Verwaltungsgericht Oldenburg
Beschl. v. 15.01.2013, Az.: 8 A 4742/12
Dienstvereinbarung; gemeinsame Einrichtung; Jobcenter; VoIP
Bibliographie
- Gericht
- VG Oldenburg
- Datum
- 15.01.2013
- Aktenzeichen
- 8 A 4742/12
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2013, 64492
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 69 BPersVG
- § 75 Abs 3 Nr 17 BPersVG
- § 44b SGB 2
- § 44h SGB 2
- § 50 Abs 3 SGB 2
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
Unabhängig von § 50 Abs. 3 SGB II kann im Einzelfall die Mitbestimmung bei der Einführung von VoIP Telefonie ausgeschlossen sein, wenn die Bundesagentur der Leitung des Jobcenters keine Entscheidungsfreiheit über Einführung und Anwendung der Technologie lässt.
Eine Dienstvereinbarung der Bundesagentur mit dem Hauptpersonalrat ist ohne Einfluss
auf die Mitbestimmung des Personalrats der gemeinsamen Einrichtung.
Gründe
I.
Der Antragsteller ist Personalrat beim Jobcenter im Landkreis … (gemeinsame Einrichtung gemäß § 44 b SGB II). Er streitet mit dem Beteiligten (Dienststellenleitung) über die Mitbestimmung bei der Einführung der VoIP-Telefonie.
Die Bundesagentur für Arbeit entschied im Jahre 2011, die bisherige Telefonietechnik in ihren Dienststellen und in den Jobcentern durch die VoIP-Telefonie zu ersetzen. Der flächendeckende Austausch der neuen Telefongeräte und die Umstellung der Software sollte voraussichtlich im 4. Quartal 2012 abgeschlossen sein. Im Jobcenter … sollte die neue Technik im Juli 2012 installiert werden.
Nachdem der Antragsteller von der beabsichtigten Installation erfahren hatte, machte er gegenüber dem Beteiligten mit Schreiben vom 29. Juni 2012 Mitbestimmungsrechte nach § 75 Abs. 3 Nr. 17 BPersVG geltend, weil mit der Umstellung auf die VoIP-Technologie eine technische Einrichtung eingeführt und angewendet werde, die dazu bestimmt sei, das Verhalten oder die Leistung der Beschäftigten zu überwachen. Der Beteiligte verwies darauf, dass die Installation der Telefontechnik nicht von ihm, sondern ausschließlich von der Bundesagentur verantwortet werde. Es handele sich um eine Maßnahme im Rahmen der zentralen Datennutzung und –verarbeitung, für die nach § 50 Abs. 3 SGB II ausschließlich die Bundesagentur zuständig sei. Im Übrigen sei die Mitbestimmung durch die Dienstvereinbarung vom 29. Juni 2012 ausreichend erfolgt. Weil sich eine Einigung nicht erzielen ließ, beschloss der Antragsteller die Anrufung des Verwaltungsgerichts.
Am 17. Oktober 2012 hat der Antragsteller das personalvertretungsrechtliche Beschlussverfahren auf Feststellung seines Mitbestimmungsrechtes eingeleitet. Seiner Ansicht nach wird die Maßnahme vom Beteiligten als Leiter der örtlichen Dienststelle und nicht von der Bundesagentur für Arbeit durchgeführt und verantwortet. Es sei Raum für die Gestaltung der Anwendung in der Dienststelle. Das System ermögliche weitergehende Überwachung und Kontrolle als das bisherige. Wenn zur Zeit davon kein Gebrauch gemacht werde, stelle das die Mitbestimmung nicht in Frage. Von der in § 50 Abs. 3 SGB II geregelten Nutzung der von der Bundesagentur zentral verwalteten Verfahren der Informationstechnik sei die Funktion der Telefonanlage nicht erfasst. Dem Mitbestimmungsbegehren stehe die Dienstvereinbarung vom 29. Juni 2012 nicht entgegen. Diese sei ausschließlich für den Anwendungsbereich des § 50 Abs. 3 SGB II abgeschlossen worden. Im Übrigen habe das Bundesministerium für Arbeit und Soziales erklärt, dass die Einführung von Voice over IP-Technik nicht von § 50 Abs. 3 SGB II erfasst werde.
Der Antragsteller beantragt,
festzustellen, dass der Antragsteller gemäß § 75 Abs. 3 Nr. 17 BPersVG bei der Einführung und Anwendung neuer Endgeräte für die Telefonie mit Voice over IP mitzubestimmen hat.
Der Beteiligte beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Seiner Ansicht nach liegt keine von der örtlichen Dienststelle zu verantwortende und veranlasste Maßnahme vor. Die Einführung der VoIP-Technik sei zentral von der Bundesagentur angeordnet worden und werde bei allen Dienststellen ohne örtliche Einflussnahme installiert. Es handele sich um eine zentrale IT-Anwendung im Sinne des § 50 Abs. 3 SGB II, zu deren Benutzung die örtlichen Dienststellen verpflichtet seien und bei deren Einführung und Anwendung keine Entscheidungs- oder Gestaltungsfreiheit bestehe. Die VoIP-Technik sei Gegenstand von Dienstvereinbarungen sowohl mit dem Hauptpersonalrat der BA als auch mit dem Antragsteller. Im Übrigen seien die Voraussetzungen des § 75 Abs. 3 Nr. 17 BPersVG nicht gegeben, weil sich gegenüber der bisherigen Anlagennutzung nichts ändere. Führungskräfte könnten nicht auf die Telefondaten zugreifen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird ergänzend auf die Verfahrensakte Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen Anhörung war.
II.
Der Antrag ist im personalvertretungsrechtlichen Beschlussverfahren nach §§ 44h Abs. 1 SGB II, 83 BPersVG i.V.m. 80 ff ArbGG statthaft und zulässig, aber unbegründet, weil das geltend gemachte Mitbestimmungsrecht des Antragstellers aus § 75 Abs. 3 Nr. 17 BPersVG nicht verletzt ist.
Die Einführung der Voice over IP-Technik (VoIP) als Ersatz für die bisherige Telefontechnik kann durchaus Interessen der Mitarbeiter betreffen oder zumindest die Annahme rechtfertigen, dass Interessen verletzt werden könnten. Dies belegen schon die umfangreiche Diskussion über die Einführung von VoIP in Dienststellen und das Angebot von Schulungs- und Informationsveranstaltungen auch durch die Gewerkschaften (vgl. z.B.“VoIP Telefonieren übers Internet, Handlungshilfe für die betriebliche Interessenvertretung“ hrsg. v. TBS DGB NRW). Die vielfältigen Möglichkeiten der Dokumentation und Kontrolle, die über die bisherige analoge oder ISDN Telefonie hinausgehen, können die Frage nach der personalvertretungsrechtlichen Begleitung von Maßnahmen zur Einführung der VoIP aufwerfen, führen aber hier nicht zum Erfolg des Antrages, weil kein Raum für Mitbestimmung des Antragstellers ist. Soweit der Beteiligte an Vorgaben der Bundesagentur gebunden ist, fehlt es an einer Maßnahme, die personalvertretungsrechtlich vom Antragsteller begleitet werden könnte. Soweit bei der Anwendung, etwa bei der Zuteilung von Berechtigungen noch Gestaltungsraum des Beteiligten bleiben könnte, sind dazu Regelungen in der der Dienstvereinbarung vom 29. Juni 2012 getroffen worden.
Gegenstand jeder Mitbestimmung und damit auch der Mitbestimmung nach § 75 Abs. 3 Nr. 17 BPersVG ist die Maßnahme der Dienststelle. Eine mitbestimmungspflichtige Maßnahme kann gemäß § 69 Abs. 1 BPersVG nur mit Zustimmung des Personalrats getroffen werden. Eine Maßnahme der Dienststelle setzt eine eigene Entscheidungsgewalt der Dienststelle voraus. Nur was die Dienststelle in eigener Verantwortung entscheiden kann, kann auch von der Personalvertretung entsprechend begleitet werden. Die Mitbestimmung der Personalvertretung ist durch die Entscheidungsgewalt der Dienststelle begrenzt, die durch Anweisungen der übergeordneten Dienststelle oder aber auch durch Gesetze eingeschränkt oder ganz ausgeschlossen werden kann.
Wenn unmittelbar gestaltende Anordnungen einer vorgesetzten Dienststelle dem örtlichen Dienststellenleiter keinen eigenen Entscheidungsspielraum lassen, kann eine Beteiligung an dieser Entscheidung durch die Personalvertretung nicht gegeben sein. Allerdings kommt es zum Ausschluss des Mitbestimmungsrechts nur dann, wenn die Anweisung der vorgesetzten Dienststelle dem Dienststellenleiter keinen eigenen Regelungsspielraum mehr lässt und ihm insoweit nur noch die Funktion eines Übermittlungsboten zukommt (vgl. BVerwG, Beschluss vom 10.03.1992 – 6 P 13/91 – Personalrat 92, 247; Nds. OVG, Beschluss vom 12.11.2008, 17 LP 23/07 Vnb).
Nach einhelliger Ansicht der bisher veröffentlichten Rechtsprechung besteht bei der Einführung von VoIP in den gemeinsamen Einrichtungen nach § 44b SGB II, die gem. § 6d SGB II ebenso wie die zugelassenen kommunalen Träger die Bezeichnung Jobcenter führen, kein Mitbestimmungsrecht der örtlichen Personalräte. Die Entscheidungsbefugnis der Dienststellenleitung des Jobcenters sei schon durch § 50 Abs. 3 SGB II von Gesetzes wegen zwingend ausgeschlossen (VG Berlin, B. v. 23.05.2012, 71 K 20.11 PVB, juris; VG Frankfurt, B. v. 01.10.2012, 22 K 1921/12, juris; LAG Berlin-Brandenburg, B. v. 17.10.2012, 15 TaBV 1458/12, juris). Wenn die Dienststelle keine eigene Entscheidung treffen kann, sondern gebunden ist, fehlt es an einer Maßnahme, die personalvertretungsrechtlich begleitet werden kann.
Nach § 50 Abs. 3 SGB II nutzt die gemeinsame Einrichtung zur Erfüllung ihrer Aufgaben die durch die Bundesagentur zentral verwaltete Verfahren der Informationstechnik. Sie ist verpflichtet, auf einen auf dieser Grundlage erstellten gemeinsamen zentralen Datenbestand zuzugreifen. Daraus folgt die o. a. Rechtsprechung, die Einführung der VoIP-Telefonie sei ein Verfahren der Informationstechnik, zu deren Nutzung die gemeinsame Einrichtung nach § 50 Abs. 3 Satz 1 SGB II verpflichtet ist. Die Frage nach der Entscheidungsbefugnis der örtlichen Dienststelle im Einzelfall stellt sich dann nicht mehr, weil sie schon durch das Gesetz ausgeschlossen ist. Deshalb ist nicht darüber zu befinden und darzulegen, ob die örtliche Dienststelle keinen Entscheidungsspielraum hatte (so ausdrücklich LAG Berlin-Brandenburg, a.a.O., Rdnr. 32). An dieser Rechtsprechung können durchaus Zweifel angebracht sein und sie ist deshalb nicht ohne Kritik geblieben (Hebeler, Die Mitbestimmung des Personalrats bei Einführung einer Telefonanlage mit Voice-over-IP-Technologie in einer gemeinsamen Einrichtung, ZfPR 2013, 13). Auf die Auslegung von § 50 Abs. 3 SGB II kommt es hier jedoch nicht an. Im hier zu entscheidenden Einzelfall ist kein Raum für die geltend gemachte Mitbestimmung. Bei der Einführung der VoIP Telefonie hatte die Dienststellenleitung keine Entscheidungsbefugnis. Alles war von der Bundesagentur vorgegeben worden.
Das schriftliche Vorbringen der Beteiligten und auch die mündliche Anhörung haben nichts dafür erbracht, dass die Dienststelle die Einführung der neuen Telefonietechnik hätte beeinflussen können. Auch der Antragsteller behauptet nicht, dass die Dienststelle einen Entscheidungsspielraum bei der Einführung der VoIP-Technik hatte. Die Umstellung der bisherigen Telefonie auf die VoIP-Technik war bis ins Einzelne von der Bundesagentur vorgegeben. Nicht nur das „Ob“ der Maßnahme, sondern auch das „Wie“ und „Wann“ war der Entscheidungsgewalt der örtlichen Dienststelle entzogen. Die Entscheidung über die Einführung und insbesondere auch über den Einführungszeitpunkt hatte die Bundesagentur sich ausschließlich vorbehalten. Dabei kommt es hier nicht darauf an, ob und inwieweit wegen der besonderen Ausgestaltung der gemeinsamen Einrichtung die Bundesagentur übergeordnete Behörde ist. Die gemeinsame Einrichtung ist gehalten, die Anweisungen der Bundesagentur zur Einführung der VoIP-Technik zu befolgen.
Wenn die Anhörung Anhaltspunkte für Gestaltungsmöglichkeiten der Dienststelle bei der Anwendung der neuen Technik ergeben haben sollte, könnte auch das nicht zum Erfolg des Antrages führen. Soweit die Dienststelle etwa bei der Zuteilung von Nutzer- oder Administratorenrechte eigene Entscheidungen treffen kann, ist die dazu erforderliche Mitbestimmung bereits durch Dienstvereinbarung erfolgt.
Allerdings kommt die Dienstvereinbarung vom 11.10.2010 zwischen der Bundesagentur für Arbeit und dem Hauptpersonalrat nicht zum Tragen. Für die gemeinsame Dienststelle ist die Bundesagentur nicht die oberste Dienstbehörde. Sie ist aus der Hierarchie der Arbeitsverwaltung ausgegliedert. Der Hauptpersonalrat bei der Bundesagentur kann die Beschäftigten der gemeinsamen Einrichtung – wegen § 44d Abs. 4 SGB II abgesehen vielleicht von Entscheidungen über die Begründung von Arbeitsverhältnissen – nicht vertreten. Die Funktion der übergeordneten und obersten Dienstbehörde nimmt gem. § 44c Abs. 3 SGB II die Trägerversammlung wahr.
Einschlägig ist hier jedoch die Dienstvereinbarung zwischen den Beteiligten vom 29.06.2012 “über die Nutzung von Einrichtungen der Informations- und Kommunikationstechnik (IKT) nach § 50 Abs. 3 Zweites Buch Sozialgesetzbuch im Jobcenter im Landkreis Cloppenburg“. Anders als der Titel vermuten lässt, beschränkt sich die Dienstvereinbarung nicht auf die IKT nach § 50 Abs. 3 SGB II, sondern betrifft auch die Telefonie. Die Begriffsbestimmung in § 2 bezieht ausdrücklich auch Telefone und Geräte mit vergleichbarer Funktion mit ein. Ausführlich sind in § 7 die Zugriffsberechtigungen sowie die Verhaltens- und Leistungskontrolle geregelt, um die es dem Antragsteller im gerichtlichen Verfahren geht. Insbesondere ist in § 7 bestimmt, dass sich die Zugriffsberechtigungen an dem Rollen- und Berechtigungskonzept der BA auszurichten haben.
Zwar ist in der DV an keiner Stelle die VoIP Telefonie erwähnt, sie lässt sich aber unschwer unter den Begriff der eingesetzten IT Verfahren subsumieren. Außerdem ist die Dienstvereinbarung verhandelt und abgeschlossen worden, als die Einführung der VoIP Telefonie in Cloppenburg unmittelbar bevorstand und in vielen Dienststellen schon eingeführt war. Es ist deshalb nicht anzunehmen, dass die VoIP Technik nicht von der in der DV geregelten Telefonie erfasst werden sollte. Auch in der alten Telefonanlage wurden Daten über die Dauer und Partner von Telefongesprächen gespeichert. Da die zur Verfügung stehenden weil eingekauften Möglichkeiten der VoIP darüber nicht hinausgehen, besteht auch keine Lücke, die von der DV nicht abgedeckt wäre und Gegenstand einzelfallbezogener Mitbestimmung nach § 75 Abs. 3 Nr. 17 BPersVG sein könnte.
Eine Kostenentscheidung ist im personalvertretungsrechtlichen Beschlussverfahren entbehrlich.