Verwaltungsgericht Oldenburg
Beschl. v. 24.02.2017, Az.: 12 B 353/17

Ladenöffnungszeiten; Sonn- und Feiertagsschutz

Bibliographie

Gericht
VG Oldenburg
Datum
24.02.2017
Aktenzeichen
12 B 353/17
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2017, 53844
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

1. Verfassungskonforme Auslegung des § 5 Abs. 1 Satz 1 des Niedersächsischen Gesetzes über Ladenöffnung und Verkaufszeiten.
2. Ladenöffnung an Sonntagen wegen der verfassungsrechtlich durch Art. 140 GG in Verbindung mit Art. 139 WRV garantierten Sonn- und Feiertagsruhe nur in besonders begründeten Ausnahmefällen.
3. Ein Jahrmarkt kann für die Ladenöffnung am Sonntag anlassgebend sein, wenn sie den Sonntag prägen und die Geschäftsöffnung nur bloßer Annex zur Marktveranstaltung ist.

Tenor:

Die aufschiebende Wirkung der Klage (Az.: 12 A 191/17) vom 10. Januar 2017 gegen die Allgemeinverfügung der Antragsgegnerin vom 13. Dezember 2016 zur Festlegung der verkaufsoffenen Sonntage im Jahr 2017 wird insoweit wiederhergestellt, als mit der Allgemeinverfügung eine Öffnung von Geschäften an den Sonntagen 2. April, 1. Oktober und 5. November 2017 gestattet wird.

Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens. Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen sind nicht erstattungsfähig.

Der Streitwert wird auf 5.000 € festgesetzt.

Gründe

I.

Die Beteiligten streiten im Rahmen des vorläufigen Rechtsschutzverfahrens über die Öffnung von Verkaufsstellen an den im Tenor genannten Sonntagen im Jahr 2017.

Die Antragstellerin hat im Landesverband Bremen-Niedersachsen über 250.000 Mitglieder, zum Bezirk Weser Ems gehören über 55.000 Mitglieder, von denen knapp 9000 im Bereich Handel tätig sind. Sie ist Mitbegründerin und Mitglied der „Allianz für den freien Sonntag“.

Die Beigeladene, ein Zusammenschluss von ca. 120 Unternehmen der Stadt …, die sich zum Ziel gesetzt hat, die Attraktivität der Einkaufsstadt zu steigern, beantragte mit Schreiben vom 8. September 2016 bei der Antragsgegnerin die Genehmigung verkaufsoffener Sonntage am 2. April 2017, am 3. Oktober 2017, am 15. Oktober 2017 (…markt) und am 5. November 2017. Auf den Hinweis der Antragsgegnerin, hinreichende Sachgründe für die Veranstaltungstage zu benennen, änderte und ergänzte die Werbegemeinschaft … e.V. mit Schreiben vom 27. Oktober 2016 den Antrag und benannte für den 2. April 2017 den Frühlingsmarkt in …, für den 1. Oktober 2017 den Herbstmarkt - Erntedank in …, für den 15. Oktober 2017 den …markt (Tradition) und für den 5. November 2017 den Tag der Ostfriesen.

Mit Allgemeinverfügung vom 13. Dezember 2016 genehmigte die Antragsgegnerin die Öffnung der Verkaufsstellen im gesamten Stadtgebiet von … für die beantragten Sonntage jeweils in der Zeit von 13:00 Uhr bis 18:00 Uhr und ordnete die sofortige Vollziehung dieser Verfügung an. Zur Begründung führte sie aus, dass die Antragstellerin besondere Anlässe zu den beantragten Verkaufsöffnungstagen angegeben habe. Es müsse erwartet werden, dass die Besucher anlässlich der an den jeweiligen Tagen stattfindenden Veranstaltungen die Stadt … besuchen würden und die Verkaufsöffnung nur ein Annex darstelle. Die 4 mitgeteilten Veranstaltungen stünden aufgrund der Art und Weise der Gestaltungen für sich genommen im Vordergrund, sodass die beantragte Verkaufsöffnung für die 4 Sonntage habe erteilt werden können. Die Anordnung der sofortigen Vollziehung erfolge im besonderen öffentlichen Interesse, da insbesondere aufgrund der Planungssicherheit der an der Sonntagsöffnung teilnehmenden Gewerbetreibenden eine durch eine Klage ausgelöste aufschiebende Wirkung nicht hinzunehmen sei.

Die Antragstellerin hat am 10. Januar 2017 gegen die Allgemeinverfügung der Antragsgegnerin vom 13. Dezember 2016 Klage erhoben und am 18. Januar 2017 den Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz hinsichtlich der Gestattung der Öffnung von Geschäften an den Sonntagen 2. April, 1. Oktober und 5. November 2017 gestellt.

Zur Begründung ihres Antrages auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes trägt sie vor:  Sie sei durch die angefochtene Allgemeinverfügung als Gewerkschaft in ihren Rechten aus Art. 9 Abs. 1 und 3 GG, konkretisiert in Art. 140 GG i.V.m. Art. 139 WRV betroffen und deshalb antragsbefugt. Der Antrag sei auch begründet. Die Antragsgegnerin habe bereits das erforderliche öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung nicht hinreichend begründet. Der Antrag habe in der Sache besonders deshalb Erfolg, da das der Allgemeinverfügung zu Grunde liegende Landesgesetz, § 5 Abs. 1 NLöffVZG, wegen Verstoßes gegen Art. 140 GG in Verbindung mit Art. 139 WRV verfassungswidrig sei. Auch die Allgemeinverfügung selbst sei offensichtlich rechtswidrig.

Die Antragstellerin beantragt,

die aufschiebende Wirkung der Anfechtungsklage der Antragstellerin gegen die Allgemeinverfügung der Antragsgegnerin über die Öffnung von Verkaufsstellen an Sonn- und Feiertagen im Jahr 2017 vom 13. Dezember 2016 insoweit wiederherzustellen, als mit der Allgemeinverfügung eine Öffnung von Geschäften an den Sonntagen 2. April, 1. Oktober und 5. November 2017 gestattet wird.

Die Antragsgegnerin beantragt,

den Antrag abzulehnen.

Sie führt zur Begründung aus: Für die an den streitgegenständlichen Sonntagen vorgesehenen Veranstaltungen lägen hinreichende Veranstaltungskonzepte vor, sodass die Veranstaltungen für die Sonntage die Hauptanlässe seien. Die Veranstaltungskonzepte seien im Laufe des Verfahrens in zulässiger Weise konkretisiert worden. Die thematische Ausgestaltung des Frühlingsmarktes am Aprilwochenende (31. März bis 2. April 2017) richte sich an die Zielgruppe „Familie und Kinder“ und solle hinsichtlich der Frühlings-und Osterzeit besondere Angebote, wie zum Beispiel Ostereierbörse, Mit-machaktionen für Kinder und Marktstände zum Thema Frühling und Ostern bereitstellen. Am Erntedankfestwochenende (29. September bis 2. Oktober 2017), werde eine besondere Jahreszeit herausgegriffen. Es solle durch die verschiedenen geplanten Aktionen, wie z. B. Marktstände zum Thema Herbst und Ernte, Freiluftgottesdienst und die Präsentation von Ernteprodukten, das Bewusstsein für die Erntezeit gestärkt werden. Am Novemberwochenende (3. bis 5. November 2017) solle die Tradition der Ostfriesen und der Niederländer im Vordergrund stehen. Geplant seien an diesem Wochenende Mit-mach-Aktionen (Boßeln, Pultbockspringen), Vergünstigungen verschiedener Art und der Auftritt von Trachtengruppen. Die Besucherzahlen könnten wegen der erstmaligen Planung dieser Veranstaltungen mangels Erfahrungen aus den Vorjahren nur geschätzt werden. Es sei mit Besucherzahlen zwischen 80.000 und 100.000 für die jeweiligen Veranstaltungen zu rechnen.

Die Beigeladene unterstützt die Antragsgegnerin, stellt aber keinen eigenen Antrag.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten sowie der beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen; sie sind Gegenstand der Entscheidungsfindung gewesen.

II.

Der Antrag der Antragstellerin, die aufschiebende Wirkung der Klage wiederherzustellen, ist gemäß § 80a Abs. 3 Satz 2 i.V.m. § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 2, Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO zulässig und begründet.

Insbesondere ist die Antragstellerin antragsbefugt, weil sie in entsprechender Anwendung des § 42 Abs. 2 VwGO geltend machen kann, durch die von der Antragsgegnerin erlassene Allgemeinverfügung (§ 1 Abs. 1 NVwVfG i.V.m. § 35 Satz 2 VwVfG) in ihren Rechten verletzt zu sein. Die Konkretisierung des verfassungsrechtlich in Art. 140 GG i.V.m. Art. 139 WRV garantierten Sonntagsschutzes durch § 5 Abs. 1 NLöffVZG dient auch der Stärkung der Koalitionsfreiheit des Art. 9 GG  (vgl. BVerfG, Urteil vom 1. Dezember 2009 - 1 BvR 2857/07, 1 BvR 2858/07 -, BVerfGE 125,39 und juris Rn. 144 f.; BVerwG, Urteil vom 26. November 2014 - 6 CN 1.13 -, BVerwGE 150, 327 = NVwZ 2015, 590 und juris; Urteil vom 11. November 2015 - 8 CN 2/14-, BVerwGE 153,183 = GewArch 2016,154 und juris m.w.N.;). Es genügt, dass sich die Öffnung der Verkaufsstellen an einem Sonntag negativ auf die grundrechtlich geschützte Freiheit der Gewerkschaft auswirken kann. Hierzu reicht es aus, dass Mitglieder der Gewerkschaft oder auch nur Interessenten aufgrund der Arbeitsverpflichtung an der Teilnahme an gemeinschaftlichen Veranstaltungen der Gewerkschaft, die zudem nicht einmal konkret geplant sein müssen, gehindert sind. Die Antragstellerin vertritt die im Handel tätigen Arbeitnehmer und hat nach ihren - unwidersprochenen - Angaben im Bezirk Weser Ems, zu dem das Gebiet der Antragsgegnerin gehört, 8855 Mitglieder.

Der Antrag ist auch begründet. Die Anordnung der sofortigen Vollziehung genügt zwar mit dem Hinweis, dass aufgrund der Planungssicherheit der an der Sonntagsöffnung teilnehmenden Gewerbetreibenden eine durch eine Klage ausgelöste aufschiebende Wirkung nicht hinzunehmen wäre, den Begründungsanforderungen des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO. Es überwiegt aber das Aussetzungsinteresse der Antragstellerin sowohl das öffentliche Vollzugsinteresse als auch das Vollzugsinteresse der Verkaufsstelleninhaber, da die angegriffene Allgemeinverfügung nach der im vorläufigen Rechtsschutzverfahren allein möglichen summarischen Prüfung offensichtlich rechtswidrig ist.

Ein Antrag gemäß § 80 Abs. 5 VwGO ist im Falle der Anordnung der sofortigen Vollziehung eines Verwaltungsaktes gemäß § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO begründet, wenn eine seitens des Gerichts vorzunehmende Interessenabwägung ergibt, dass das private Interesse des Adressaten des Verwaltungsaktes an der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruchs oder seiner Anfechtungsklage das von der Behörde geltend gemachte öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsaktes überwiegt. Ob dies der Fall ist, richtet sich primär danach, welche Erfolgsaussichten der Rechtsbehelf aufweist. Erweist sich der Verwaltungsakt als rechtmäßig und eilbedürftig, überwiegt das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsaktes. Ist der Verwaltungsakt hingegen offensichtlich rechtswidrig, überwiegt das private Interesse an der Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs beziehungsweise der Klage.

Unter Zugrundelegung des Vortrages der Beteiligten und der beigezogenen Behördenakte der Antragsgegnerin gelangt die Kammer im Rahmen der im Eilverfahren nur möglichen und gebotenen summarischen Prüfung zu der Einschätzung, dass die Anordnung der sofortigen Vollziehung materiell rechtswidrig ist, weil sich die Allgemeinverfügung vom 13. Dezember 2016 im streitgegenständlichen Umfang als offensichtlich rechtswidrig darstellt.

Rechtsgrundlage für die streitgegenständliche Allgemeinverfügung ist § 5 Abs. 1 Satz 1 NLöffVZG. Danach soll auf Antrag der überwiegenden Anzahl der Verkaufsstellen eines Ortsbereichs oder einer den örtlichen Einzelhandel vertretenden Personenvereinigung die zuständige Behörde zulassen, dass Verkaufsstellen unabhängig von der Regelung des § 4 NLöffVZG an Sonn- und Feiertagen öffnen dürfen; die Öffnung darf im Jahr in Ausflugsorten an insgesamt höchstens acht und in anderen Orten an insgesamt höchstens vier Sonn- und Feiertagen und jeweils höchstens für die Dauer von fünf Stunden täglich zugelassen werden.

Entgegen der Auffassung der Antragstellerin ist diese Rechtsgrundlage nicht verfassungswidrig. Sie ist einer verfassungskonformen Auslegung zugänglich:

Eine solche Auslegung scheitert hier weder am Wortlaut der Norm noch an einem klar erkennbaren, entgegenstehenden Willen des Gesetzgebers. Aus den sich aus Art. 20 Abs. 3 GG abzuleitenden Grundsätzen der Gewaltenteilung und der Rechtssicherheit ergibt sich zwar die Grenze der Auslegung. Hat der Gesetzgeber nämlich eine eindeutige Entscheidung getroffen, darf sich das Gericht darüber nicht hinwegsetzen (BVerfG,  Urteil vom  03. April 1990 -  1 BvR 1186/89 -, BVerfGE 82, 6 = NJW 1990, 1593, juris; BVerfG, Beschluss vom 23. Mai 2016 - 1 BvR 2230/15, 1 BvR 2231/15 -, NJW-RR 2016, 1366; juris; BVerwG, Beschluss vom 10. August 2016 - 1 B 82.16 -, juris).

Diese Grenze der Auslegung ist hier aber nicht erreicht:

In § 5 NLöffVZG ist zwar eine besondere Voraussetzung für die Zulassung der Öffnung von Verkaufsstellen an Sonn- und Feiertagen nicht formuliert. Es sollen auf Antrag Öffnungszeiten von Verkaufsstellen an höchstens 4 Sonn- und Feiertagen zugelassen werden. Damit ist eine Anlassbezogenheit nicht ausdrücklich erwähnt, sie ist aber nach dem Wortlaut auch nicht ausgeschlossen. Denn der Wortlaut der Regelung ist nicht eindeutig und abschließend. Das gilt auch für den in der Gesetzesbegründung angeführten Gesetzeszweck. Den Gesetzesmaterialien ist zu entnehmen, dass der Gesetzgeber zwar auf die Anlassbezogenheit sogar bewusst verzichtet hat. In der Gesetzesbegründung zu § 5 NLöffVZG (Drucksache 15/3276 S.11) heißt es:

„Auf die in der Vergangenheit geforderte Anlassbezogenheit wird bewusst verzichtet. Die Praxis hat gezeigt, dass die Pflege traditioneller Anlässe, aber auch die Einführung neuer Anlässe nicht unumstritten war. Die erforderliche Diskussion im Vorfeld der Verordnungsgebung gestaltete sich daher schwierig und zeitaufwändig. Zudem waren eine Bewertung und ein Auswahlverfahren bei Vorliegen von mehr als vier Anlässen durch die zuständige Stelle erforderlich. Insoweit ist der Verzicht auf einen Anlass bei einer unveränderten Anzahl von Tagen ein deregulierendes Moment. Auch wird von einem Verfahren in Form einer kommunalen Verordnung abgesehen. Die Genehmigung per Verwaltungsakt ist die effizientere Lösung. Bei gemeinsamen Aktionen des Handels, bei der die überwiegende Anzahl der Verkaufstelleninhaber eines Ortsteils teilnehmen, soll die Genehmigung erteilt werden, um einer vollständigen „Zersplitterung“ der Öffnungsmöglichkeit entgegen zu treten; Anträgen einzelner Verkaufsstelleninhaber

kann die Genehmigung erteilt werden.“ Es seien zudem „in Einzelfällen befristete Sonntagsöffnungen zu bewilligen, wenn diese im öffentlichen Interesse stehen. Gedacht ist hier zum Beispiel an Notsituationen, aber auch an Ereignisse von besonderer kultureller oder sportlicher Art (wie z. B. die EXPO 2000 und die FIFA-Fußballweltmeisterschaft 2006).“

Damit hat der Gesetzgeber hinreichend deutlich gemacht, dass er auf die in der Vergangenheit geforderte Anlassbezogenheit bewusst verzichten wollte. Dieser Regelungsabsicht des Gesetzgebers kommt bei der Auslegung erhebliches Gewicht zu, sofern Wortlaut und Sinnzusammenhang der Norm Zweifel offen lassen. In einer solchen Lage darf die Auslegung sich über eine solche erkennbare Regelungsabsicht nicht hinwegsetzen. „Dies gilt allerdings nur für die in dieser Regelung erkennbar ausgeprägten und in ihr angelegten Grundentscheidungen, Wertsetzungen und Regelungszwecke“ (BVerfG, Beschluss vom 11. Juni 1980 – 1 PBvU 1/79 –, BVerfGE 54, 277, 297 f.). Auch wenn der Gesetzgeber somit in § 5 NLöffVZG auf die Anlassbezogenheit verzichtet hat, bedeutet dies nicht, dass die Zulassung der Öffnung von Verkaufsstellen an Sonn- und Feiertagen voraussetzungslos sein muss. Die Formulierung „soll“ in dieser Vorschrift wie auch der in den übrigen Regelungen des NLöffVZG zum Ausdruck kommende Schutzzweck lassen eine sich an der Systematik der Regelung und insbesondere dem Sinn und Zweck des Gesetzes orientierende ergänzende Auslegung zu. Hierbei ist insbesondere zu berücksichtigen:

Aus verfassungsrechtlichen Gründen sind zur Wahrung des hinreichenden Schutzes der Sonn- und Feiertagsruhe Ausnahmen nur dann zulässig, wenn dafür ein dem Sonn- und Feiertagsschutz gerecht werdender Sachgrund besteht.  Im Anschluss an die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts in seinem Urteil vom 1. Dezember 2009 - 1 BvR 2857 u.a. - (a.a.O.), der die verwaltungsgerichtliche Rechtsprechung folgt (BVerwG, Urteil vom 11. November 2015 - 8 CN 2.14 -, a.a.O.), ist der Schutz der Sonn-und Feiertagsruhe nach Art. 140 GG in Verbindung mit Art. 139 WRV so auszugestalten, dass an diesen Tagen „grundsätzlich die Geschäftstätigkeit in Form der Erwerbsarbeit, insbesondere der Verrichtung abhängiger Arbeit, ruhen“ soll. Es soll sich „grundsätzlich um einen für alle verbindlichen Tag der Arbeitsruhe handeln“. Von dieser Regel, Sonn-und Feiertage erkennbar als Tage der Arbeitsruhe zu erheben, dürfen nur bei einem dem Sonntagsschutz gerecht werdenden Sachgrund Ausnahmen zugelassen werden. Zu diesen zur Wahrung höher- oder gleichwertiger Rechtsgüter möglichen Ausnahmen zählen nicht das Umsatzinteresse der Ladeninhaber und das alltägliche Erwerbsinteresse („Shopping-Interesse“) potentieller Käufer. Soweit in den Gesetzen für eine Öffnung von Ladengeschäften an Sonn- und Feiertagen ein besonderer Anlass gefordert wird, muss dieser Anlass für den öffentlichen Charakter des Tages gegenüber der typisch werktäglichen Geschäftstätigkeit der Ladenöffnung überwiegen. Die Verkaufsstellenöffnung darf lediglich einen Annex zum Anlass bilden. Dies setzt in der Regel voraus, dass die Ladenöffnung in räumlicher, zeitlicher und/oder auf bestimmte Handelszweige bezogen in Korrelation zum Umfang und zur Attraktivität des konkreten Anlasses steht. Die Anlassveranstaltung muss für sich genommen bereits einen Besucherstrom anziehen, der die Zahl der Besucher überwiegt, die allein wegen einer Öffnung der Verkaufsstellen kämen. Die Ladenöffnung darf daneben auch den öffentlichen Charakter des Tages nicht maßgeblich prägen. Denn nur die Tage, die durch eine kollektive Arbeitsruhe bestimmt werden, werden der Eigenständigkeit des Sonn- und Feiertagsschutzes nach Art. 140 GG in Verbindung mit Art. 139 WRV gerecht (BVerwG, Urteil vom 11. November 2015, a.a.O).

Um die Frage zu beantworten, ob die Regelung des § 5 NLöffVZG dem nach den angegebenen Vorgaben zu wahrenden Sonn- und Feiertagsschutz gerecht wird, sind neben dieser konkreten Regelung auch die weiteren Regelungen des Gesetzes und der Sinn und Zweck dieser Regelung zu berücksichtigen. In den Regelungen wird hinreichend deutlich, dass der besondere Schutz der Sonn- und Feiertage anerkannt wird und gelten soll.

So wird nach § 3 NLöffVZG der Sonn- und Feiertagsschutz besonders betont. Danach dürfen an diesen Tagen Verkaufsstellen nur ausnahmsweise geöffnet werden. Diese Ausnahmen sind zum einen in § 4 NLöffVZG für bestimmte Verkaufsstellen, Zeiten und Orte und allgemein in § 5 geregelt. Die hier maßgebliche Regelung in § 5 Abs. 1 NLöffVZG führt an, dass diese allgemeinen Ausnahmen höchstens an 4 Sonn- und Feiertagen und höchstens für die Dauer von 5 Stunden täglich zugelassen werden. Diese zeitliche Beschränkung, insbesondere der Öffnungszeiten, betont den besonderen Ausnahmecharakter. Die Begrenzung der Öffnung auf 4 Tage im Jahr ist auch grundsätzlich zulässig, da dem Ausnahmecharakter damit hinreichend Rechnung getragen wird. Dies gilt allerdings dann nicht, soweit die allgemeine Formulierung in § 5 NLöffVZG es zulässt, dass die Verkaufsstellen an den angegebenen 4 Sonntagen darüber hinaus voraussetzungslos öffnen dürfen. Es wird dem Erfordernis des Regel-Ausnahme-Verhältnisses nicht hinreichend gerecht, dass die Regelung ihrem Wortlaut nach den Schluss zulässt, dass die Verkaufsstellen an 4 Sonntagen in Folge öffnen dürfen.  Hinsichtlich dieser 4 Sonntage ist die Regelung verfassungsgemäß und dem Sonntagsschutz entsprechend dahingehend auszulegen, dass die Zulassung nicht an 4 Sonntagen in Folge stattfinden darf(vgl. BVerfG, Urteil vom 1. Dezember 2009, a.a.O.).

Jedoch genügt dies als alleinige einschränkende Voraussetzung zur Einhaltung der verfassungsrechtlichen Mindestanforderungen an den Sonntagsschutz nicht. Vielmehr ist eine solche Auslegung auch hinsichtlich eines zu fordernden öffentlichen Interesses im Sinne eines besonderen Anlasses für die Öffnung der Verkaufsstellen an Sonn- und Feiertagen erforderlich. Eine Ausnahme vom Sonntagsschutz ist  - wie ausgeführt  - nur zulässig bei einem Sachgrund, der über das bloße wirtschaftliche Umsatzinteresse der Verkaufsstelleninhaber und das alltägliche Erwerbsinteresse der potenziellen Käufer hinausgeht. Die Öffnung der Verkaufsstellen an Sonn- und Feiertagen darf nur eine geringe prägende Wirkung entfalten, die sie nach den gesamten Umständen als bloßen Annex zu einer anderweitigen anlassgebenden Veranstaltung erscheinen lässt (vgl. zu § 14 LadSchlG: BVerwG, Urt. v. 11. November 2015, a.a.O., juris Rn. 24). Diese die Regelung des § 5 NLöffVZG einschränkende Auslegung wird dem im Übrigen hinreichend deutlich werdenden Ausnahmecharakter der Öffnungstage gerecht.

Dies entspricht auch der Verwaltungspraxis. Nach dem ministeriellen Runderlass zur Durchführung des NLöffVZG vom 26. April 2011 (RdErl. d. MS v. 26. April 2011 - 403-40013/0-2 - VORIS 81610 - Nds. MBl. 2011 Nr. 17, S. 307) ist bei der Entscheidung über eine Ausnahmegenehmigung das bereits genannte Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 1. Dezember 2009 (a.a.O.) zu beachten. Im Hinblick auf die grundsätzlich sicherzustellende Arbeitsruhe an Sonn- und Feiertagen dürfen Öffnungen an den Sonn- und Feiertagen danach nur in besonders begründeten Ausnahmefällen zugelassen werden. In Umsetzung dieser Vorgaben forderte auch die Antragsgegnerin im vorliegenden Verfahren den besonderen Anlass für die genehmigten Öffnungstage.

Die Kammer geht deshalb unter Zugrundelegung der angeführten Auslegung im vorliegenden Verfahren von der Verfassungsmäßigkeit der Ausnahmeregelung des § 5 Abs. 1 Satz 1 NLöffVZG aus.

Unter Zugrundelegung dieser Vorgaben ist die Allgemeinverfügung der Antragsgegnerin im streitgegenständlichen Umfang dennoch rechtswidrig. Für die in der Allgemeinverfügung angeführten Sonntage 2. April, 1. Oktober und 5. November 2017 ist ein jeweils hinreichender Sachgrund nicht anzunehmen. Die sonntägliche Ladenöffnung an den angegebenen Tagen stellt sich nach den Gesamtumständen nämlich nicht als bloßer Annex zur anlassgebenden Veranstaltung dar:

Die Antragsgegnerin führt zur Begründung des besonderen Anlasses für die Öffnungszeiten am Sonntag, den 2. April 2017 an, dass in der Zeit vom 31. März bis 2. April 2017 ein Frühlingsmarkt durchgeführt werden solle. Hierbei handele es sich um einen Markt, der bislang nicht stattgefunden habe. Als Zielgruppe werden „Familie und Kinder“ genannt. Besondere Angebote lägen in einer Ostereierbörse, in Mitmachaktionen für Kinder und Marktständen zum Thema Frühling und Ostern. Daraus lassen sich Gründe für einen rechtfertigenden Anlass für die Verkaufstätigkeit am Sonntag nicht ableiten. Es handelt sich hierbei erkennbar um ein „Begleitprogramm“, das lediglich als Alibiveranstaltung herangezogen werden soll. Es fehlt zudem an Anhaltspunkten, dass die Ladenöffnung der Verkaufsstellen einen Bezug zu diesem Frühlingsmarkt aufweist. Es ist nicht erkennbar, dass dieser Markt eine Ausstrahlungswirkung im Umfang und der Attraktivität der Öffnung der Verkaufsstellen hat. Der Frühlingsmarkt ist weder im Ordnungsrecht der Antragsgegnerin aufgeführt, noch findet eine nach außen hin erkennbare Werbung für diese Veranstaltung statt. Als Veranstalterin ist die Beigeladene benannt. Dass diese einen Antrag gestellt hat, in der der Markt nach Gegenstand, Zeit, Öffnungszeiten und Platz für den Fall der Durchführung bezeichnet wurde, ist nicht dargelegt. Es ist auch keine entsprechende Genehmigung vorgelegt worden. Im Veranstaltungsverzeichnis der Antragsgegnerin ist der Markt ebenfalls nicht aufgeführt, obwohl dort kleinere Märkte wie der Antikmarkt am 5. März 2017 und am 3. Oktober 2017, der Bücherflohmarkt am 7. Mai 2017, der ostfriesische Töpfermarkt am 1. Juli 2017, der 5. Kunst- und Handwerkermarkt am 30. Juli 2017 sowie der …markt am 11. Oktober 2017 verzeichnet sind. Diese Märkte sind zum Teil nur auf kleinere Bereiche - wie etwa der Antikmarkt bei den berufsbildenden Schulen - festgesetzt. Es ist auch nicht ersichtlich, dass die Öffnung der Verkaufsstellen einen Bezug zum Frühlingsmarkt hat. Dies wäre etwa der Fall, wenn der räumliche Bereich der zugelassenen Ladenöffnung auf die Veranstaltung bezugnehmend oder auch thematisch eine Eingrenzung erfolgt. Eine solche räumliche und thematische Eingrenzung ist nicht vorgenommen worden. Darüber hinaus kann die werktägliche Prägung der Ladenöffnung nur dann im Hintergrund bleiben, wenn nach der anzustellenden Prognose der Besucherstrom, den der Markt für sich genommen auslösen würde, die Zahl der Besucher überstiege, die allein wegen einer Öffnung der Verkaufsstellen kämen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass der Besucherstrom bei einer erstmalig geplanten Veranstaltung nur prognostiziert werden kann (vgl. zur Notwendigkeit einer solchen Besucherprognose: BVerwG, Urteil vom 11. November 2015, a.a.O.; VGH Mannheim, Beschluss vom 26. Oktober 2016 - 6 S 2041/16 -, juris m.w.N.). Nach dem Beschluss des Hess. VGH vom 21. Oktober 2016 (- 8 B 2618/16 -, juris) rechtfertigt selbst die Frankfurter Buchmesse mit über 100.000 Besuchern die Ladenöffnung am Sonntag im gesamten Stadtgebiet der Stadt … mangels anzustellender Prognose nicht. Dies gilt auch im vorliegenden Fall. Insbesondere liegen keine Begründungen für prognostische Zahlen vor. Die im Konzept angegebene Besucherzahl von 100.000 ist reine Spekulation. Es ist weder diese Zahl hinreichend bestimmt, noch findet eine Gegenüberstellung zur Zahl der Besucher, die wegen der Ladenöffnung zu erwarten sind, statt.

Das gilt in gleicher Weise für den Herbstmarkt, der als Erntedankfest am Wochenende vom 29. September bis 2. Oktober 2017 stattfinden soll. Auch insoweit werden als geplante Aktionen zum Beispiel Marktstände zum Thema Herbst und Ernte, ein Freiluftgottesdienst und die Präsentation von Ernteprodukten angeführt. Auch hierbei handelt es sich erkennbar um eine Alibiveranstaltung, die nur vorgeschoben wird, die Ladenöffnung am Sonntag zu rechtfertigen. Eine Darlegung der Genehmigung dieser Veranstaltung wie auch eine Bewerbung ist nicht ersichtlich.

Auch der „Tag der Ostfriesen“, der vom 3. bis 5. November 2017 stattfinden soll, ist als eine solche Alibiveranstaltung zu werten. Es stünde nach dem Konzept die Tradition der Ostfriesen und der Niederländer im Vordergrund. Geplant seien Mitmachaktionen, Verkostungen verschiedener Art und der Auftritt von Trachtengruppen. Auch insoweit fehlt jede planerische Konzeption und die Angabe konkreter Besucherzahlen.