Verwaltungsgericht Lüneburg
Beschl. v. 25.10.2013, Az.: 2 B 48/13
Asylverfahren; Gefahr; Haft; Liaisonbeamtin; Medikament; medizinische Versorgung; Polen; PTBS; Schulbesuch; Systemische Mängel
Bibliographie
- Gericht
- VG Lüneburg
- Datum
- 25.10.2013
- Aktenzeichen
- 2 B 48/13
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2013, 64399
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 27a AsylVfG
- § 34a Abs. 2 AsylVfG
- § 80 Abs 5 VwGO
Gründe
Die Antragsteller begehren die Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage gegen einen Bescheid, mit dem die Antragsgegnerin ihren Asylantrag als unzulässig abgelehnt und ihnen die Abschiebung nach Polen angedroht hat.
Der am 7. Oktober 2013 gestellte Antrag der Antragsteller, die aufschiebende Wirkung der in der Hauptsache erhobenen Klage gegen den eine Abschiebungsanordnung nach Polen gemäß §§ 27 a, 34 a AsylVfG aussprechenden Bescheid der Antragsgegnerin vom 26. September 2013 anzuordnen, ist gemäß § 80 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 Nr. 3, Abs. 5 Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO – in Verbindung mit §§ 34a Abs. 2, 75 Satz 1 Asylverfahrensgesetz – AsylVfG – in der Fassung der Bekanntmachung vom 2. September 2008 (BGBl. I S. 1798), geändert durch den insoweit gemäß § 77 Abs. 1 AsylVfG seit dem 6. September 2013 anwendbaren Artikel 1 des Gesetzes vom 28. August 2013 (BGBl. I S. 3474), zulässig.
Insbesondere ist die einwöchige Antragsfrist des § 34 a Abs. 2 AsylVfG eingehalten.
Der Antrag hat keinen Erfolg.
Nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO kann das Gericht die aufschiebende Wirkung der Klage anordnen. Bei dieser Entscheidung sind das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsaktes einerseits und das private Aussetzungsinteresse - also das Interesse des Betroffenen, bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts von dessen Vollziehung verschont zu bleiben - gegeneinander abzuwägen. Hierbei sind auch die Erfolgsaussichten eines eingelegten Rechtsbehelfs zu berücksichtigen, soweit sie bei der im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes gebotenen summarischen Prüfung bereits überschaubar sind. Ein überwiegendes privates Aussetzungsinteresse ist immer dann zu bejahen, wenn sich der Verwaltungsakt im Hauptsacheverfahren aller Wahrscheinlichkeit nach als rechtswidrig erweisen wird, denn an der sofortigen Vollziehung einer rechtswidrigen Verfügung kann ein öffentliches Interesse nicht anerkannt werden. Andererseits ist regelmäßig von einem überwiegenden öffentlichen Vollzugsinteresse auszugehen, wenn sich der angefochtene Verwaltungsakt aller Voraussicht nach als rechtmäßig darstellen wird. Sind die Erfolgsaussichten in der Hauptsache offen, führt dies zu einer von der Vorausbeurteilung der Hauptsache unabhängigen Interessenabwägung.
Gemessen daran sind die Erfolgsaussichten in der Hauptsache zulasten der Antragsteller zu werten. Das Bundesamt hat in dem angefochtenen Bescheid vom 26. September 2013 zu Recht festgestellt, dass der Asylantrag der Antragsteller unzulässig ist und die Abschiebung nach Polen angeordnet. Ein Asylantrag ist gemäß § 27 a AsylVfG unzulässig, wenn ein anderer Staat aufgrund von Rechtsvorschriften der Europäischen Gemeinschaft oder eines völkerrechtlichen Vertrages für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist. Da die Antragsteller vor ihrer Einreise in die Bundesrepublik Deutschland in Polen erstmals einen Asylantrag gestellt haben, über den dort noch nicht entschieden worden ist, ist Polen für die Durchführung des Asylverfahrens gemäß Art. 3 Abs. 1 Satz 2 Verordnung (EG) Nr. 343/2003 (Dublin II VO) zuständig. In einem solchen Fall ordnet das Bundesamt gemäß § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylVfG die Abschiebung in den für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Mitgliedstaat - hier Polen - an.
Erfolg hätte der Antrag in der Sache nur dann, wenn hinreichend gewichtige Anhaltspunkte dafür bestünden, dass die rechtlichen Regelungen und die praktische Durchführung von Asylverfahren in Polen nicht den Anforderungen an die Schutzgewährung nach der Genfer Flüchtlingskonvention und der EMRK entsprechen, die Antragsgegnerin zum Selbsteintritt nach Art. 3 Abs. 2 VO 343/2003/EG verpflichtet und die Abschiebungsanordnung in dem angefochtenen Bescheid deshalb rechtswidrig wäre.
Die Prüfung der Rechtstexte, die das gemeinsame europäische Asylsystem bilden, ergibt, dass dieses in einem Kontext entworfen wurde, der die Annahme zulässt, dass alle daran beteiligten Staaten, ob Mitgliedstaaten oder Drittstaaten, die Grundrechte beachten, einschließlich der Rechte, die ihre Grundlage in der Genfer Flüchtlingskonvention und dem Protokoll von 1967 sowie in der EMRK finden, und dass die Mitgliedstaaten einander insoweit Vertrauen entgegenbringen dürfen.
Gerade aufgrund dieses Prinzips des gegenseitigen Vertrauens hat der Unionsgesetzgeber die Verordnung Nr. 343/2003 erlassen und Übereinkommen und Abkommen geschlossen, um die Behandlung der Asylanträge zu rationalisieren und zu verhindern, dass das System dadurch stockt, dass die staatlichen Behörden mehrere Anträge desselben Antragstellers bearbeiten müssen, und um die Rechtssicherheit hinsichtlich der Bestimmung des für die Behandlung des Asylantrags zuständigen Staates zu erhöhen (VG Kassel, Beschluss vom 26.08.2013 - 4 L 984/13.KS.A - zitiert nach juris).
Allerdings kann nicht ausgeschlossen werden, dass dieses System in der Praxis auf größere Funktionsstörungen in einem bestimmten Mitgliedstaat stößt, so dass eine ernstzunehmende Gefahr besteht, dass Asylbewerber bei einer Überstellung in diesen Mitgliedstaat in einer Weise behandelt werden, die mit ihren Grundrechten unvereinbar ist.
Danach kommt es im Wesentlichen darauf an, ob das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen in Polen nicht nur in einzelnen Punkten gegen die unionsrechtlichen Vorgaben zum Asylverfahren und den Aufnahmebedingungen verstoßen, sondern systemische Mängel aufweisen.
Dies ist nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG, Urteil vom 14.05.1996 - 2 BvR 1938/93 u.a. -, BVerfGE 94,49, 95 ff.) dann der Fall, wenn Umstände betroffen sind, die ihrer Eigenart nach nicht vorweg im Rahmen des Konzepts der normativen Vergewisserung in der Verfassung oder vom Gesetzgeber berücksichtigt werden können. Das kommt unter anderem insbesondere dann in Betracht, wenn der Drittstaat selbst Maßnahmen politischer Verfolgung oder unmenschlicher Behandlung ergreift oder wenn sich der Drittstaat von seinen nach der GFK oder der EMRK eingegangenen Verpflichtungen löst und bestimmten Ausländer Schutz dadurch verweigert, dass er sich ihrer ohne jede Prüfung des Schutzgesuchs entledigt. Allerdings liegt ein solcher Ausnahmefall dann nicht vor, wenn sich der Umstand durch den Kontakt zwischen den deutschen Behörden und den Behörden des Drittstaats ausräumen lässt.
Eine Prüfung, ob der Zurückweisung oder sofortigen Rückverbringung in den Drittstaat ausnahmsweise Hinderungsgründe entgegenstehen, kann der Ausländer nach dieser Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nur erreichen, wenn es sich aufgrund bestimmter Tatsachen aufdrängt, dass er von einem der genannten im normativen Vergewisserungskonzept nicht aufgefangenen Sonderfälle betroffen ist. Letzteres ist (u. a.) der Fall, wenn sich der Mitgliedstaat von den nach diesem Konzept als generell eingehalten vermuteten Verpflichtungen gelöst hat, also die allgemein europaweit vereinbarten Mindeststandards aufgrund von innerstaatlichen systemischen Mängeln des Asylverfahrens und/oder der Aufnahmebedingungen nicht (mehr) gewährleistet bzw. gewährleisten kann. Solches kann namentlich dadurch zum Ausdruck kommen, dass der betreffende Mitgliedsstaat dem betroffenen Ausländer keine ausreichende Chance einräumt, dass sein Schutzgesuch überhaupt ernsthaft geprüft wird, und/oder dass die humanitäre, vor allem wirtschaftliche, gesundheitliche und Wohnungssituation nicht dem Art. 4 der Grundrechte-Charta oder den in einschlägigen Richtlinien des Gemeinschaftsrechts vereinbarten Standards entspricht, so dass letztlich die Gefahr besteht, dass die Betroffenen einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt werden (vgl. OVG NRW, Beschluss vom 01.03.2012 - 1 B 234/12.A - zitiert nach juris).
Bei Anwendung dieser Grundsätze haben die Antragsteller hinsichtlich Polens keine konkreten Umstände geltend gemacht, die im Hinblick auf die dortige Behandlung von Flüchtlingen ausnahmsweise die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes rechtfertigen könnten. Ein solcher Ausnahmefall ist hinsichtlich der Verhältnisse in Polen nicht erkennbar (vgl. VG Saarbrücken, Beschluss vom 24.06.2013 - 6 L 839/13 -; VG Kassel, Beschluss v. 27.8.2013 – 9 L 984/13.K.S.A - ; VG Schleswig, Beschluss v. 27.8.2013 – 1 B 43/13 - zitiert nach juris; VG Stade, Beschluss v. 2.10.2013 – 3 B 3029/13 -; VG Oldenburg, Beschluss v. 16.8.2013 - 3 A 5177/13 - ; VG Hannover, Beschluss v. 30.8.2013 – 1 B 6140/13 - ; VG Braunschweig, Beschluss v. 29.7.2013 – 8 B 434/13 - ; VG Osnabrück, Beschluss v. 26.9.2013 – 5 B 133/13 -). Anhaltspunkte dafür, dass Polen seinen Verpflichtungen, Asylbegehren nach einer Asylantragstellung nicht ordnungsgemäß zu prüfen, nicht nachkommt, sind nicht festzustellen. Systemische Mängel im Asylverfahren in Polen lassen sich den vorliegenden Erkenntnisquellen nicht entnehmen.
Die rechtlichen Regelungen des vergemeinschafteten Asyl- und Flüchtlingsrechts der europäischen Union hat Polen in den wesentlichen Grundzügen in nicht zu beanstandender Weise umgesetzt (UNHCR, Submission by the United Nations High Commissioner for Refugees for the Office of the High Commissioner for Human Rights‘ Compilation Report - Universal Periodic Review: Poland, vom November 2011, abrufbar unter www.refword.org).
Die Bundesregierung hat zur Behandlung tschetschenischer Asylsuchender in Polen in ihrer Antwort auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Ullas Jelpke, Christine Buchholz, Sevim Dagdelen, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE folgendes erklärt (BT-Drucksache 17/14795 v. 25.9.2013 , Frage Nr. 6):
„Im Rahmen der Dublin-Verfahren und in gerichtlichen Eilverfahren vor den Verwaltungsgerichten von russischen Staatsangehörigen tschetschenischer Volkszugehörigkeit, die über Polen nach Deutschland einreisen, werden sehr häufig gesundheitliche Beeinträchtigungen zw. Erkrankungen vorgetragen.
Nach aktueller Auskunft der Liaisonbeamtin des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge ist die medizinische Versorgung dort für Asylbewerber wie folgt sichergestellt:
Die Behandlung von Asylbewerbern, die eine medizinische Versorgung und eine psychologische Betreuung in Anspruch nehmen müssen, ist in Polen kostenlos und erfolgt grundsätzlich durch qualifiziertes Personal. Die medizinische Versorgung während des Flüchtlingsverfahrens umfasst alle Ausländer (gemäß Art. 73 des polnischen Flüchtlingsgesetzes), die einen Antrag auf Flüchtlingsschutz gestellt haben und sich bei der Sozialhilfeabteilung des Amtes für Ausländer registriert haben, unabhängig von ihrer Unterbringung in Aufnahmeeinrichtungen oder außerhalb. Personen im Flüchtlingsverfahren haben den gleichen Anspruch auf den Umfang der medizinischen Versorgung wie polnische Staatsangehörige (ausgeschlossen sind lediglich Kurfahrten). Die medizinische Versorgung von Personen im Flüchtlingsverfahren in Polen koordiniert das Zentrale Krankenhaus des Innenministeriums in Warschau. Die medizinische Versorgung umfasst:
- Durchführung sog. epidemiologischer Untersuchungen – alle Ausländer, die zum ersten Mal einen Antrag auf Flüchtlingsschutz stellen, werden in der Aufnahmeeinrichtung in Biala Podlaska oder in Podkowa Lesna-Debak epidemiologisch untersucht. Die Untersuchung beinhaltet die Feststellung, ob der Ausländer an Infektionskrankheiten leidet (drunter Tuberkulose, Hepatitis B und C Typ, HIV, Geschlechtskrankheiten).
- In jeder Aufnahmeeinrichtung in Polen gibt es medizinische Behandlungsräume, dort stehen Krankenschwestern, ein Arzt und ein Kinderarzt zur Verfügung.
- Kranke Personen, die spezielle Untersuchungen benötigen, werden ans Krankenhaus oder zu speziellen Untersuchungen überwiesen. Die Untersuchungen finden entweder im Zentralen Krankenhaus des innen- und Verwaltungsministeriums statt oder auch in anderen Krankenhäusern, mit dem das Zentrale Krankenhaus eine Vereinbarung unterschrieben hat.
- Zahnbehandlungen.
- Psychologische Hilfe
- Rehabilitation.
Nach dem Bericht der Helsinki Foundation for Human Rights (Helsinki-Stiftung) „Migration is not a crime“ aus dem Jahr 2013 erhalten Ausländer schriftlich und mündlich alle erforderlichen Informationen über die Möglichkeit, medizinische und psychologische Betreuung zu erhalten. In allen Zentren können die Ausländer medizinische Hilfe erhalten, wobei es – wie auch in deutschen Unterkünften – Sprachschwierigkeiten mit dem medizinischen Personal geben kann. Zudem können sich z.B. Opfer von Übergriffen innerhalb der Unterkünfte an die Polizei wenden.
Laut Auskunft der Liaisonbeamtin des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge in Polen vom April 2013 wird gemäß Artikel 68 des polnischen Flüchtlingsgesetzes vom 13. Mai 2003 jeder Ausländer, der in seinem Antrag auf Flüchtlingsschutz erklärt hat, dass er Opfer von psychischer oder physischer Gewalt ist, vor seiner Anhörung im Flüchtlingsverfahren an einen Psychologen verwiesen. Dieses Gespräch findet im Amt für Ausländer in Warschau statt. Während dieses Gespräches ist neben dem Psychologen auch ein Dolmetscher anwesend, der ebenso wie der Psychologe vom Budget des Amtes für Ausländer bezahlt wird. Nach diesem Gespräch verfasst der Psychologe eine Stellungnahme, aus der hervorgeht, ob bei dem Antragsteller ein Verdacht auf PTBS besteht und ob die Teilnahme eines Psychologen bei der Anhörung erforderlich ist. Wenn der Psychologe festgestellt hat, dass seine Anwesenheit bei der Anhörung im Flüchtlingsverfahren erforderlich ist, nimmt er an der Anhörung teil. Er beobachtet das Verhalten und die Reaktionen des Antragstellers, er hat das Recht, Fragen zu stellen, und vom Anhörenden kann er verlangen, von bestimmten Fragen abzusehen. Nach der Anhörung verfasst der Psychologe eine Stellungnahme, die Bestandteil der Akte im Flüchtlingsverfahren ist, auf die sich der Entscheider im Bescheid berufen muss. Sofern der Psychologe eine PTBS festgestellt hat, informiert er den Antragsteller über die Erforderlichkeit der Behandlung und die Kontaktaufnahme mit dem Psychologen in der Aufnahmeeinrichtung, in der der Antragsteller untergebracht ist. Der Zugang zum Psychologen ist kostenlos, und es gibt keine festgelegte Zahl an Gesprächen mit dem Psychologen (jeder Fall wird individuell behandelt). Wenn es erforderlich ist, verweist der Psychologe per Überweisungsschein an einen Psychiater zur weiteren Behandlung.
Das polnische Amt für Ausländer arbeitet derzeit mit vier Psychologen zusammen (einer davon ist speziell im Umgang mit Minderjährigen geschult), die Erstgespräche mit Antragstellern durchführen und auch an den Anhörungen teilnehmen. Darüber hinaus gibt es in jeder Aufnahmeeinrichtung Psychologen, die dort dienst haben und zu denen Antragsteller uneingeschränkten Zugang haben.
Antragsteller können sich sowohl an die Psychologen, mit denen das polnische Amt für Ausländer zusammenarbeitet, als auch an die Psychologen, die für nichtstaatliche Organisationen tätig sind, wende. Die Informationen zum Zugang zum Psychologen erhalten Antragsteller in den Aufnahmeeinrichtungen, in denen sie untergebracht sind. Nach alledem ist davon auszugehen, dass für psychisch kranke Menschen systemische Mängel im in Polen praktizierten Asylverfahren nicht bestehen (so auch Verwaltungsgericht – VG – Saarland, Beschluss vom 29. Juli 2013 – 3 L 961/13).
Aufnahmebedingungen in Polen
Der Bericht der Helsinki-Stiftung „Migration is not a crime“, der sich auf eine Überprüfung der sechs „Guarded Centres for Foreigners“ in Polen, also der sechs geschlossenen/bewachten Ausländereinrichtungen im Herbst 2012 beschränkte, rügt zwar im Einzelnen die Einweisungs- und Versorgungsbedingungen in dieser Art von Einrichtungen, hebt aber auch hervor, dass sie ziemlich unterschiedlich organisiert und ausgestattet sind (siehe Seite 36 des Berichts).
Weiterhin ergibt sich aus dem Bericht der Helsinki-Stiftung zur Unterbringungssituation u.a. , dass die Zentren offiziell für die Unterbringung von Ausländern umgebaut, zum Teil umfänglich renoviert wurden und sich in gutem Zustand befinden. Die umfangreiche Regulierung des Aufenthalts in diesen Unterkünften ist zwar im Verhältnis mit den Unterkünften in Deutschland erheblich restriktiver, erreicht aber nicht die Qualität einer Inhaftierung. Des Weiteren ist die Möglichkeit, mit der Welt außerhalb des jeweiligen Zentrums in Kontakt zu treten, sichergestellt; gleiches gilt für Besuche von Verwandten und die Möglichkeit, sich an internationale Organisationen zu wenden (vgl. VG Magdeburg, Beschluss vom 29. Juli 2013 – 3 b 185/13 MD) Einem Bericht des US Departement of State zufolge hat die polnische Regierung zusätzlich zu den geschlossenen/bewachten Einrichtungen für Ausländer elf offene Zentren für Asylsuchende initiiert, die sich in den Gebieten Warschau, Bialystok und Lublin befinden und ungefähr 2000 Personen aufnehmen können.“
Ergänzend ist auszuführen, das sich nach dem Bericht der Helsinki-Stiftung „Migration is not a crime“ im November 2012 391 Ausländer in den geschlossenen/bewachten Einrichtungen befanden, davon 300 Männer, 57 Frauen und 34 Kinder (Seite 7). Die durchschnittliche Aufenthaltsdauer in diesen Einrichtungen belief sich auf etwa 2 Monate (Seite 11). Alle Einrichtungen sind mit hohen Mauern oder Zäunen mit Stacheldraht umgeben und die Flüchtlinge sind in Flügeln für Familien, alleinstehende Männer und – in einigen Zentren – für alleinstehende Frauen untergebracht, ferner z.T. in Flügel für bestimmte Nationalitäten (Georgier). Die Tagesabläufe sind weitgehend reguliert durch feste Zeiten für Mahlzeiten, die Badezimmernutzung und Fernsehen.
Insgesamt ergibt für Polen trotz der freiheitsentziehenden Einrichtungen, in die nur eine Minderheit der Flüchtlinge aufgenommen wird und die im Hinblick darauf, dass die Flüchtlinge bei der Gewährung von Freizügigkeit größtenteils das Land in Richtung Westen verlassen würden, auch berechtigten Zielen dienen, danach das Bild eines asylverfahrensrechtlichen Regimes und von Aufnahmebedingungen, das den Maßgaben der Genfer Flüchtlingskonvention und des asylrechtlichen System der Europäischen Union in den Grundlinien genügt. So wird das Refoulement-Verbot im Grundsatz eingehalten, es werden geordnete Asylverfahren geführt und in überschaubarer Zeit Entscheidungen getroffen, die Einzelfallentscheidungen darstellen und es werden den Asylbewerbern während des Asylverfahrens im Großen und Ganzen auch ausreichende Lebensgrundlagen (Unterkunft, Verpflegung, medizinische Hilfe) zur Verfügung gestellt. Allerdings gibt es, wie dargestellt, nach wie vor nicht unerhebliche Mängel. Die Vorgaben der Aufnahmerichtlinie (RL 2003/9/EG, jetzt RL 2013/33/EU vom 26.06.2013) werden in einer Reihe von Punkten (Information, juristische Beratung, medizinische Versorgung) in der Praxis nicht immer eingehalten. Legt man aber die in der Rechtsprechung des EuGH aufgeführten Gründe für die Zuständigkeitsregelungen der Dublin II-VO und den sich daraus ergebenden strengen Maßstab an die Qualifizierung als systemische Mängel an, so stellen sich die aufgeführten Mängel im Asylverfahren und bei den Aufnahmebedingungen in Polen auch in der Summe nicht als systemische Mängel in dem oben dargestellten Sinn dar und es gibt auch keine entsprechenden Anhaltspunkte dafür, die einer Prüfung im Hauptsacheverfahren bedürften (wie hier auch VG Saarland, Beschluss vom 26.06.2013 - 6 L 839/13 -, juris; VG Ansbach, Beschluss vom 20.03.2012 - AN 10 E 11.30140 -, juris; a.A. VG Meinigen, Beschluss vom 26.04.2013 - 8 E 20075/13 Me).“
Die Zulässigkeit der Abschiebungsanordnung hängt aber auch davon ab, ob die Zurückschiebung in den sicheren Drittstaat aus subjektiven, in der Person des Ausländers liegenden Gründen rechtlich oder tatsächlich möglich ist. Die Abschiebungsanordnung darf erst erfolgen, sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann. Eine Abschiebung darf im Fall der Abschiebungsanordnung - wie hier - nur dann erfolgen, wenn diese rechtlich und tatsächlich möglich ist, andernfalls ist die Abschiebung auszusetzen. Liegen Duldungsgründe im Sinne des § 60 a Abs. 2 Satz 1 AufenthG vor, ist die Abschiebung unmöglich und kann auch im Sinne des § 34 a Abs. 1 Satz 1 AsylVfG nicht durchgeführt werden. Abweichend von der üblichen Aufgabenverteilung zwischen Bundesamt und Ausländerbehörde hat das Bundesamt bei der Abschiebungsanordnung auch die Verantwortung dafür zu übernehmen, dass keine inlandsbezogenen Vollstreckungshindernisse vorliegen. Neben zielstaatsbezogenen Abschiebungsverboten hat es deshalb auch Duldungsgründe zu prüfen (VG Regensburg, Beschluss vom 12.04.2013 - RO 9 S 13.30112 - zitiert nach juris).
Der Vortrag der Antragsteller begründet keine individuelle Gefahr im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG. Nach dieser Vorschrift soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht.
Die Gefahr, dass sich eine Erkrankung des Ausländers aufgrund der Verhältnisse im Abschiebezielstaat verschlimmert, ist in der Regel als individuelle Gefahr einzustufen, die am Maßstab von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG in direkter Anwendung zu prüfen ist. Erforderlich, aber auch ausreichend für das Vorliegen der Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG ist in diesen Fällen, dass sich die vorhandene Erkrankung des Ausländers aufgrund zielstaatsbezogener Umstände in einer Weise verschlimmert, die zu einer erheblichen und konkreten Gefahr für Leib oder Leben führt (vgl. BVerwG, B. v. 17.8.2011 – 10 B 13.11 – juris Rdnr. 3; Urteil vom 22.3.2012 – 1 C 3.11 – BVerwGE 142, 179 ff.). Die befürchtete Verschlimmerung der gesundheitlichen Beeinträchtigung als Folge fehlender Behandlungsmöglichkeiten im Zielland der Abschiebung muss zu einer erheblichen Gesundheitsgefahr führen, also eine Gesundheitsbeeinträchtigung von besonderer Intensität erwarten lassen; das wäre der Fall, wenn sich der Gesundheitszustand wesentlich oder gar lebensbedrohlich verschlechtern würde (vgl. BVerwG, B.v. 24.5.2006 – 1 B 118.05 – InfAuslR 2006, 485 ff.). Konkret ist die Gefahr, wenn diese Verschlechterung alsbald nach der Abschiebung des Betroffenen einträte (vgl. BVerwG, B.v. 17.8.2011 – 10 B 13.11 – juris Rdnr. 3; Urteil vom 22.3.2012 – 1 C 3.11 – BVerwGE 142, 179 ff.).
Diesen Maßstab zugrunde gelegt ist nach Überzeugung des Gerichts eine erhebliche konkrete Gefahr im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG im Falle einer Abschiebung der Antragsteller nach Polen nicht gegeben.
Die Antragstellerin zu 1. war nach dem Entlassungsbericht der Psychiatrischen Klinik Lüneburg vom 26. September 2013 vom 16. bis zum 24. September 2013 in stationärer Behandlung, da sie aufgrund einer akuten Belastungsreaktion auf ein Gespräch mit ihrem Rechtsanwalt mit psychischen Dekompensation reagiert habe, weil sie Angst habe, dass ihr Ehemann sie in Polen leichter finden könne als in Deutschland. Nach Behandlung mit dem Antidepressivum Mirtazapin sei die Patientin entlassen worden, da sie sich besser fühlte und die Entlassung gewünscht habe. In einer weiteren Bescheinigung vom 21. Oktober 2013 erklärte die Psychiatrische Klinik Lüneburg, die Antragstellerin zu 1. Befinde sich seit Juni 2013 in ambulanter Behandlung in der Institutsambulanz; bei ihr liege eine depressiver Störung vor mit Verdacht auf bestehen einer posttraumatischen Belastungsstörung. Nach Reaktualisierung der zurückliegenden Bedrohungs- und Fluchterlebnisse sei es zur akuten Dekompensation des psychischen Zustandes der Patientin mit akuter Suizidalität gekommen, so dass eine stationäre Behandlung in der Klinik vom 16. bis zum 24. September 2013 erforderlich geworden sei. Bei Abbruch der hiesigen Behandlung bestehe die Gefahr, dass sich der Gesundheitszustand der Patientin erheblich verschlimmere. Würde die Patientin in Polen für zwei Monate oder länger inhaftiert werden, wäre mit einer weiteren ernsthaften Verschlimmerung ihres Gesundheitszustandes zu rechnen. Diese sei auch dann zu anzunehmen, wenn die medizinisch-psychiatrische Behandlung in Polen nicht ununterbrochen oder nicht hinreichend in Anspruch genommen werden könne. Bereits das Ansprechen der Vorgeschichte und insbesondere das Ansprechen einer möglichen Rückführung in Richtung ihrer Heimat löse bei der Patientin sie überflutende Angstzustände und Suizidgedanken aus, die bereits einmal zur Notwendigkeit einer stationären psychiatrischen Behandlung geführt habe.
Nach Überzeugung des erkennenden Gerichts ist bei einer Überstellung der Antragsteller nach Polen nach der oben dargestellten Auskunft der Liaisonbeamtin dort mit einer Fortsetzung der Behandlung der Antragstellerin zu 1. zu rechnen; diese von der Antragsgegnerin vorgelegte Erklärung ist aktuell und in deutscher Sprache verfasst. Sie wird durch die weiteren vorliegenden, älteren und z.T. englischsprachigen Erkenntnismittel nicht widerlegt. In den vorgelegten ärztlichen Bescheinigungen ist auch keine Behandlung dargelegt, die in Polen nicht möglich wäre. Die von der Klinik befürchteten Gefahrenlagen sind daher nicht zu erwarten.
Im Übrigen war die Antragstellerin zu 1. nach ihren Angaben bei der Anhörung durch die Antragsgegnerin bei ihrem ersten Aufenthalt in Polen durchaus in der Lage, ihren Ehemann anzurufen und ihm ihren Aufenthaltsort mitzuteilen. Angesichts eines derartigen Verhaltens vermag das Gericht die nunmehr geltend gemachten Befürchtungen um eine Kindesentführung und Bedrohung durch den „langen Arm“ des Ehemannes nicht nachzuvollziehen. Im Übrigen ist es ihr in Polen ebenso wie in Deutschland möglich und zumutbar, sich bei einer konkreten Bedrohung an die Polizei zu wenden.
Das Gericht vermag auch nicht in dem z.T. im April begonnenen Schulbesuch der Kinder außergewöhnliche humanitäre Gründe zu sehen, die eine Verpflichtung der Bundesrepublik zum Selbsteintritt in das Asylverfahren begründen würden. Die geltend gemachten Sprachprobleme dürften für die Antragsteller im Bundesgebiet gleichermaßen wie in Polen auftreten.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1 VwGO, 83 b AsylVfG.