Verwaltungsgericht Oldenburg
Beschl. v. 29.01.2013, Az.: 11 B 37/13

Kein Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 AufenthG bei Schwangerschaft der Antragstellerin; Duldungsanspruch für die Zeit bis zur Geburt

Bibliographie

Gericht
VG Oldenburg
Datum
29.01.2013
Aktenzeichen
11 B 37/13
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2013, 38528
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:VGOLDBG:2013:0129.11B37.13.0A

Fundstelle

  • AUAS 2013, 39-41

In der Verwaltungsrechtssache
der Frau I.,
............,
Antragstellerin,
Proz.-Bev.: Rechtsanwälte Sürig und andere,
Humboldtstraße 28, 28203 Bremen, - .......... -
gegen
den Landkreis Cloppenburg, vertreten durch den Landrat,
Eschstraße 29, 49661 Cloppenburg, - .......... -
Antragsgegner,
Streitgegenstand: Aufenthaltserlaubnis aus familiären oder humanitären Gründen
hat das Verwaltungsgericht Oldenburg - 11. Kammer - am 29. Januar 2013
beschlossen:

Tenor:

Soweit der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gerichtet ist, wird der Antragstellerin für das Verfahren im ersten Rechtszug Prozesskostenhilfe bewilligt. Ihr wird Rechtsanwalt Sürig zur Vertretung in diesem Verfahren beigeordnet. Im Übrigen wird der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe abgelehnt.

Der Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, die Antragstellerin bis zu einer Entscheidung über ihre Klage auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis (11 A 36/13), mindestens jedoch bis acht Wochen nach der Geburt ihres Kindes, zu dulden.

Im Übrigen wird der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes abgelehnt.

Die Kosten des Verfahrens tragen die Antragstellerin zu 2/3 und der Antragsgegner zu 1/3.

Der Streitwert wird auf 5.000,00 € festgesetzt.

Gründe

1. Der (Haupt-)Antrag der Antragstellerin, die aufschiebende Wirkung ihrer Klage (11 A 36/13) gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 4. Dezember 2012, mit dem u. a. die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis abgelehnt wurde, gem. § 80 Abs. 5 VwGO anzuordnen, ist zulässig, aber unbegründet.

Der Antrag ist zulässig, denn die Antragstellerin ist als serbische Staatsangehörige am 3. Juni 2012 visumfrei in den Schengen-Raum eingereist und hielt sich daher rechtmäßig in Deutschland auf, als sie am 17. August 2012 beim Antragsgegner die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis beantragte. Damit galt ihr Aufenthalt nach § 81 Abs. 3 Satz 1 AufenthG bis zum Erlass des Ablehnungsbescheides als erlaubt; die Klage gegen diesen Bescheid hat gem. § 84 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG nicht schon kraft Gesetzes aufschiebende Wirkung.

Der Antrag ist aber unbegründet. Das öffentliche Interesse an einer Vollziehung des angefochtenen Ablehnungsbescheides überwiegt das Interesse der Antragstellerin an der Anordnung der aufschiebenden Wirkung. Denn der Bescheid des Antragsgegners vom 4. Dezember 2012 ist zum maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts offensichtlich rechtmäßig. Zum jetzigen Zeitpunkt hat die Antragstellerin offensichtlich keinen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis. Aus § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG kann sich ein solcher Anspruch unabhängig von der Frage, welche Staatsangehörigkeit das Kind, mit dem die Antragstellerin schwanger ist, nach der Geburt haben wird, zum jetzigen Zeitpunkt schon deswegen nicht ergeben, weil dieses Kind noch nicht geboren ist (vgl. OVG Greifswald, Beschluss vom 26. Juli 2012 - 2 M 111/12 -, [...] Rn. 9). Familiennachzugsansprüche zum Kind aus § 36 AufenthG oder § 25 AufenthG i.V.m. Art. 6 GG bzw. Art. 8 EMRK scheitern derzeit aus demselben Grund, denn auch sie setzen ein bereits geborenes Kind voraus. Ein Anspruch auf Nachzug zum (zukünftigen) Kindsvater besteht ebenfalls nicht, weil die Antragstellerin nicht mit ihm verheiratet ist (vgl. § 30 AufenthG).

Da der Hauptantrag offensichtlich aussichtslos ist, kann der Antragstellerin insofern auch keine Prozesskostenhilfe bewilligt werden (vgl. § 166 VwGO i.V.m. § 114 ZPO).

2. Dagegen ist der Hilfsantrag, mit dem die Antragstellerin begehrt, den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihr bis zu einer Entscheidung über ihre Klage eine Duldung zu erteilen, zulässig und begründet.

Der Antrag ist nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO zulässig; namentlich fehlt der Antragstellerin nicht das Rechtsschutzbedürfnis. Bereits am 17. August 2012 hat sie neben einer Aufenthaltserlaubnis ausdrücklich hilfsweise u. a. eine Duldung beantragt. Dieser Teil des Antrags wurde im angefochtenen Bescheid nicht ausdrücklich beschieden. Indem er der Antragstellerin aber anschließend an die Ablehnung einer Aufenthaltserlaubnis lediglich eine bis zum 4. Januar 2013 gültige Grenzübertrittsbescheinigung ausstellte, hat der Antragsgegner konkludent zum Ausdruck gebracht, dass er nicht beabsichtigt, sie bis zur Geburt zu dulden.

Die Antragstellerin hat einen Anspruch auf Duldung nach § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG. Eine Abschiebung ist derzeit unmöglich.

Allerdings ergibt sich dieser Duldungsanspruch für die Zeit bis zur Geburt ihres Kindes nicht daraus, dass sie nach der Geburt möglicherweise von dem Kind ein Aufenthaltsrecht ableiten kann. Es kommt für diesen Zeitraum daher auch nicht darauf an, ob das Kind bei einer Geburt im Inland die deutsche Staatsangehörigkeit nach § 4 Abs. 3 StAG erwerben würde. § 4 Abs. 3 StAG regelt die rechtlichen Folgen für den Fall, dass ein Kind im Inland geboren wurde, vermittelt aber keinen Anspruch darauf, ein Kind im Inland zur Welt bringen zu dürfen. Daher kann aus dieser Norm auch in Verbindung mit Art. 11 Abs. 1 und Art. 6 GG keine aufenthaltsrechtliche Vorwirkung und damit auch kein Duldungsanspruch zugunsten einer Schwangeren bis zur Geburt abgeleitet werden (vgl. OVG Münster, Beschluss vom 8. September 2009 - 18 B 1156/09 -, [...] Rn. 10-12). Soweit die Antragstellerin geltend macht, sie, der Kindsvater und das Kind könnten die familiäre Lebensgemeinschaft auch bei einer ausländischen Staatsangehörigkeit des Kindes nur in Deutschland zumutbar leben, weil der Kindsvater faktischer Inländer sei, ist dies für den Zeitraum vor der Geburt des Kindes ebenfalls irrelevant. Selbst unterstellt, ihr Vortrag träfe zu, erscheint es nicht unzumutbar, wenn die Antragstellerin zunächst ausreist, ihr Kind in Serbien zur Welt bringt und dann nach der Geburt zusammen mit dem Kind mit einem Visum zur Familienzusammenführung nach § 29 Abs. 3 Satz 1, § 32 Abs. 4 bzw. § 36 Abs. 2 AufenthG wieder nach Deutschland zurückkehrt.

Für die Zeit bis acht Wochen nach der Entbindung ergibt sich die Unmöglichkeit der Abschiebung aber aus dem Schutz der körperlichen Unversehrtheit nach Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG. Die Kammer hält es aufgrund der fortgeschrittenen Schwangerschaft der Antragstellerin (voraussichtlicher Entbindungstermin ist laut dem vorgelegten Mutterpass der 6. März 2013, vgl. Bl. 18 d.A.) für ausreichend glaubhaft gemacht, dass die Antragstellerin nicht mehr ohne Gefahr für sich oder ihr ungeborenes Kind abgeschoben werden könnte. Für diese Glaubhaftmachung war es vorliegend ausnahmsweise nicht erforderlich, dass die Antragstellerin ein ärztliches Attest vorlegt, dass ihr Reiseunfähigkeit bescheinigt. Denn eine Vermutung für die Gefährdung von Leib und Leben ergibt sich schon allein aus der Nähe der Abschiebung zum Entbindungstermin; es wäre Aufgabe des Antragsgegners, diese Vermutung zu entkräften.

Nach § 3 Abs. 2 MuSchG dürfen werdende Mütter 6 Wochen vor der Entbindung grundsätzlich nicht mehr beschäftigt werden; das Beschäftigungsverbot dauert in der Regel bis 8 Wochen nach der Entbindung (vgl. § 6 Abs. 1 MuSchG). Die Vorschriften beruhen auf der allgemeinen Erkenntnis, dass im Falle einer erheblichen physischen oder psychischen Belastung der Schwangeren in dieser Zeit Gefahren für Mutter und Kind nicht von der Hand zu weisen sind. Diese gesetzgeberische Wertung zieht in aller Regel auch für Abschiebungen eine zeitliche Grenze (vgl. Funke-Kaiser, GK-AufenthG, § 60a Rn. 146; wohl im Ergebnis auch Dienelt, in: Renner, AuslR, 9. Aufl. (2011), § 60a Rn. 25). Denn die psychische und physische Belastung durch eine zwangsweise Aufenthaltsbeendigung dürfte derjenigen, die beispielsweise eine Arbeit an einem Büroarbeitsplatz mit sich bringt, mindestens gleichkommen. Insofern besteht eine tatsächliche Vermutung dafür, dass eine Schwangere während der Mutterschutzfrist nicht gefahrlos abgeschoben werden kann. Da der voraussichtliche Entbindungstermin der 6. März 2013 ist, hat die Mutterschutzfrist nach § 3 Abs. 2 MuSchG am 23. Januar 2013 begonnen.

Aber selbst wenn man die Grenze für eine Abschiebung von Schwangeren nicht so eng zöge, wird eine Abschiebung hier vor der Geburt nicht mehr möglich sein. Abschiebungen nach Serbien erfolgen nach den Erfahrungen der Kammer immer auf dem Luftwege. Nach dem aktuellen "Medical Manual for Aviation" der International Air Transport Association (IATA), (http://www.iata.org/whatwedo/safety/health/Documents/medical-manual-2012.pdf), S. 52 gilt für Flugreisen von Schwangeren Folgendes: Schwangere ab der 28. Schwangerschaftswoche (d.h. in den letzten 12 Wochen vor dem errechneten Geburtstermin) sollen von Fluggesellschaften nur mit einem ärztlichen Attest befördert werden. Ab der 36. Schwangerschaftswoche (also in den letzten 4 Wochen vor dem errechneten Geburtstermin) darf einer Passagierin der Antritt einer Flugreise nur nach positiver Begutachtung durch einen Arzt mit flugmedizinischer Erfahrung gestattet werden. Die 36. Schwangerschaftswoche beginnt bei der Antragstellerin am 6. Februar 2013, d.h. in einer Woche. Nichts im Verwaltungsvorgang deutet darauf hin, dass der Antragsgegner Vorbereitungen getroffen hat, die eine so schnelle Abschiebung als realistisch erscheinen lassen. Spätestens danach wird eine Flugreise aber aller Voraussicht nach nicht mehr möglich sein. Denn der Beklagte hat kein Gutachten eines Arztes mit flugmedizinischer Erfahrung vorgelegt, aus dem sich ergibt, dass die Antragstellerin auch in dieser Schwangerschaftsphase noch gefahrlos fliegen könnte.

Das auf den Aspekt des Gesundheitsschutzes begründete Abschiebungshindernis besteht nach der Geburt des Kindes bis zum Ablauf der Mutterschutzfrist nach § 6 Abs. 1 MuSchG (vgl. OVG Saarlouis, Beschluss vom 26. Februar 2010 - 2 B 511/09 -, [...] Rn. 35; OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 21. Juli 2011 - OVG 12 S 41.11 - [...]).

Für den nachfolgenden Zeitraum bis zu einer Entscheidung des Gerichts über die Klage der Antragstellerin auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis ergibt sich der Duldungsanspruch dann daraus, dass der Antragstellerin nach der Geburt ihres Kindes ein Anspruch auf eine Aufenthaltserlaubnis aus § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3, § 36 Abs. 2 oder § 25 Abs. 5 AufenthG zustehen könnte. Für einen Anspruch aus § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG wird maßgeblich sein, ob das Kind mit der Geburt nach § 4 Abs. 3 StAG die deutsche Staatsangehörigkeit erwirbt. Dies wird wiederum davon abhängen, ob die derzeit vor der Kammer anhängige Klage des Kindsvaters auf Erteilung einer Niederlassungserlaubnis nach § 26 Abs. 4 Satz 4 i.V.m. § 35 Abs. 1 Satz 1 AufenthG (11 A 34/13) Erfolg haben wird. Der Ausgang jenes Klageverfahrens ist derzeit offen und wird voraussichtlich vom Ergebnis einer Beweisaufnahme über die Behauptung des Kindsvaters, sein Vater habe für ihn seinerzeit rechtzeitig mündlich die Verlängerung der bis zum 18. Februar 2006 befristeten Aufenthaltserlaubnis beantragt, so dass dieser Aufenthaltstitel bis zur Neuerteilung einer Aufenthaltserlaubnis am 17. November 2009 als fortbestehend galt (vgl. § 81 Abs. 4 Satz 1 AufenthG), abhängen. Aber selbst für den Fall dass der Kindsvater keinen Anspruch auf eine Niederlassungserlaubnis haben sollte und das Kind daher nicht die deutsche Staatsangehörigkeit erwirbt, ist nicht auszuschließen, dass der Antragstellerin ein Aufenthaltsrecht zustehen könnte. Dem Kind könnte nach der Geburt eine Aufenthaltserlaubnis nach §§ 29 Abs. 3 Satz 1, 33 Satz 1 AufenthG zu erteilen sein, wenn sein Vater ein faktischer Inländer wäre, für den wegen des Schutzes des Privatlebens nach Art. 8 EMRK ein Zusammenleben mit seiner Familie in Serbien unzumutbar ist. Daran anschließend könnte dann auch der Antragstellerin eine Aufenthaltserlaubnis nach §§ 29 Abs. 3 Satz 1, 36 Abs. 2 AufenthG oder § 25 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 6 GG zu erteilen sein. Ob der Kindsvater ein faktischer Inländer ist, wird weiterer Aufklärung bedürfen. Seine Geburt in Deutschland, sein ständiges Leben im Inland, der seit über zwölf Jahren rechtmäßige Aufenthalt (unterbrochen allenfalls wegen Versäumnissen seiner Eltern bei der Stellung von Verlängerungsanträgen), das Fehlen jeder Hinweise auf Straftaten und die Zeugnisse, die auf einen guten Schulerfolg hindeuten, sprechen jedenfalls prima facie dafür.

Für ihren Hilfsantrag kann der Antragstellerin, die das Vorliegen der wirtschaftlichen Voraussetzungen glaubhaft gemacht hat, daher auch Prozesskostenhilfe bewilligt werden.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Dabei legte die Kammer zugrunde, dass der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung, mit dem die Antragstellerin unterlegen ist, nach Ziff. 8.1, 8.3 der Empfehlungen des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit den doppelten Wert des Antrags auf Aussetzung der Abschiebung hat, mit dem die Antragstellerin Erfolg hatte.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 53 Abs. 2 Nrn. 1, 2, 52 Abs. 2 GKG und berücksichtigt Ziff. 8.1, 8.3 der Empfehlungen des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit. Eine Addition der Streitwerte von Haupt- und Hilfsantrag unterbleibt hier nach § 45 Abs. 1 Satz 3 GKG.