Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 09.02.1995, Az.: V 454/91
Umsatzsteuerfreiheit von Heilberufen; Vergleich zwischen dem Beruf des Sprachheilpädagogen und anderen von der Umsatzsteuer befreiten Katalogberufen; Regelung der Berufserlaubnis und Berufsaufsicht als wesentliches Merkmal heilbehandelnder Berufe
Bibliographie
- Gericht
- FG Niedersachsen
- Datum
- 09.02.1995
- Aktenzeichen
- V 454/91
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 1995, 19533
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:FGNI:1995:0209.V454.91.0A
Rechtsgrundlagen
- § 4 Nr. 14 UStG
- § 18 Abs. 1 EStG
Verfahrensgegenstand
Umsatzsteuer 1990
Redaktioneller Leitsatz
- 1.
Im Gesetz nicht genannte Heilberufe können erst dann in den Genuß der Umsatzsteuerbefreiung kommen, wenn der Gesetzgeber sie entweder in den Katalog des § 4 Nr. 14 UStG aufnimmt oder ihnen durch eine Berufsregelung die Ähnlichkeit mit den Katalogberufen verleiht.
- 2.
Ein Beruf ist einem Katalogberuf nur dann ähnlich, wenn er in wesentlichen Punkten einem der im Gesetz genannten Heilberufe entspricht. Zur Anerkennung der Ähnlichkeit des Berufes genügt nicht, daß die Tätigkeiten vergleichbar sind, etwa durch das sie charakterisierende Merkmal der therapeutischen Behandlung. Denn zum maßgeblichen Berufsbild gehört nicht nur die jeweils ausgeübte Tätigkeit als solche. Zu den wesentlichen Berufsmerkmalen gehören u.a. auch die Bedingungen, an die das Gesetz die Ausübung des zu vergleichenden Berufes knüpft. Hierzu gehört bei Heilberufen auch, daß deren Ausübung einer Erlaubnis bedarf und der Überwachung der Gesundheitsämter unterliegt.
- 3.
Für die Tätigkeit der Sprachheilpädagogen ist keine staatliche Genehmigung erforderlich. Es besteht auch keine sonstige staatliche Berufsausübungsregelung. Eine ähnliche heilberufliche Tätigkeit liegt daher nicht vor.
Der V. Senat des Niedersächsischen Finanzgerichts hat
nach mündlicher Verhandlung in der Sitzung vom 9. Februar 1995,
an der mitgewirkt haben:
1. Vizepräsidentin des Finanzgerichts ...
2. Richter am Finanzgericht ...
3. Richter am Finanzgericht ...
4. ehrenamtliche Richterin ...
5. ehrenamtlicher Richter ...
für Recht erkannt:
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten.
Der Streitwert wird auf 4.380 DM festgesetzt.
Tatbestand
Die Klägerin ist Diplom-Pädagogin. Sie studierte an den Universitäten G. und H. (Pädagogische Hochschule) Diplompädagogik mit dem Schwerpunkt sonderpädagogische Einrichtungen/Sprachheilpädagogik Studienschwerpunkte der sonderpädagogischen Fachrichtung Sprachheilpädagogik lagen vor allem im Bereich linguistischer, phonetischer, erziehungswissenschaftlicher und medizinischer Aspekte. Inhalte der Sprachheilpädagogik im engeren Sinn waren die systematische Darstellung der "Störungen" wie:
- verzögerte Sprachentwicklung auf z.B. phonetisch-phonologischer Ebene, wie Syslalien, oder auch auf morphosyntaktischer Ebene, wie Dygrammatismus etc.,
- Störungen der Rede wie Stottern oder Poltern etc.,
- zentral-nervale Störungen des Sprechens und der Sprache, wie Dysarthrien, Aphasien etc. periphere Störungen des Sprechens, wie Dysglossien etc.,
- Sprech- und Sprachstörungen bei Schwerhörig- und Gehörlosigkeit,
- psychisch bedingte Sprech- und Sprachstörungen,
- Sprach- und Sprechstörungen bei geistig Behinderten,
- Störungen der Stimme
und deren therapeutische und erzieherische Beeinflussungsmöglichkeiten, sowie deren grund- und erziehungswissenschaftliche Erforschung. Neben der Darstellung von Definitionen, Ursachen, Erscheinungsformen und Einteilungen der Schädigungen und Störungen waren Lehrinhalt auch differential-diagnostische Abgrenzungen und Untersuchungs- und Behandlungsmethoden. Thema der Diplomarbeit der Klägerin war die "Frühförderung gehörloser Kinder ...".
Studienbegleitend absolvierte die Klägerin mehrere Praktika in sonderpädagogischen/sprachtherapeutischen und beratenden Einrichtungen. Bevor sich die Klägerin als freiberufliche Sprachtherapeutin niedergelassen hat, arbeitete sie zwei Jahre als Sprachtherapeutin in einem Sprachheilkindergarten.
Seit 1. Oktober 1989 betreibt die Klägerin eine "sprachtherapeutische Praxis". Ihre sprachtherapeutische Tätigkeit hat sie beim Gesundheitsamt G. angemeldet. Ihre Praxis wurde von dem Gesundheitsamt G. und dem Landessozialamt Niedersachsen abgenommen. Sie ist im Behandler-Verzeichnis der Deutschen Gesellschaft für Sprachheilpädagogik e.V., Landesgruppe Niedersachsen, unter der Rubrik freiberufliche Sprachbehandler eingetragen. Nach der Darstellung des Landessozialamtes Niedersachsen ist die Klägerin gegenüber Logopädinnen höher qualifiziert. Ihre höherwertige Ausbildung schließe die Befugnisse der Ausbildung der geringwertigen Tätigkeiten einer Logopädin mit ein, ohne daß sie hierfür einer weiteren Zulassung bedürfte.
Die Klägerin rechnet ihre Leistungen aus der Praxis fast ausschließlich mit gesetzlichen Krankenversicherungen und privaten Versicherungen ab. Die AOK, der Landesverband der Betriebskrankenkassen Niedersachsen, die Innungskrankenkasse G. und der Verband der Angestellten-Krankenkassen e.V. bestätigten ihr, daß sie die persönlichen Voraussetzungen erfülle, als hauptberuflich tätige Sprachheilbehandlerin in freier Praxis tätig zu sein. Sie erteilten ihr gemäß § 124 Abs. 5 Sozialgesetzbuch (SGB) V die Zulassung für die Behandlung der anspruchsberechtigten Versicherten.
Die Klägerin arbeitet im "Delegationsverfahren" mit niedergelassenen Fachärzten zusammen.
Die Klägerin erklärte zunächst steuerpflichtige Umsätze.
Der Beklagte setzte die Umsatzsteuer antragsgemäß entsprechend der von der Klägerin eingereichten Umsatzsteuererklärung fest. Mit ihrem Einspruch machte die Klägerin geltend, ihre Berufsausübung sei der eines Logopäden vergleichbar. Daher seien ihre Umsätze gemäß § 4 Nr. 14 Umsatzsteuergesetz (UStG) umsatzsteuerbefreit. Der Beklagte wies den Einspruch als unbegründet zurück.
Mit der hiergegen erhobenen Klage beruft sich die Klägerin darauf, daß ihre Umsätze gemäß § 4 Nr. 14 UStG umsatzsteuerbefreit seien. Sie stützt sich dabei auf ein von ihr vorgelegtes Gutachten, auf das Bezug genommen wird. Danach ergebe die historische Auslegung, daß der Begriff der "ähnlichen heilberuflichen Tätigkeit" in § 4 Nr. 14 UStG weit auszulegen sei. Die Literatur lehne praktisch einstimmig die Notwendigkeit einer gesetzlichen Regelung als entscheidendes Kriterium ab und stelle statt dessen auf diagnostisch-therapeutische Tätigkeiten, einen normierten Ausbildungsgang und ähnliche Maßnahmen der (Mindest-)Qualitäts-Sicherung, ab. Dieser Rechtsstandpunkt sei u.a. auch vom Finanzgericht Düsseldorf (Beschluß vom 28. September 1993, 16 V 2443/93 A) vertreten worden. Die Rechtsprechung sei in ihren Entscheidungen teils von falschen Sachverhalten, teils von falschen rechtlichen Schlüssen ausgegangen. Soweit es dem Bundesfinanzhof in seinen Entscheidungen um den Zweck gehe, "die Qualität einer medizinischen Behandlung zu gewährleisten", sei diese Auffassung unverhältnismäßig und nicht mehr durch "vernünftige Belange des Gemeinwohls" gerechtfertigt. Verfassungskonform im Hinblick auf Artikel 12 Grundgesetz (GG) sei vielmehr nur eine Auslegung des § 4 Nr. 14 UStG, die auf den gleichen Zweck der Qualitäts-Sicherung abstelle und dabei weniger restriktiv sei. Nach einer teleologischen Auslegung des § 4 Nr. 14 UStG erfülle sie alle für die Steuerbefreiung erforderlichen Anforderungen. Ihr Beruf sei mit dem eines Logopäden vergleichbar. In diesem Sinn habe der erkennende Senat in einer Entscheidung vom 3. März 1987 unter dem Aktenzeichen V 137/84 auch entschieden.
Aus der Begründung des Logopädengesetzes vom 7. Mai 1980 ergebe sich ausdrücklich, daß durch den Erlaß dieses Gesetzes allen anderen bereits seit Jahren auf diesem Gebiet tätigen Berufsgruppen keine Nachteile entstehen dürften. Daraus ergebe sich der ausdrückliche Wille des Gesetzgebers, eine Ungleichbehandlung der Berufsgruppen zu vermeiden.
Ihre Ausbildung als Diplom-Pädagogin mit Arbeitsschwerpunkt Sprachrehabilitation stimme mit der eines Logopäden überein. Eine Erlaubnis zur Ausübung ihrer Tätigkeit sei ihr durch die Bezirksregierung, vertreten durch das Gesundheitsamt G. erteilt worden. Dadurch sei eine gesundheitsbehördliche Aufsicht gewährleistet. Im übrigen werde bei freiberuflich tätigen Psychologen bzw. nichtärztlichen Psychotherapeuten von der Finanzverwaltung keine derartig formale Erlaubnis verlangt. Eine Ausübung der Heilkunde erfolge in diesem Bereich, ebenso wie bei ihr, auf Zuweisung eines Arztes.
Nach der Sozialgesetzgebung (§ 124 SGB V) sei ihre Berufsgruppe der Sprachheilpädagogen als Leistungserbringer anerkannt. Der Gesetzgeber habe mit dieser Regelung die Beurteilung der fachlichen Qualifikation in die Hände der gesetzlichen Krankenkassen gegeben, die die Gewähr für Qualität einer heilberuflichen Tätigkeit übernehmen.
Ihre Benachteiligung ergebe sich auch daraus, daß sie z.B. die Möglichkeit habe, Logopädinnen als freiberufliche Mitarbeiterinnen zu beschäftigen. Die Leistungen dieser freiberuflichen Mitarbeiterinnen seien an sich umsatzsteuerbefreit. Ihre Abrechnung dieser Leistungen gegenüber der Krankenkasse unterliege aber wieder der Umsatzsteuer. Die gleiche Leistung sei danach einmal steuerfrei und einmal steuerpflichtig.
Die Klägerin beantragt,
die Umsatzsteuer auf 0 DM festzusetzen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Beklagte macht geltend, die Klägerin übe keinen der in § 4 Nr. 14 UStG genannten Heilberufe aus. Sie übe auch keine ähnliche heilberufliche Tätigkeit aus. Als Vergleichsberuf sei der des Logopäden gegeben. Voraussetzung für die Ausübung des Berufes als Logopäde sei jedoch eine nach dem Logopädengesetz erteilte staatliche Erlaubnis. Eine staatliche Erlaubnis sei für die Berufsausübung der Sprachtherapeuten nicht erforderlich. Ferner bestehe eine berufsrechtliche Regelung für sonstige auf dem Gebiet der Sprachtherapie Praktizierende nicht.
Wegen des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten im übrigen wird Bezug genommen auf die Gerichts- und Steuerakten (St.-Nr. ...).
Entscheidungsgründe
Die Klage ist unbegründet. Die Umsätze der Klägerin sind nicht gemäß § 4 Nr. 14 UStG umsatzsteuerbefreit.
Gemäß § 4 Nr. 14 UStG sind die Umsätze aus der Tätigkeit als Arzt, Zahnarzt, Heilpraktiker, Dentist, Krankengymnast, Hebamme oder aus einer ähnlichen heilberuflichen Tätigkeit im Sinne des § 18 Abs. 1 EStG steuerfrei. Der Beruf der Sprachheilpädagogen ist im Gesetz nicht genannt. Die Umsätze der Klägerin wären daher nur dann umsatzsteuerbefreit, wenn es sich bei dem Beruf der Sprachheilpädagogen um eine "ähnliche heilberufliche Tätigkeit" im Sinne der Steuerbefreiungsvorschrift handelte. Der Beruf der Klägerin ist dabei mit einem der Katalogberufe zu vergleichen und nicht mit einem als "ähnliche heilberufliche Tätigkeit" anerkannten anderen Beruf, etwa dem des Logopäden. Dem Beruf der Klägerin vergleichbar wären hier die Berufe des Arztes, Krankengymnasten oder Heilpraktikers.
Ein Beruf ist einem Katalogberuf nur dann ähnlich, wenn er in wesentlichen Punkten einem der im Gesetz genannten Heilberufe entspricht. Zur Anerkennung der Ähnlichkeit des Berufes genügt nicht, daß die Tätigkeiten vergleichbar sind, etwa durch das sie charakterisierende Merkmal der therapeutischen Behandlung. Denn zum maßgeblichen Berufsbild gehört nicht nur die jeweils ausgeübte Tätigkeit als solche. Zu den wesentlichen Berufsmerkmalen gehören u.a. auch die Bedingungen, an die das Gesetz die Ausübung des zu vergleichenden Berufes knüpft. Hierzu gehört bei Heilberufen auch, daß deren Ausübung einer Erlaubnis bedarf und der Überwachung der Gesundheitsämter unterliegt (BFH-Urteil vom 21. Juni 1990 V R 97/84, BStBl II 1990, 804 ff). Die Regelung der Berufserlaubnis und -aufsicht ist ein wesentliches Merkmal eines Berufes. Ein Beruf kann dem im Gesetz genannten Beruf nur ähnlich sein, wenn er auch dieses prägende Merkmal aufweist. An diesem Erfordernis hält auch der Senat fest. Die Befreiungsvorschrift des § 4 Nr. 14 UStG soll nicht jede heilberufliche Tätigkeit schlechthin begünstigen. Bei dieser Voraussetzung handelt es sich auch nicht lediglich um ein vom Staat gefordertes formales Merkmal. Ihr Sinn liegt vielmehr darin, die Qualität einer medizinischen Behandlung zu gewährleisten. Darin liegt auch ein hinreichender sachlicher Grund, um eine unterschiedliche steuerrechtliche Behandlung der verschiedenen Heilberufe, je nach dem, ob eine Berufsausübung erlaubnispflichtig ist oder nicht, zu rechtfertigen. Dieses sachliche Differenzierungskriterium ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Auswirkungen auf die Freiheit der Berufswahl oder -ausübung (Art. 12 Abs. 1 GG) sind durch diese Differenzierung nicht gegeben (vgl. Bundesverfassungsgericht, Beschluß vom 29. August 1988 - 1 BvR 695/88, BStBl II 1988, 975). Danach kommt es auf die Frage, ob die Tätigkeiten der Klägerin auf ärztlicher Verordnung beruhen, unter ärztlicher Verantwortung durchgeführt und von den Krankenkassen honoriert werden, nicht an. Die Anerkennung durch die Krankenkassen betrifft im übrigen auch nur die Frage der Abrechnung mit diesen. Sie dient nicht der Regelung der Berufserlaubnis und -aufsicht.
Danach können andere, im Gesetz nicht genannte Heilberufe erst dann in den Genuß der Umsatzsteuerbefreiung kommen, wenn der Gesetzgeber sie entweder in den Katalog des § 4 Nr. 14 UStG aufnimmt oder ihnen durch eine Berufsregelung die Ähnlichkeit mit den Katalogberufen verleiht. Die Gerichte sind an diese gesetzliche Regelung gebunden und nicht befugt, die Steuerbefreiung auf andere Steuerpflichtige zu erstrecken, wenn die Ähnlichkeit der Berufe verneint werden muß (BFH-Urteil vom 21. Juni 1990, a.a.O., Seite 805).
Für die Tätigkeit der Sprachheilpädagogen ist keine staatliche Genehmigung erforderlich. Dies wird von der Klägerin auch eingeräumt. Es besteht auch keine sonstige staatliche Berufsausübungsregelung. Eine ähnliche heilberufliche Tätigkeit liegt daher nicht vor.
Die Klägerin kann sich auch nicht auf die Entscheidung des Senats vom 3. März 1987 (Az.: V 137/84) berufen.
In dem dort entschiedenen Fall wurde die Tätigkeit der Klägerin zwar als ähnliche heilberufliche Tätigkeit im Sinne des § 4 Nr. 14 UStG anerkannt. Die Anerkennung erfolgte aber nur deshalb, weil die Gesellschafter der Klägerin über Qualifikationen verfügten, aufgrund derer sie nach Inkrafttreten des Gesetzes über den Beruf des Logopäden (Gesetz vom 7. Mai 1980, BStBl I 1980, 529 ff) gemäß der Übergangsregelung in § 8 des Gesetzes die Erlaubnis erlangten, eine Tätigkeit unter der Berufsbezeichnung "Logopäde" oder "Logopädin" auszuüben. Einer solchen Übergangsregelung unterliegt die Klägerin nicht.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 Finanzgerichtsordnung (FGO).
Streitwertbeschluss:
Der Streitwert wird auf 4.380 DM festgesetzt.
Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf §§ 13 Abs. 2, 25 Abs. 2 Gerichtskostengesetz (GKG).