird von der Beklagten auch nicht bestritten.

28

Die Klage hat jedoch keinen Erfolg, soweit der Kläger Fahrt- und Unterkunftskosten sowie einen "Tageszuschuß wie bei Kur" als beihilfefähig geltend macht.

29

Diese Aufwendungen wären grundsätzlich nur nach Maßgabe des § 13 Abs. 2 Nr. 2 BhV beihilfefähig. Hierbei ist zunächst Tatbestandsvoraussetzung, daß die Beihilfefähigkeit vor Antritt der Reise anerkannt worden ist. Dies war hier nicht der Fall. Vielmehr hat eine Mitarbeiterin der Beklagten telefonisch den Kläger am 03.06.1992 darauf hingewiesen, daß er davon ausgehen müsse, daß die Behandlung in ... nicht beihilfefähig sei. Aus der weiteren telefonischen Mitteilung, der Kläger solle trotzdem seine Aufwendungen geltend machen, weil eine Einzelfallentscheidung vom Finanzminister eingeholt werden könne, durfte der Kläger allenfalls folgern, daß sein Antrag noch nicht abschließend abgelehnt worden sei. Bereits deswegen entfällt die Beihilfefähigkeit dieser Aufwendungen. Auch die weitere Tatbestandsvoraussetzung, wonach durch amts- oder vertrauensärztliches Gutachten nachgewiesen sein müßte, daß eine Behandlung im Ausland zwingend notwendig ist, weil hierdurch eine wesentlich größere Aussicht auf einen Behandlungserfolg zu erwarten sei, ist - obwohl es hierauf aus Rechtsgründen nicht mehr ankommt - nicht erfüllt. Denn die amtsärztliche Stellungnahme vom 27.05.1992 (Blatt 23 der Beiakten) geht davon aus, daß auch in der Bundesrepublik Deutschland medizinische Maßnahmen durchgeführt werden könnten. Wenn der Kläger meint, die NADH-Behandlung führe in seinem Fall zu besseren Heilungsergebnissen, steht das dem Gutachten nicht entgegen, denn eine zwingende Notwendigkeit einer Behandlung im Ausland liegt nur vor, wenn, die Heilmethoden in der Bundesrepublik Deutschland im Fall der Krankheit des Klägers nicht ausreichend wären. Hierfür ist aber nichts ersichtlich, vielmehr schließt der - möglicherweise auch zu Recht erhobene -, Einwand des Klägers, die NADH-Behandlung sei gesundheitsverträglicher als die Behandlung mit Dopamin-Präperaten, nicht aus, daß auch die "Substitutionstherapie" Erfolge bei Parkinson-Patienten erzielt. Da somit die sachlichen Voraussetzungen für die Anerkennung der Beihilfefähigkeit der Fahrt- und Unterkunftskosten sowie für den begehrten "Tageszuschuß" nicht nachgewiesen sind, kommt es nicht mehr darauf an, ob gemäß § 17 Abs. 8 BhV das Versäumnis des Klägers, eine vorige Anerkennung der Beihilfefähigkeit dieser Positionen einzuholen, entschuldbar ist.

30

Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 VwGO. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.