Verwaltungsgericht Göttingen
Urt. v. 20.03.2003, Az.: 4 A 4094/00
Altpachtverhältnis; Milchreferenzmenge; Pachtvertrag (Anspr. auf Fortsetzung); Pächterschutz
Bibliographie
- Gericht
- VG Göttingen
- Datum
- 20.03.2003
- Aktenzeichen
- 4 A 4094/00
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2003, 47988
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 28a ZusAbgV
- § 7 Abs 3a MilchGarMV
- § 9 Abs 1 S 1 Nr 1 MilchGarMV
- § 7 Abs 4 EWGV 857/84
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
Zur Frage des Anspruchs eines Pächters auf Verlängerung des Pachtvertrags "unter entsprechenden Bedingungen".
Tenor:
Die der Beigeladenen von der Beklagten erteilte Bescheinigung vom 12.04.2000 und deren Widerspruchsbescheid vom 08.06.2000 werden insoweit aufgehoben, als der Beigeladenen ein Referenzmengenübergang von mehr als 4.237 kg bescheinigt worden ist.
Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens; insoweit ist das Urteil vorläufig vollstreckbar.
Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen sind nicht erstattungsfähig.
Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des festgesetzten Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Übertragung von Milch-Referenzmengen.
Der Kläger ist Landwirt und war über lange Jahre hinweg Milcherzeuger. Am 01.09.1980 pachtete er eine 4,5352 ha große landwirtschaftliche Fläche von der Beigeladenen [Kirchengemeinde]. Ein Anteil dieser Fläche mit einem Umfang von 3,1753 ha diente als Grünlandfläche der Milcherzeugung im Betrieb des Klägers. Der Pachtvertrag hatte die Laufzeit vom 01.10.1980 bis zum 30.09.1989. Unter dem 28.03.1989 wies das Kirchenkreisamt [] auf den Ablauf des Pachtvertrages hin und bot den Abschluss eines neuen Vertrages für die Zeit vom 01.10.1989 bis 30.09.1994 unter Erhöhung des Pachtzinses um 10 % an. Der dem Kläger überlassene landeskirchliche Musterpachtvertrag enthielt mit § 20 Abs. 2 folgende Regelung:
Der Pächter hat Produktions- und Lieferberechtigungen (z.B. Referenzmengen nach der Milch-Garantiemengen-Verordnung) bei Beendigung des Pachtverhältnisses auf den Verpächter oder auf Verlangen des Verpächters auf den neuen Pächter zu
übertragen, soweit es gesetzliche Regelungen zulassen.
In § 23 Abs. 2 S. 2 des Vertrages war folgende zusätzliche Vereinbarung vorgesehen:
Dem Pächter ist bekannt, dass es sich bei der Bestimmung des § 20 Abs. 2 um eine abweichende Vereinbarung i. S. v. § 7 Abs. 3 a MGV handelt.
Der Kläger, der ursprünglich Interesse an der Verlängerung hatte, lehnte den Abschluss des Vertrages wegen der genannten Änderungen durch Schreiben vom 29.10.1989 ab, nachdem er die Fläche am 30.09.1989 zurück gegeben hatte.
Am 15.03.2000 beantragte das Kirchenkreisamt [] für die Grünlandfläche die Erteilung einer Bescheinigung über den Übergang einer Milch-Referenzmenge. Unter dem 12.04.2000 erteilte die Beklagte [Landwirtschaftskammer] eine entsprechende Bescheinigung über den Übergang einer Referenzmenge im Umfang von 8.475 kg mit Wirkung zum 01.04.1999.
Am 17.04.2000 legte der Kläger hiergegen insoweit Widerspruch ein, als ihm Pächterschutz nicht gewährt worden war. Zur Begründung führte er aus, im Hinblick auf den Pächterschutz sei auf den Zeitpunkt der Rückgabe der Pachtfläche im Jahr 1989 abzustellen. Zu dieser Zeit und danach noch 10 Jahre lang sei er Milcherzeuger gewesen.
Die Beklagte wies den Widerspruch durch Widerspruchsbescheid vom 08.06.2000 zurück. Sie führte aus, die Pächterschutzregelung solle den aktiven, Milch erzeugenden Landwirt schützen, nicht jedoch denjenigen, der die Milcherzeugung aufgegeben habe. Der Kläger erzeuge keine Milch mehr und sei auf die Referenzmenge nicht mehr angewiesen.
Am 28.06.2000 hat der Kläger hiergegen Klage erhoben. Er wiederholt seine Auffassung, dass auf die Verhältnisse im Zeitpunkt der Rückgabe der Pachtfläche abzustellen sei, weil der Referenzmengen-Übergang sich kraft Gesetzes vollzogen habe. Die Beklagte habe ihm seinerzeit auch kein Angebot „zu entsprechenden Bedingungen“ gemacht. Zum einen sei eine 10%ige Erhöhung des Pachtzinses vorgesehen gewesen und zum anderen habe er durch die Regelungen in §§ 20 Abs. 2 und 23 Abs. 2 des Vertrages auf seinen Pächterschutzanspruch von vornherein verzichten sollen.
Der Kläger beantragt,
die der Beigeladenen von der Beklagten erteilte Bescheinigung vom 12.04.2000 und den Widerspruchsbescheid der Beklagten vom 08.06.2000 insoweit aufzuheben, als der Beigeladenen ein Referenzmengenübergang von mehr als 4.237 kg bescheinigt worden ist.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie ist der Auffassung, dass dem Kläger nach Ablauf der Pachtzeit die Fortsetzung des Pachtverhältnisses zu entsprechenden Bedingungen durch die Beigeladene angeboten worden sei und er dies abgelehnt habe. Die Regelung im Pachtvertrag sei nicht zwangsläufig dahingehend zu interpretieren, dass der Kläger auf seinen Pächterschutz habe verzichten sollen. Vielmehr sei davon auszugehen, dass in erster Linie das Ziel verfolgt worden sei, die gesetzlichen Bestimmungen zur Anwendung zu bringen.
Die Beigeladene stellt keinen Antrag. Sie wiederholt die Auffassung, es sei nicht auf die Sachlage im Jahr 1989, sondern darauf abzustellen, dass der Kläger im Jahr 1999 die Milcherzeugung aufgegeben habe. Andernfalls bliebe die tatsächliche Belieferung der gesamten Quote durch den Kläger in der Zeit von 1989 bis 1999 und damit über 10 Jahre hinweg unberücksichtigt, was für den Kläger einen nicht zu rechtfertigenden Vorteil bedeuten würde. Sie selbst sei im Jahr 1989 zu einer Verlängerung des Pachtvertrages nicht nur zu entsprechenden, sondern grundsätzlich identischen Bedingungen bereit gewesen. Die Regelungen des Vertrages wiederholten nur die geltende Gesetzeslage. Pächterschutz habe nicht ausgeschlossen werden sollen. Das Begehren einer 10%igen Erhöhung des Pachtzinses sei maßvoll und angemessen gewesen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze und die Verwaltungsvorgänge der Beklagten Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.
Entscheidungsgründe
Die Klage hat Erfolg.
Sie ist zulässig; insbesondere fehlt dem Kläger nicht deshalb das Rechtsschutzinteresse, weil er die Milcherzeugung im Jahr 1999 aufgegeben hat. Zwar ist das Übertragungssystem für Referenzmengen in der Verordnung zur Durchführung der Zusatzabgabenregelung vom 12.1.2000 (BGBl. I S. 27) in der Fassung vom 06.02.2002 (BGBl. I S. 586; ZAbgV) seit dem 01.04.2000 vollständig neu geregelt worden. Nach wie vor besteht jedoch gemäß §§ 7 ff. ZAbgV die Möglichkeit, eine Referenzmenge zu übertragen, so dass der Kläger ein rechtlich geschütztes Interesse daran hat, die Anwendung der ihn begünstigenden Pächterschutzregelung im Klagewege durchzusetzen.
Die Klage ist auch begründet. Im Umfang ihrer Anfechtung sind die Bescheide rechtswidrig und verletzen den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 VwGO).
Nach § 9 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 der Verordnung über die Abgaben im Rahmen von Garantiemengen im Bereich der Marktorganisation für Milch und Milcherzeugnisse (Milch-Garantiemengen-Verordnung - MGV -) vom 25.5.1984 (BGBl. I S. 720) in der hier anwendbaren Fassung der 33. Verordnung zur Änderung der MGV vom 25.3.1996 (BGBl. I S. 535), die gemäß § 28 a ZAbgV für dieses Verfahren fortgilt, hat der Milcherzeuger dem Käufer in den Fällen des Übergangs von Referenzmengen durch eine von der zuständigen Landesstelle - hier: der Beklagten - ausgestellte, mit Gründen versehene Bescheinigung nachzuweisen, welche Referenzmengen zu welchem Zeitpunkt von welchem Milcherzeuger mit welchem Referenzfettgehalt auf ihn übergegangen sind. Die Beklagte hat bei der Erteilung der Bescheinigung über den Übergang einer Milch-Referenzmenge vom 12.04.2000 die dem Kläger zugute kommende Pächterschutzregelung nicht beachtet, was zur teilweisen Rechtswidrigkeit der Bescheinigung führt.
Als Rechtsgrundlagen für die Gewährung von Pächterschutz kommen diejenigen Vorschriften in Betracht, die im maßgeblichen Zeitpunkt der Besitzübergabe an den betreffenden Flächen galten (vgl. BVerwG, Urt. v. 22.12.1994 - 3 C 24/92 -, RdL 1995,. 139; Urt. v. 22.01.1998 - 3 C 50.96 -, DVBl. 1998, 537). Dies sind hier Art. 7 der VO (EWG) Nr. 857/84 vom 31.03.1984 (AblEG Nr. L 90/13) i. d. F. der VO (EWG) Nr. 590/85 vom 26.02.1985 (AblEG Nr. L 68/1) i. V. m. Art. 7 Nr. 4 der VO (EWG) Nr. 1546/88 vom 03.06.1988 (AblEG Nr. L 139/12) und § 7 MGV in der Neufassung vom 30.08.1989 (BGBl. I S. 1654). Die Kammer folgt daher der Auffassung des Klägers, dass die Beklagte der Beigeladenen die Bescheinigung unter Zugrundelegung der Rechtsverhältnisse im Zeitpunkt der Rückgabe der Pachtfläche (mit Ablauf des 30.09.1989) hätte erteilen müssen.
Gemäß Art. 7 Abs. 4 der VO (EWG) Nr. 857/84 i. F. d. VO Nr. 590 (EWG) gilt Folgendes: Für auslaufende Pachtverträge, bei denen der Pächter keinen Anspruch auf Vertragsverlängerung unter entsprechenden Bedingungen hat, können die Mitgliedstaaten vorsehen, dass die auf den Betrieb bzw. den gepachteten Teil des Betriebs entfallende Referenzmenge ganz oder zum Teil dem ausscheidenden Pächter gutgeschrieben wird, sofern er die Milcherzeugung fortsetzen will. Zwingende Voraussetzung für die Gewährung von Pächterschutz ist daher, dass der Pächter die Pachtfläche gegen seinen Willen an den Verpächter herausgeben muss (BVerwG, std. Rspr., vgl. Urt. v. 20.02.1992 - 3 C 51.88 -, BVerwGE 90, 18, 22; Urt. v. 09.12.1998 - 3 C 1.98 -, DVBl. 1999, 1034).
Die Umsetzung der Pächterschutz-Regelung in nationales Recht erfolgte seinerzeit durch § 7 Abs. 3 a Satz 1 MGV i. d. F. der Neubekanntmachung vom 30.08.1989, der folgenden Wortlaut hat:
„Werden Teile eines Betriebes, die für die Milcherzeugung genutzt werden, aufgrund eines Pachtvertrags, der vor dem 02.04.1984 abgeschlossen worden ist, nach dem 30.09.1984 an den Verpächter zurückgewährt, geht in Höhe von 5 ha überlassener Fläche keine Referenzmenge über; die der über 5 ha hinausgehenden Fläche entsprechende Referenzmenge geht zur Hälfte, höchstens jedoch in Höhe von 2500 kg je Hektar, auf den Verpächter über. Dies gilt nicht, wenn der Verpächter und der Pächter eine abweichende Vereinbarung treffen...; in diesen Fällen gehen jedoch höchstens 5000 kg je Hektar auf den Verpächter über.“
Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist die in § 7 Abs. 3 a MGV enthaltene „5-Hektar-Klausel“ wegen Verstoßes gegen die Eigentumsgarantie (Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG) und den Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) verfassungswidrig, weil sie diejenigen Verpächter härter trifft, die ihr Land in mehreren Teilflächen jeweils unter 5 ha verpachtet haben, als diejenigen, die ihre Flächen insgesamt (und damit in einem Stück über 5 ha) verpachtet haben. Die unterschiedlichen und sehr einschneidenden Rechtsfolgen einer solchen Stückelung entbehren jeglicher sachlichen Rechtfertigung. Ohne hinreichenden Grund wird den Verpächtern von kleinem Besitz ein härteres Opfer auferlegt als denjenigen, die größeren Grundbesitz verpachtet haben (vgl. BVerwG, Urteil vom 11.11.1993 - 3 C 37.91 -, AgrarR 1994, 138).
Demgegenüber ist die durch die 3. Änderungsverordnung eingeführte Höchstmengen-Begrenzung - nämlich die hälftige Aufteilung der auf die zurückgewährte Milcherzeugungsfläche entfallenden Referenzmenge zwischen Pächter und Verpächter sowie die Begrenzung des dem Verpächter zustehenden Anteils auf maximal 2500 kg Referenzmenge je Hektar - nach der genannten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (a.a.O.), der das Gericht folgt, mit der Eigentumsgarantie noch vereinbar. Aus der Nichtigkeit der 5-Hektar-Klausel folgt auch keine Gesamtnichtigkeit der seinerzeit geltenden deutschen Pächterschutz-Regelung. Es sind keine Anzeichen dafür vorhanden, dass der Normgeber die in § 7 Abs. 3 a Satz 1 MGV vorgesehene hälftige Aufteilung der auf die zurückgewährte Milcherzeugungsfläche entfallenden Referenzmenge zwischen Pächter und Verpächter wie auch die Höchstmengenbegrenzung nicht hätte angewandt wissen wollen, hätte er die Nichtigkeit der 5-Hektar-Klausel erkannt (vgl. BVerwG, a.a.O.).
Bei dem zwischen dem Kläger und der Beigeladenen bestehenden Pachtverhältnis handelte es sich um ein sog. Altpachtverhältnis im Sinne des § 7 Abs. 3 a Satz 1 MGV, da der Kläger die streitbefangene Fläche bereits zum 01.10.1980 gepachtet hatte. Der Kläger kann sich auch auf die Gewährung von Pächterschutz berufen, weil er keine Möglichkeit hatte, das Pachtverhältnis unter entsprechenden Bedingungen im Sinne der oben zitierten europarechtlichen Regelung fortzusetzen, und die Pachtfläche daher gegen seinen Willen herausgeben musste.
Mit der Formulierung des landeskirchlichen Musterpachtvertrags hat die Beigeladene dem Kläger im Jahr 1989 eine Vertragsgestaltung angeboten, die ihm einen vollständigen Verzicht auf den Pächterschutz des § 7 Abs. 3 a S. 1 MGV zugemutet hätte. Nach § 20 Abs. 2 des Pachtvertrags sollte er sich verpflichten, Referenzmengen bei Beendigung des Pachtverhältnisses insoweit zu übertragen, als gesetzliche Regelungen es zuließen. § 23 Abs. 2 des Vertrags bestimmte ausdrücklich, dass es sich bei § 20 Abs. 2 um eine abweichende Vereinbarung im Sinne von § 7 Abs. 3 a MGV handele. Hätte er zugestimmt, wäre bei Beendigung des Pachtverhältnisses in jedem Fall eine Referenzmenge von 5000 kg je Hektar und damit die gesamte die Fläche betreffende Referenzmenge auf die Beigeladene übergegangen. Unter diesen Umständen hatte der Kläger ersichtlich nicht die Möglichkeit, das Vertragsverhältnis unter entsprechenden Bedingungen fortzusetzen. Dies war auch den Vertretern der Beigeladenen bewusst, was sich dem Auszug aus dem Beschluss ihres Kirchenvorstands vom 17.01.1990 (GA Bl. 39) entnehmen lässt. Auf die weitere Frage, ob die beabsichtigte Erhöhung des Pachtzinses eine Fortsetzung unter entsprechenden Bedingungen bedeutet hätte oder nicht, kommt es nicht mehr an.
Auf die Beigeladene ist daher zum 01.10.1989 nur eine Referenzmenge von 1.334,5 kg pro Hektar Milcherzeugungsfläche und daher bei 3,1753 ha insgesamt eine Referenzmenge von 4.237,43, gerundet 4.237 kg übergegangen, während die andere Hälfte der Referenzmenge beim Kläger verblieben ist. Die von der Beklagten erteilte Bescheinigung ist somit im angefochtenen Umfang aufzuheben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 und § 162 Abs. 3 VwGO. Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen sind nicht erstattungsfähig, weil sie keinen Antrag gestellt und sich daher keinem eigenen Kostenrisiko (vgl. § 154 Abs. 3 VwGO) ausgesetzt hat.
Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergeht nach § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.