Verwaltungsgericht Göttingen
Beschl. v. 23.08.1995, Az.: 4 B 4136/95
Verfahren auf Feststellung eines sonderpädagogischen Förderbedarfs; Gestattung der Hinzuziehung einer Stützkraft während des Unterrichts für einen Schüler; Staatliche Personalhoheit im Schulwesen; Schulische Integration behinderter und nichtbehinderter Kinder im Rahmen der bestehenden personellen und sächlichen Gegebenheiten; Recht auf Bildung und das Gebot der Chancengleichheit
Bibliographie
- Gericht
- VG Göttingen
- Datum
- 23.08.1995
- Aktenzeichen
- 4 B 4136/95
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 1995, 18022
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:VGGOETT:1995:0823.4B4136.95.0A
Rechtsgrundlagen
- § 123 Abs. 1 S. 2 VwGO
- § 4 NSchG,NI
- § 68 Abs. 1 S. 2 NSchG,NI
- § 23 Abs. 4 NSchG,NI
- § 112 Abs. 1 NSchG,NI
- § 54 Abs. 1 NSchG,NI
Verfahrensgegenstand
Hinzuziehung einer Stützkraft während des Schulunterrichts
Antrag nach § 123 VwGO.
Prozessführer
Minderjähriges Kind ...
vertreten durch ...
Prozessgegner
...
vertreten durch ...
Redaktioneller Leitsatz
Die Möglichkeit der Beschulung förderbedürftiger KInder mit anderen Schülern an allgemeinbildenden Schulen besteht vorbehaltlich der staatlichen Personal- und Finanzhoheit im Schulwesen und gewährt keinen Anspruch des Einzelnen darauf, daß außenstehende Dritte - wie pädagogische Fachkräfte, die von den Erziehungsberechtigen der Schüler angestellt werden, - im Unterricht zur Unterstützung herangezogen werden.
In dem Rechtsstreit
hat die 4. Kammer des Verwaltungsgerichts Göttingen
am 23. August 1995
beschlossen:
Tenor:
Der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes wird zurückgewiesen.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 4.000,00 DM festgesetzt.
Gründe
I.
Der am ... geborene Antragsteller wurde 1991 eingeschult, nach den Herbstferien aber vom Schulbesuch zurückgestellt und im Schulkindergarten der ... betreut. Im Schuljahr 1994/95 besuchte der Antragsteller die 2. Klasse der Grundschule ... im 3. Schulbesuchsjahr. Auf Beschluß der Zeugniskonferenz vom 14.06.1995 wurde er nicht in die 3. Klasse versetzt.
Seit 1993 befindet sich der Antragsteller in psychologischer Behandlung, zunächst durch den Dipl.-Psychologen ... seit 1994 auch durch Ärzte der Kinder- und Jugendpsychiatrie ... Der medizinische Befund ergab eine erhebliche Rechtschreibschwäche sowie eine Rechenschwäche, denen Funktionsabweichungen des zentralen Nervensystems zugrundeliegen. Gleichzeitig wurde festgestellt, daß die formal-logischen Denkmöglichkeiten beim Antragsteller im durchschnittlichen Bereich liegen. Die durch das Ausmaß und die Vielfalt der nachgewiesenen Teilleistungsstörungen bedingten Mißerfolgserfahrungen haben beim Antragsteller zu psychosomatischen Beschwerden, Rückzugsverhalten in der Schule und zu erhöhter motorischer Aktivität nach der Schule geführt.
Die kinderpsychiatrische Stellungnahme vom 06.07.1994 unterstützte wegen der Vielfalt der Teilleistungsstörungen und der gleichzeitig durchschnittlich ausgebildeten formallogischen Denkfähigkeit den Wunsch der Mutter des Antragstellers, den Antragsteller in einer integrierten Klasse zu beschulen und ihn dabei die 2. Klasse wiederholen zu lassen.
Erstmals 1994 leitete der Antragsgegner auf Antrag der Eltern des Antragstellers das Verfahren auf Feststellung eines sonderpädagogischen Förderbedarfs des Antragstellers ein. Nach dem sonderpädagogischen Beratungsgutachten vom 15.05.1994 handelt es sich bei dem Antragsteller um ein zurückhaltendes und stilles Kind, das in der Überprüfungswoche außer zu seinem Mitschüler aus ... kaum Kontakt zu den anderen Kindern aufgenommen hat. Er war immer willig zu arbeiten und Arbeitsanweisungen auszuführen und konnte sich ohne Probleme an die Regeln der Gruppe halten. Der Antragsteller hatte danach in den Lernbereichen Schreiben und Lesen erhebliche Defizite, im Bereich Mathematik hatte er fast gar keine Grundlagen erarbeitet. Der sonderpädagogische Förderbedarf war in allen drei Lernbereichen gegeben und die Gutachterin schlug vor, den Antragsteller in der Klasse 4 der Sonderschule für Lernbehinderte zu beschulen. Eine Sonderschulüberweisung erfolgte zum damaligen Zeitpunkt jedoch nicht.
Im Frühjahr 1995 wurde der Antragsteller erneut auf sonderpädagogischen Förderbedarf hin untersucht. Nach dem sonderpädagogischen Beratungsgutachten vom 30.03.1995 zeigt der Antragsteller im Bereich Schreiben erhebliche Defizite. Im Bereich Mathematik, besonders im Zahlenraum über 10, fehlen ihm wichtige Grundkenntnisse. Der sonderpädagogische Förderbedarf ist in allen drei Lernbereichen gegeben. Seine Lerndefizite könnten danach durch Einzelförderung oder Betreuung in einer kleinen Lerngruppe sicherlich erheblich aufgearbeitet und verringert werden. Gleichzeitig heißt es, der Antragsteller kann ausdauernd arbeiten, wenn das Arbeitsziel seinem Leistungsvermögen angepaßt ist. Er kann sich mit den gestellten Aufgaben auseinandersetzen und sich am Unterrichtsgeschehen erfolgreich beteiligen.
Unter Hinweis auf die Bemühungen der Grundschule und des Elternhauses, eine Förderung des Antragstellers durch die Einrichtung einer Eingliederungshilfe an der Grundschule zu erreichen, schlug der Gutachter die Beschulung des Antragstellers im Schuljahr 1995/96 in der 3. Klasse vor.
Dieselbe Empfehlung sprach die auf Antrag der Eltern vom Antragsgegner berufene Förderkommission aus.
Mit Bescheid vom 12.06.1995 ordnete der Antragsgegner abweichend von diesen Empfehlungen die Überweisung des Antragstellers in die ... für Lernbehinderte zum 01.08.1995 an. Über den hiergegen fristgerecht eingelegten Widerspruch ist bisher nicht entschieden worden.
Am 18.07.1994 hatte der Antragsteller bei dem Landkreis ... die Übernahme der Kosten für eine besondere pädagogische Betreuung in der Grundschule nach § 35 a KJHG (bzw. §§ 39, 40 BSHG i.V.m. § 12 der EingliederungshilfeVO) beantragt, was von den behandelnden Ärzten des Antragstellers unterstützt worden war. Dieser Antrag bezog sich, wie sich aus seiner Begründung ergibt, auf das Schuljahr 1994/95.
Ohne daß der Antragsgegner zu diesem Antrag um Stellungnahme gebeten worden war, bewilligte der Landkreis ... mit Bescheid vom 28.12.1994 Mittel der Jugendhilfe für eine pädagogische Einzelbetreuung während des Unterrichts der Grundschule in einem Umfang von 10 Stunden pro Woche ab dem 09.01.1995. Nachdem der Antragsgegner hiervon Kenntnis erlangte, widersprach er fernmündlich einer Betreuung des Antragstellers durch eine sonderpädagogische Stützkraft während des Unterrichtes. Daraufhin nahm der Landkreis ... mit Bescheid 04.01.1995 seinen o.a. Bewilligungsbescheid unter Hinweis auf den Widerspruch des Antragsgegners zurück. Hiergegen legte der Antragsteller fristgerecht Widerspruch ein, über den bisher nicht entschieden wurde.
Für das Schuljahr 1995/96 stellte der Antragsteller weder gegenüber dem Landkreis ... noch gegenüber dem Antragsgegner einen konkreten Antrag i.S.d. gerichtlichen Begehrens.
Am 21.06.1995 hat der Antragsteller um die Gewährung vorläufigen gerichtlichen Rechtsschutzes nachgesucht.
Unter Hinweis auf die fachlichen Stellungnahmen führt er aus, er habe nur eine adäquate Chance auf angemessene Bildung, wenn es ihm gestattet werde, am Unterricht wenigstens teilweise mit einer Stützkraft teilzunehmen. Durch die Haltung des Antragsgegners werde sein Recht auf Bildung verletzt. Darüber hinaus liege ein Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz vor, weil der Antragsgegner dem Mitschüler ... (Antragsteller im Verfahren 4 B 4144/94) die Gestellung einer den Unterricht begleitenden Stützkraft genehmigt habe. Angesichts des hohen Ranges, den die Rechtsordnung der Erfüllung der Schulpflicht einräume, dürfe der Antragsteller nicht auf den Ausgang des Hauptsacheverfahrens verwiesen werden.
Der Antragsteller beantragt,
den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihm die Hinzuziehung einer Stützkraft während des Schulunterrichts an der Grundschule ... ab dem Schuljahr 1995/96 bis auf weiteres zu gestatten.
Der Antragsgegner beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Er hält den Antrag für unzulässig. Stellungnahmen im Verfahren auf Eingliederungshilfe nach § 39 BSHG oder § 35 a KJHG hätten keine Außenwirkung, so daß gegen sie nicht selbständig vorgegangen werden könne. Im übrigen stehe dem Antragsteller gegen die Sonderschulüberweisung grundsätzlich einstweiliger Rechtsschutz nach § 80 Abs. 5 VwGO zu, so daß der gestellte Antrag gemäß § 123 Abs. 5 VwGO unzulässig sei. Schließlich weist der Antragsgegner darauf hin, daß die pädagogische Verantwortung in der Schule ausschließlich bei Personen liege, die im Dienstverhältnis zum Land stünden.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte sowie die beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Antragsgegners und der Stadt bzw. des Landkreises ... in diesem Verfahren sowie den Verfahren 4 B 4135/95, 4 B 4143/95, 4 B 4144/95 und 4 B 4147/95 Bezug genommen. Diese Unterlagen sind Gegenstand der Beratung gewesen.
II.
Der Antrag hat keinen Erfolg.
Gemäß § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO kann das Gericht, auch schon vor Klageerhebung, in bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes treffen, wenn diese Regelung nötig erscheint, um wesentliche Nachteile abzuwenden. Die besondere Dringlichkeit (Anordnungsgrund) einer solchen Entscheidung sowie einen entsprechenden Regelungsanspruch (Anordnungsanspruch) hat der Antragsteller glaubhaft zu machen (§ 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. §§ 920 Abs. 2, 294 Abs. 1 ZPO).
Der Antrag ist zulässig.
Es besteht grundsätzlich ein der begehrten Regelung zugängliches Rechtsverhältnis zwischen dem Antragsteller und dem Antragsgegner. Der Antragsteller möchte im schulrechtlichen Verhältnis zum Antragsgegner geklärt wissen, ob er berechtigt ist, für den Besuch der Grundschule ... zu dem er aufgrund der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruchs gegen die Sonderschulüberweisung vom 12.06.1995 weiterhin berechtigt ist, eine Stützkraft hinzuzuziehen. Dabei begehrt der Antragsteller nach dem ausdrücklichen Antrag eine Regelung mit Außenwirkung, nämlich ihm die Hinzuziehung einer Stützkraft während des Unterrichts zu gestatten. Diese Gestattung ist keine bloße behördliche Verfahrenshandlung gemäß § 44a VwGO im Rahmen der Entscheidung über den bei dem Landkreis gestellten Antrag auf Kostenübernahme für die Stützkraft. Auf den Rechtscharakter einer etwaigen Stellungnahme des Antragsgegners gegenüber dem Landkreis ... kommt es vorliegend nicht an, denn der Antragsteller begehrt hier nicht die Verpflichtung des Antragsgegners zur Abgabe einer seinem Antrag bei dem Landkreis zustimmenden Stellungnahme. Schließlich ist die begehrte Hinzuziehung einer Stützkraft nicht auf den Fall beschränkt, daß der Landkreis ... die Kosten übernimmt.
Der Hinweis des Antragsgegners auf § 123 Abs. 5 VwGO geht fehl. Es geht dem Antragsteller vorliegend erkennbar nicht um Rechtschutz gegen die Sonderschulüberweisung, sondern um das eben näher beschriebene isolierte Begehren. Hierfür ist einstweiliger Rechtsschutz ausschließlich nach § 123 Abs. 1 VwGO gegeben.
Dem Begehren des Antragstellers, das auf die Gestellung einer Stützkraft an der Grundschule gerichtet ist, steht darüber hinaus nicht die Sonderschulüberweisungsverfügung des Antragsgegners vom 12.06.1995 entgegen. Deren Vollzugsfolgen sind durch den fristgerecht eingelegten Widerspruch gemäß § 80 Abs. 1 Satz 1 VwGO aufgeschoben.
Das Verfahren ist auch gegen den richtigen Gegner gerichtet. Dem Regelungsgefüge des § 68 Nds. Schulgesetz - NSchG - ist zu entnehmen, daß die untere Schulbehörde (§ 119 Nr. 3 i.V.m. § 120 Abs. 6 NSchG) die Modalitäten des Schulbesuchs in bezug auf eine sonderpädagogische (Individual-)Förderung bestimmt. Hierzu gehört auch die hier streitige Fragestellung (ebenso OVG Lüneburg, Beschl. v. 26.10.1994 - 4 M 5846/94 -).
Dem steht nicht entgegen, daß gemäß § 111 Abs. 2 NSchG die Schulleiterin oder der Schulleiter das Hausrecht über die Schulanlage ausübt und damit im wesentlichen aus dem Eigentumsrecht über den Zutritt schulfremder Personen zu entscheiden hat.
Da der Antragsteller gerade nicht die Einrichtung einer Integrationsklasse gemäß § 23 Abs. 4 NSchG begehrt, sind weder die Schule, noch der Schulträger (als Antragsberechtigte gemäß § 23 Abs. 5 Satz 2 NSchG) bzw. das Kultusministerium als Genehmigungsbehörde (§ 23 Abs. 5 Satz 1, 119 Nr. 1, 120 NSchG und Erlaß des MK vom 20.09.1993 - 301 - 81006, SVBl. 1993, 408 und Erlasse vom 25.06.1994 - 3012 - 81006/2 und vom 18.12.1994 - 3013 - 81006/2) als Antragsgegner in Betracht zu ziehen.
Es kann dahinstehen, ob dieses Rechtsverhältnis auch i.S.v. § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO streitig ist. Bei einem Verpflichtungsbegehren - wie hier - ist ein streitiges Rechtsverhältnis grundsätzlich erst dann gegeben, wenn der Antragsteller bei der zuständigen Behörde einen entsprechenden Antrag gestellt hat, und wenn dieser entweder ausdrücklich abgelehnt worden ist, oder wenn sich aus den näheren Umständen eindeutig ergibt, daß er erfolglos bleiben wird (vgl. Finkelnburg/Jank, Vorläufiger Rechtsschutz im Verwaltungsstreitverfahren, 3. Aufl., Rn. 186).
Mit seinem Widerspruchsschreiben vom 20.06.1995 gegen die vom Antragsgegner verfügte Umschulung des Antragstellers in die ... für Lernbehinderte vom 12.06.1995 macht der Antragsteller die Rechtswidrigkeit des Bescheides unter Hinweis auf das sonderpädagogische Fördergutachten und die Stellungnahme der Kinder- und Jugendpsychiatrie der Universität ... geltend. Beide sprechen sich wie ausgeführt für eine integrierende Beschulung an der Grundschule aus. Ob hierin ein Antrag i.S.d. gerichtlichen Begehrens gesehen werden kann, und ob dieser Antrag den Antragsgegner vor Eingang des gerichtlichen Rechtsschutzantrages erreicht hat, ist sehr fraglich.
Auch wenn ein streitiges Rechtsverhältnis i.S.v. § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO bejaht werden kann und im übrigen auch im Hinblick auf die sonderpädagogische Förderungsbedürftigkeit des Antragstellers, die sich aus den verschiedenen Gutachten und fachpädagogischen Stellungnahmen ergibt, die Eilbedürftigkeit und damit der Anordnungsgrund nicht in Frage stehen, ist der Antrag nicht begründet.
Dem Antragsteller steht der von ihm geltend gemachte Anspruch nicht zur Seite. Er findet im Schulrecht, auf das hier ausschließlich abzustellen ist (vgl. Beschlüsse des OVG Lüneburg vom 26.10.1994 a.a.O. und 16.02.1995 - 12 M 6181/94 -), keine Grundlage. Dem Anspruch steht die staatliche Personalhoheit im Schulwesen entgegen.
Sonderpädagogische Förderung, wie sie der Antragsteller in der Sache anstrebt, findet im Nds. Schulgesetz an mehreren Stellen Erwähnung. So sollen gemäß § 4 NSchG Schülerinnen und Schüler, die einer sonderpädagogischen Förderung bedürfen, an allen Schulen gemeinsam mit anderen Schülerinnen und Schülern erzogen und unterrichtet werden, wenn auf diese Weise dem individuellen Förderbedarf der Schülerinnen und Schüler entsprochen werden kann und soweit es die organisatorischen, personellen und sächlichen Gegebenheiten erlauben.
Gemäß § 14 Abs. 2 Satz NSchG werden in der Sonderschule Schülerinnen und Schüler unterrichtet, die wegen körperlicher, geistiger und psychischer Beeinträchtigungen oder einer Beeinträchtigung ihres sozialen Verhaltens einer sonderpädagogischen Förderung bedürfen und diese Förderung nicht in einer Schule einer anderen Schulform erfahren können. Dabei besteht gemäß § 68 Abs. 1 Satz 2 die Verpflichtung zum Besuch der Sonderschule nicht, wenn die notwendige Förderung in einer Schule einer anderen Schulform gewährleistet ist.
Darüber hinaus enthält § 23 Abs. 4 NSchG die Möglichkeit, im 1. bis 10. Schuljahrgang der allgemeinbildenden Schulen Integrationsklassen einzurichten, in denen Schülerinnen und Schüler, die einer sonderpädagogischen Förderung bedürfen, gemeinsam mit anderen Schülerinnen und Schülern unterrichtet werden und in denen die Leistungsanforderungen der unterschiedlichen Lernfähigkeit der Schülerinnen und Schüler entsprechen.
Um die Einrichtung einer Integrationsklasse i.S.v. § 23 Abs. 4 NSchG geht es dem Antragsteller erkennbar nicht. Neben einer derartigen, als "zieldifferent" bezeichneten sonderpädagogischen Förderung (vgl. Woltering/Bräth, Nds. Schulgesetz, 3. Aufl., § 23 Anm. 5) besteht gemäß §§ 14 Abs. 2 Satz 1, Abs. 4, 68 Abs. 1 Satz 2 NSchG auch die Möglichkeit der als "zielgleich" bezeichneten Beschulung förderbedürftiger Schülerinnen und Schüler mit anderen Schülern an allgemeinbildenden Schulen.
Diese Beschulungsmöglichkeit besteht jedoch vorbehaltlich der staatlichen Personal- und Finanzhoheit im Schulwesen und gewährt dem Antragsteller keinen Anspruch darauf, daß außenstehende Dritte, nämlich pädagogische Fachkräfte, die von den Erziehungsberechtigen des Antragstellers angestellt werden, im Unterricht zur Unterstützung herangezogen werden.
Gemäß § 50 Abs. 2 NSchG stehen Lehrkräfte an den öffentlichen Schulen in einem unmittelbaren Dienstverhältnis zum Land. Dies gilt gemäß § 53 NSchG auch für Schulassistentinnen und Schulassistenten, pädagogische Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sowie das Betreuungspersonal an den öffentlichen Schulen. Zu diesen Mitarbeitern gehörten von ihrem Aufgabenbereich her die von dem Antragsteller für seine Unterstützung begehrten Stützkraft während des Unterrichtes. Die sich aus diesen Bestimmungen ergebende Personalhoheit des Landes wird durch die entsprechende, nach § 112 Abs. 1 NSchG bestehende Finanzhoheit ergänzt.
Aus § 14 Abs. 2 Satz 1 und Abs. 4 NSchG wird weiter deutlich, daß sonderpädagogische Förderung von besonders förderungsbedürften Schülerinnen und Schülern an allgemeinbildenden Schulen eine Angelegenheit der Sonderschule als Förderzentrum für Unterricht und Erziehung von Schülerinnen und Schülern mit sonderpädagogischem Förderbedarf ist. Eine derartige Förderung erfolgt ggf. im Abordnungswege (vgl. Seyderhelm/Nagel, Nds. Schulgesetz, Stand: Juli 1994, § 14 Rn. 5).
Hiervon ist auch der Niedersächsische Gesetzgeber ausgegangen. In der Begründung zum Nds. Schulgesetz (Ltds. 12/3300, S. 90) heißt es u.a.:
"Die Integration Behinderter ist ein zentrales gesellschaftspolitisches Ziel und ist auch Aufgabe in allen Bildungsbereichen. Die Landesregierung wird deshalb den schulischen Integrationsprozeß durch die Möglichkeit der Einrichtung von Integrationsklassen maßgeblich fördern. Der gemeinsame Unterricht von behinderten und nichtbehinderten Schülerinnen und Schülern soll in diesen Klassen zieldifferent erfolgen. Hiervon nicht berührt ist die Integration einzelner Schülerinnen und Schüler durch zielgleichen Unterricht und ggf. die Förderung durch den mobilen Dienst der Sonderschule (§§ 11, 38, 92)."
Die in der Klammer der Gesetzesbegründung in Bezug genommenen Vorschriften finden sich im späteren Gesetz als §§ 14, 53, 112 NSchG wieder. Daraus ergibt sich, daß die Integration einzelner Schülerinnen und Schüler durch zielgleichen Unterricht, wie sie hier vom Antragsteller angestrebt wird, von Lehrkräften der Sonderschule unternommen werden soll, die in einem unmittelbaren Dienstverhältnis zum Land stehen (§ 53 NSchG) und für die das Land die persönlichen Kosten aufbringt (§ 112 Abs. 1 NSchG).
Etwas anderes läßt sich auch nicht dem § 4 NSchG entnehmen, der auf Empfehlung des Kultusausschusses in das Gesetz aufgenommen worden ist. Hierzu führte die Berichterstatterin des Kultusausschusses in der Gesetzesberatung (Stenographischer Bericht der 83. Sitzung vom 09.06.1993, S. 7788) aus:
"Übereinstimmend positiv wurde auch der nun in § 3a (Anm. des Gerichts: jetzt § 4 NSchG) enthaltene Grundsatz der schulischen Integration behinderter und nichtbehinderter Kinder beurteilt. Der vorgesehene Wortlaut stellt klar, daß entsprechende Bemühungen nur im Rahmen der bestehenden personellen und sächlichen Gegebenheiten unternommen werden dürfen. Die angestrebte Integration kann mit anderen Worten nur in kleinen Schritten unter Berücksichtigung des finanziell Machbaren erfolgen."
Diese gesetzgeberische Absicht, die ihren Ausdruck auch im Wortlaut der Bestimmung gefunden hat, weist darauf hin, daß es sich bei § 4 NSchG um eine bloße Zielbestimmung handelt, die dem einzelnen keinen subjektiv-öffentlichen Anspruch auf bestimmte sonderpädagogische Fördermaßnahmen gibt.
Dem kann der Antragsteller nicht mit Erfolg sein aus § 54 Abs. 1 Satz 1 NSchG ableitbares Recht auf Bildung und das Gebot der Chancengleichheit (§ 54 Abs. 1 Satz 2 NSchG) entgegenhalten. Diese Bestimmungen gewähren ebensowenig wie der eben erwähnte § 4 NSchG ein subjektives Öffentliches Recht i.S. des antragstellerischen Begehrens. Wie sich aus dem Wortlaut des § 54 Abs. 1 Satz 1 NSchG ergibt, besteht das Recht auf Bildung nur im Rahmen der finanziellen und personellen Möglichkeiten des Landes. Mit der herrschenden Meinung in Literatur (Seyderhelm/Nagel a.a.O., § 54 Anm. 3.2; Woltering/Bräth a.a.O., § 54 Anm. 4; Heckel/Avenarius, Schulrechtskunde, 6. Aufl., S. 22) und Rechtsprechung (vgl. nur BVerwG, Beschl. v. 21.09.1993 - 6 B 53.93 - Buchholz 421 Nr. 110 m.w.N.) ist die Kammer der Ansicht, daß sich aus diesen Bestimmungen kein subjektives öffentliches Recht des einzelnen auf eine bestimmte, seinen Wünschen entsprechende Gestaltung der Bildungseinrichtung und des Unterrichts ableiten läßt. Eine Berechtigung des einzelnen existiert nur insoweit, als er das Recht auf Zugang zu bestehenden Bildungseinrichtungen hat, die eine seinen Anlagen, Fähigkeiten und Neigungen entsprechende Bildung vermitteln.
Die Kammer kann offenlassen, ob ein Anspruch auf Errichtung bestimmter Bildungseinrichtungen oder, wie hier, auf Hinzuziehung dritter Personen zum Unterricht besteht, wenn sonst eine evidente Verletzung des verfassungsrechtlich Gebotenen festzustellen wäre (so Heckel/Avenarius a.a.O.). Eine solche evidente Verletzung kann die Kammer hier nicht erkennen. Der Antragsteller kann die für ihn erforderliche Hilfe im Rahmen des bestehenden Schulsystems, nötigenfalls durch den Besuch einer Sonderschule nach § 14 NSchG erhalten. Die Inanspruchnahme dieser Schulform, die von ihrer Zielsetzung über einen längeren Zeitraum spezifische, kontinuierliche und umfassende Hilfen bei einer festgestellten Beeinträchtigung der Entwicklungs-, Lern- und Bildungsmöglichkeiten von Schülerinnen und Schülern anbietet, steht dem Antragsteller grundsätzlich frei. Es bleibt ihm unbenommen, der entsprechenden Überweisungsverfügung des Antragsgegners vom 12.06.1995 zu folgen und zu dieser Schulform zu wechseln. Es ist für die Kammer nicht ersichtlich und vom Antragsteller auch nicht vorgetragen, daß eine sonderpädagogische Betreuung an der Sonderschule von vornherein als unzumutbar bezeichnet werden müßte.
Zu Unrecht beruft sich der Antragsteller schließlich auf eine grundrechtswidrige Ungleichbehandlung gegenüber dem Schüler ... (Antragsteller im Verfahren 4 B 4144/94 gegen den Antragsgegner).
Wie der Kammer aus diesem Verfahren bekannt ist, trifft es zwar zu, daß der Antragsgegner jenem Schüler die Hinzuziehung einer Stützkraft während des Unterrichts genehmigt hat; hierin liegt jedoch keine gleichheitswidrige Ungleichbehandlung, weil der bei beiden Schülern bestehende sonderpädagogische Förderbedarf unterschiedliche Ursachen hat, die die vom Antragsgegner vorgenommene Differenzierung rechtfertigen.
Wie sich aus den genannten gutachterlichen Stellungnahmen ergibt, hat der Antragsteller erhebliche Teilleistungsschwächen insbesondere auf den Gebieten Rechtschreibung und Rechnen, denen Funktionsabweichungen des zentralen Nervensystems zugrunde liegen. Er besitzt eine durchschnittlich ausgebildete formal-logische Denkfähigkeit und kann ausdauernd arbeiten, wenn das Arbeitsziel seinem Leistungsvermögen angepaßt ist, sich mit den gestellten Aufgaben auseinandersetzen und sich am Unterrichtsgeschehen erfolgreich beteiligen. Ein derartiger Förderbedarf kann typischerweise durch die Unterrichtung in der Sonderschule befriedigt werden.
Demgegenüber liegen beim Schüler ... Lernbehinderungen vor, die, wie der Antragsgegner zu Recht ausgeführt und wovon sich die Kammer überzeugt hat, eine besondere Betreuung in Form einer unterrichtsbegleitenden Stützkraft an der Grundschule rechtfertigen.
Als Unterlegener hat der Antragsteller gemäß § 154 Abs. 1 VwGO die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Streitwertbeschluss:
Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 20 Abs. 3, 13 Abs. 1 Satz 1 GKG. Dabei orientiert sich die Kammer am Streitwertkatalog für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (DVBl. 1991, S. 1239, 1243). Danach ist für die Aufnahme in eine bestimmte Schule oder Schulform ein Streitwert 6.000,00 DM vorgesehen. Berücksichtigt man einerseits die Tatsache, daß es hier nicht um die Aufnahme in eine bestimmte Schule, sondern eine bestimmte schulische Maßnahme geht und andererseits die Tatsache, daß der Auffangstreitwert, an dem sich auch der Streitwertkatalog orientiert, mit dem Kostenrechtsänderungsgesetz 1994 von 6.000,00 auf 8.000,00 DM erhöht wurde, hält die Kammer einen Streitwert von 4.000,00 DM in diesem Verfahren für angemessen.
Dr. Rudolph,
Dr. Wenderoth