Verwaltungsgericht Stade
Urt. v. 08.09.2006, Az.: 2 A 1828/05

Nutzungsuntersagung für ein mehr als 200 Jahre altes Haus bei nicht ununterbrochener Wohnnutzung; Beweislast bei einer kontinuierlichen einheitlichen Wohnnutzung; Eintritt der formellen Baurechtswidrigkeit bei geänderter Gebäudenutzung und nicht durchgehender Wohnnutzung; Bestandsschutz bei Nutzung einer Wohnung vor Eintritt der materiellen Rechtswidrigkeit während eines beachtlichen Zeitraumes; Wechsel von der einen zu der anderen Wohnnutzung als genehmigungspflichtige Nutzungsänderung

Bibliographie

Gericht
VG Stade
Datum
08.09.2006
Aktenzeichen
2 A 1828/05
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2006, 24499
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:VGSTADE:2006:0908.2A1828.05.0A

Verfahrensgegenstand

Nutzungsuntersagung
Androhung eines Zwangsgeldes

Redaktioneller Leitsatz

  1. 1.

    Die Wohnnutzung eines im unbeplanten Innenbereich oder Außenbereich gelegenen Gebäudes, welches in der Vergangenheitüberwiegend zu gewerblichen und militärischen Zwecken genutzt wurde, ist zu untersagen, wenn für das Gebäude keine erforderliche Baugenehmigung vorliegt. In Ermangelung einer ununterbrochenen identischen Wohnnutzung ist eine solche Nutzung auch dann zu untersagen, wenn für die Errichtung des Gebäudes zum damaligen Zeitpunkt keine Genehmigung erforderlich war.

  2. 2.

    Die in einer bestimmten rechtmäßigen Grundstücksnutzung liegende Eigentumsausübung genießt auch dann Bestandsschutz, wenn sie später aufgrund einer Änderung der Rechtslage nicht mehr aufgenommen werden dürfte. Dieser Schutz endet allerdings, wenn die geschützte Nutzung aufgegeben wird.

In der Verwaltungsrechtssache
hat das Verwaltungsgericht Stade - 2. Kammer -
auf die mündliche Verhandlung vom 8. September 2006
durch
den Vorsitzenden Richter am Verwaltungsgericht Dr. von Kunowski,
den Richter am Verwaltungsgericht Klinge,
die Richterin Dr. Drews sowie
die ehrenamtlichen Richter E. und F.
für Recht erkannt:

Tenor:

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kläger tragen die Kosten des Verfahrens.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kostenentscheidung vorläufig vollstreckbar.

Die Kläger dürfen die Vollstreckung wegen der Kosten gegen Sicherheitsleistung in Höhe des Vollstreckungsbetrages abwenden, wenn nicht der Beklagte zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

1

Die Kläger wenden sich gegen bauaufsichtliche Verfügungen des Beklagten, mit denen ihnen die Wohnnutzung in dem Gebäude G. untersagt und die Räumung des Gebäudes binnen 10 Tag aufgegeben wurde.

2

Das Gebäude H. ist Teil der sog. "I. " und befindet sich im Gebiet der Gemeinde J. zwischen dem Überflutungsgebiet der Weser im Westen und der Bundesstraße 215 im Osten. Die Anlage ist aus einer Gutsanlage hervorgegangen. Es befinden sich hier insbesondere drei Gebäude, die als Bauensemble ("Gruppe Gut K.") und als Einzelgebäude (und zwar H. - "Wohnhaus", L. - "ehemaliges Herrenhaus", M. - "Ledigenwohnheim") unter Denkmalschutz stehen. Das hier fragliche Gebäude H. ist auf dem Denkmalblatt mit dem Objekttyp "Wohnhaus" bezeichnet und als ehemaliges Pumpenwärterhaus, zweigeschossiger Fachwerkbau unter hohem Walmdach, näher beschrieben. Nach dem Denkmalblatt stammt die Gutsanlage wohl aus dem 18. Jahrhundert. Das Gebäude H. gehört zu dem ursprünglichen Bestand dieser Gutsanlage, ebenso das ehemalige Herrenhaus. Das Ledigenwohnheim M. ist nach dem Denkmalblatt 1939 errichtet worden. Seinerzeit gehörte das Gelände zur so genannten Anlage "Weser" der N.. Zu dieser Anlage gehörte auch das gesamte Gelände der späteren O., das von der P. aus gesehen ostwärts der Bundesstraße 215 liegt. In der Anlage "Weser" wurde insbesondere Schießpulver hergestellt. Sie gehörte zum reichseigenen Montankonzern. Dessen Rechtsnachfolger war, auch für die I., die Q. -, die bis in die jüngere Vergangenheit überwiegend im Bundeseigentum stand. Die vorhandenen Altgebäude der P. wurden nach den vorgelegten Verwaltungsvorgängen (Bl. 20 Beiakte D) 1939 durch die Montan instandgesetzt, völlig überholt und zum Teil umgebaut. Das alte Herrenhaus wurde als Verwaltungsgebäude für die Werksanlagen hergerichtet und ausgebaut. Außerdem wurde das Ledigenheim neu errichtet. Vom 8. April 1945 bis zum 16. August 1949 waren auf dem Grundstück der P. Kampftruppen verschiedener Nationen stationiert. Nach den vorgelegten Unterlagen war das Grundstück gemäß Besatzungsbefehl vom 1. August 1948 bis zum 31. Dezember 1956 beschlagnahmt. Ab 1. Januar 1957 bis zur Freigabe am 10. Juli 1959 wurde es auf privatrechtlicher Grundlage durch Stationierungsstreitkräfte weiter genutzt. Anschließend verpachtete die R. das Grundstück an die Bundesrepublik Deutschland. Diese nutzte es im Zusammenhang mit der O., die ostwärts der Bundesstraße 215 auf einem Teil der Anlage "Weser" errichtet wurde. Zu jener Zeit wurden nach Mitteilung der Standortverwaltung S. vom 4. Januar 2005 die Gebäude der P. als Wohnhaus (Haus Nr. 3a) sowie von der Standortverwaltung J. genutzt, außerdem befanden sich dort das Offiziersheim mit Offizierskasino und ein Feldwebel-/Ledigenwohnheim. Für letzteres hatte die Bundesrepublik Deutschland einen Neubau auf dem Gelände errichtet. Das Gebäude H. ist in einem alten Lageplan, der 1991 für einen Bauantrag zum Anbau eines Wintergartens vorgelegt worden war, als Kommandeurswohnhaus bezeichnet. Nach Auskunft der Standortverwaltung T. ist das Gebäude U. zuletzt als Bundesmietwohnung genutzt worden. Die Standortverwaltung hatte dem Beklagten hierzu außerdem mitgeteilt, es habe sich bei diesem Gebäude um eine bundeseigene Mietwohnung und ausdrücklich nicht um eine Dienstwohnung im Allgemeinen gehandelt. Es sei auch keine Dienstwohnung für die Bundeswehr gewesen. Eine weitere Mietwohnung habe sich im Dachgeschoss des Offizierskasinos befunden. Die letzte Nutzung, die sich für das Gebäude U. aus den Akten nachvollziehen lässt, ist eine Wohnnutzung. Ein Soldat der Bundeswehr war dort vom 22. August 1980 bis zum 1. Februar 2003 mit seiner Familie gemeldet (Kopie der Auskünfte Gemeinde J. vom 23. September 2004 in der Kartentasche Beiakte A).

3

Ein Aufstellungsbeschluss für einen Bebauungsplan ist gefasst worden, dieser sieht nach einer Presseäußerung des Bürgermeisters von J. "ein Mischgebiet aus Wohnen, Gewerbe, Dienstleistungen und Freizeitaktivitäten" vor. Das Verfahren wurde bisher nicht abgeschlossen; ein Bebauungsplan ist bisher nicht in Kraft getreten.

4

Unter dem 13. August 2003 wurde einem Herrn Michael V. ein Bauvorbescheid für den Umbau des ehemaligen STOV-Gebäudes (W.) und des Herrenhauses (L.) zu Wohnnutzungen und für Gastronomienutzung erteilt.

5

Im Jahre 2004 ersteigerte die X. (- nachfolgend: die Grundstückseigentümerin -), die Klägerin der Parallelverfahren, das Gelände der I.. Sie möchte dort eine Forschungseinrichtung zur "Fertilisationsforschung" mit den dazugehörigen Labors sowie Tagungsräumen und Unterbringungsmöglichkeiten für Tagungsgäste und Beschäftigte betreiben. Baugenehmigungen hierfür sind bisher nicht erteilt worden.

6

Im August 2004 erhielt der Beklagte davon Kenntnis, dass das Gebäude U. von einem Herrn Y. als Wohnung genutzt werde und sich dieser dort auch mit Wohnsitz angemeldet habe. Dieser wurde umgehend mit Schreiben vom 27. August 2004 darauf hingewiesen, dass die Wohnnutzung mangels einer Baugenehmigung unzulässig sei. Ihm wurde der Erlass einer Untersagungsverfügung angekündigt.

7

Mit Schreiben vom 30. August 2004 machte der Prozessbevollmächtigte der Kläger geltend, die Wohnnutzung sei zulässig, denn das Gebäude sei bis zum vorhergehenden Jahr von einem Offizier der Bundeswehr bewohnt gewesen. Auch andere Gebäude seien zwischenzeitlich für die Unterbringung von Erntehelfern genutzt worden. Eine Baugenehmigung sei für die Wohnnutzung nicht erforderlich. Das Gebäude habe als Hausmeisterhaus für das gesamte Gelände gedient und sei ununterbrochen bewohnt worden. Insoweit beriefen sich die Kläger auf ein Urteil des Oberverwaltungsgerichts Nordrhein-Westfalen vom 14. März 1997. Nach diesem führe die bloße Nichtnutzung als solche nicht schon regelmäßig zum Erlöschen des durch eine erteilte Baugenehmigung vermittelten Bestandsschutzes. Der gültige Bebauungsplan erlaube für den Z. jegliche Nutzung, sowohl Wohnnutzung als auch gewerbliche Nutzung, wie z.B. Hoteltagungen und so weiter. Wenn die Abwasserleitung zugemauert sein sollte, wäre dies ein rechtswidriger Zustand, den die Kläger nicht zu vertreten hätten. Insoweit bestehe so lange ein Ableitungsrecht, wie kein neuer eigner Kanal oder eine eigene Klärgrube gebaut worden sei.

8

Parallel hierzu beantragte der Prozessbevollmächtigte der Kläger für die Grundstückseigentümerin die Genehmigung zur Errichtung einer Dreikammerkläranlage. Der Fachdienst Wasser und Abfall des Beklagten sah sich außer Stande, auf der Grundlage jenes Schreibens ein wasserrechtliches Erlaubnisverfahren durchzuführen, weil es ohne detaillierte Angaben und Bauunterlagen als nicht prüffähig angesehen wurde (Bl. 105 Beiakte A). Der Fachdienst Wasser und Abfall des Beklagten bat daher das Bauordnungsamt, dem Prozessbevollmächtigten der Kläger einen beigefügten Antragsvordruck zu übersenden und ihn aufzufordern, den Antrag vollständig ausgefüllt und mit den erforderlichen Bauunterlagen versehen über die Gemeinde J. vorzulegen. Inzwischen wurde der Antrag abgelehnt. Das Klageverfahren ist bei der für Wasserrecht zuständigen 1. Kammer des Gerichts anhängig.

9

Mit Verfügungen vom 30. November 2004 untersagte der Beklagte den Klägern jeweils die Wohnnutzung des Gebäudes U. mit Wirkung von 10 Tagen nach Bekanntgabe der Verfügungen und ordnete die sofortige Vollziehung der Nutzungsuntersagungen an. Gleichzeitig drohte er ein Zwangsgeld in Höhe von 3.000 Euro an. Die Wohnnutzung sei bauaufsichtlich nicht genehmigt und damit formell illegal. Das Gebäude sei zwar bis Anfang 2003 noch bewohnt worden. Aber auch hierfür habe sich eine Genehmigung nicht feststellen lassen, obwohl die Voreigentümerin des Grundstücks und verschiedene Dienststellen die während der militärischen Nutzung für die Grundstücksverwaltung zuständig gewesen seien, hierzu befragt worden seien. Deshalb stehe der formellen Rechtswidrigkeit der ausgeübten Wohnnutzung auch kein Bestandsschutz entgegen. Insbesondere ergebe sich ein solcher nicht aus dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts Nordrhein-Westfalen, auf das sich die Kläger berufen hätten. In dem dort entschiedenen Fall habe nämlich eine Baugenehmigung vorgelegen.Überdies werde zurzeit § 42 Niedersächsische Bauordnung (NBauO) nicht beachtet. Das anfallende Abwasser werde nicht ordnungsgemäß beseitigt, nachdem die ursprünglich vorhandene Abwasserleitung verschlossen worden sei. Das Abwasser sammele sich nun im Leitungssystem. Das werde zwangsläufig dazu führen, dass zu einem bestimmten Zeitpunkt das Abwasser oberirdisch austreten und dann im Untergrund versickern werde. Andere Maßnahmen als das Nutzungsverbot kämen hier nicht in Betracht. Deshalb sei dieses nach pflichtgemäßen Ermessen anzuordnen gewesen. Die Bescheide sind den Klägern persönlich jeweils am 07. Dezember 2004 zugestellt worden.

10

Parallel hierzu untersagte der Beklagte der Grundstückseigentümerin, das Gebäude U. nach Aufgabe der Wohnnutzung durch die derzeitigen Bewohner Dritten zur Wohnnutzung zu überlassen oder das Gebäude selbst für Wohnzwecke zu nutzen (vgl. Parallelverfahren).

11

Am 13. Dezember 2004 reichte der Prozessbevollmächtigte der Kläger für die Eigentümerin bei der Gemeinde J. einen Bauantrag für die Weiternutzung der Gebäude AA. ein. Zum Gebäude U. ist dabei insbesondere ausgeführt: "Es soll wiederum vollständigen Wohnzwecken dienen, so wie es in den vergangenen Jahrzehnten und Jahrhunderten der Fall gewesen ist." Die Bauanträge wurden entweder abgelehnt oder in der Sache bisher nicht entschieden, weil noch nicht sämtliche erforderlichen prüffähigen Unterlagen vorgelegt wurden.

12

Am 20. Dezember 2004 legten die Kläger gegen die Nutzungsuntersagungsverfügungen Widerspruch ein. Sie machten geltend, das Gebäude U. sei vor etwa 200 Jahren errichtet worden. Seinerzeit habe es einer bauaufsichtlichen Genehmigung nicht bedurft. Es sei dann jeweils als Wohnhaus weitergenutzt worden. Die Bundeswehr habe dieses Gebäude ebenfalls als Wohnhaus genutzt. Eine Genehmigung hierfür sei nicht erforderlich gewesen. Die Antragsteller seien von September bis Oktober 2004 in das fragliche Gebäude eingezogen. Der Kläger zu 1 sei mit Frau und Kindern eingezogen. Die Kläger hielten die Verfügung für ermessensfehlerhaft, weil sie aus sachfremden politischen Erwägungen getroffen worden sei. Hierzu legten sie eine Reihe von Presseartikeln vor. Diese befassen sich insbesondere mit Äußerungen des Bürgermeisters von J. oder von Ratsmitgliedern der Gemeinde J. zur Nutzung der Gebäude der P. durch die Grundstückseigentümerin bzw. die Kläger. Der Bürgermeister habe dem Prozessbevollmächtigten der Kläger gesprächsweise erklärt, für "den AB." sei jegliche Nutzung vorgesehen, und zwar gewerbliche Nutzung ebenso wie Wohnnutzung oder Nutzung als Hotel oder Tagungsheim. Die Genehmigungsfähigkeit einer Wohnnutzung des Hauses U. sei offensichtlich. Denn das Haus genieße Bestandsschutz und habe immer Wohnzwecken gedient, und zwar seit der Errichtung vor über 200 Jahren. Es habe nie militärischen Zwecken gedient; es sei nicht Übungsstätte für Häuserkampf gewesen. Der Beklagte habe im Juni 2004 begonnen, auf die Standortverwaltung Einfluss zu nehmen, die Abwasserleitung zu verfüllen, und zwar in einem Bereich, der der Bundeswehr noch gehört habe. Die R. und die Kläger seien davon nicht unterrichtet worden. Jedenfalls habe die R. das dem Prozessbevollmächtigten der Kläger so mitgeteilt. Im November habe der Beklagte dann auf die AC. Druck ausgeübt, die Abwasserleitung an der Grundstücksgrenze zu verschließen. Grund dafür sei gewesen, dass eine Entwässerung wegen des Verschlusses durch die Standortverwaltung nicht mehr möglich sei. Der Beklagte könne sich daher nach dem Grundsatz von Treu und Glauben auf die Abwassermissstände nicht berufen. Auch an Leitungen bestehe ein Notwegerecht. Hier träfen den Voreigentümer besondere Verpflichtungen, und sowohl bei der Bundeswehr als auch bei der R. handele es sich um Voreigentümer der I.. Daher habe die jetzige Eigentümerin einen Anspruch, ihre Abwässer über dieses Abwasserrohr zu entsorgen, jedenfalls solange nicht die geplante Dreikammerkläranlage gebaut sei. Die Standortverwaltung und die R. seien aufgefordert worden, das Abwasserrohr wieder gangbar zu machen.

13

Gegen die Anordnung der sofortigen Vollziehung der Nutzungsuntersagung haben die Kläger - ebenfalls am 20. Dezember 2004 - um Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes nachgesucht. Dieser Antrag hatte zunächst aus formellen Gründen Erfolg (Beschluss der Kammer vom 18. Januar 2005). Nachdem der Beklagte die Sofortvollzugsanordnung nachgebessert hatte (Bescheid vom 1. Februar 2005) suchten die Kläger erneut um Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes nach. Diesen Antrag lehnte die Kammer mit Beschluss vom 23. Februar 2005 ab. Rechtsmittel der Kläger hiergegen hatten keinen Erfolg (Nds. OVG, Beschluss v. 11. Mai 2005).

14

Mit Widerspruchsbescheiden vom 16. August 2005 wies der Beklagte die Widersprüche der Kläger als unbegründet zurück. Das Nutzungsverbot finde seine Rechtsgrundlage in § 89 Abs. 1 Niedersächsische Bauordnung (NBauO). Die Wohnnutzung sei baurechtlich illegal, denn für diese liege die erforderliche Baugenehmigung nicht vor. Bereits diese formelle Illegalität rechtfertige die Verhängung eines Nutzungsverbotes. Zwar sei inzwischen ein Bauantrag eingereicht worden, das Genehmigungsverfahren habe aber noch nicht abgeschlossen werden können. Auch sei die ordnungsgemäße Erschließung des Grundstücks zurzeit nicht gesichert, denn die erforderliche Kleinkläranlage habe noch nicht errichtet werden können. Auf Bestandsschutz für die Wohnnutzung könnten sich die Kläger nicht berufen. Diese hätten nicht darlegen können, dass das Gebäude durchgehend zu Wohnzwecken genutzt worden sei.

15

Mit der am 20. September 2005 erhobenen Klage verfolgen die Kläger ihr Begehren weiter. Sie wiederholen ihr Vorbringen aus dem Vorverfahren, wonach das Gebäude zum Zeitpunkt seiner Errichtung vor ca. 250 Jahren nicht baugenehmigungspflichtig gewesen sei. Zeit seines Bestandes sei es als Wohngebäude genutzt worden, zunächst wohl durch Verwaltungspersonal des Gutshofes. Nachdem der Gutshof vor dem 2. Weltkrieg von der Montanfirma übernommen worden sei, habe es als Wohnhaus für die Bediensteten des Pumpenhauses gedient, daher auch die Bezeichnung als "Pumpenwärterhaus". Nach dem Kriege hätten dort zunächst britische und anschließend Offiziere der Bundeswehr gewohnt. Auch nach Aufgabe der Nutzung durch die Bundeswehr habe dort Ende der Neunzigerjahre ein Offizier gewohnt, der Hausmeisterfunktion gehabt habe. Eine Baugenehmigung sei beantragt worden, deren Bearbeitung jedoch von dem Beklagten verschleppt werde. Es werde der Grundeigentümerin erschwert, die erforderlichen Unterlagen beizubringen. Auch sei auf Betreiben des Beklagten die Entwässerungsleitung über das Nachbargrundstück gekappt worden, um die Erschließung des Geländes zu torpedieren. Der Bürgermeister der Gemeinde J. habe der Grundstückseigentümerin mündlich erklärt, dass auf dem Gelände jede Nutzung, auch Wohnnutzung zulässig sei.

16

Die Kläger beantragen,

die Bescheide des Beklagten vom 30. November 2004 und die Widerspruchsbescheide des Beklagten vom 16. August 2005 aufzuheben.

17

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

18

Er verteidigt die angefochtenen Bescheide unter Bezugnahme auf deren Begründungen.

19

Wegen des weiteren Vortrags der Beteiligten wird auf deren Schriftsätze, wegen des Sachverhalts im Übrigen wird auf die Gerichtsakten sowie die beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

20

Die Klage hat keinen Erfolg.

21

Die angefochtenen Bescheide sind rechtmäßig und verletzen die Kläger nicht in ihren Rechten, wie es für den Erfolg der hier erhobenen Anfechtungsklage erforderlich wäre

22

( § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

23

Rechtsgrundlage der Nutzungsuntersagungsverfügungen ist jeweils § 89 Absatz 1 Nr. 5 NBauO. Nach dieser Vorschrift kann die Bauaufsichtsbehörde die Benutzung von baulichen Anlagen untersagen, wenn diese dem öffentlichen Baurecht widerspricht oder wenn dies zu besorgen ist. Nach der Rechtsprechung des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts, der die Kammer folgt, ist eine solche Nutzungsuntersagung grundsätzlich bereits dann gerechtfertigt, wenn für eine Baumaßnahme eine erforderliche Baugenehmigung fehlt (formelle Baurechtswidrigkeit). Diese Voraussetzung liegt hier vor.

24

Bisher ist weder für das Gebäude selbst noch für eine der darin ausgeübten Nutzungen eine Baugenehmigung vorgelegt worden. Auf Grund des Alters des Gebäudes, das vor mehr als 200 Jahren errichtet worden sein soll, spricht überwiegendes dafür, dass zum Zeitpunkt seiner Errichtung eine Baugenehmigung nicht erforderlich war. Eine baupolizeiliche Präventivprüfung für Neubauten für das platte Land der AD. wurde erst durch die Bekanntmachungen vom 30. Oktober und 19. Dezember 1823 (Sammlung der Gesetze, Verordnungen und Ausschreiben für das Königreich Hannover, S. 217, 242) eingeführt. Allerdings kann bei Anlagen, die seit unvordenklicher Zeit unbeanstandet bestanden haben, ohnehin davon ausgegangen werden, dass sie rechtmäßig errichtet worden sind (Schmaltz in: Große-Suchsdorf/Mitverf., Niedersächsische Bauordnung, 7. Auflage 2002, Rdnr. 15 zu § 89 m.w.N.). Hierauf könnten sich die Kläger indes nur mit Erfolg berufen, wenn nachgewiesen ist, dass die von ihnen gewollte Nutzung mit der seit unvordenklichen Zeiten nachgewiesenen Nutzung identisch ist und sich die gewollte Nutzung als deren Fortsetzung darstellt. Diesen Beweis haben die Kläger nicht erbracht.

25

Die Kammer hat bereits in dem Eilrechtsbeschluss vom 18. Januar 2005 ausgeführt:

"Eine durchgehende Wohnnutzung ist bislang weder hinreichend dargetan noch erkennbar. Die Behauptung der Antragsteller ist nicht hinreichend substantiiert. Die Antragsteller tragen keine Tatsachen für ihre Behauptung vor. Eine solche Behauptung könnte nur dann ausreichen, wenn sich aus den vorgelegten Unterlagen nicht Umstände ergäben, die sie in Frage stellen. Das ist hier jedoch der Fall, denn diese Unterlagen werfen insoweit gerade Zweifel auf: Die P. ist in den Dreißigerjahren vom Montankonzern für einen Rüstungsbetrieb genutzt worden. Danach waren dort zunächst Kampftruppen der Siegermächte. Aus den Dreißigerjahren rührt anscheinend auch die Bezeichnung des Gebäudes U. als "Pumpenwärterhaus" her. Denn in einem "Lageplan der Verwaltungsgebäude der 'AE. in K." (Bl. 18 BA E) ist westlich des Gebäudes U. eine große Pumpstation eingezeichnet. Diese ist heute jedenfalls nicht mehr in Betrieb, in einer neueren Handzeichnung in den vorgelegten Unterlagen (BL. 39 BA A) ist das Gebäude als Werkstattgebäude bezeichnet. Ihr Betrieb dürfte im Zusammenhang damit gestanden haben, dass für den Produktionsbetrieb der Anlage Weser große Mengen Wassers benötigt wurden, die aus der Weser, aber auch aus 41 Tiefenbrunnen auf dem Werksgelände herangeführt wurden (vgl. www.relikte.com/doerverden/index.htm). Es ist nicht selbstverständlich, dass bei einem derart umfangreichen Pumpbetrieb das Gebäude von einem Pumpenwärter bewohnt wurde; ebenso wahrscheinlich ist, dass es Diensträume und Werkstätten für mehrere Pumpenwärter beherbergte. Auch während des Aufenthalts von Kampftruppen verschiedener Nationen in der unmittelbaren Nachkriegszeit bis zum 16. August 1949 ist eine Wohnnutzung des Gebäudes nicht selbstverständlich: In dieser Zeit wurden die Kampfstoffbestände aus der Anlage beseitigt, die Anlage demontiert und die meisten Gebäude gesprengt (vgl. Bl. 20 BA E, www.relikte.com/doerverden/ index.htm). Gerade im August 1949 hat dann anscheinend ein Übergang zu einer Nutzung durch britische Stationierungsstreitkräfte stattgefunden. Es drängt sich daher auf, dass die P. in der Zeit bis 1949 im Zusammenhang mit der Demontage und Zerstörung der Anlage Weser genutzt wurde. Ebenso gut wie eine Wohnnutzung kommt daher auch in dieser Zeit eine betriebliche Nutzung entsprechend der durch den Rüstungsbetrieb in Betracht."

26

Spätestens seit der Übernahme des Geländes durch den Rüstungsbetrieb war die Aufnahme einer Wohnnutzung eine baugenehmigungspflichtige Nutzungsänderung (vgl. nur § 1 Buchstabe d der Allgemeinen Bauordnung für die Städte und Landgemeinden des Regierungsbezirks Stade vom 19. Juni 1926 [Beilage zu Nr. 27 des Regierungsblatts] sowie § 1 A Nr. 2 Buchstabe c) der Bauordnung für das platte Land des Regierungsbezirks AF. vom 7. Dezember 1934 [Amtsblatt der Reg. zu Stade, 1935, S. 15 ff], wobei auch bei Bauten des Reiches, des Staates, der Gemeinden und der weiteren Gemeindeverbände die Bauunterlagen vor Beginn der Bauausführung der Kreispolizeibehörde zur baupolizeilichen Prüfung und Genehmigung vorgelegt werden mussten [§ 1 D der Allgemeinen Bauordnung von 1926 und der Bauordnung für das platte Land von 1934]. Seitdem hat durchgehend eine Baugenehmigungspflicht für die Nutzungsänderung zu Wohnnutzung bestanden (vgl. § 1 B Nr. 2 Buchstabe b der Bauordnung für das platte Land des Reg.-Bez. Stade vom 3. März 1965 [Amtsbl. f. d. Reg.-Bez. Stade, S. 27], § 1 B Nr. 3 der BauO für den Reg.-Bez. Stade vom 30. Nov, 1971 [Amtsbl. f. d. Reg.-Bez. Stade, S. 153; § 68 und § 69 Abs. 5 NBauO 1973 bzw. § 68 Abs. 1 und § 69 Abs. 4 NBauO in der geltenden Fassung]. Die Unauffindbarkeit einer formellen Baugenehmigung geht zu Lasten der Kläger, denn sie bzw. die Grundstückseigentümerin tragen hierfür die volle Beweislast.

27

Die Kläger können sich gegen die Untersagungsverfügungen des Beklagten nicht mit Erfolg auf Bestandsschutz berufen. Der Bestandsschutz geht letztlich auf Artikel 14 Abs. 1 GG zurück. Er schließt nach seinem jeweiligen Gehalt ein ordnungsrechtliches Einschreiten aus. Ein solcher Bestandsschutz wird - auf alles Weitere kommt es hier nicht an - erreicht, wenn die Nutzung vor dem Eintritt ihrer (nachträglichen) materiellen Rechtswidrigkeit während eines beachtlichen Zeitraumes materiell rechtmäßig geschah (vgl. Urteil vom 28. Juni 1956 - BVerwG I C 93.54 - BVerwGE 3, 351 353 f.) [BVerwG 28.06.1956 - I C 93/54]. Das heißt: Die in einer bestimmten (schutzwürdigen) Grundstücksnutzung liegende Eigentumsausübung genießt Schutz auch dann, wenn sich später die Rechtslage gegen sie wendet und infolgedessen zu dieser späteren Zeit eine solche Nutzung rechtmäßig nicht mehr aufgenommen werden dürfte (vgl. BVerwG, Urteil vom 23. Februar 1979 - IV C 86.76 - NJW 1980, 252 = Buchholz 406.16 Eigentumsschutz Nr. 13). Dieser Schutz endet allerdings, wenn die geschützte Nutzung aufgegeben wird.

28

Im Verhältnis zwischen einer Nutzungsuntersagung und einem ihr entgegenstehenden Bestandsschutz hat, was die Beweislast anbetrifft, der Bestandsschutz rechtlich die Stellung eines "Gegenrechtes": Mit dem Gesichtspunkt des Bestandsschutzes verteidigt der Betroffene eine gegenwärtig - materiell - rechtswidrige Nutzung. Er leitet aus der Vergangenheit ein Recht ab, das es ihm ermöglicht, sich gegen ein Verlangen, die Nutzung zu unterlassen, durchzusetzen, obgleich die beanstandete Nutzung rechtswidrig (geworden) ist und dies an sich für eine Untersagung ausreicht (vgl. zu dieser Stellung des Bestandsschutzes insbesondere BVerwG, Urteile vom 5. Juli 1974 - BVerwG IV C 76.71 - Buchholz 406.11 § 35 BBauG Nr. 112 S. 90 [93 f.] und vom 11. Februar 1977 - BVerwG IV C 8.75 - Buchholz 406.11 § 29 BBauG Nr. 21 S. 7 [11]). Erweist sich im Einzelfall als unaufklärbar, ob ein solches "Gegenrecht" besteht, so geht das zu Lasten dessen, der dieses Recht für sich in Anspruch nimmt, im vorliegenden Falle zu Lasten der Kläger. Denn auch insoweit wäre erforderlich, dass eine Wohnnutzung ununterbrochen stattgefunden hat. Das ist jedoch nicht offensichtlich und erscheint gegenwärtig als offen.

29

Im Übrigen spricht zum gegenwärtigen ZeitpunktÜberwiegendes für die Annahme, dass von einer kontinuierlichen und damit Bestandsschutz begründenden Wohnnutzung in dem Gebäude schon deshalb nicht gesprochen werden kann, weil in dem Gebäude zwar möglicherweise durchgehend Menschen gelebt haben, diese Wohnnutzungen aber jeweils im unlösbaren Zusammenhang mit den verschiedenen Hauptnutzungen des Gesamtgeländes stand. Angesichts der Tatsache, dass die Hauptnutzung des Geländes in den vergangenen mehr als siebzig Jahren mehrfach gewechselt hat, und zwar von landwirtschaftlich über gewerblich zu militärisch, kann nicht ohne weiteres angenommen, dass es sich hier um eine im Rechtssinne kontinuierliche einheitliche Wohnnutzung gehandelt hat. Aus den geltenden bauplanungsrechtlichen und bauordnungsrechtlichen Vorschriften ergibt sich, dass an die Zulässigkeit einer Wohnnutzung jeweils unterschiedliche Anforderungen zu stellen sind, und zwar je nachdem, ob das Grundstück dem Innenbereich gemäß § 34 BauGB oder dem Außenbereich gemäß § 35 BauGB zuzurechnen ist und ob die ausgeübte Wohnnutzung quasi von einer Hauptnutzung des Geländes abhängig ist, weil diese Wohnnutzung, z.B. durch Unterbringung des erforderlichen Personals, der Hauptnutzung quasi untergeordnet, ihr zu dienen bestimmt ist. Weil die baurechtliche Zulässigkeit einer militärischen Anlage anders zu beurteilen ist als die einer einfachen Wohnanlage oder einer Betriebsleiterwohnung für einen Gewerbebetrieb, stellt sich der Wechsel von der einen Wohnnutzung zu der anderen Wohnnutzung als genehmigungspflichtige Nutzungsänderung dar.

30

Im vorliegenden Fall hat spätestens bei Übernahme des Grundstücks durch die Bundeswehr - wenn nicht bereits bei Übernahme durch die britischen Streitkräfte Jahre zuvor - ein Wechsel der Wohnnutzung in diesem Sinne stattgefunden. Diese militärische Wohnnutzung hat mit der Aufgabe der militärischen Nutzung der Gesamtanlage im Jahre 1996 geendet. Die erneute Aufnahme einer Wohnnutzung, sei es als Hauptnutzung, sei es als im Zusammenhang mit den weiteren Plänen der Grundstückseigentümerin stehende untergeordnete Wohnnutzung, stellt sich daher als genehmigungspflichtige Aufnahme einer neuen Nutzung dar. Eine für die Annahme eines Bestandsschutzes erforderliche ununterbrochene gleichartige Nutzung ist deshalb nicht nachgewiesen.

31

Aus den Verwaltungsvorgängen war bereits bekannt, dass auch nach der Aufgabe der militärischen Nutzung durch die Bundeswehr im Jahre 1996 noch bis 2003 ein Offizier in dem Gebäude gewohnt hat. Aus diesem Grunde bedurfte es einer Beweiserhebung zu dieser Frage nicht (vgl. Beweisantrag Nr. 1 der Kläger). Aus dieser Tatsache lässt sich ein Bestandsschutz für die von den Klägern gewollte Wohnnutzung nicht herleiten. Offensichtlich hat es sich hierbei nicht um eine militärische Wohnnutzung gehandelt, die unter die Befreiungsvorschrift des § 84 Abs. 4 NBauO fiel, denn die militärische Nutzung des Geländes durch die Bundeswehr war aufgegeben und das Gelände an den privatrechtlichen Eigentümer, die R., zurückgegeben worden. Der Bestandsschutz für militärische Nutzungen war mithin erloschen. Unabhängig davon, ob dieser Offizier möglicherweise Hausmeisterfunktionen erfüllt hat, um einen vorzeitigen Verfall der Gebäude zu verhindern, oder nicht, stellt sich auch diese Wohnnutzung als gegenüber der vorherigen militärischen Nutzung als genehmigungspflichtige Nutzungsänderung dar, die wohl bauaufsichtlich geduldet wurde, weil absehbar war, dass sie nur vorübergehend sein würde, für die eine Genehmigung jedoch zu keinem Zeitpunkt beantragt oder erteilt worden ist.

32

Die Kläger berufen sich für einen Bestandsschutz auch ohne Erfolg auf das angeführte Urteil des Oberverwaltungsgerichts Nordrhein-Westfalen (vom 14. März 1997 - 7 A 5179/95). Diese Entscheidung befasst sich nicht mit Fragen des materiellen Bestandsschutzes. Vielmehr wird dort die Frage erörtert, wann der Schutz endet, den ein Bauvorhaben durch eine bestehende Baugenehmigung genießt - nämlich dann, wenn die genehmigte Nutzung aufgegeben und das in einer Weise zu erkennen gegeben wird, die deutlich macht, dass eine jederzeitige Wiederaufnahme der genehmigten Nutzung vom Berechtigten offensichtlich nicht mehr gewollt ist. Selbst wenn man zu Gunsten der Kläger unterstellte, dass für die gewerblichen und militärischen Wohnnutzungen in der Vergangenheit Genehmigungen erteilt worden wären, könnten sie daraus nach dem von ihnen zitierten Urteil des OVG NRW einen Bestandsschutz nicht herleiten, weil die so genehmigten Nutzungen bereits mehrere Jahre (Bundeswehr 1996) bzw. Jahrzehnte (Montanbetrieb 1945) vor der jetzigen Nutzungsaufnahme durch die Kläger aufgegeben wurden und der Schutz etwaiger früherer Genehmigungen nicht mehr fortdauert. Eine Baugenehmigung zur privaten Wohnnutzung ist nicht nachgewiesen.

33

Die Untersagung einer Wohnnutzung durch den Beklagten ist auch nicht ermessensfehlerhaft und damit rechtswidrig, weil diese Wohnnutzung offensichtlich genehmigungsfähig wäre.

34

Ein gültiger Bebauungsplan für das Gelände existiert nicht. Entgegen den Ankündigungen des Bürgermeisters der Gemeinde J. gegenüber der Grundstückseigentümerin sind die seinerzeitigen Pläne zur Aufstellung eines Bebauungsplanes nicht umgesetzt worden, so dass die Zulässigkeit einer Wohnnutzung in dem Gebäude an §§ 34 oder 35 BauGB zu messen ist. Unabhängig davon, ob ein Vorhaben im unbeplanten Innenbereich gemäß § 34 BauGB oder im Außenbereich gemäß § 35 BauGB verwirklicht werden soll, ist die baurechtliche Zulässigkeit jedenfalls davon abhängig, dass die ausreichende Erschließung gesichert ist (vgl. § 34 Abs. 1 S. 1 BauGB und § 35 Abs. 1 S. 1 BauGB). Der Begriff der ausreichenden Erschließung ist ein bundesrechtlicher Begriff, der nicht durch Landesrecht konkretisiert wird (BVerwG, ZfBR 1988, 283). Das Gesetz stellt dabei auf Mindesterfordernisse ab, die je nach der Art des Vorhabens variieren können. Zu den Mindestanforderungen gehört insbesondere die Art der Abwasserbeseitigung, die im Einklang mit den wasserrechtlichen Vorschriften stehen muss (vgl. Battis-Krautzberger-Löhr, BauGB, 9. Aufl.,§ 35 Rdnr. 7). Letztere ist für eine Wohnnutzung in dem Gebäude U. offensichtlich nicht ausreichend gesichert.

35

Der Abwasserkanal, über den der Z. an das öffentliche Abwassernetz angeschlossen war, ist verschlossen und ein Anschluss an das öffentliche Kanalnetz besteht nicht mehr. Ob und inwieweit die Klägerin privatrechtliche Ansprüche auf eine Weiternutzung des bisherigen Kanals über das Nachbargrundstück hat, ist völlig offen. Eine ordnungsgemäße Beseitigung des auf dem Grundstück anfallenden Abwassers ist mithin nicht sichergestellt. Weder ist der Anschluss der Gebäude an das Abwasserbeseitigungsnetz der Gemeinde J. vorhanden noch verfügt das Grundstück über eine funktionsfähige, den gesetzlichen wasserrechtlichen Anforderungen entsprechende Kleinkläranlage. Zwar hat die Grundstückseigentümerin bereits einen Antrag auf Genehmigung einer Kleinkläranlage gestellt, dieser ist jedoch nicht positiv beschieden worden. Die gegen die Ablehnung erhobene Klage ist noch anhängig. Ein Aufstauen des anfallenden Abwassers in dem vorhandenen Rohrleitungsnetz und periodisches Abpumpen, wie es von der Grundstückseigentümerin als Lösung vorgeschlagen wird, stellt offensichtlich keine langfristig gesicherte Erschließung im Sinne der gesetzlichen Vorschriften dar, zumal völlig unklar ist, ob das aufgestaute Abwasser nicht möglicherweise aus dem Leitungsnetz austreten und unkontrolliert im Erdreich versickern würde, wenn bestimmte Pegelstände überschritten werden.

36

Auch aus dem Herrn V. unter dem 13. August 2003 erteilten Bauvorbescheid (Beiakte F - Bl. 22 ff) lässt sich die offensichtliche Genehmigungsfähigkeit einer Wohnnutzung in dem Gebäude 3a nicht herleiten. Zum einen betrifft der Bauvorbescheid ausdrücklich andere Gebäude, nämlich das ehemalige STOV-Gebäude sowie das so genannte Herrenhaus, so dass schon aus diesem Grunde eine Übertragbarkeit auf das Gebäude 3 a ausgeschlossen ist. Darüber hinaus ist die Bindungswirkung des Bauvorbescheids nur auf vorab zu beurteilende Einzelfragen beschränkt (Große-Suchsdorf/ Lindorf/ Schmaltz/ Wiechert, NBauO. 7. Auflage, § 74, Rdnr. 4), so dass er grundsätzlich nicht bereits zur Aufnahme der beabsichtigten Nutzung berechtigt.

37

Auch aus § 35 Abs. 4 Nr. 4 BauGB lässt sich dem zufolge eine offensichtliche Genehmigungsfähigkeit nicht herleiten, denn auch die Zulässigkeit der nach dieser Vorschrift im Übrigen privilegierten Nutzungsänderung von erhaltenwerten Bauten im Außenbereich steht unter dem Vorbehalt der ausreichenden Erschließung gemäß § 35 Abs. 1 S. 1 BauGB.

38

Einer Aufklärung der Frage, ob der Oberkreisdirektor des Beklagten die Erteilung von Genehmigungen an die Grundstückeigentümerin aus politischen Gründen generell ausgeschlossen haben soll, bedurfte es in diesem Verfahren nicht, denn zum einen dürften zum gegenwärtigen Zeitpunkt sachliche Gründe - mangelnde Erschließung - dafür vorliegen, dass eine Baugenehmigung nicht erteilt wurde, zum anderen ist die Frage, ob die Versagung einer Genehmigung rechtmäßig war oder nicht, in dem Klageverfahren der Grundstückseigentümerin zu klären. Der Beweisantrag der Kläger zu Ziffer 2. (vgl. Anlage zur Sitzungsniederschrift) war deshalb abzulehnen.

39

Auch der Beweisantrag zu Ziffer 3. (vgl. Anlage zur Sitzungsniederschrift) war abzulehnen. Die Behauptung, der Bürgermeister der Gemeinde J. habe gegenüber dem Prozessbevollmächtigten der Grundstückseigentümerin mündlich erklärt, auf dem Gelände sei jede Art von Nutzung zulässig, kann als wahr unterstellt werden, denn diese ist ohne jegliche rechtliche Relevanz. Die Gemeinde ist nicht die zuständige Bauaufsichtsbehörde, so dass der Bürgermeister auch die Erteilung einer solchen nicht mit bindender Wirkung in Aussicht stellen konnte. Bauaufsichtsbehörde ist der Beklagte.

40

Das Verbot der Nutzung des Gebäudes zu Wohnzwecken erweist sich daher als rechtmäßig. Die Klage war abzuweisen.

41

Die Zwangsgeldandrohung findet ihre Rechtsgrundlage in § 89 Absatz 4 Satz 1 NBauO i.V.m. §§ 67, 70 des Niedersächsischen SOG. Gründe, aus denen die Zwangsgeldandrohung rechtlich zu beanstanden sein könnte, sind weder vorgetragen noch ersichtlich.

42

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.

43

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

44

Gründe für eine Zulassung der Berufung (§ 124 Abs. 2 Nr. 3, 4 i.V.m. § 124a Abs. 1 Satz 1 VwGO) liegen nicht vor.

Streitwertbeschluss:

Der Streitwert wird auf 10.755,00 Euro festgesetzt.

Gründe:

Die Streitwertfestsetzung orientiert sich an dem Streitwertkatalog der Bausenate des Nds. OVG für Verfahren, die nach dem 1. Januar 2002 eingegangen sind (Nds.VBl. 2002, S. 192 ff) Hiernach ist bei Nutzungsuntersagungen der Jahresnutz- oder Mietwert heranzuziehen (Ziff. 11 b des Streitwertkatalogs), um das wirtschaftliche Interesse des Klägers an der Aufhebung eines Nutzungsverbots widerzuspiegeln (vgl. § 52 Abs. 1 GKG). Das wahre wirtschaftliche Interesse der Kläger an der Nutzung des Gebäudes U. bestimmt sich in Wahrheit jedoch nicht nach der außergewöhnlich niedrig angesetzten Miete für ein Gebäude dieser Größe (ca. 179 qm), sondern nach dem wirtschaftlichen Wert, den die Wohnnutzung verglichen mit marktüblichen Mieten hätte. In den Eilbeschlüssen vom 18. Januar 2005 (2 B 2020/04) und vom 23. Februar 2005 (2 B 234/05) hat die Kammer im Rahmen ihres Ermessens einen Mietwert von 5,- EUR/m² pro Monat zu Grunde gelegt (ebenso das Nds. OVG, Beschl. v. 11. Mai 2005 - 1 ME 54/05 -). Dieser erscheint nach wie vor realistischer als die sehr niedrige Monatsmiete, die die Kläger bezahlt haben sollen. Hierbei wird auch berücksichtigt, dass die Miete möglicherweise deshalb bewusst niedrig angesetzt wurde, weil die Kläger nach dem Vorbringen in den vorangegangenen Verfahren auch Renovierungen und "Bewachungsaufgaben" durchführen und damit offensichtlich einen Teil des in Wirklichkeit höheren Mietzinses abgelten sollten.

Dr. von Kunowski
Klinge
Dr. Drews