Amtsgericht Göttingen
Urt. v. 21.01.2011, Az.: 21 C 205/10
Zustehen eines Rückzahlungsanspruchs aus einer gekündigten Restschuldversicherung zu der Insolvenzmasse; Annahme einer unwiderruflichen Anweisung bei einer Klausel über die Gutschreibung nicht verbrauchter Einmalbeiträge eines versicherten Kreditkontos für den Fall einer Kündigung
Bibliographie
- Gericht
- AG Göttingen
- Datum
- 21.01.2011
- Aktenzeichen
- 21 C 205/10
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2011, 12003
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:AGGOETT:2011:0121.21C205.10.0A
Rechtsgrundlagen
- § 133 BGB
- § 157 BGB
Fundstellen
- InsbürO 2011, 354
- NZI 2011, 192-193
- NZI 2011, 784
- ZInsO 2011, 978-980
- ZVI 2011, 235-236
Amtlicher Leitsatz
- 1.
Ein Rückzahlungsanspruch aus einer gekündigten Restschuldversicherung steht der Insolvenzmasse zu.
- 2.
Bei der Klausel "Im Falle der Kündigung sowie der vorzeitigen Erfüllung der kreditvertraglichen Zahlungsverpflichtung wird der ... nicht verbrauchte Einmalbeitrag dem versicherten Kreditkonto gutgeschrieben" handelt es sich nicht um eine unwiderrufliche Anweisung.
Tatbestand
Der Kläger macht als Treuhänder Ansprüche geltend auf den Rückkaufswert einer gekündigten Restschuldversicherung.
Der Kläger wurde im Eröffnungsbeschluss des AG Göttingen v. 8.7.2010 (74 IK 231/10) zum Treuhänder über das Vermögen der Frau B (Schuldnerin) bestimmt. Die Schuldnerin hatte zuvor am 3.7.2009 einen Versicherungsvertrag für Ratenkredite abgeschlossen. Die Anfangsversicherungssumme belief sich auf 30.889 EUR, für die Kreditlebensversicherung fiel ein Einmalbetrag von 1.139,80 EUR an. Eine Arbeitslosigkeitsversicherung und eine Arbeitsunfähigkeitszusatzversicherung waren nicht vereinbart.
Die allgemeinen Bedingungen für die Kreditlebensversicherung enthalten in § 6 Nr. 2. folgende Regelung: "Im Falle der Kündigung sowie der vorzeitigen Erfüllung der kreditvertraglichen Zahlungsverpflichtung wird der zum Zeitpunkt der Beendigung des Versicherungsvertrages berechnete nicht verbrauchte Einmalbeitrag dem versicherten Kreditkonto gutgeschrieben (Rückvergütung, siehe Absatz 3). 80% dieses Betrages erhält der Versicherungsnehmer von der C-Lebensversicherung AG. Hinsichtlich des verbleibenden Anteils von 20% hat sich die C. Privatkunden AG & Co KGaA verpflichtet, den Betrag dem versicherten Kreditkonto gutzuschreiben."
Auf Anfrage des Klägers teilte die Beklagte mit Schreiben v. 19.7.2010 den Rückkaufswert "per heute" auf 822,90 EUR mit. Mit Schreiben v. 6.10.2010 kündigte der Kläger die Kreditlebensversicherung zum 31.10.2010 und forderte die Beklagte vergeblich zur Zahlung des Rückkaufswerts auf.
Der Kläger beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 822,90 EUR nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 6.11.2010 zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie rügt die örtliche Zuständigkeit.
In der Sache beruft sie sich darauf, dass der Rückkaufswert der Restschuldversicherung dem versicherten Kreditkonto gutgeschrieben worden sei. Sie vertritt die Auffassung, bei der Leistungsbestimmung in den Allgemeinen Bedingungen für die Kreditlebensversicherung handele es sich um eine unwiderrufliche Anweisung, sodass der Einmalbetrag nicht der Insolvenzmasse zustehe.
Weiter trägt sie unwidersprochen vor, zum Zeitpunkt des Kündigungsschreibens habe der unverbrauchte Einmalbetrag nur noch 757,10 EUR betragen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage ist überwiegend begründet.
I.
Das AG Göttingen ist örtlich zuständig.
Entgegen den Angaben der Beklagten ist die Schuldnerin nicht in Hannover wohnhaft, sondern dort der Treuhänder geschäftsansässig. Die Schuldnerin wohnt in Göttingen. Die Zuständigkeit folgt aus § 215 Abs. 1 VVG.
II.
Mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens ging die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis gem. §§ 313 Abs. 1, 80 Abs. 1 InsO auf den Kläger als Treuhänder über. Aufgrund der Kündigung der Kreditlebensversicherung ist die Beklagte verpflichtet, dem Grunde nach den Rückkaufswert an den Kläger auszukehren, da dieser Teil der Insolvenzmasse (§ 35 InsO) ist. Eine unwiderrufliche Anweisung liegt nicht vor (1.). Jedenfalls handelt es sich um eine überraschende und damit gem. § 305c BGB unwirksame Klausel (2.). Eine unbillige Benachteiligung der Beklagten liegt nicht vor (3.). Eine Aufrechnung der Beklagten ist ausgeschlossen (4.). Dahinstehen kann der weitere Inhalt der Regelung in § 6 Nr. 2 der allgemeinen Bedingungen für die Kreditlebensversicherung, wonach im Fall der Kündigung der Versicherungsnehmer 80% der Rückvergütung erhält und nur 20% dem Kreditkonto bei der Beklagten gutgeschrieben werden (5.).
1.)
Entgegen der Auffassung der Beklagten handelt es sich bei der Regelung in § 6 Nr. 2 der allgemeinen Bedingungen für die Kreditlebensversicherung nicht um eine unwiderrufliche Anweisung. Die diese Meinung vertretende Auffassung verkennt die Besonderheiten des Insolvenzverfahrens.
Dem Wortlaut der Regelung lässt sich keine unwiderrufliche Anweisung des Schuldners entnehmen, im Fall der Kündigung nicht verbrauchte Einmalbeträge dem versicherten Kreditkonto gutzuschreiben. Ein derartiges Ergebnis lässt sich auch nicht im Wege der Auslegung gem.§§ 133, 157 BGB unter Berücksichtigung von Sinn und Zweck der Regelung entnehmen (so z.B. LG Düsseldorf, Urt. v. 26.2.2010 - 22 S 257/09, BeckRS 2010, 25130). Zuzugeben ist der Beklagten, dass die Versicherung zur Absicherung des Kreditvertrags diente. Im Fall der Insolvenz kann aber nicht darauf abgestellt werden, dass bei einer Gutschrift auf dem Kreditkonto nicht verbrauchte Prämien dem Versicherungsnehmer mittelbar zugutekommen, in dem sie seine Forderungen aus dem Kreditvertrag verringern.
Im Insolvenzverfahren steht der Grundsatz der gemeinschaftlichen Gläubigerbefriedigung (§ 1 Satz 1 InsO) im Vordergrund. Das Interesse des Schuldners geht nicht auf eine vorrangige Befriedigung einzelner Gläubiger, sondern zunächst auf Deckung der Verfahrenskosten. Ist das Verfahren - wie regelmäßig und auch im vorliegenden Fall - auf Stundungsbasis gem. § 4a InsO eröffnet, werden eingehende Zahlungen zunächst mit den Verfahrenskosten verrechnet. Sind nach Erteilung der Restschuldbefreiung (§ 300 InsO) nach 6 Jahren noch Verfahrenskosten offen, tritt die sog. Nachhaftungsphase gem.§ 4b InsO ein. Der Schuldner haftet noch für 4 Jahre für ungedeckte Verfahrenskosten.
Unter Berücksichtigung der vorstehenden Ausführungen lässt sich im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung der Klausel keinesfalls entnehmen, dass im Fall der Insolvenzeröffnung der Beklagten ein unwiderrufliches Bezugsrecht eingeräumt sein soll (so auch AG Mosbach, NJW-RR 2011, 59, 61 [AG Mosbach 19.08.2010 - 1 C 49/10]).
2.)
Nimmt man dennoch ein unwiderrufliches Bezugsrecht an, wäre diese Klausel gem. § 305c BGBüberraschend. Im Fall der Insolvenz, in der - wie erwähnt - der Grundsatz der gleichmäßigen Gläubigerbefriedigung gilt, muss der Schuldner nicht mit einer Absicherung der Kredit gewährenden Bank rechnen.
3.)
Dadurch wird die Beklagte i.Ü. nicht unbillig benachteiligt. Es steht ihr als Verwenderin der AGB frei, entsprechende (insolvenzfeste) Regelungen zu treffen. Ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass im Fall der Eröffnung eines Insolvenzverfahrens auch in anderen Rechtsgebieten Sonderregelungen gelten. Beim sog. Lastschriftwiderruf ist in der Rechtsprechung des BGH inzwischen geklärt, dass grds. ein Insolvenzverwalter/Treuhänder vor Insolvenzeröffnung getätigte Lastschriften widerrufen kann, auch wenn kein aus dem konkreten Vertragsverhältnis folgender Grund zum Widerruf vorliegt und bei einem Widerruf der Schuldner sich gem. § 826 BGB schadensersatzpflichtig machen würde. Der XI. ZS des BGH hält nicht mehr an der sog. "Fußstapfentheorie" fest (vgl. BGH, ZIP 2010, 1552, 1554 [BGH 20.07.2010 - IX ZR 37/09]).
Folglich ist die im Urt. v. 26.2.2010 (21 C 147/09, AG Göttingen, NZI 2010, 311 = ZVI 2010, 112 = ZInsO 2010, 816 = ZIP 2010, 619) offengelassene Frage dahin zu beantworten, dass im Fall der Kündigung der Restschuldversicherungsbetrag der Insolvenzmasse zusteht.
4.)
Etwaige Aufrechnungsmöglichkeiten der Beklagten scheiden aus gem. § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO (AG Göttingen, ZVI 2010, 122 = NZI 2010, 311 = ZInsO 2010, 816 = ZIP 2010, 619; Urt. v. 20.12.2010 - 21 C 131/10) bzw. § 96 Nr. 3, 131 Abs. 1 Nr. 1 InsO.
5.)
Keiner Abklärung bedarf es daher hinsichtlich der im vorliegenden Fall geltenden Regelung in § 6 Nr. 2 der allgemeinen Bedingungen für die Kreditlebensversicherung, wonach im Fall der Kündigung der Versicherungsnehmer 80% der Rückvergütung erhält und nur 20% dem Kreditkonto bei der Beklagten gutgeschrieben werden.
III.
Der Höhe nach ist die Klage nicht in voller Höhe begründet.
Die Beklagte hat im Schreiben v. 22.11.2010 unwidersprochen vorgetragen, dass zum Zeitpunkt der Kündigung der Restschuldversicherung im Schreiben des Klägers v. 6.10.2010 der unverbrauchte Einmalbetrag sich nur noch auf 757,10 EUR belief.
IV.
Der Zinsausspruch ist begründet gem. §§ 286 ff. BGB. Die Nebenentscheidungen folgen aus §§ 92 Abs. 2, 708 Nr. 11, 711 ZPO.