Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Beschl. v. 23.09.2010, Az.: L 12 SB 34/09
Kriegsbeschädigungen von Angehörigen ausländischer Streitkräfte fallen nicht unter die Entschädigungsvorschriften des Bundesversorgungsgesetz (BVG); Anspruch auf Nachteilsausgleich im Schwerbehindertenrecht bei Kriegsbeschädigung außerhalb der beiden Weltkriege
Bibliographie
- Gericht
- LSG Niedersachsen-Bremen
- Datum
- 23.09.2010
- Aktenzeichen
- L 12 SB 34/09
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2010, 43785
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LSGNIHB:2010:0923.L12SB34.09.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- SG Osnabrück - 27.03.2009 - AZ: S 7 SB 428/05
Rechtsgrundlagen
- § 5 BVG
- § 7 BVG
- Art. 3 Abs. 1 GG
- Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG
- § 3 Abs. 1 Nr. 1, 5, 6 SchwbAwV
- § 69 Abs. 4 SGB IX
Redaktioneller Leitsatz
Schädigungen von Angehörigen anderer Streitkräfte aus oder im Zusammenhang mit anderen kriegerischen Auseinandersetzungen fallen weder unter eine Kriegsbeschädigung nach dem BVG noch ist für sie eine Anerkennung gemäߧ 6 BVG oder nach anderen Rechtsnormen ersichtlich (hier für einen britischen Staatsangehörigen, der als Angehöriger der britischen Rheinarmee zur Vorbereitung auf einen möglichen Einsatz im "Golfkrieg" verschiedene Impfungen, u.a. gegen diverse biologische Kampfstoffe erhielt). Darin liegt kein Verstoß gegen Verfassungsrecht oder überstaatliches Recht. [Amtlich veröffentlichte Entscheidung]
Tenor:
Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Osnabrück vom 27.3.2009 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Feststellung der Voraussetzungen für die Merkzeichen aG, RF und "1.Kl." ("außergewöhnlicher Gehbehinderung", "Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht" sowie "Berechtigung zur Benutzung der 1. Wagenklasse mit Fahrausweis für die 2. Klasse").
Der 1970 geborene Kläger ist britischer Staatsangehöriger und war Anfang der 1990er Jahre Angehöriger der britischen Rheinarmee. Zur Vorbereitung auf einen möglichen Einsatz im seinerzeitigen (ersten) "Golfkrieg" erhielt der Kläger dort verschiedene Impfungen, u.a. gegen diverse biologische Kampfstoffe. Zu einer tatsächlichen Kriegsverwendung des Klägers kam es jedoch nicht mehr. Seit Mitte der 1990er Jahre traten beim Kläger u.a. verstärkte Rückenschmerzen und neurologische Ausfallsymptomatiken auf, die in einem Urteil des Pensions Appeal Tribunal in F./Großbritannien vom 19.12.2002 u.a. zur Feststellung einer Osteoporose und einer depressiven Störung als kriegsdienstbedingte Erkrankungen führten.
Bereits im März 1999 hatte der Kläger erstmals bei dem Beklagten - Versorgungsamt G. - die Feststellung einer Behinderung, des Grades der Behinderung (GdB) sowie der Voraussetzungen für das Merkzeichen RF wegen diverser Erkrankungen des Stütz- und Bewegungsapparates, unklarer zentraler und peripherer neurologischer Funktionsstörungen sowie einer chronischen Antrumgastritis beantragt. Mit bestandskräftigem Bescheid vom 2.2.2000 stellte der Beklagte daraufhin einen (Gesamt-)GdB von 50 ab dem 22.3.1999 wegen wiederkehrender Sensibilitäts- und Bewegungsstörungen (Einzel-GdB 40) sowie wegen wiederkehrenden Lendenwirbelsäulensyndroms mit Nervenwurzelreizungen/Osteoporose (Einzel-GdB 30) fest. Das chronische Magenleiden wirke sich nicht erhöhend auf den (Gesamt-)GdB aus. Eine Entscheidung über das beantragte Merkzeichen enthält der Bescheid nicht, wurde vom Kläger aber auch nicht weiter verfolgt.
Auf den Neufeststellungsantrag des Klägers vom Juli 2001 stellte der Beklagte einen (Gesamt-)GdB von 100 ab dem 23.7.2001 wegen psychischer Störungen (Einzel-GdB 80) sowie wiederkehrender Sensibilitäts- und Bewegungsstörungen (Einzel-GdB 40) fest. Weitere Funktionsbeeinträchtigungen bewirkten keine Erhöhung des (Gesamt-)GdB. Auch die Voraussetzungen für die vom Kläger ebenfalls beantragten Merkzeichen G ("erhebliche Gehbehinderung") und (erneut) RF lägen nicht vor (Bescheid v. 27.6.2002/Widerspruchsbescheid v. 7.4.2003). Die vom Kläger zunächst dagegen vor dem Sozialgericht (SG) Osnabrück (S 7 SB 180/03) erhobene Klage nahm er später zurück.
Eine erneute, von Amts wegen eingeleitete Überprüfung im Mai 2004 brachte keine weiteren, für den Kläger günstigeren Feststellungen (bestandskräftiger Bescheid v. 6.8.2004).
Am 8.2.2005 beantragte der Kläger die ergänzende Feststellung der Voraussetzungen für die Merkzeichen aG, RF und "1. Kl.". Zur Begründung stützte er sich vor allem auf ein Urteil des Pensions Appeal Tribunal in H./Großbritannien vom 21.10.2004 sowie eine Bescheinigung der Veterans Agency beim britischen Verteidigungsministerium vom 5.1.2005, wonach ihm ab dem 2.5.2003 in Ergänzung zu einer Kriegsbeschädigtenrente das "War Pension[er]s Mobility Supplement" auf Lebenszeit zugebilligt wurde. Ferner stützte sich der Kläger auf eine Bestätigung des britischen Generalkonsulats I. vom 3.2.2005, wonach er Schwerkriegsbeschädigter sei und unter einer außergewöhnlichen Gehbehinderung leide. Der Beklagte holte daraufhin einen Befundbericht des Neurologen und Psychiaters Dr. J. vom 22.2.2005 sowie des Arztes Dr. K. vom 3.7.2005 ein. Beide Berichte ließ er durch seinen Ärztlichen Dienst (Dr. L.) in Stellungnahmen vom 11.3. bzw. 17.8.2005 auswerten. Mit Bescheid vom 23.8.2005 stellte der Beklagte daraufhin das Vorliegen der Voraussetzungen für die Merkzeichen G und B ("Notwendigkeit ständiger Begleitung") fest, lehnte aber den Antrag auf Feststellung der Merkzeichen aG, RF und "1. Kl." ab. Der Kläger gehöre trotz einer "erheblichen Gehbehinderung" nicht zu dem Personenkreis der "außergewöhnlich Gehbehinderten", da seine Gehfähigkeit nicht auf das Schwerste eingeschränkt sei. Darüber hinaus sei der Kläger behinderungsbedingt auch nicht von der Teilnahme an öffentlichen Veranstaltungen allgemein und umfassend ausgeschlossen. Schließlich komme die Benutzung der 1. Wagenklasse mit Fahrausweisen der 2. Klasse nur für Schwerkriegsbeschädigte und Verfolgte im Sinne des Bundesentschädigungsgesetzes (BEG) mit einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von wenigstens 70 v.H. nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) in Betracht.
Mit seinem hiergegen erhobenen Widerspruch verwies der Kläger erneut auf die vorgelegten Unterlagen der britischen Stellen. Diese Feststellungen seien auch von dem Beklagten zu akzeptieren. Er sei dem Personenkreis der "außergewöhnlich Gehbehinderten" zumindest gleichzustellen. Darüber hinaus sei ihm auch "alleine wegen der psychischen Probleme" die Teilnahme an öffentlichen Veranstaltungen allgemein und umfassend unmöglich. Schließlich enthielten die Bescheinigungen aus Großbritannien auch eine Bestätigung darüber, dass er als Schwerkriegsbeschädigter anzuerkennen und ihm der Anspruch auf Benutzung der 1. Klasse mit Fahrausweisen der 2. Klasse zuzusprechen sei.
Nach erneuter Bewertung durch seinen Ärztlichen Dienst (Dr. M.; Stellungnahme vom 3.10.2005) wies der Beklagte den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 3.11.2005 aus den Gründen des Ausgangsbescheides zurück.
Hiergegen hat der Kläger am 21.11.2005 Klage vor dem SG Osnabrück erhoben und zur Begründung sein Vorbringen aus dem Widerspruchsverfahren bekräftigt. Insbesondere seien die Feststellungen der britischen Stellen auch von dem Beklagten zu akzeptieren. Sie seien jedoch von dem Beklagten weder berücksichtigt noch gewürdigt worden. Alleine hierdurch fühle er sich in seinen Menschenrechten verletzt. Aber auch ungeachtet der "englischen Feststellungen" lägen bei ihm die Voraussetzungen für die Merkzeichen aG, RF und "1. Kl." vor.
Der Beklagte ist der Klage unter Bezug auf seine bisherige Beurteilung entgegengetreten. Der Schwere der beim Kläger bestehenden Funktionsbeeinträchtigungen werde durch die Feststellung des (Gesamt-)GdB von 100 sowie der Voraussetzungen für die Merkzeichen G und B angemessen Rechnung getragen. Der Beklagte hat sich hierzu auf weitere Stellungnahmen seines Ärztlichen Dienstes (Dr. N.) vom 16.3.2007, 9.5.2007, 6.7.2007, 8.1.2008, 15.8.2008 und 27.1.2009 bezogen.
Das SG hat zur weiteren Aufklärung des medizinischen Sachverhalts zunächst Befundberichte von dem Arzt für physikalische und rehabilitative Medizin Dr. O. vom 19.12.2006 sowie von Dr. J. vom 28.12.2006 und von Dr. K. vom 15.2.2007 eingeholt. Auf Antrag des Klägers nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) hat es sodann ein Gutachten von Dr. J. vom 30.11.2007 eingeholt. Darin gelangte der Sachverständige zusammenfassend zu der Beurteilung, dass beim Kläger von einer wechselnd auftretenden, zeitweilig aber "erheblichen" Gehbehinderung auszugehen ist, die im Durchschnitt zwei bis drei Mal täglich auftrete und dem Kläger dann nur ermögliche, "an den Wänden entlanghangelnd und mit Hilfsmitteln sich etwa 50 Meter zu bewegen". Zu anderen Zeiten könne er sich auch ohne Stock, wenn auch mit jeweils längeren Pausen, fortbewegen. Zudem sei der Kläger durch wiederholte Stuhlinkontinenzen und kurzzeitige "Hechelatmungszustände" bei der Teilnahme an öffentlichen Veranstaltungen beeinträchtigt. Es habe sich für ihn eine "massive Bindung an das Haus" entwickelt. Die Beeinträchtigungen träten allerdings intermittierend auf, sodass es auch längere Phasen gebe, in denen sich der Kläger ohne Probleme in Menschenmengen, wie etwa bei englischen Veteranenversammlungen, die jedenfalls zeitweilig vom Kläger besucht würden, bewegen könne. Der Kläger sei auch in erheblichem Maße beeinträchtigt, "unter den Abläufen der 2. Wagenklasse im Zug eine ruhige Sitzposition einzunehmen und länger durchzuhalten", selbst wenn er dies gelegentlich - jedenfalls in "England" - bewältigt habe. In einer ergänzenden Stellungnahme vom 17.6.2008 hat Dr. J. seine Beurteilung unter Bekräftigung des intermittierenden Charakters der beim Kläger auftretenden Störungen bestätigt und abschließend ausgeführt, es sei "aus gutachterlicher Sicht vertretbar", dem Kläger das Merkzeichen "1. Kl." "ggf. nicht zu geben", da er faktisch mit der "deutlich schlechteren Wagenklasse in England in den dortigen Eisenbahnwaggons zurechtgekommen ist". Auch wenn für das Merkzeichen aG "ein aktuell deutlich gestörtes Gangbild zu jedem Zeitpunkt gefordert wird, kann dieses ggf. auch nicht zugeordnet werden". Die Voraussetzungen für das Merkzeichen RF lägen aber "mit Sicherheit" vor, "da diesbezüglich deutliche Unsicherheiten bestehen und reproduzierbar nachgewiesen wurden". Das SG hat im Anschluss daran von Amts wegen eine weitere Begutachtung des Klägers durch den Neurologen und Psychiater Dr. P., Q., veranlasst. Dieser gelangte in seinem Gutachten vom 1.12.2008 zusammenfassend zu der Beurteilung, dass beim Kläger keine außergewöhnliche Gehbehinderung vorliege, da der Kläger ohne Pause auf jeden Fall eine Strecke von 100 Metern auf ebener Erde mit einem Einhandstock sicher zurücklegen könne. Der Kläger sei darüber hinaus auch nicht in einem Maße behindert, dass er an öffentlichen Veranstaltungen jeglicher Art ständig nicht teilnehmen könne. Es sei lediglich darauf zu achten, dass ihm eine Sitzgelegenheit zur Verfügung stehe.
Der Beurteilung durch den Sachverständigen Dr. P. ist der Kläger in seinem weiteren Klagevorbringen entgegengetreten. Entgegen der Auffassung des Sachverständigen handele es sich bei seinen Beschwerden nicht teilweise um "somatoforme (eingebildete) Störungen", sondern um organisch nachweisbare Beschwerden. Dies bestätigten auch die Ausführungen des Sachverständigen Dr. P. selbst, da Anhaltspunkte für Simulation, Dissimulation oder Aggravation nicht festgestellt werden konnten. Zudem leide er unter einer Heuschnupfen- und Hausstauballergie. Auch die Angaben zu der bei ihm von Dr. P. festgestellten Gehstrecke träfen nicht zu. Die genannte Wegstrecke habe er nur mit einer Pause und aufgrund vorheriger Einnahme starker Schmerzmittel bewältigen können. Er sei nicht darauf hingewiesen worden, ohne Einnahme von Medikamenten zum Untersuchungstermin zu erscheinen. Normalerweise sei ihm die Bewältigung einer Strecke von 100 Metern nicht möglich. Der Sachverständige habe darüber hinaus keine Ausführungen zu der bei ihm bestehenden Osteoporose und dem vor allem in den Feststellungen der britischen Stellen dokumentierten "Golfkriegssyndrom" gemacht; mit den "Ergebnissen in England" habe sich der Gutachter nicht auseinandergesetzt. Auch die Fähigkeit, öffentliche Veranstaltungen zu besuchen, sei vom Sachverständigen nicht angemessen beurteilt worden: Die Empfehlung, an öffentlichen Veranstaltungen nur sitzend und auf ggf. gepolsterten Sitzkissen teilzunehmen, sei praktisch so gut wie nicht durchführbar und für ihn mit psychischen Belastungen verbunden. Abschließend hat der Kläger noch einmal darauf hingewiesen, dass er "in Großbritannien grundsätzlich einen Ausweis erhalten würde, der ihm die entsprechenden Merkmale zugesteht". Sie seien daher auch in Deutschland festzustellen.
Das SG hat die Klage mit Urteil vom 27.3.2009 abgewiesen. Die Klage sei "eindeutig unbegründet", wie sich aus den Ergebnissen der gerichtlichen Beweiserhebungen ergebe. Auch aus dem Gutachten von Dr. J. nebst ergänzender Stellungnahme ergäben sich im Ergebnis keine Anhaltspunkte für eine auf das Schwerste ausgeprägte (dauerhafte) Einschränkung des Gehvermögens (Merkzeichen aG) oder einen permanenten, allgemeinen und umfassenden Ausschluss von öffentlichen Veranstaltungen (Merkzeichen RF). Gleichermaßen rechtfertigten die Aspekte einer eventuellen Geruchsbelästigung infolge von Inkontinenzproblemen sowie eventuelle Geräuschbelästigungen infolge von Atembeschwerden keine andere Beurteilung: Vielmehr sei der Allgemeinheit im Interesse der Integration behinderter Menschen gerade ein hohes Maß an Toleranz abzuverlangen, dem nicht durch die Vergabe von Nachteilsausgleichen entgegengewirkt werden dürfe. Auf das Merkzeichen "1. Kl." habe der Kläger ebenfalls keinen Anspruch; der Kläger gehöre bereits ohne Berücksichtigung seiner gesundheitlichen Verhältnisse nicht zu dem berechtigten Personenkreis, da er ausschließlich Schwerkriegsbeschädigte der beiden Weltkriege umfasse. Eine extensive Auslegung des insoweit berechtigten Personenkreises sei bewusst nicht gewollt. Erst recht scheide "unter Heranziehung supranationaler Erwägungen" eine extensive Handhabung des Nachteilsausgleichs "1.Kl." auf geschädigte Angehörige "ausländischer Wehrmächte und Armeen" aus.
Gegen dieses ihm am 11.5.2009 zugestellte Urteil hat der Kläger am 5.6.2009 Berufung beim Landessozialgericht (LSG) eingelegt und zunächst erneut seine von den britischen Stellen festgestellten Gesundheitsstörungen dargestellt. Zudem hat er erneut darauf hingewiesen, dass "die dortige Behörde in England" ihm "das dort in etwa dem Merkzeichen aG in Deutschland gleichzustellende Merkzeichen" zuerkannt habe. Die Feststellung der Voraussetzungen für dieses Merkzeichen auch in Deutschland seien daher im Wege der Gleichbehandlung geboten: Die Beklagte habe "ihre entsprechenden Entscheidungen auf europäisches Recht auszuweiten und daher die in England gefällte Entscheidung zu akzeptieren und entsprechend umzusetzen". Die Kenntnisse des sogenannten "Golfkriegssyndroms" seien in "England" auch wesentlich umfangreicher. Es könne nicht sein, dass für "einen Europäer", der in der Bundesrepublik lebe, zwei unterschiedliche Maßstäbe gelten würden. Ferner könne "wohl nicht bestritten werden, dass aufgrund der EU-Verordnungen klar ist, dass eine Vereinheitlichung auf allen Rechtsgebieten erfolgen soll". Im Übrigen hat der Kläger erneut gegen das Gutachten von Dr. P. gewandt: Bereits Dr. J. habe festgestellt, dass nicht lediglich somatoforme Schmerzstörungen bei ihm vorlägen. Darüber hinaus habe er auch kein chronisches Augenleiden.
Der Kläger beantragt nach dem schriftsätzlichen Vortrag seines Prozessbevollmächtigten sinngemäß,
das Urteil des Sozialgerichts Osnabrück vom 27.3.2009 sowie den Bescheid des Beklagten vom 23.8.2005 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 3.11.2005 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, das Vorliegen der gesundheitlichen Voraussetzungen für die Merkzeichen aG, RF und "1. Kl." festzustellen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält die angefochtenen Entscheidungen für zutreffend. Ein Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz liege nicht vor: Aus Artikel 3 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) folge nicht, dass inländische Behörden an die auf jeweils anderer Rechtsgrundlage ergehenden Entscheidungen ausländischer Behörden gebunden seien. Ein gesamteuropäisches Schwerbehindertenrecht, das ein europäisches Land verpflichten würde, die Entscheidungen von Behörden anderer europäischer Länder umzusetzen, existiere nicht. Auch aus § 69 Abs. 2 Sozialgesetzbuch Neuntes Buch (SGB IX) ergebe sich nichts anderes, da diese Bestimmung nur für den Geltungsbereich des SGB IX gelte.
Mit Verfügung vom 19.5.2010 sind die Beteiligten auf die Absicht des Senats hingewiesen worden, über den Rechtsstreit gemäß § 153 Abs. 4 SGG ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss zu entscheiden.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des übrigen Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Prozessakte und der Verwaltungsakte des Beklagten Bezug genommen, die der Entscheidungsfindung des Senats zugrunde gelegen haben.
Entscheidungsgründe
Der Senat konnte über den Rechtsstreit gem. § 153 Abs. 4 SGG ohne mündliche Verhandlung und ohne Hinzuziehung der ehrenamtlichen Richter durch Beschluss entscheiden, weil er die Berufung einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Die Beteiligten sind hierzu vorher gehört worden und hatten Gelegenheit zur Stellungnahme.
Die zulässige Berufung ist nicht begründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf die Feststellung der von ihm begehrten Merkzeichen aG, RF und "1. Kl.". Das Urteil des SG und die angefochtenen Bescheide der Beklagten sind nicht zu beanstanden.
Der Beklagte und das SG haben in den angefochtenen Entscheidungen bereits die für die Beurteilung des klägerischen Begehrens anzuwendenden rechtlichen Maßstäbe eingehend und zutreffend dargestellt. Sie sind ferner ohne erkennbare Rechtsfehler zu der Bewertung gelangt, dass die Voraussetzungen der vom Kläger begehrten Feststellungen nicht vorliegen. Der Senat macht sich die Ausführungen in den angefochtenen Entscheidungen daher zunächst zu eigen und sieht zur Vermeidung unnötiger Wiederholungen insoweit von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab (§ 136 Abs. 3, § 153 Abs. 1, 2 SGG).
Das Vorbringen des Klägers und die Prüfung der Sach- und Rechtslage im Berufungsverfahren führen zu keiner anderen Beurteilung:
I. Für die Auslegung der gesundheitlichen Voraussetzungen der Merkzeichen RF und "1. Kl." kann zwar nicht mehr direkt auf die in den Nrn. 33, 34 der (früheren) "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht (Teil 2 SGB VII)" (AHP; zuletzt hrsgg. 2008 vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales) niedergelegten Kriterien abgestellt werden (vgl. zu Rechtscharakter und Bindungswirkung der (früheren) AHP die ständige Rechtsprechung, u.a. Bundessozialgericht (BSG) SozR 4-3250 § 69 Nr. 9 m.zahlr.w.N.). Die AHP sind vielmehr mit Wirkung ab dem 1.1.2009 durch die als Anlage zu § 2 der Versorgungsmedizin-Verordnung vom 10.12.2008 (BGBl. I, 2412) ergangenen "Versorgungsmedizinischen Grundsätze" (VMG) ersetzt worden, ohne dass sie den früheren Nrn. 33, 34 AHP entsprechende Festlegungen enthalten würden. Der Senat wendet jedoch die bisherigen Grundsätze bei seiner Beurteilung der Merkzeichen "RF" und "1. Kl." weiterhin an, weil nur dies einen gleichmäßigen Maßstab im gesamten Bundesgebiet gewährleistet (vgl. ebenso aus jüngerer Vergangenheit LSG Berlin-Brandenburg v. 30.4.2009 - L 11 SB 348/08). Danach rechtfertigen die beim Kläger bestehenden gesundheitlichen Beeinträchtigungen die Feststellung der streitigen Merkzeichen nicht. Der Senat stützt sich hierzu ebenfalls auf die Ergebnisse der bereits vom SG veranlassten umfangreichen medizinischen Sachverhaltsaufklärung und schließt sich deren Beurteilungen durch den Ärztlichen Dienst der Beklagten (Dr. N.), insbesondere in den Stellungnahmen vom 9.5.2007, 6.7.2007, 8.1.2008 und 15.8.2008, an. Eine Relevanz der vom Kläger ergänzend geltend gemachten Heuschnupfen- und Hausstauballergie für die hier in Rede stehenden Merkzeichen vermag der Senat nicht zu erkennen. Auch die noch im Klageverfahren vom Kläger vorgebrachte Kritik an den Feststellungen des Sachverständigen Dr. P. führt zu keiner anderen Bewertung. Soweit der Kläger darin rügt, Dr. P. habe ihm in seinem Gutachten vom 1.12.2008 unterstellt, dass "somatoforme (eingebildete) Störungen" vorliegen, geht der Kläger zunächst augenscheinlich von einem fehlerhaften Begriff "somatoformer Störungen" aus (vgl. Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch, 262. Aufl., 2010, Stichwort: Somatisierungsstörung). Ferner hat auch sein behandelnder Neurologe und Psychiater Dr. J. bereits im Befundbericht an das SG vom 28.12.2006 v.a. auf ein chronisches Schmerzsyndrom mit gestörter Beschwerdeverarbeitung sowie "nicht sicher abklärbare sensible Störungen" hingewiesen. Darüber hinaus hat Dr. P. die weiteren, nach Aktenlage dokumentierten "somatischen" Beschwerden in keiner Form in Frage gestellt. Im Übrigen hat der Kläger bereits im Schriftsatz seines Prozessbevollmächtigten vom 14.7.2007 an das SG selbst eingeräumt, dass nach der im Schwerbehindertenrecht maßgeblichen finalen Betrachtungsweise ausschließlich das Ausmaß der bestehenden Funktionsbeeinträchtigungen, nicht aber deren Ursachen entscheidend sind. Die weiteren Kritikpunkte des Klägers an einzelnen Feststellungen im Gutachten von Dr. P. und der übrigen Beweiserhebung des SG überzeugen den Senat aus den nachfolgend genannten Gründen ebenfalls nicht.
Hinsichtlich des Merkzeichens aG ist der Kläger darauf zu verweisen, dass auch Dr. J. - jedenfalls - in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 17.6.2008 zum Gutachten vom 30.11.2007 sowie die weiteren, den Kläger behandelnden Ärzte übereinstimmend zu der Beurteilung gelangen, dass die Voraussetzungen für die Annahme einer "außergewöhnlichen Gehbehinderung" nach Nr. 31 AHP bzw. Ziff. D.3 VMG nicht vorliegen. Dr. O. hat im Befundbericht vom 19.12.2006 angegeben, der Kläger sei gehfähig, ohne dass eine Gehbehinderung vorliege. Er könne sich normal ohne Hilfsmittel fortbewegen. Auch nach dem Bericht von Dr. K. vom 15.2.2007 kann der Kläger eine Gehstrecke zwischen 50 Metern und "einigen hundert Metern" ohne Hilfsmittel bewältigen. Dr. J. hat in seinem Befundbericht vom 28.12.2006 bereits ebenfalls darauf hingewiesen, dass die Gehfähigkeit des Klägers wechselnd ausgeprägt sei und nur in extremen Zeiten auf "20 bis 50 Meter" beschränkt sei. Vor diesem Hintergrund kann von einer "außergewöhnlichen Gehbehinderung", die über das durch die Feststellung der Voraussetzungen für das Merkzeichen G bereits gewürdigte Ausmaß hinausgeht, nicht ausgegangen werden. Die Voraussetzungen für das Merkzeichen RF liegen ebenfalls nicht vor. Eine dieses Merkzeichen rechtfertigende Unmöglichkeit, an öffentlichen Veranstaltungen jedweder Art und allgemein teilzunehmen, kann nach der ständigen Rechtsprechung des BSG (vgl. u.a. bereits BSG SozR3870 § 3 Nr. 25 sowie Urt. d. Senats v. 11.6.2009 - L 12 SB 48/08) nur dann bejaht werden, wenn der behinderte Mensch in einem derartigen Maße eingeschränkt ist, dass er praktisch von der Teilnahme am öffentlichen Gemeinschaftsleben ausgeschlossen und behinderungsbedingt an das Haus gebunden ist. Mit dieser sehr engen Auslegung soll gewährleistet werden, dass der aus Sicht des BSG ohnehin problematische Nachteilsausgleich RF nur den Personengruppen zugute kommt, die den gesetzlich in § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 des Rundfunkgebühren-Staatsvertrages ausdrücklich genannten Schwerbehinderten (Blinden und Hörgeschädigten) und den aus wirtschaftlicher Bedrängnis sozial Benachteiligten vergleichbar sind (s.a. zuletzt LSG Nordrhein-Westfalen vom 21.4.2010 - L 10 SB 22/09 m.w.N.). Dies ist beim Kläger nicht der Fall. Sowohl nach der Beurteilung des Sachverständigen Dr. P. als auch nach den Beurteilungen von Dr. O. im Bericht vom 19.12.2006 und von Dr. K. im Bericht vom 15.2.2007 ist der Kläger in der Lage ist, öffentliche Veranstaltungen zu besuchen. Soweit Dr. J. in seinen nach § 109 SGG erstatteten Beurteilungen zu einem anderen Ergebnis gelangt, vermag dies den Senat nicht vom Gegenteil zu überzeugen. Dr. J. hat noch in seinem Befundbericht an das SG vom 28.12.2006 selbst ausgeführt, dass der Kläger an öffentlichen Veranstaltungen teilnehmen könne, soweit die Wegstrecke für ihn kurz ist, die er nach Verlassen des PKW zurückzulegen hat. Soweit sich nach dem gleichen Bericht Einschränkungen auf die Steh- und Sitzdauer bei öffentlichen Veranstaltungen aus der Schmerzsymptomatik beim Kläger ergeben, beschränkt sich dies nach den Angaben desselben Arztes im Gutachten vom 30.11.2007 auf einzelne Phasen und lässt keinen grundsätzlichen und allgemeinen Ausschluss von Veranstaltungen jedweder Art erkennen. Auch nach seiner eigenen Darstellung im Schreiben seines Prozessbevollmächtigten vom 7.1.2009 war es dem Kläger anlässlich der Untersuchung bei Dr. P. möglich, der Untersuchung im Umfang von ca. 1,5 Stunden auf dem Stuhl sitzend zu folgen und lediglich dreimal zwischendurch aufzustehen, um seine Beine zu strecken. Demnach ist nicht erkennbar, dass der Kläger nicht in gleichem Maße an öffentlichen Veranstaltungen teilnehmen könnte. Soweit Geruchsbelästigungen durch die zeitweise bestehende Inkontinenzproblematik oder Geräuschbelästigungen durch zeitweise "Hechelatemanfälle" in Rede stehen, hat bereits Dr. J. darauf hingewiesen, dass diese nicht regelhaft seien. Im Übrigen hat Dr. P. zu Recht darauf hingewiesen, dass sich der Kläger insoweit ggf. mit entsprechenden Einlagen behelfen könne (zur Zumutbarkeit vgl. u.a. LSG Mecklenburg-Vorpommern v. 3.12.1998 - L 3 Vs 40/07).
Die Voraussetzungen des Merkzeichens "1. Kl." haben die Beklagte und das SG ebenfalls zu Recht verneint. Die nach § 3 Abs. 1 Nr. 6 der gem. § 70 SGB IX ergangenen Schwerbehindertenausweis-Verordnung maßgeblichen Tarifbestimmungen sehen vor, dass lediglich Schwerkriegsbeschädigte - bei Vorliegen weiterer Voraussetzungen - u.a. die 1. Wagenklasse mit Fahrscheinen der 2. Wagenklasse benutzen dürfen (vgl. u.a. die Beförderungsbedingungen für besondere Personengruppen - Tfv 600/D - der Deutschen Bahn AG v. 13.12.2009, dort Nr. 2.4). Kriegsbeschädigter ist jedoch nach § 1 Abs. 1, §§ 2-5 BVG - jedenfalls - nur, wer durch Einwirkungen eines der beiden Weltkriege geschädigt wurde. Schädigungen von Angehörigen anderer Streitkräfte aus oder im Zusammenhang mit anderen kriegerischen Auseinandersetzungen fallen weder hierunter noch ist für sie eine Anerkennung gem. § 6 BVG oder nach anderen Rechtsnormen ersichtlich.
II. Der Kläger kann seinen Anspruch auf Feststellung der Voraussetzungen für die streitigen Merkzeichen schließlich auch nicht auf höherrangiges Recht stützen.
Für einen Verstoß der vorgenannten Regelungen oder ihrer Auslegung und Anwendung durch den Beklagten gegen das Verbot der Benachteiligung Behinderter (Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG) oder gegen den allgemeinen Gleichheitsgrundsatz (Art. 3 Abs. 1 GG) ist nichts erkennbar. Es ist nicht ersichtlich, dass der Kläger wegen seiner Behinderung gegenüber anderen behinderten Menschen oder gegenüber nicht behinderten Menschen benachteiligt würde oder in sonstiger Weise gegenüber einer Personengruppe mit den gleichen Voraussetzungen ohne sachliche Gründe ungleich behandelt würde. Der Kläger hat hierzu auch nichts Konkretes vorgebracht.
Auch überstaatliches Recht begründet die Ansprüche des Klägers nicht. Zu seiner Behauptung, die Versagung der beantragten Merkzeichen trotz der Feststellungen britischer Stellen verstoße gegen "EU-Verordnungen", vermochte der Prozessbevollmächtigte des Klägers auf ausdrückliche Nachfrage des Senats ebenfalls nichts Konkretes darzulegen. Es sind allerdings auch keine Bestimmungen des primären oder sekundären Gemeinschaftsrechts ersichtlich, die - ungeachtet der Vorgaben des nationalen Rechts der Bundesrepublik Deutschland - eine Feststellung der Voraussetzungen für die begehrten Merkzeichen allein aufgrund der in Großbritannien getroffenen Feststellungen gebieten würden. Insbesondere ergeben sich die Ansprüche des Klägers nicht aus der (früheren) VO (EWG) Nr. 1408/71 vom 14.6.1971 bzw. der Durchführungs-VO (EWG) Nr. 574/72 vom 21.3.1972 oder der seit dem 1.5.2010 an ihre Stelle getretenen VO (EG) Nr. 883/2004 vom 29.4.2004. Die Europäische Sozialcharta (ESC) vom 18.10.1961 (BGBl. 1964 II, 1262) und das Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen (UN-BehRÜbk) vom 13.12.2006 (BGBl. 2008 II, 1419) enthalten ebenfalls keine für den Kläger günstigeren Bestimmungen; ihre jeweiligen Vorschriften können im Übrigen vom Kläger auch nicht unmittelbar gerichtlich geltend gemacht werden (vgl. ESC, Anhang Teil III, dazu BSG SozR 3-6935 Allg Nr. 1, bzw. Art. 33 UN-BehRÜbk). Weitere einschlägige Bestimmungen des überstaatlichen Rechts sind nicht ersichtlich.
Der Senat hatte vor diesem Hintergrund auch keinen Anlass, das Verfahren auszusetzen und zunächst eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (Art. 100 Abs.1 GG) oder des Europäischen Gerichtshofs (Art. 267 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union - AEUV) einzuholen.
Demnach musste die Berufung erfolglos bleiben.
Die Kostenentscheidung beruht auf den Vorschriften der §§ 183, 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor, § 160 Abs. 2 SGG.