Verwaltungsgericht Göttingen
Urt. v. 12.03.2003, Az.: 2 A 2243/02
Altenteilsvertrag; Geldrente; Negativevidenz; Nießbrauchsrecht; Sozialhilfe; Überleitung
Bibliographie
- Gericht
- VG Göttingen
- Datum
- 12.03.2003
- Aktenzeichen
- 2 A 2243/02
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2003, 47939
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 90 Abs 1 BSHG
- § 96 BGBEG
- § 15 Abs 2 BGBAG ND
- § 16 BGBAG ND
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
Zu den Voraussetzungen für die Offenkundigkeit des Nichtvorliegens eines Geldrentenanspruchs nach §§ 15 Abs. 2 Nr. 1, 16 AGBGB (hier verneint).
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die außergerichtlichen Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens; insoweit ist das Urteil vorläufig vollstreckbar.
Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleitung in Höhe des gegen ihn festzusetzenden Kostenerstattungsbetrages abwenden, wenn nicht der Beklagte zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand:
Der Kläger wendet sich gegen eine Überleitungsanzeige des Beklagten, mit der dieser einen vermeintlichen Geldrentenanspruch aus einem Altenteilsvertrag, den die am 25. Dezember 1911 geborene und am 18. August 2002 verstorbene Frau H. gegen ihn haben soll, auf sich überleitete.
Der Beklagte gewährte Frau H. seit dem 13. Dezember 2001 bis zu ihrem Tode Hilfe zur Pflege gem. §§ 68 ff. BSHG in Höhe der nicht gedeckten Heimpflegekosten für ihre Unterbringung im Senioren- und Pflegeheim W. in N..
Frau H. und ihr Ehemann H. hatten mit Übergabevertrag vom 05. Oktober 1984 ihren Grundbesitz in D. an den Kläger übertragen. In § 4 dieses Vertrages wurde den Verkäufern ein lebenslängliches unentgeltliches Nießbrauchsrecht am Kaufgrundstück eingeräumt, das Frau H. bis zur Aufnahme in das Senioren- und Pflegeheim in N. am 13. Dezember 2001 auch ausgeübt hatte.
Mit Bescheid vom 25. Februar 2002 wies der Beklagte den Kläger darauf hin, dass Frau H. seit dem 13. Dezember 2001 gegen ihn aufgrund des nicht mehr ausgeübten Nießbrauchsrechts gem. §§ 16, 15 Abs. 2 Nr. 1 Nds. AGBGB ein Anspruch auf Zahlung einer monatlichen Geldrente zustehe. Dieser Anspruch werde gem. § 90 BSHG mit Wirkung vom 13. Dezember 2001 übergeleitet.
Den hiergegen unter dem 26. März 2002 eingelegten Widerspruch des Klägers wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 27. August 2002 zurück.
Am 18. September 2002 hat der Kläger Klage erhoben, die er im Wesentlichen damit begründet, dass Frau H. die Wohnung bis zu ihrem Tode nicht aufgegeben habe. Die Wohnung sei nicht geräumt und ihm die Wohnungsschlüssel nicht übergeben worden. Die Überleitung sei deshalb erkennbar sinnlos.
Der Kläger beantragt,
den Bescheid des Beklagten vom 25. Februar 2002 in der Form des Widerspruchsbescheides vom 27. August 2002 aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er nimmt zur Begründung im Wesentlichen auf die angefochtenen Bescheide Bezug. Es könne dahin stehen, ob ihm die vom Kläger behauptete fehlende Verfügbarkeit der Wohnung bekannt gewesen sei, da es jedenfalls nicht offensichtlich gewesen sei, dass der geltend gemachte und übergeleitete Anspruch nicht bestanden habe. Es sei wohl auch so gewesen, dass die Betreuerin der Frau H. den Wohnungsschlüssel deshalb nicht an den Kläger herausgegeben hätte, weil dieser seiner Verpflichtung zur Zahlung der Geldrente nicht nachgekommen sei. Es bestehe jedoch eine Vorleistungspflicht des Klägers, der sich im Übrigen treuwidrig verhalten habe.
Die Beteiligten haben sich übereinstimmend mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch den Einzelrichter einverstanden erklärt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf die Gerichtsakte und auf die Verwaltungsvorgänge des Beklagten (Beiakten A) Bezug genommen. Diese waren Gegenstand der Entscheidungsfindung.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage, über die das Gericht im Einverständnis der Beteiligten gemäß § 101 Abs. 2 VwGO ohne mündliche Verhandlung entscheidet, ist unbegründet.
Hat ein Sozialhilfeempfänger für die Zeit, für die ihm Hilfe zur Pflege gewährt wird, einen Anspruch gegen einen anderen, der Leistungsträger im Sinne des § 12 SGB I ist, kann der Träger der Sozialhilfe gem. § 90 Abs. 1 BSHG durch schriftliche Anzeige an diesen anderen bewirken, dass der Anspruch des Hilfeempfängers bis zur Höhe der Aufwendungen des Sozialhilfeträgers auf diesen übergeht. Der Übergang des Anspruchs darf nur insoweit bewirkt werden als bei rechtzeitiger Leistung des anderen die Hilfe nicht gewährt worden wäre. Im Rahmen der Anfechtungsklage gegen eine solche nach § 90 Abs. 1 BSHG angezeigte Überleitung vertraglicher Ansprüche prüft das Verwaltungsgericht das Bestehen des überzuleitenden Anspruchs nur insoweit, als nach objektivem materiellen Recht ein Anspruch ausgeschlossen erscheint, d. h. ob das Nichtvorliegen des übergeleiteten Anspruchs offenkundig ist („Negativevidenz“, vgl. BVerwG, Urteil vom 27.05.1993 - 5 C 7.92 - , NJW 1994, 64). Hierbei ist zu berücksichtigen, dass das Bestehen eines vertraglichen oder gesetzlichen Anspruchs nicht Rechtsmäßigkeitsvoraussetzung für die Überleitungsanzeige ist. Es reicht vielmehr aus, dass – abstrakt begrifflich – ein Anspruch aus dem konkreten Sachverhalt heraus gegeben sein könnte.
Form- und Verfahrensvorschriften hat der Beklagte nicht verletzt; insbesondere ist die Überleitungsanzeige, wie nach § 90 Abs. 1 BSHG erforderlich, schriftlich erfolgt.
Das Gericht ist davon überzeugt, dass hier kein Fall der sog. „Negativevidenz“ vorliegt.
Der vom Beklagten übergeleitete Anspruch kann ein Geldrentenanspruch eines Altenteilers nach §§ 16, 15 Abs. 2 Nr. 1 Nds. AGBGB sein.
Der Anwendungsbereich der Bestimmungen dürfte eröffnet sein, denn bei dem zwischen dem Kläger und den Eheleuten H. geschlossenen notariellen Kaufvertrag vom 05. Oktober 1984 handelt es sich um einen Altenteilsvertrag im Sinne von § 5 Nds. AGBGB i.V.m. Art. 96 EGBGB. Ein solcher zeichnet sich dadurch aus, dass einem Berechtigten u.a. vertraglich ein Inbegriff von Nutzungen und Leistungen zugewandt werden, die dessen langfristiger persönlicher Versorgung dienen soll und der Verpflichtete in eine die Existenz zumindest teilweise begründende wirtschaftliche Einheit, hier das Grundstück, nachrückt (vgl. Putzo in Palandt, BGB, 51. Aufl., EG 96 Rdnr. 1). Dies ist hier der Fall, da § 4 des Kaufvertrages nicht nur ein lebenslängliches unentgeltliches Nießbrauchsrecht für die Verkäufer vorsieht, sondern § 7 des Vertrages auch die Verpflichtung des Klägers zur Pflege der Verkäufer in kranken und bedürftigen Tagen regelt.
Gemäß §§ 16, 15 Abs. 2 Nr. 1 Nds. AGBGB kann der Altenteiler vom Übernehmer eine angemessene monatliche Geldrente fordern, wenn er, der Altenteiler, das Grundstück für dauernd verlässt. Tatsächlich hat Frau H. das Grundstück am 13. Dezember 2001 verlassen. Die Beteiligten streiten darüber, ob das Grundstück auch im Rechtssinne verlassen worden ist, da die Wohnung nach dem Vortrag des Klägers weder geräumt noch der Wohnungsschlüssel übergeben worden sei. Diese Frage ist im vorliegenden Verfahren, in dem um die Rechtmäßigkeit einer Überleitungsanzeige nach § 90 BSHG gestritten wird, einer Klärung nicht zugänglich. Denn der Anspruch ist nicht im Sinne der oben dargestellten Rechtsprechung offensichtlich ausgeschlossen.
Bei rechtzeitiger Erfüllung des übergeleiteten Anspruchs durch den Kläger wäre Frau H. Hilfe zur Pflege in der von ihm geleisteten Höhe nicht gewährt worden, weil sie in Anwendung des Vorrangs der Selbsthilfe nach § 2 BSHG insoweit nicht hilfeberechtigt gewesen wäre.
Die Entscheidung des Beklagten zur Überleitung des Anspruchs erging auch ermessensfehlerfrei. Dies ergibt sich aus den angefochtenen Bescheiden, die –so insbesondere der Widerspruchsbescheid vom 27. August 2002- auch das private Interesse des Klägers hinreichend berücksichtigen. Dass der Beklagte sein Ermessen kaum anders ausüben konnte, ergibt sich bereits aus dem Grundsatz der Nachrangigkeit der Sozialhilfe gemäß § 2 Abs. 1 BSHG. Diese Vorschrift legt fest, dass Sozialhilfe derjenige nicht erhält, der sich selbst helfen kann oder die erforderliche Hilfe von anderen erhält oder erhalten kann. Hierbei zählt zur Selbsthilfe auch die Geltendmachung von Ansprüchen. Unabhängig davon unterliegt der Beklagte selbstredend dem Gebot der öffentlichen Hand, wirtschaftlich und sparsam mit öffentlichen Mitteln umzugehen. Es ergeben sich demgegenüber keine Anhaltspunkte dafür, dass hier außergewöhnliche Umstände zu Gunsten des Klägers vorliegen würde, die ein Absehen von der Überleitung geboten hätten. Solche können u.a. dann anzunehmen sein, wenn der Kläger Frau H. vor Eintritt der Sozialhilfebedürftigkeit weit über das Maß der ihn treffenden Verpflichtung hinaus gepflegt und den Sozialhilfeträger dadurch bereits im Vorfeld der Heimaufnahme erheblich entlastet hätte oder wenn infolge der Anspruchsüberleitung eine nachhaltige Störung des Familienfriedens zu befürchten würde oder schließlich der Grundsatz der familiengerechten Hilfe (§ 7 BSHG) verletzt würde (vgl. BVerwG, Urteil vom 27.05.1993 – 5 C 7.92 -, NJW 1994, 64). Dass einer dieser Ausnahmetatbestände hier gegeben sein könnte, ist weder aus dem Akteninhalt noch dem Vorbringen der Beteiligten ersichtlich.
Schließlich ist es rechtlich unbedenklich, dass Geldrentenansprüche ab dem 13. Dezember 2001, also rückwirkend, geltend gemacht werden. Es gibt nämlich weder eine gesetzliche Vorschrift noch einen ungeschriebenen Rechtsgrundsatz, der besagt, dass erst Ansprüche ab dem Zeitpunkt des Zugangs des Überleitungsbescheides geltend gemacht werden dürfen. Grenzen für das Recht der Überleitung des Beklagten sind insoweit lediglich durch Verjährung und Verwirkung gesetzt, beides greift im vorliegenden Fall allerdings nicht ein.