Amtsgericht Göttingen
Beschl. v. 26.08.2011, Az.: 74 IN 86/11
Nach Erfüllung einer Forderung muss Gläubiger eine fortbestehende Zahlungsunfähigkeit i.R.d. Stellung eines Insolvenzantrages nicht glaubhaft machen; Pflicht eines Gläubigers zur Glaubhaftmachung einer fortbestehenden Zahlungsunfähigkeit i.R.d. Stellung eines Insolvenzantrages nach Erfüllung der Forderung; Kostentragungspflicht des Schuldners gem. § 14 abs. 3 InsO bei Abweisung des Antrags als unbegründet
Bibliographie
- Gericht
- AG Göttingen
- Datum
- 26.08.2011
- Aktenzeichen
- 74 IN 86/11
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2011, 26891
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:AGGOETT:2011:0826.74IN86.11.0A
Rechtsgrundlagen
- § 14 Abs. 1 S. 2 InsO
- § 14 Abs. 3 InsO
Fundstellen
- NZI 2011, 862-863
- ZIP 2011, 2312-2314
- ZInsO 2011, 2090-2092
Amtlicher Leitsatz
- 1.
Nach Erfüllung der Forderung muss der Gläubiger eine fortbestehende Zahlungsunfähigkeit nicht glaubhaft machen (a. A. AG Köln NZI 2011, 593 = ZInsO 2011, 1517). Allerdings ist bei der Anordnung einer vorläufigen Insolvenzverwaltung Zurückhaltung geboten.
- 2.
Bei Abweisung des Antrages als unbegründet hat der Schuldner gem. § 14 Abs. 3 InsO die Kosten zu tragen..
Redaktioneller Leitsatz
Aus § 14 Abs. 1 Satz 3 InsO lässt sich nicht ableiten, dass die Anstragstellerin die Zahlungsunfähigkeit glaubhaft machen muss.
Tenor:
Der Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Antragsgegnerin wird als unbegründet abgewiesen.
Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Wert: Bis 9.000 EUR
Gründe
A.
Die Schuldnerin ist Bestandteil der MX-Gruppe und betreibt in Form einer GmbH eine Personenbeförderung u.a. mit Krankenkraftwagen. Verwaltende Gesellschaft ist die MX-Beteiligungsgesellschaft, die Räumlichkeiten und die Verwaltungstätigkeiten wie Lohnabrechnungen zur Verfügung stellt. Die Fahrzeuge sind von der M. Krankentransport Personenbeförderungsgesellschaft mbH gemietet. Gegen die Schuldnerin wurde Ende 2010 ein Insolvenzantrag wegen ausstehender Sozialversicherungsbeiträge in Höhe von ca. 18.000 EUR gestellt. Nach Begleichung wurde der Antrag für erledigt erklärt und der Schuldnerin im Beschluss vom 25.01.2011 die Kosten auferlegt (Verfahren 74 IN 278/10 AG Göttingen). Am 28.03.2011 stellt die Antragstellerin wegen rückständiger Sozialversicherungsbeiträge für den Zeitraum September 2010 bis Februar 2011 in Höhe von 8.809,08 EUR Insolvenzantrag. Vor dem auf den 13.04.2011 anberaumten Anhörungstermin beglich die Schuldnerin die Forderung durch Überweisung vom 11.04.2011. Auf Nachfragen übersandte das Insolvenzgericht der Antragstellerin den durch gerichtsinternen Abgleich zur Akte genommenen Beschluss vom 28.03.2011 in dem Verfahren 74 IN 278/10. Mit Schreiben vom 17.06.2011 beantragte die Antragstellerin, gem. § 14 Abs. 1 Satz 2 InsO das Verfahren fortzusetzen. Der mit Beschluss vom 27.06.2011 eingesetzte Sachverständige kommt in seinem am selben Tag bei Gericht eingegangenem Gutachten vom 22.08.2011 zu dem Ergebnis, dass die Schuldnerin weder zahlungsunfähig noch überschuldet ist.
Der Sachverständige hat die Buchhaltung der Schuldnerin zum 30.06.2011 ausgewertet und ausgehend von diesem Stichtag auf die aktuellen Verhältnisse der Schuldnerin fortgeschrieben. Der Sachverständige verneint sowohl zum 30,06.2011 als auch zum Berichtszeitpunkt (22.08.2011) das Vorliegen eines Insolvenzgrundes.
Im Einzelnen führt der Sachverständige aus: Die Buchhaltung der Schuldnerin ist nicht aktuell. Der letzte Jahresabschluss (für 2008) wurde am 12.11.2009 erstellt. Für das Geschäftsjahr 2009 gibt es lediglich den Entwurf eines Abschlusses. 2010 ist nicht aktuell gebucht. Zum Zeitpunkt der Insolvenzantragstellung am 28.03.2011 bestanden die geltend gemachten Ansprüche und waren auch durch Zwangvollstreckungsmaßnahmen nicht beitreibbar gewesen. Die Schuldnerin war zum damaligen Zeitpunkt zahlungsunfähig.
Zum 30.06.2011 wies das Girokonto einen Stand von 159,78 EUR aus. Von ausstehenden Forderungen der Schuldnerin gingen bis zum 15.07.2011 Zahlungen in Höhe von 51.144,21 EUR ein. Verpflichtungen gegenüber Kreditinstituten, Arbeitnehmern, der Finanzverwaltung, aus Lieferungen und Miete bestanden nicht. Die Arbeitnehmer sind bei 12 verschiedenen Krankenkassen versichert. Für den Zeitraum April bis Juni 2011 sind insgesamt 33.245,02 EUR offen. Nach Angaben des Geschäftsführers sind mündlich Stundungsvereinbarungen getroffen und ein Ausgleich bis September 2011 zugesagt. Zum 31.12.2008 lag keine Überschuldung vor. Ob später eine bilanzielle Überschuldung vorlag, lässt der Sachverständige dahingestellt unter Hinweis auf § 19 Abs. 2 Satz 1, 2. Alt. InsO, da die Fortführung des Unternehmens überwiegend wahrscheinlich ist.
Zum Berichtszeitpunkt (22.08.2011) weisen die Auszüge der Girokonten ein Guthaben von 2.843,01 EUR aus. An Sozialversicherungsträger überwies die Schuldnerin zum Ausgleich für Rückstände und aktuelle Forderungen 34.965,56 EUR. Am 27.07.2011 wurden die vertragsgemäßen Abschlagszahlungen auf Mitarbeiterlöhne in Höhe von 20.800 EUR und nach Erstellung der Abrechnung für Juli 2011 die Restlöhne in Höhe von 29.029,06 EUR am 12.08.2011 geleistet. Im Zeitraum 25.07.bis 17.08.2011 überwies die die Fordrungen der Schuldnerin einziehende zentrale Abrechnungsstelle 100.716,42 EUR und die MX-Logistik GmbH zur Sicherstellung der Liquidität 50.000 EUR.
B.
Der Antrag ist abzuweisen. Gem. § 14 Abs. 1 Satz 2 InsO war das Verfahren auch nach Begleichung der dem Antrag zu Grunde liegenden Forderung fortzusetzen (I.). Ein Eröffnungsgrund gem.§ 16 InsO liegt jedoch nicht vor (II.). Die Kosten des Verfahrens hat die Schuldnerin nach einem Wert von bis zu 9.000 EUR gem.§ 14 Abs. 3 InsO zu tragen (III.). Eine vorherige Anhörung der Antragstellerin war nicht erforderlich (IV.).
I.
Gem. § 14 Abs. 1 Satz 2 InsO war der Antrag auch nach Begleichung der Forderung weiter zulässig.
1)
Der Antrag ist ab dem 01.01.2011 gestellt worden, die Neuregelung des § 14 Abs. 1 Satz 2 InsO anwendbar.
2)
Es war in den letzen zwei Jahren vor Stellung des aktuellen Antrages bereits ein Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Antragsgegnerin gestellt worden (Verfahren 74 IN 278/10 AG Göttingen).
Allerdings genügt entgegen dem Gesetzeswortlaut nicht allein die Antragstellung. Die "Zweijahresschranke" ist eingefügt worden in Anlehnung an die mietrechtliche Regelung in § 569 Abs. 3 Nr. 2 BGB. Danach wird eine fristlose Kündigung eines Wohnraummietverhältnisses wegen Zahlungsverzuges unwirksam, wenn der Mieter binnen zwei Monaten nach Rechtshängigkeit einer Räumungsklage die Rückstände ausgleicht. Eine Ausnahme gilt dann, wenn der Kündigung innerhalb von zwei Jahren eine nach dieser Regelung unwirksam gewordene Kündigung vorausgegangen war (FK-InsO/Schmerbach § 14 Rz. 175 b). Die bloße Stellung eines (möglicherweise unzulässigen oder unbegründeten) Antrages kann nicht genügen. Erforderlich ist vielmehr, dass die dem Vorantrag zu Grunde liegende Forderung vom Schuldner erfüllt wurde. Für diese teleologische Reduktion spricht auch die Gesetzesbegründung. Danach soll "ein Insolvenzantrag nach Erfüllung der zugrunde liegenden Forderung nur dann aufrecht erhalten werden können, wenn gegen den Schuldner in einem Zeitraum von zwei Jahren vor der Antragstellung bereits einmal ein Insolvenzantrag gestellt und das vorausgegangene Verfahren nach der Begleichung der Forderung nicht fortgeführt wurde" (FK-InsO/Schmerbach § 14 Rz. 175 d; ähnlich Marotzke ZinsO 2011, 841, 850). Auch eine Abweisung mangels Masse gem. § 26 InsO genügt daher nicht.
Diese (einschränkenden) Voraussetzungen liegen vor. Auch ansonsten bestehen keine Bedenken gegen die Zulässigkeit des Antrages. Nach erfolglosen Zwangsvollstreckungsmaßnahmen war der Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens zulässig. Dass es sich nicht um einen sog. Druckantrag handelt, zeigt sich schon daran, dass die Antragstellerin das Verfahren nach Begleichung der Forderung nicht für erledigt erklärt hat.
3)
Die (fortbestehende) Zahlungsunfähigkeit musste die Antragstellerin nicht glaubhaft machen. Aus § 14 Abs. 1 Satz 3 InsO lässt sich dies nicht ableiten (offen FK-InsO/Schmerbach § 14 Rz. 175). Es genügt die Tatsache, dass der Schuldner zum Zeitpunkt der Antragstellung zahlungsunfähig war. Das AG Köln (Beschluss vom 09.05.2011 - 71 IN 57/11, NZI 2011, 593 = ZInsO 2011, 1517) verlangt hingegen die Glaubhaftmachung des Weiterbestehens des Insolvenzgrundes. Der Schuldner soll im Wege der sekundären Darlegungslast zur Darlegung verpflichtet sein, dass ein Insolvenzgrund nicht mehr vorliegt. Im vom AG Köln entschiedenen Fall äußerte sich der Schuldner nicht, so dass das Verfahren durch Beauftragung eines Sachverständigen fortgesetzt werden konnte. Ist aber bereits - wie in dem durch Beschluss vom 14.07.2011 (AG Göttingen NZI 2011, 594 = ZInsO 2011, 1515) entschiedenen Fall - ein vorläufiger Insolvenzverwalter bestellt, verbietet sich bei laufenden Geschäftsbetrieb eine faktische Unterbrechung der vorläufigen Insolvenzverwaltung. Vielmehr ist der vorläufige Insolvenzverwalter zu befragen, ob die Zahlungsfähigkeit wiederhergestellt ist. Kann er dies nicht eindeutig bejahen, ist das Verfahren fortzusetzen. Auch ansonsten ist eine Anhörung des Schuldners nicht angezeigt. Im vorliegenden Fall hätte eine Überprüfung etwaiger Angaben der Schuldnerin erkennbar weder durch die Antragstellerin noch das Insolvenzgericht erfolgen können und die Einsetzung eines Sachverständigen erforderlich gemacht, letztlich das Verfahren also nur verlängert. Die Anordnung einer vorläufigen Insolvenzverwaltung kommt allerdings erst nach Feststellung fortbestehender Zahlungsunfähigkeit durch den Sachverständigen in Betracht.
II.
Der Antrag ist jedoch unbegründet. Die Schuldnerin ist weder zahlungsunfähig (§ 17 InsO) noch überschuldet (§ 19 InsO).
1)
Allerdings war die Schuldnerin zum Zeitpunkt der Antragstellung zahlungsunfähig. In der Folgezeit hat sie jedoch ihre Zahlungsfähigkeit wiedererlangt und nicht verloren. Das folgt aus den gründlichen und nachvollziehbaren Ausführungen des Sachverständigen. Die Schuldnerin hat ihre Zahlungen allgemein wieder aufgenommen (vgl. BGH ZInsO 2006, 827, 828; HK-InsO/Kichhof § 17 Rz. 40; FK- InsO/Schmerbach § 17 Rz. 40). Die fälligen Verbindlichkeiten werden bedient, sie hat erhebliche Einnahmen generiert, auf Rückstände Zahlungen erbracht und eine Liquiditätsspritze von 50.000 EUR erhalten. Anhaltspunkte, an den Angaben des Geschäftsführers über mündlich mit Sozialversicherungsträgern getroffenen Stundungsabreden zu zweifeln, bestehen nicht. Sozialversicherungsträger stellen gerichtsbekannt zeitnah nach Auflaufen von Rückständen Insolvenzantrag. Weitere Anträge sind aber nicht gestellt worden.
2)
Überschuldung scheidet infolge Fortführung des Geschäftsbetriebes gem. § 19 Abs. 1 Satz 1, 2. Halbsatz InsO aus. Fortführungswille und Fortführungsmöglichkeit liegen vor (vgl. FK-InsO/Schmerbach § 19 Rz. 35, 36).
III.
Die Kosten des Verfahrens hat gem. § 14 Abs. 3 InsO die Schuldnerin zu tragen.
Der Antrag war ursprünglich zulässig. Durch Erfüllung der zugrunde liegenden Forderung ist er unbegründet geworden. Wäre die Antragstellerin nicht gem. § 14 Abs. 1 Satz 2 InsO vorgegangen, hätte sie den Antrag gem. § 4 InsO i.V.m. § 91a ZPO für erledigt erklären können, die Schuldnerin hätte ebenfalls die Kosten getragen. Der Unterschied liegt darin, dass inzwischen Kosten für das Sachverständigengutachten angefallen sind. Dies ist die Konsequenz aus der Regelung in § 14 Abs. 1 Satz 2 InsO, der die Zulässigkeit des Antrages bei Erfüllung nicht automatisch entfallen lässt. Als Wert hat das Insolvenzgericht die von der Antragstellerin ursprünglich geltend gemachte Forderung zu Grunde gelegt.
IV.
Von einer Anhörung der Antragstellerin vor Erlass der Entscheidung hat das Insolvenzgericht abgesehen. Die Antragstellerin kann allein durch Hinweis auf ein erledigtes Verfahren innerhalb von zwei Jahren vor Antragstellung die Fortsetzung erzwingen, einer weitergehenden Glaubhaftmachung bedarf es nicht (s.o. I. 3). Ob etwas anderes gilt, wenn eine Antragstellerin detaillierte Angaben zum Fortbestehen der Zahlungsunfähigkeit gemacht hat; kann dahin stehen. Ein solcher Fall liegt hier nicht vor.