Verwaltungsgericht Stade
Urt. v. 27.09.2006, Az.: 1 A 2837/05
Bestehen einer nachbarrechtlichen Verpflichtung zur Errichtung von Kfz-Stellplätzen; Verstoß gegen die bauordnungsrechtliche Stellplatzpflicht; Gebot der Schaffung notwendiger Stellplätze als öffentliches Interesse an der Freihaltung deröffentlichen Verkehrsfläche; Beeinträchtigung des baurechtlichen Rücksichtnahmegebots; Anspruch auf Einschreiten der Bauaufsichtsbehörde; Einschreiten gegen den für den baurechtswidrigen Zustand Verantwortlichen im Ermessen der Bauaufsichtsbehörde
Bibliographie
- Gericht
- VG Stade
- Datum
- 27.09.2006
- Aktenzeichen
- 1 A 2837/05
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2006, 24501
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:VGSTADE:2006:0927.1A2837.05.0A
Rechtsgrundlagen
- § 47 Abs. 2 NBauO
- § 89 NBauO
- § 15 Abs. 1 S. 2 BauNVO
- Art. 3 GG
Verfahrensgegenstand
Anfechtung eines Duldungsbescheides oder Antrag auf bauaufsichtliches Einschreiten (Nachbarklage)
Redaktioneller Leitsatz
Der Eigentümer eines häufig von parkenden Autos versperrten Grundstücks kann sich mangels persönlicher Betroffenheit nicht mit Erfolg gegen die Duldungsverfügung seines Nachbarn wehren, wonach dieser keinen Kfz-Einstellplatz mehr einzurichten hat.
Fehlende Einstellplätze können nur dann einen Verstoß gegen das baurechtliche Gebot der Rücksichtnahme indizieren, wenn dadurch unzumutbare Belastungen entstehen.
In dem Rechtsstreitverfahren
hat das Verwaltungsgericht Stade - 1. Kammer -
auf die mündliche Verhandlung vom 27. September 2006
durch
den Präsidenten des Verwaltungsgerichts Schmidt als Einzelrichter
für Recht erkannt:
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens; insoweit ist das Urteil vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
Die Klägerin wehrt sich gegen einen den Beigeladenen zu 2. erteilten Duldungsbescheid der Beklagten, wonach diese auf ihrem Grundstück einen Kfz-Einstellplatz vorläufig nicht herrichten müssen.
Dem früheren Eigentümer des Grundstückes mit der postalischen Anschrift H. 3, das nunmehr den Beigeladenen zu 2. gehört, wurde auf dessen Antrag vom 20. Oktober 1964 am 30. März 1965 eine Baugenehmigung zur Errichtung eines Einfamilienhauses erteilt. Die Errichtung eines Stellplatzes war zwar nicht in dem Antrag enthalten, in dem Bauschein heißt es jedoch, dass spätestens bis zur Gebrauchsabnahme auf dem Baugrundstück ein jederzeit befahrbarer Kfz-Einstellplatz einzurichten ist. Dieser wurde in den Antragsunterlagen darüber hinaus in grün auf dem Grundstück vor dem Haus eingetragen. Die Gebrauchsabnahme auf dem Grundstück der Beigeladenen zu 2. hat am 26. November 1965 stattgefunden. Ausweislich des Gebrauchsabnahmescheines vom 30. November 1965 sind keine sichtbaren Abweichungen vom Bauschein bzw. von den bauaufsichtlichen Bestimmungen festgestellt worden.
Die Beigeladene zu 2. haben das Grundstück im Jahre 2005 erworben. Die Übergabe fand am 31. Mai 2005 statt. Ein PKW-Einstellplatz war zu diesem Zeitpunkt auf dem Grundstück nicht vorhanden. Das Grundstück schließt zum Gehweg hin mit einer geschlossenen Hecke und einer darin befindlichen etwa einen Meter breiten Pforte ab. Absenkungen des Gehweges, die befahrbar wären, sind nicht vorhanden. Bei dem Ausbau der Straße haben darüber auch keine Erörterungen stattgefunden.
Die Klägerin hat gemeinsam mit ihrer Mutter am 8. März 1965 einen Bauantrag zur Bebauung des Nachbargrundstückes mit der postalischen Anschrift H. 5 bei der Beklagten eingereicht. Im Untergeschoss des Hauses befindet sich eine Garage, die von der Straße aus befahrbar ist. In den Bauunterlagen und dem Antrag wird darüber hinaus ein Stellplatz, der sich direkt vor der Garageneinfahrt befindet, ausgewiesen. Der Bauschein wurde am 24. Juni 1965 erteilt, der Gebrauchsabnahmeschein am 30. November 1967. Darin waren noch Veränderungen an der Garageneinfahrt und der Garage gefordert worden.
Am 18. Oktober 1995 beantragte die Klägerin die Genehmigung zum Anbau einer Arztpraxis mit einem Wohnappartement auf dem hinteren Teil dieses Grundstücks. Dabei beantragte sie zugleich ihr eine Befreiung wegen notwendiger Einstellplätze zu gewähren. Auf dem Grundstück sollte nach dem Antrag ein weiterer Stellplatz geschaffen werden, bezüglich der weiteren wurde jedoch die Befreiung beantragt. Bei der geplanten Arztpraxis handele es sich nicht um eine Praxis der Allgemeinmedizin oder einer stark frequentierten Facharztpraxis, sondern um eine kleine Praxis mit therapeutischem Angebot. Patienten kämen nur auf Bestellung, so dass ein kurzzeitiges Parken der Patientenbesucher auf der relativ breiten Anliegerstraße möglich sei. Das Wohnappartement im Dachgeschoss werde von der Klägerin selbst genutzt, die jedoch nur zeitweise anwesend sei und darüber hinaus ein Auto nicht besitze und auch nicht fahren werde.
Durch Bescheid vom 4. Dezember 1995 lehnte die Beklagte die Befreiung von der Verpflichtung zur Schaffung der notwendigen Einstellplätze ab. Je Wohnung seien 1 bis 1,5 Einstellplätze, je Arztpraxis mindestens drei Einstellplätze zu schaffen. Für die zwei vorhandenen Wohnungen und die Arztpraxis seien daher zusammen fünf Einstellplätze erforderlich. Die Klägerin könne jedoch zwei Plätze durch Zahlung eines Geldbetrages ablösen. Für jeden Stellplatz sei dann 5.500,00 DM zu zahlen. Durch weiteren Bescheid vom 15. Dezember 1995 wurde die Klägerin zur Zahlung von 11.000,00 DM für zwei nicht erstellte, notwendige Einstellplätze herangezogen. Dieser Betrag wurde von ihr auch tatsächlich bezahlt. Wegen eines Stellplatzes wurde die Klägerin in der Folgezeit von der Errichtung befreit. Ein weiterer Stellplatz neben der Garageneinfahrt sollte - wie in dem Bauantrag der Klägerin vorgesehen - neben der Garagenzufahrt errichtet werden.
In der Folgezeit wandte sich die Klägerin mit mehreren Schreiben an die Beklagte, weil ihre Einfahrt häufiger von fremden Autos zugestellt würde. Dabei bemängelte sie insbesondere, dass die Beigeladenen zu 2. weder eine Garage noch einen Einstellplatz errichtet hätten. Einen derartigen Einstellplatz habe es auch nie gegeben. Bereits ihre Mutter habe sich seinerzeit darüber beschwert, dass der Vorbesitzer des Nachbargrundstückes seine Verpflichtung zur Errichtung eines Einstellplatzes trickreich umgangen habe. Die jetzigen Besitzer hätten zwei eigene Autos. Darüber hinaus stünden zeitweise fünf Autos an der Straße, so dass die Nutzung ihrer Einfahrt häufig nicht möglich sei und der Zugang zu ihrer Praxis versperrt werde. Sie selbst sei verpflichtet worden, einen weiteren Stellplatz für ihre Praxis zu errichten und habe zwei weitere abgelöst, so dass auch von den Nachbarn zu fordern sei, dass diese wenigstens einen Stellplatz errichten.
Die Beigeladenen zu 2. erklären durch Schreiben vom 1. November 2005, dass sie zwar einen Einstellplatz schaffen würden, wenn dazu eine rechtliche Verpflichtung besteht. Tatsächlich stehe jedoch nicht fest, ob die Voreigentümer, die ebenfalls über ein Auto verfügt hatten, diese Auflage nicht durch Zahlung eines Betrages abgelöst haben. Die Beklagte habe weder bei der Rohbau- noch bei der Gebrauchsabnahme das Fehlen des Einstellplatzes bemängelt, obwohl ein solcher nicht existiert hätte. Auch beim anschließenden Bau des Bürgersteiges hätte Anlass bestanden, auf die Auflage zurückzukommen. Tatsächlich sei der Bürgersteig vor dem Grundstück an keiner Stelle abgesenkt worden. Die Stadt habe das Fehlen des Stellplatzes 40 Jahre lang geduldet, so dass hier ein Vertrauenstatbestand geschaffen worden sei. Sie hätten jedenfalls das Grundstück im Wesentlichen auch wegen der Gestaltung des Gartens erworben, den ihre beiden kleinen Kinder intensiv nutzen können.
Mit auch der Klägerin bekannt gegebenen Bescheid vom 22. November 2005 erklärte die Beklagte unter dem Vorbehalt des jederzeitigen Widerrufs die Duldung, dass der fehlende Einstellplatz solange nicht hergerichtet werden muss, wie sich die Verkehrssituation nicht verschlechtere. Die Parksituation sei durch die Fachgruppe Sicherheit und Ordnung überprüft worden. Parkraum regelnde Maßnahmen seien in der Straße, in der überwiegend Anliegerverkehr herrsche, nicht erforderlich. Der nicht hergestellte Einstellplatz beeinträchtige die Parksituation nicht.
Am gleichen Tag erging eine Duldungsverfügung auch an die Klägerin. Insgesamt seien bei ihr wegen des Vorhandenseins der Arztpraxis und zweier Wohnungen fünf Kfz-Einstellplätze erforderlich. Ein Garagenplatz sei bereits vorhanden, zwei Stellplätze seien gegen Zahlung von 11.000,00 DM abgelöst worden. Für einen Stellplatz sei eine Befreiung erteilt worden. Es werde geduldet, dass der eine noch fehlende Einstellplatz ebenfalls nicht hergerichtet werde, bis sich die Verkehrslage in der Straße ändern würde.
Mit Schreiben vom 29. November 2005 legte die Klägerin Widerspruch gegen den Beigeladenen zu 2. erteilten Duldungsbescheid ein. Es stelle sich hier die Frage der Gleichbehandlung. Trotz der bestehenden baurechtlichen Verpflichtung zur Erstellung eines PKW-Einstellplatzes sei eine Aufforderung gegenüber den Nachbarn offenbar bewusst vermieden worden. Sie sei bereit, direkt zu dem Praxiseingang einen Stellplatz einzurichten. Voraussetzung sei allerdings die Herstellung einer Parkstellfläche auf dem Nachbargrundstück.
Mit Widerspruchsbescheid vom 1. März 2006 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Die Voraussetzungen für eine Duldung lagen vor. Der tatsächlich nach der Baugenehmigung vom 30. März 1965 erforderliche Kfz-Einstellplatz sei tatsächlich nicht vorhanden. EineÜberprüfung der Verkehrssituation in der betroffenen Straße habe jedoch ergeben, dass der Stellplatz aus Gründen der Verkehrssicherheit nicht erforderlich sei. Die Straße befinde sich innerhalb einer Tempo-30-Zone. Es herrsche überwiegend Anliegerverkehr. Wegen der Straßenbreite bestünden auch keine gesetzlichen Parkverbote. Parkraum regelnde Maßnahmen seien nicht erforderlich, weil Parkvorgänge dort in der Regel nur von Anliegern durchgeführt würden. Die Bauaufsichtsbehörde könne nach pflichtgemäßem Ermessen erforderliche Maßnahmen anordnen, sie müsse dies aber nicht. Nach der Einschätzung der Parksituation sei es zurzeit nicht erforderlich, auf den Grundstücken der Beigeladenen zu 2. und der Klägerin alle nach den Vorschriften eigentlich erforderlichen Parkplätze herzustellen. Soweit es im Einzelnen zu ordnungswidrigem Verhalten anderer Verkehrsteilnehmer komme, sei dies mit Mitteln des Baurechts nicht zu lösen.
Bereits am 20. Dezember 2005 hat die Klägerin Klage erhoben. Sie vertieft ihr Vorbringen aus dem Vorverfahren und meint insbesondere, dass die Beklagte bei dem Nachbarn nicht den gleichen Maßstab anlege wie bei ihr. Zwischenzeitlich habe sie zudem nach Genehmigung durch die Beklagte begonnen, bei ihrem Grundstückszugang einen Stellplatz zu errichten.
Die Klägerin beantragt,
den gegenüber den Beigeladenen zu 2. ergangenen Duldungsbescheid der Beklagten vom 22. November 2005 sowie den Widerspruchsbescheid vom 1. März 2006 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Durch die ergangene Duldungsverfügung werde die Klägerin nicht beeinträchtigt. Die Duldungsverfügung sei imÜbrigen ermessensgerecht und sie verletze auch nicht den Gleichheitsgrundsatz, denn auch der Klägerin gegenüber sei eine Duldungsverfügung ergangen, wonach sie einen Stellplatz derzeit nicht errichten brauche.
Die Beigeladenen zu 2. führen aus, dass die Klägerin durch ihre Kraftfahrzeuge nicht behindert werde. Der eine PKW stehe regelmäßig von 9.00 bis 19.00 Uhr in der Garage des Landgerichtes. Die Praxis der Klägerin sei im Übrigen so klein, dass nur höchst selten Fahrzeuge von Patientinnen und Patienten dort hielten. Eine Behinderung einer dieser seltenen Gäste durch Fahrzeuge der Beigeladenen zu 2. hätte nicht stattgefunden. Der gesamte Verkehr in der Straße bestehe aus Anliegerverkehr und der vorhandene Parkraum reiche ohne Weiteres aus. Die gesamte Nachbarschaft vermeide es zudem, vor dem Haus der Klägerin zu parken, weil deren Einstellung bekannt sei.
Der Beigeladene zu 1. hat sich zum Verfahren nicht geäußert.
Wegen des weiteren Vortrags der Beteiligten wird auf deren Schriftsätze, wegen des Sachverhalts im Übrigen wird auf die Gerichtsakten sowie die beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die gegen die den Beigeladenen zu 2. erteilte Duldungsverfügung gerichtete Klage hat keinen Erfolg.
Fraglich erscheint bereits, inwieweit die Klägerin von der den Nachbarn erteilten Duldungsverfügung persönlich betroffen sein kann. Grundsätzlich steht der Klägerin ein Klagerecht nur insoweit zu, als sie geltend machen kann, in ihren eigenen Rechten betroffen zu sein (vergleiche § 42 Absatz 2 VwGO). Nach der Verwaltungsgerichtsordnung sind Klagen regelmäßig nur dann zulässig, wenn der Kläger geltend machen kann, in eigenen Rechten individuell betroffen zu sein. Diese Betroffenheit kann die Klägerin nicht allein daraus herleiten, dass die den Beigeladenen zu 2. gegenüber ausgesprochene Duldung möglicherweise objektiv rechtswidrig ist, weil sie in der Tat in Widerspruch zu der deren Rechtsvorgänger erteilten, ihnen gegenüber wirksamen Baugenehmigung steht. Der Klägerin steht es aber nicht zu, die Rechtmäßigkeit der Verwaltungstätigkeit der Beklagten allgemein überprüfen zu lassen, vielmehr sind ihre Rechte darauf beschränkt, die Verletzung ihrer eigenen, individuellen Rechte feststellen zu lassen.
Ein derartiges Klagerecht kann die Klägerin nicht daraus herleiten, dass sie, beziehungsweise ihre Mutter möglicherweise seit 40 Jahren einen für sie erkennbar rechtswidrigen Zustand widerwillig geduldet haben, weil sie bereits zurzeit der Gebrauchsabnahme des nachbarlichen Wohnhauses erkannt haben, dass dabei (möglicherweise bewusst) das Fehlen des Einstellplatzes übersehen wurde. Zum einen ist insoweit darauf hinzuweisen, dass die Mutter der Klägerin oder die Klägerin sich insoweit bereits vor 40 Jahren an die Beklagte hätte wenden können, was jedenfalls ausweislich der Aktenlage nicht geschehen ist. Zum anderen folgt aus dieser möglichen Rechtswidrigkeit nicht unmittelbar eine Rechtsverletzung der Klägerin. Die Frage, ob auf dem Nachbargrundstück ein Einstellplatz zu errichten ist, hat rechtlich auf das Grundstück der Klägerin keinerlei Auswirkungen. Zwar macht die Klägerin insoweit geltend, wegen des fehlenden Einstellplatzes auf dem nachbarlichen Grundstück würde ihre Grundstückseinfahrt häufig von parkenden Autos versperrt. Dies ist aber keinesfalls eine unmittelbare Folge des Fehlens eines Einstellplatzes auf dem Nachbargrundstück. Vielmehr handelt es sich insoweit um rechtswidrige Handlungen von Fahrzeugführern, auf die auch die Beigeladenen zu 2. keinen Einfluss haben. Gegen derartige rechtswidrige Handlungen hat sich die Klägerin jedenfalls nicht mit den Mitteln des Baurechts, sondern mit ordnungsrechtlichen Mitteln zu wehren, indem sie im Falle rechtswidrig vor ihrer Einfahrt abgestellter Fahrzeuge, die eine Zufahrt verhindern, Hilfe der Polizei in Anspruch nimmt. Soweit hingegen die Fahrzeuge lediglich vor dem Grundstück der Klägerin im Straßenbereich geparkt werden, sind dieses Vorgänge, die zulässig sind, denn die Straße ist allgemein dem Gemeingebrauch gewidmet, so dass Parkvorgänge auch vor dem Grundstück der Klägerin zulässig sind. Des Weiteren muss daraufhingewiesen werden, dass auch der erzwungene Bau eines Einstellplatzes auf dem nachbarlichen Grundstück nicht zwingend zu einer Veränderung der Parkverhältnisse in der Straße oder vor dem Grundstück der Klägerin führt. Die Beigeladenen zu 2. können nämlich keineswegs zu der Benutzung, sondern nur zu dem Bau eines derartigen Einstellplatzes gezwungen werden.
Die Klage hat aber auch keinen Erfolg haben, wenn sie als zulässig angesehen würde. Die Klägerin kann nämlich unmittelbar aus dem Verstoß gegen die bauordnungsrechtliche Stellplatzpflicht (§ 47 Absatz 2 NBauO) kein Verpflichtungsrecht herleiten, das sich gegen ihren Nachbarn richtet. Das Gebot der Schaffung notwendiger Stellplätze dient nämlich allein dem öffentlichen Interesse an der Freihaltung der öffentlichen Verkehrsfläche, nicht jedoch dem Schutz benachbarte Eigentümer (OVG Lüneburg, Beschluss vom 12.8.1983, 6 B 61/83; Beschluss vom 26.8.1992, 1 M 3052/92, S.3; Beschluss vom 14.3.1997, 1 M 6589/96, BRS 59, 64; Große/Suchsdorf/Lindorf/Schmaltz/Wichert, NBauO 7. Aufl., § 72 Anm. 84). Nur unter besonderen Umständen können fehlende Einstellplätze einen Verstoß gegen das baurechtliche Gebot der Rücksichtnahme indizieren (so OVG Lüneburg im Beschluss vom 14.3.1997, a.a.O. und OVG Münster Urteil vom 10. 7. 1998, 11 A 7238/95, BRS 60,Nr. 123). Das niedersächsische Oberverwaltungsgericht hat ausgeführt, dass die fehlende Bewältigung des von einem Bauvorhaben ausgelösten ruhenden Verkehrs im Rahmen des § 15 Absatz 1 Satz 2 BauNVO unter Umständen dann von Bedeutung sein kann, wenn dadurch Störungen in die Umgebung hineingetragen werden und diese jedenfalls im Rahmen einer Gesamtschau der vom Objekt ausgehenden Belastungen unzumutbar sind. Eine derartige Beeinträchtigung des baurechtlichen Rücksichtnahmegebots erscheint hier jedoch nahezu ausgeschlossen. Es handelt sich im vorliegenden Fall um eine reine Anliegerstraße mit kleinen Einfamilienhäusern. Diskutiert wurde die Frage in der obergerichtlichen Rechtsprechung hingegen im Zusammenhang mit der baurechtlichen Genehmigung einer Lehrlingsinternatsanlage und dem damit in Zusammenhang stehenden zusätzlich auftretenden ruhenden Verkehr. Hier handelt es sich dagegen um ein seit 40 Jahren bestehendes normales Einfamilienhaus, von dem besondere, neu auftretende Beeinträchtigungen, die baurechtlich nicht zumutbar sind, nicht erwartet werden können.
Die Beklagte hat schließlich auch das ihr im Rahmen der Erteilung einer Duldungsverfügung eingeräumte Ermessen nicht in einer Weise ausgeübt, dass dies vom Gericht beanstandet werden könnte. Insbesondere liegt der von der Klägerin geltend gemachte Verstoß gegen Artikel 3 GG nicht vor. Der Gleichbehandlungsgrundsatz verpflichtet die Behörde zu einem nach Zeitpunkt und Modalitäten gleichmäßigen Vorgehen gegen rechtswidrige Zustände, soweit nicht in der Sache begründete Unterschiede Abweichungen rechtfertigen. Der Beklagten kann im vorliegenden Fall ein Verstoß nicht vorgeworfen werden, weil er in der unmittelbaren Nachbarschaft, also auch hinsichtlich des Einstellplatzbedarfes der Klägerin unter Berücksichtigung der örtlichen Verhältnisse von der stringenten Anwendung der grundsätzlich ermessensbindenden Ausführungsbestimmungen zu den §§ 46 und 47 der niedersächsischen Bauordnung (vom 25. 2.19 88 in NDS MBl. 88,282) abgesehen hat. Die Kammer geht bei der Ermittlung der Zahl der notwendigen Stellplätze grundsätzlich ebenfalls von dem oben genannten Runderlass des Sozialministers aus (so auch OVG Lüneburg, Beschluss vom 14. 3. 1997,a.a.O.). Danach waren von der Klägerin für zwei genehmigte Wohneinheiten (2 bis 3 Stellplätze nach Nummer 1.1 der Anlage zu dem o. g. Anlass) und eine Arztpraxis (mindestens 3 Stellplätze nach Nummer 2.2 der Anlage zu dem o. g. Anlass) grundsätzlich 5 Einstellplätze herzurichten. Die Beklagte hat die Klägerin von der Schaffung eines Einstellplatzes wegen der geringen Größenordnung ihrer Arztpraxis befreit und hat darüber hinaus im Zusammenhang mit der gegenüber dem Beigeladenen zu 2. ausgesprochenen Duldung auch ihr gegenüber eine Duldung ausgesprochen, wonach ein weiterer Stellplatz nicht errichtet werden muss. Die Klägerin muss danach lediglich drei Stellplätze derzeit tatsächlich errichten. Im Hinblick darauf, dass die Nutzung ihres Grundstückes mit der des Nachbarn nicht vergleichbar ist, ist ein Verstoß gegen Artikel 3 Grundgesetz nicht festzustellen. Die Tatsache, dass die Klägerin derzeit trotz der ausgesprochenen Duldung einen zweiten Stellplatz auf ihrem Grundstück errichtet, vermag an dieser Auffassung nichts zu ändern, weil die Beklagte jedenfalls die Nichterrichtung dieses Stellplatzes derzeit ebenso wie beim Nachbarn dulden würde. Auch imÜbrigen liegen zu beanstandende Ermessensfehler bei der Entscheidung der Beklagten nicht vor. Dem Gericht sind die Örtlichkeiten hinreichend bekannt, um beurteilen zu können, dass die Einschätzung der beteiligten Fachgruppe Sicherheit und Ordnung zutreffend ist. Eine Beeinträchtigung des fließenden Verkehrs durch die ausgesprochenen Duldungen ist hier kaum zu erwarten, weil es fließenden Durchgangsverkehr in der betroffenen Straße nicht gibt. Vielmehr handelt es sich um eine reine Anliegerstraße, deren Befahren schon wegen der vielfältigen Einbahnstraßenregelungen in der Umgebung durch Fremde nur ganz selten vorkommen dürfte.
Im Übrigen muss darauf hingewiesen werden, dass die beantragte Aufhebung der Duldungsverfügung allein noch nicht zu der von der Klägerin gewünschten Verpflichtung der Beigeladenen zu 2. zur Erstellung eines Einstellplatzes führen würde. Vielmehr wäre dazu über die Aufhebung der Duldungsverfügung hinaus zu prüfen, ob der Klägerin ein Anspruch auf baupolizeiliches Einschreiten gegen die Beigeladenen zur Durchsetzung der in der Baugenehmigung enthaltenen Pflicht zur Errichtung eines Stellplatzes zusteht.
Ein derartiger Anspruch kann sich aus § 89 Niedersächsische Bauordnung (NBauO) ergeben. Nach Abs. 1 Satz 1 dieser Vorschrift kann die Bauaufsichtsbehörde nach pflichtgemäßem Ermessen die Maßnahmen anordnen, die zur Herstellung oder Sicherung rechtmäßiger Zustände erforderlich sind, wenn bauliche Anlagen dem öffentlichen Baurecht widersprechen. Sie kann gemäß Satz 2 Nr. 4 namentlich die Beseitigung von baulichen Anlagen oder Teilen baulicher Anlagen anordnen oder nach Nr. 5 die Benutzung von baulichen Anlagen untersagen, insbesondere Wohnungen für unbewohnbar erklären.
Im Unterschied zum Abwehranspruch gegen eine Baugenehmigung, die nachbarschützende Vorschriften verletzt, hat der Nachbar nach dieser Vorschrift keinen Anspruch unmittelbar auf ein Einschreiten der Bauaufsichtsbehörde. Das Einschreiten gegen den für den baurechtswidrigen Zustand Verantwortlichen steht vielmehr im Ermessen der Bauaufsichtsbehörde und kann daher allenfalls im Falle einer Reduzierung dieses Ermessens auf Null zu einem Anspruch auf Einschreiten führen. Eine derartige Reduzierung des Ermessens kommt jedoch nicht einmal in jedem Falle eines Verstoßes gegen nachbarschützende Vorschriften in Betracht, vielmehr muss die Störung oder Gefährdung des Nachbarn eine hohe Intensität der Störung oder Gefährlichkeit aufweisen. Dies kann entsprechend der in § 25 Abs. 2 BImSchG zum Ausdruck gekommenen Wertung der Fall bei einer Verletzung oder Gefährdung von Leben und Gesundheit, aber auch von bedeutenden Sachwerten sein. Aber auch in Fällen, in denen der baurechtswidrige Zustand materielle Rechte des Nachbarn verletzt und ihn tatsächlich unzumutbar beeinträchtigt, kann sich ein Anspruch auf Einschreiten der Bauaufsichtsbehörde ergeben (vgl. dazu insgesamt Große-Suchsdorf/Lindorf/Schmaltz/Wiechert, Niedersächsische Bauordnung, 7. Aufl. 2002, Anm. 60 f. zu § 89 NBauO m.w.N.). Schon insoweit ergeben sich im vorliegenden Fall Zweifel an dem Vorliegen eines Anspruches.
Auch die Klägerin selbst hat den Verstoß der Nachbarn gegen öffentliches Baurecht offenkundig nicht als besonders schwer wiegend angesehen, als sie ihn über einen Zeitraum von 40 Jahren widerspruchslos hingenommen hat. In einem solchen Fall kann von einer Verwirkung der Einspruchsrechte ausgegangen werden. Das Bundesverwaltungsgericht hat festgestellt, dass auch materielle Abwehrrechte des Nachbarn der Verwirkung unterliegen, wenn der Nachbar ihn beeinträchtigende Baumaßnahmen widerspruchslos hingenommen hat (BVerwG - 4 B 10.97 -, NJW 1998, 329). Das Bundesverwaltungsgericht hat in seiner Entscheidung vom 16. Mai 1971 (4 C 4.89, NVwZ 1991, 1182 [BVerwG 16.05.1991 - BVerwG 4 C 4.89]) festgestellt, dass besondere Umstände zu dem Zeitablauf hinzutreten müssten, die das verspätete Geltendmachen nicht als illoyal erscheinen ließen. Derartige Umstände sind hier nicht ersichtlich.
Im Übrigen muss weiter darauf hingewiesen werden, dass die Klägerin durch die Errichtung eines weiteren Stellplatzes vor ihrem Hauszugang die Möglichkeit der Beeinträchtigung ihrer Interessen weiter erheblich einschränkt, weil die Möglichkeit, vor ihrem Haus imöffentlichen Straßenbereich zu parken, wegen des in § 12 Abs. 3 Nr. 3 StVO enthaltenen Parkverbotes vor Grundstücksein- und -ausfahrten derart beschränkt wird, dass eine Störung kaum noch möglich ist.
[... siehe: Streitwertbeschluss]
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
Gründe für eine Zulassung der Berufung (§ 124 Abs. 2 Nr. 3, 4 i.V.m. § 124a Abs. 1 Satz 1 VwGO) liegen nicht vor.
Streitwertbeschluss:
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
Der Streitwert wird auf 5.000,00 Euro festgesetzt.