Verwaltungsgericht Oldenburg
Beschl. v. 04.08.2009, Az.: 11 B 1898/09

Zwangsvollstreckung; Einstellung; Vergleich; Syrien; Kurden; Ausländerregister; Rückübernahmeabkommen

Bibliographie

Gericht
VG Oldenburg
Datum
04.08.2009
Aktenzeichen
11 B 1898/09
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2009, 44467
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:VGOLDBG:2009:0804.11B1898.09.0A

Amtlicher Leitsatz

Hat sich die Ausländerbehörde im Rahmen eines gerichtlichen Vergleichs verpflichtet, einem im syrischen Ausländerregister eingetragenen Kurden, eine längerfristige Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG zu erteilen, kann die Einstellung der Zwangsvollstreckung angeordnet werden, wenn nunmehr auf Grund des deutsch-syrischen Rückübernahmeabkommens vom 14. Juli 2008 (BGBl. II S. 812), die Möglichkeit einer Rückkehr in das Heimatland nicht mehr ausgeschlossen werden kann. Dies gilt jedenfalls dann, wenn auf Grund eines rechtzeitig gestellten und nicht beschiedenen Verlängerungsantrages die bisherige Aufenthalterlaubnis gem. § 81 Abs. 4 AufenthG fortgilt.

Gründe

1

Das nach §§ 167 VwGO, 769 ZPO zu beurteilende Begehren des Antragstellers, im Hinblick auf die gleichzeitig erhobene Vollstreckungsabwehrklage (11 A 1897/09 vgl. §§ 167 VwGO, 767 ZPO) die Vollstreckung aus dem im Tenor bezeichneten Vollstreckungstitel (§ 168 Abs. 1 Nr. 3 VwGO) im Wege einer einstweiligen Anordnung einzustellen (zur Anwendbarkeit vgl. OVG Lüneburg, Beschluss vom 14. Oktober 1999 - 1 O 5699/98 - NVwZ-RR 2000, 573), ist begründet.

2

Bei der nach gerichtlichem Ermessen zu treffenden Entscheidung sind vor allem die Erfolgsaussichten der Vollstreckungsabwehrklage zu berücksichtigen (vgl. OVG Lüneburg a.a.O.). Maßgeblich ist insoweit nach §§ 167 VwGO, 767 Abs. 2 ZPO, ob nach Entstehung des Vollstreckungstitels sachlich-rechtliche Einwendungen entstanden sind, die den bestehenden Anspruch nachträglich vernichten oder in seiner Durchsetzbarkeit hemmen (vgl. BVerwG, Urteil vom 19. September 2002 - 4 C 10.01 - BVerwGE 117, 44 [BVerwG 19.09.2002 - 4 C 10/01]<45> ) .

3

Dies ist hier voraussichtlich der Fall. Der Antragsteller hat sich mit dem gerichtlichen Vergleich vom 2. April 2008 u.a. (Nr. 5) verpflichtet, den aus Syrien stammenden Antragsgegnern längerfristige (d.h. für die Dauer von mehr als sechs Monaten geltende) Aufenthaltserlaubnisse und Reiseausweise für Staatenlose zu erteilen, wenn sich auf Grund einer Mitteilung des türkischen Generalkonsulats herausstellt, dass sie in der Türkei nicht nachregistriert werden können. Entsprechende Erklärungen der türkischen Auslandsvertretung liegen inzwischen vor (vgl. Schreiben des Türkischen Generalkonsulats H. vom 13. November und 24. Dezember 2008 an den Antragsteller). Der Antragsteller hat den Antragsgegnern deshalb am 7. Januar 2009 für drei Jahre gültige Reiseausweise für Staatenlose erteilt. Die bis zum 24. April 2009 gültigen Aufenthaltserlaubnisse sind dagegen bisher nicht verlängert worden. Auf Grund der rechtzeitig gestellten Verlängerungsanträge geht der Antragsteller davon aus, dass die bisherigen Aufenthaltserlaubnisse fortgelten (§ 81 Abs. 4 AufenthG) und hat entsprechende Bescheinigungen erteilt.

4

Bei Abschluss des gerichtlichen Vergleichs sind das Gericht und die Beteiligten davon ausgegangen, dass die Antragsgegner als im dortigen sog. Ausländerregister eingetragene Kurden aus tatsächlichen Gründen nicht nach Syrien zurückkehren können (vgl. etwa Lagebericht des Auswärtigen am Amtes vom 5. Mai 2008, S. 10), so dass eine Ausreise dorthin im Sinne des § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG aus tatsächlichen Gründen unmöglich war.

5

Ob dies weiter gilt erscheint zweifelhaft. Denn am 3. Januar 2009 ist das deutsch-syrische Rückübernahmeabkommen vom 14. Juli 2008 (BGBl. II.S. 812) in Kraft getreten (vgl. Schreiben des Bundesminsteriums des Innern an die Innenverwaltungen der Bundesländer vom 17. Dezember 2008). Nach diesem werden neben syrischen Staatsangehörigen (Art. 1) auf Ersuchen u.a. auch staatenlose Personen übernommen, wenn diesen ein Aufenthaltstitel erteilt wurde, dessen Gültigkeit später abläuft als ein Aufenthaltstitel, der in der Bundesrepublik Deutschland erteilt worden ist (Art. 2 Abs. 1). Die Eintragung der Antragsgegner im syrischen Ausländerregister könnte hierbei möglicherweise als unbefristeter Aufenthaltstitel bewertet werden. Der Antragsteller hat die ZAAB Niedersachsen mit Schreiben vom 8. Mai 2009 gebeten, die Antragsgegner in das Verfahren nach dem deutsch-syrischen Rückübernahmeabkommen aufzunehmen. Diese hat die übermittelten Unterlagen am 20. Mai 2009 bei der syrischen Botschaft übergegeben. Eine Antwort auf das Rückübernahmeersuchen wurde zugesagt; die Prüfung findet derzeit bei den syrischen Behörden in D. statt (vgl. Schreiben der ZAAB Niedersachsen, Außenstelle L., an den Antragsteller vom 26. Mai 2009; Schriftsatz des Antragstellers vom 16. Juli 2009). Angesichts des Wortlauts des Art. 2 Abs. 1 des fraglichen Abkommens scheint eine Rückübernahme der Antragsgegner nicht ausgeschlossen, auch wenn bisher offenbar noch bei keiner im syrischen Ausländerregister aufgeführten Person der Aufenthalt nachweislich beendet werden konnte. Gerade im Falle der Antragsgegner prüfen die syrischen Behörden eine Übernahme offenbar ernsthaft.

6

Es erscheint angesichts dieser nunmehr offenen Sachlage daher gerechtfertigt, dass der Antragsteller zunächst von einer Bescheidung ihrer Anträge auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnisse bis zu einer abschließenden Klärung absieht; den Interessen der Antragsgegner wird durch die bis zu einer Entscheidung bestehende Fiktion der Fortgeltung ihrer Aufenthaltserlaubnisse angemessen Rechnung getragen. Darauf, dass die Möglichkeit einer Ausreise nicht feststeht, kommt es mithin derzeit nicht an.

7

Andere unabhängig hiervon zu berücksichtigende Ausreisehindernisse im Sinne des § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG liegen nicht vor.

8

Die von den Antragsgegnern angeführten Rechte nach dem Übereinkommen über die Rechtsstellung der Staatenlosen vom 28. September 1954 (BGBl. II 1976, S. 473) setzen jeweils die Rechtmäßigkeit des Aufenthalts voraus. Dieser hängt wiederum davon ab, ob den Antragsgegnern weiterhin Aufenthaltserlaubnisse erteilt werden dürfen, was nach obigen Ausführungen zweifelhaft erscheint.

9

Die Antragsgegner sind nach derzeitiger Erkenntnislage auch nicht derart in der Bundesrepublik Deutschland verwurzelt, dass eine Aufenthaltsbeendigung im Hinblick auf den Schutz ihres Privatlebens nach Art. 8 Abs. 1 EMRK unverhältnismäßig wäre.

10

Maßgeblich ist dabei, inwieweit eine Integration des Ausländers in Deutschland gelungen ist, zum anderen ist die Möglichkeit seiner Reintegration in das Heimatland in den Blick zu nehmen. Gesichtspunkte sind dabei die Dauer des Aufenthalts in Deutschland und inwieweit dieser rechtmäßig gewesen ist, die deutschen Sprachkenntnisse und eine soziale Eingebundenheit in die hiesigen Lebensverhältnisse, wie sie etwa in der Innehabung eines Ausbildungs- oder Arbeitsplatzes, in einem festen Wohnsitz, einer Sicherstellung des ausreichenden Lebensunterhalts, einschließlich ausreichenden Krankenversicherungsschutzes ohne Inanspruchnahme öffentlicher Mittel, und dem Fehlen von Straffälligkeit zum Ausdruck kommt. Die Frage einer möglichen Reintegration im Heimatland bemisst sich nach Kriterien wie der Kenntnis der dortigen Sprache, der Existenz dort lebender Angehöriger sowie sonstiger Bindungen an das Heimatland. Geboten ist bei alledem eine familienbezogene Betrachtung (vgl. BVerwG, Urteil vom 27. Januar 2009 - 1 C 40.07 - <juris, Rn. Rn. 22 ff.>; OVG Lüneburg, Beschluss vom 1. November 2007 - 10 PA 96/07 -; Beschluss vom 17. November 2006 - 10 ME 222/06 -; Beschluss vom 1. September 2006 - 8 LA 101/06 -; Beschluss vom 11. Mai 2006 - 12 ME 138/06; Beschluss vom 11. April 2006 - 10 ME 58/06 -; Beschluss vom 18. April 2006 - 1 PA 64/06; VGH Mannheim, Beschluss vom 10. Mai 2006 - 11 S 2354/05 - <juris, Rn. 17>; OVG Koblenz, Beschluss vom 24. Februar 2006 - 7 B 10020/06.OVG - InfAuslR 2006, 274 ff. [OVG Rheinland-Pfalz 24.02.2006 - 7 B 10020/06.OVG]; OVG Münster, Beschluss vom 27. März 2006 - 18 B 787/05 - Asylmagazin 5/2006, S. 26 <27>).

11

Die Antragsgegner leben zwar seit Oktober 2001 und damit seit knapp acht Jahren in der Bundesrepublik Deutschland. Ihnen sind indes erst ab dem 25. April 2008 Aufenthaltserlaubnisse erteilt worden. Sie können sich auch nicht mit Erfolg darauf berufen, dass der Antragsteller die Erteilung von Aufenthaltstiteln zunächst jahrelang zu Unrecht abgelehnt habe. Denn im Verfahren 11 A 1763/06 haben sie sich mit ihm gerade darauf geeinigt, dass zuvor noch bestimmte weitere Voraussetzungen erfüllt werden müssen (Nr. 3 des Vergleichs vom 2. April 2008). Hinzu kommt, dass die Erteilung der Aufenthaltserlaubnisse lediglich auf tatsächlichen Ausreisehindernissen beruhte, mit deren Wegfall die Antragsgegner stets zu rechnen hatten. Sonstige besondere Integrationsleistungen der Antragsgegner sind von ihnen weder substantiiert vorgetragen worden noch sonst ersichtlich. Dies gilt auch für die als Minderjährige eingereisten Antragsgegner zu 3) bis 9). Allein der Umstand, dass sie vermutlich hier die Schule besucht haben, ist nicht ausreichend. Auch dürften erfahrungsgemäß alle Antragsgegner die kurdische Sprache beherrschen.

12

Soweit die Antragsgegner sich auf § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG (unmenschliche Behandlung bzw. fehlendes Existenzminimum für im Ausländerregister registrierte Kurden in Syrien) berufen, machen sie zielstaatsbezogene Abschiebungsverbote geltend, für dessen Beurteilung nach Stellung eines Asylantrages allein das Bundesamt zuständig ist, welches bereits für den Antragsteller bindend negativ entschieden hat (§§ 24 Abs. 2, 42 Satz 1 AsylVfG).

13

Hinsichtlich der Antragsgegnerin zu 8) ist zudem eine Änderung der Rechtslage eingetreten, weil der Antragsteller für sie auf Grund ihres vom Landkreis S. zugelassenen Umzuges nach W. nicht mehr örtlich zuständig ist (§§ 3 Abs. 1 Nr. 3a VwVfG, 1 Abs. 1 NVwVfG). Zwar hat der Landkreis S. mit Schreiben vom 31. März 2008 gem. §§ 3 Abs. 3 VwVfG, 1 Abs. 1 NVwVfG der Fortführung des Verfahrens 11 A 1763/06 durch den Antragsteller zugestimmt. Diese Erklärung bezog sich aber nur auf die Zeit bis zur erstmaligen Erteilung ihrer damals im Streit befindlichen Aufenthaltserlaubnis; das weitere Verwaltungsverfahren betreffend die Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis war hiervon dagegen nicht mehr umfasst.

14

Die Nebenentscheidungen folgen aus § 154 Abs. 1 VwGO, §§ 52 Abs. 2, 53 Abs. 3 Nr. 1 GKG entsprechend.