Verwaltungsgericht Hannover
Beschl. v. 14.07.2006, Az.: 10 B 4212/06
Rechtmäßigkeit von Auflagen bezüglich einer Versammlung; Voraussetzungen für eine unmittelbare Gefährdung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung; Anforderungen an die Annahme einer Gefährdung i.S.v. § 15 Abs. 1 Versammlungsgesetz (VersG); Rechtmäßigkeit der Auflage zur alleinigen Duchführung der Auftaktkundgebung auf den rechten Fahrstreifen; Möglicher Einsatz von Wurfgeschossen durch Teilnehmer der Versammlung als Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung; Auflage zur Verlagerung des Kundgebungsortes
Bibliographie
- Gericht
- VG Hannover
- Datum
- 14.07.2006
- Aktenzeichen
- 10 B 4212/06
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2006, 20774
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:VGHANNO:2006:0714.10B4212.06.0A
Rechtsgrundlagen
- § 80 Abs. 5 VwGO
- § 15 Abs. 1 VersG
- Art. 8 Abs. 1 GG
- Art. 19 Abs. 4 GG
Verfahrensgegenstand
Versammlungsrechtliche Auflagen - Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO
In der Verwaltungsrechtssache
hat das Verwaltungsgericht Hannover -10. Kammer -
am 14. Juli 2006
beschlossen:
Tenor:
Die aufschiebende Wirkung der Klage wird wiederhergestellt, soweit sie sich gegen die in Nummer 2 des angefochtenen Bescheides des 06.07.2006 enthaltenen Regelungen richtet,
- a)
den Einsatz elektroakustischer Hilfsmittel, der darauf gerichtet ist, das Sommerbiwak der Bundeswehr erheblich zu beeinträchtigen oder zu vereiteln, zu unterlassen,
- b)
die Lautsprecheranlagen so auszurichten, dass eine Schallabstrahlung nicht direkt in Richtung des HCC erfolgt,
- c)
die Erzeugung oder Übertragung von Rückkopplungs- oder Störgeräusche zu unterlassen und
- d)
den Einsatz von mechanischen oder elektrotechnischen Geräten zur Erzeugung von Sirenentönen, von Druckfanfaren oder nautischen Hörnern (Nebelhörner o.a.) zu unterlassen.
Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt.
Die Kosten des Verfahrens tragen Antragsteller und Antragsgegnerin jeweils zur Hälfte.
Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 5.000,-- EUR festgesetzt.
Gründe
I.
Der Antragsteller wendet sich gegen ihm von der Antragsgegnerin für eine Versammlung erteilte Auflagen.
Am 15.07.2006 findet im Stadtpark am Hannover Congress Centrum (HCC) unter dem Motto "Night of the Goldies" das Sommerbiwak 2006 statt. Dabei handelt es sich um ein mittlerweile traditionelles Sommerfest für Soldaten der 1. Panzerdivision und deren ziviles Umfeld, zu dem etwa 7.000 Gäste aus Wirtschaft und Politik eingeladen wurden.
Am 08.06.2006 meldete der Antragsteller im Namen des "Bündnisses gegen das Sommerbiwak der 1. Panzerdivision" eine Demonstration in Form eines Aufzuges mit Auftakt-und Abschlusskundgebung unter dem Motto "Keinen Frieden mit der Bundeswehr - Keine Feier mit der 1. Panzerdivision" an. Der Aufzug soll am 15.07.2006 um 17.00 Uhr mit einer Autaktkundgebung an der Ecke Hans-Böckler-Allee / Freundallee beginnen und anschließend über die Hans-Böckler-Allee und Clausewitzstraße zum Theodor-Heuss-Platz verlaufen. Dort soll auf der Rundfläche im Süden des Platzes außerhalb des Straßenbereiches eine Abschlusskundgebung stattfinden. Endzeitpunkt der Veranstaltung soll 19.30 Uhr sein. Der Antragsteller, der gleichzeitig Versammlungsleiter ist, teilte weiter mit, man rechne mit ca. 300 Teilnehmern und werde eine akustische Verstärkeranlage benutzen.
Mit Bescheid vom 06.07.2006 erteilte die Antragsgegnerin nach Durchführung eines Kooperationsgespräches und einer schriftlichen Anhörung unter Anordnung der sofortigen Vollziehung für die Versammlung des Antragsgegnerin u.a. folgende Auflagen:
- 1.
Die Durchführung .der Abschlusskundgebung südlich des - vom HCC aus gesehenen - dritten Fahnenmastpaares (der Fahnenmastreihe zu beiden Seiten des Theodor-Heuss-Platzes) wird untersagt. Die Durchführung der Abschlusskundgebung nördlich dieses Fahnenmastes bleibt Ihnen freigestellt. Die Auftaktkundgebung muss auf dem rechten Fahrstreifen der Freundallee (in Fahrtrichtung Hand-Böckler-Allee gesehen) stattfinden. Die Abschlusskundgebung endet gem. Ihrer Anmeldung spätestens um 19.30 Uhr.
- 2.
Ansprachen und Durchsagen aus Anlass der Versammlung dürfen nur dann unter Verwendung elektroakustischer Hilfsmittel verstärkt werden, wenn die Zahl der Versammlungsteilnehmer 50 Personen übersteigt. Der Einsatz elektroakustischer Hilfsmittel, der darauf gerichtet ist, das Sommerbiwak der Bundeswehr erheblich zu beeinträchtigen oder zu vereiteln, ist unzulässig. Zudem sind Lautsprecheranlagen so auszurichten, dass eine Schallabstrahlung nicht direkt in Richtung des HCC erfolgt, d.h. in nördlicher Richtung (Adenauerallee). Rückkopplungs- oder Störgeräusche dürfen nicht erzeugt oder übertragen werden. Das Betreiben von mechanischen oder elektrotechnischen Geräten zur Erzeugung von Sirenentönen, von Druckfanfaren oder nautischen Hörnern (Nebelhörner o.a.) wird untersagt.
Gegen diesen Bescheid hat der Antragsteller am 13.07.2006 Klage erhoben, über die noch nicht entschieden ist. Zugleich hat er im Hinblick auf die Auflagen 1) und 2) des angefochtenen Bescheides um einstweiligen Rechtsschutz nachgesucht.
Zur Begründung macht er geltend, die Voraussetzungen für den Erlass der angegriffenen Auflage seien nicht gegeben. Ein Ausgleich der Veranstaltungen, Sommerbiwak einerseits - Versammlung andererseits, könne nicht im Wege der praktischen Konkordanz stattfinden. Störungen des Sommerbiwaks in Form physischer Störungen oder gewalttätiger Angriffe seien nicht zu erwarten. Bei dem von der Antragsgegnerin als Begründung ihrer Gefahrprognose herangezogenen Internetauftritt anlässlich der geplanten Versammlung handele es sich um einen Aufruf, der, wie bei politischer Sprache üblich, doppeldeutig sei und politischen Witz enthalte. Ausreichende Tatsachen, die eine Störungsprognose und die darauf gestützten Auflagen rechtfertigten, lägen nicht vor. Die Durchführung der Abschlusskundgebung auf dem südlichen Bereich des Theodor-Heuss-Platzes stelle keine physische Barriere dar, da zwischen dem Platz und dem Eingang zum Kuppelsaal eine Straße liege, die nicht Veranstaltungsort sei und die ggf. auch durch Gitter abgesperrt werden könnte. Auflagen, die daraufgerichtet seien, Proteste "unhörbar" zu machen, seien unzulässig, da die Versammlungsfreiheit auch öffentlichkeits- und medienwirksame Versammlungen umfasse. Die räumliche Verschiebung der Versammlung sei wesensverändernd, da das beabsichtigte Nebeneinander zwischen der Versammlung und den eintreffenden Gästen und damit die Protestinszenierung verloren gehe. Kern der Versammlung sei gerade die Sicht- und Hörweite des Protestes. Die Leichtigkeit des Verkehrs sei nicht tangiert, da die Kundgebung nur auf dem nichtbefahrenen Teil des Platzes stattfinden solle. Auch durch den Zeitablauf der Versammlung werde das Veranstaltungsprogramm nicht gestört, da die Veranstaltung gegen 19.30 Uhr beendet werden solle. Der Anfahrt der Gäste des Sommerbiwak bedürfe eines Schutzes, wie er durch die Auflagen vorgesehen werde, nicht.
Der Antragsteller beantragt,
die aufschiebende Wirkung seiner Klage gegen die in den Ziffern 1) und 2) enthaltenen Auflagen des Bescheid der Antragsgegnerin vom 06.07.2006 wiederherzustellen.
Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Zur Begründung beruft sie sich unter Vertiefung im Einzelnen auf den Inhalt des angefochtenen Bescheides sowie auf die bereits am 12.07.2006 bei dem Verwaltungsgericht Hannover hinterlegte Schutzschrift.
Wegen des weiteren Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen, der Gegenstand der Beratung war.
II.
Der nach § 80 Abs. 5 VwGO statthafte und auch im Übrigen zulässige Antrag hat nur teilweise Erfolg.
Die aufschiebende Wirkung der Klage des Antragstellers gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 06.07.2006 ist in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang wiederherzustellen, weil zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung das Interesse des Antragstellers, von der sofortigen Vollziehung des Aufenthaltsverbots verschont zu bleiben, das öffentliche Interesse an deren sofortiger Umsetzung insoweit überwiegt.
Die vom Gericht nach § 80 Abs. 5 VwGO zu treffende Ermessensentscheidung setzt eine Abwägung der sich gegenüberstehenden Interessen voraus, in die auch die Erfolgsaussichten des eingelegten Rechtsbehelfs mit einzubeziehen sind. Bei nach summarischer Prüfung offensichtlich Erfolg versprechendem Rechtsbehelf überwiegt im Hinblick auf die Art. 19 Abs. 4 GG zu entnehmende Garantie effektiven Rechtsschutzes das Suspensivinteresse des Betroffenen das öffentliche Vollzugsinteresse, so dass die aufschiebende Wirkung grundsätzlich wiederherzustellen bzw. anzuordnen ist. Ergibt eine summarische Einschätzung des Gerichts, dass der eingelegte Rechtsbehelf offensichtlich erfolglos bleiben wird, reicht dies zwar allein noch nicht aus, die Anordnung der sofortigen Vollziehung zu rechtfertigen. Erforderlich ist vielmehr ein über den Erlass des Grundverwaltungsaktes hinausgehendes öffentliches Interesse. Hierfür ist allerdings nicht ein besonders gewichtiges oder qualifiziertes öffentliches Interesse zu fordern; notwendig und ausreichend ist vielmehr, dass überhaupt ein öffentliches Vollzugsinteresse vorliegt. Bei einem offensichtlich rechtmäßigen Verwaltungsakt reichen daher auch Vollzugsinteressen minderen Gewichts für die Anordnung der sofortigen Vollziehung aus. In offenkundigen Eilfällen, in denen Gefahren von der Allgemeinheit abgewehrt werden sollen, können sich ausnahmsweise die Gründe, die den Sofortvollzug tragen, mit den Gründen decken, die den Grundverwaltungsakt rechtfertigen.
Bei der im vorläufigen Rechtsschutzverfahren allein möglichen summarischen Überprüfung erweist sich die vom Antragsteller angefochtene Verfügung teilweise als offensichtlich rechtswidrig.
Nach § 15 Abs. 1 des Versammlungsgesetzes - VersG - kann die zuständige Behörde eine Versammlung oder einen Aufzug verbieten oder von bestimmten Auflagen abhängig machen, wenn nach den zurzeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei der Durchführung der Versammlung oder des Aufzugs unmittelbar gefährdet ist.
Die im pflichtgemäßen Ermessen der Ordnungsbehörde stehende Beschränkung der in Artikel 8 Abs. 1 des Grundgesetzes Gewähr leisteten Versammlungsfreiheit durch die Erteilung von Auflagen bis hin zur Untersagung der Versammlung setzt eine unmittelbare Gefährdung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung voraus. Aus der Bedeutung des Grundrechts der Versammlungsfreiheit folgt, dass nicht jede Gefährdung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung ein Verbot oder eine Auflösung der Versammlung rechtfertigt. Unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit hat vielmehr eine Güterabwägung stattzufinden mit der Folge, dass ein Verbot nur zulässig ist, wenn es zum Schutz anderer, dem Versammlungsrecht gleichwertiger Rechtsgüter notwendig ist. Zur Annahme einer Gefährdung i.S.v. § 15 Abs. 1 VersG genügt nicht eine abstrakte Gefahr; die Gefährdung muss vielmehr nach dem gewöhnlichen Ablauf der Dinge unmittelbar bevorstehen, der Eintritt der Störung mit hoher Wahrscheinlichkeit in aller Kürze zu erwarten sein. Zum Zeitpunkt des Erlasses der Verfügung müssen "erkennbare Umstände" dafür vorliegen, dass eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist. Das setzt nachweisbare Tatsachen als Grundlage der Gefahrenprognose voraus; bloße Vermutungen reichen nicht aus (BVerfGE 69, 315 <353 f.>). Gemessen an diesen hohen Anforderungen müssen der Verfügung der Antragsgegnerin bezüglich aller der dem Antragsteller erteilten und von ihm angegriffenen Auflagen hinreichend konkrete Erkenntnisse entnommen werden können, dass ohne deren Erlass bei der vorgesehenen Veranstaltung ein Verstoß gegen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung droht.
Soweit die Auflage zu Nummer 1) die Durchführung der Auftaktkundgebung auf den rechten Fahrstreifen der Freundallee, also die Zufahrtsstraße zur Hans-Böckler-Allee beschränkt, ist diese Einschränkung nicht zu beanstanden. Sie dient dazu, die Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs als ein Schutzgut der öffentlichen Ordnung i.S.d. § 15 Abs. 1 VersG zu gewährleisten. Zwar gewährleistet Art. 8 Abs. 1 GG grundsätzlich das Selbstbestimmungsrecht über den Ort einer versammlungsrechtlichen Veranstaltung (BVerfGE 69, 315), und der Staat hat damit einhergehende Verkehrsbeeinträchtigungen grundsätzlich auch hinzunehmen. Allerdings ist auch insoweit ein schonender Ausgleich der widerstreitenden Interessen, hier also die der Versammlungsteilnehmer und der betroffenen Verkehrsteilnehmer, zu schaffen. Dem wird die Antragsgegnerin gerecht, indem sie die Auftaktkundgebung auf nur einen der beiden möglichen Fahrstreifen der Freundallee beschränkt und damit die für den Antragsteller geringst mögliche Beeinträchtigung gewählt hat. Einer Erstreckung der Auftaktkundgebung auch auf die andere Fahrtbahnrichtung, die ohnehin von Straßenbahngleisen getrennt wird, bedarf es nicht. Der Antragsgegner hat gegen die diesbezügliche Einschränkung der Versammlung auch nichts vorgetragen.
Soweit die Durchführung der Abschlusskundgebung südlich des - vom HCC aus gesehenen - dritten Fahnenmastpaares (der Fahnenmastreihe zu beiden Seiten des Theodor-Heuss-Platzes) untersagt, damit also auf den Bereich nördlich dieser Fahnenmasten beschränkt wird, bestehen ebenfalls keine rechtlichen Bedenken. Durch diese Auflage wird der Ort für die Abschlusskundgebung gegenüber dem vom Antragsteller angezeigten Ort, dem südlichen Ende des Theodor-Heuss-Platzes um ca. 30 m in Richtung Norden verlagert. Auf diese Weise wird der Abstand der Versammlung zum Haupteingang des HCC von ca. 25 m auf etwa 55 m vergrößert.
Diese Maßnahme wird allerdings nicht von der seitens der Antragsgegnerin ergänzenden Begründung getragen, die Maßnahme diene der Leichtigkeit des Verkehrs, da die geplante Kundgebung nur auf dem nichtbefahren Teil des Theodor-Heuss-Platzes stattfinden soll.
Nach den im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung zur Verfügung stehenden Erkenntnismöglichkeiten ist es aber dennoch hinreichend wahrscheinlich, dass ohne die Verschiebung des Versammlungsortes eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit droht.
Hierfür spricht zunächst der Aufruf des "Bündnisses gegen das Sommerbiwak der 1. Panzerdivision / Hannover" auf dem Internetauftritt http://www.puk.de/aah/ biwak/aufruf.html. Unter dem Titel "Sommerbiwak vermiesen - Kein Friede mit der Bundeswehr, keine Feier mit der ersten Panzerdivision" heißt es dort u.a.:
"Die scheinbare Normalität des Militärischen muss durchbrochen, die Einbindung des Kriegsapparates in die zivile Gesellschaft gestört werden. Ächtet das Militär! Zeigt eure Verachtung! Verweigert die Komplizenschaft!
Machen wir die "Night of the Goldies" zum "Nightmare of the Oldies!" Wir werden am 15. Juli der 1. Panzerdivision das Fest vermiesen, den Bonzen in die Hummersuppe spucken, der Bundeswehr den Kampf ansagen!
Vom Sitz der 1. Panzerdivision an der Hans-Böckler-Allee wird es eine kurze Demonstration zum Eingang des Stadtparkes geben. Dort werden wir mit einer Kundgebung die geladenen Gäste gebührend empfangen, die Panzerfreunde beschimpfen, die Dame mit Hut mit dem konfrontieren, was Krieg heißt, die Feldjäger vom Feld jagen, dem Herrn im Frack den Marsch blasen!
Wir wollen keine Opposition symbolisieren - wir werden unseren Widerstand manifestieren!"
Zwar ist dem Antragsteller zuzugestehen, dass politische Aufrufe typischerweise mit einer gewissen Schärfe formuliert werden, um dem geplanten Vorhaben stärkeren Ausdruck zu verleihen und eine breitere Front von Unterstützern zu mobilisieren. Allerdings kann und muss die Antragsgegnerin auch im Rahmen der Gefahrenprognose berücksichtigen, wie die Botschaft von dem vom Antragsteller angesprochenen Personenkreis aufgenommen wird. Unter diesem Aspekt ist es nicht auszuschließen, dass es nicht nur zur bloßen -auch lautstarken - Äußerung von Meinungen kommt, die von der Versammlungsfreiheit umfasst wäre, soweit es sich hierbei nicht, wie im Internetaufruf angedroht ("Dort werden wir... die Panzerfreunde beschimpfen"), um strafrechtlich relevantes Verhalten, insbesondere der Beleidigung nach §§ 185 ff. StGB handelt. Vielmehr ist zu befürchten, dass es aus der Menge heraus zur Störung durch Wurfgeschosse und möglicherweise auch zu Farbbeutelwürfen kommt. Aus den Verwaltungsvorgängen der Antragsgegnerin ergibt sich, dass es bereits im Laufe des Sommerbiwak 2005 zu Störungen durch 15 Personen der linksextremistischen Szene gekommen ist, die im Eingangsbereich des HCC mit Handsirenen und Transparenten agierten. Auch aus anderen Protestveranstaltungen gegen die Bundeswehr, die von Anhängern des linken Politspektrums veranstaltet und besucht werden, ist bekannt, dass Teile der Versammlungsteilnehmer bereit sind, ihrem Anliegen mit dem Einsatz von Wasserpistolen oder dem Werfen von Wasserbomben, Stinkbomben oder Farbbeuteln Nachdruck zu verleihen.
Die Einschätzung, dass sich eine konkrete Sachlage bei ungehindertem Geschehensablauf so entwickeln wird, dass ein Schaden an einem Schutzgut eintritt, stellt eine behördliche Prognoseentscheidung dar, die grundsätzlich in vollem Umfang gerichtlich überprüfbar ist. Welcher Grad der Wahrscheinlichkeit im Einzelfall gefordert werden muss, hängt dabei von der Größe des zu erwartenden Schadens und der Wertigkeit des Rechtsgutes ab, das geschützt werden soll: Je bedeutender das bedrohte Rechtsgut ist, desto geringer sind die Anforderungen an die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts.
Soweit der Antragsteller rügt, ein Ausgleich der widerstreitenden Interessen im Wege der praktischen Konkordanz sei nicht zulässig, ist darauf hinzuweisen, dass dieser Begriff, der in der Grundrechtsdogmatik ausschließlich für den Interessenausgleich im Falle von Grundrechtskollisionen besetzt ist, von der Antragsgegnerin im Zusammenhang mit dem Ausgleich des Interesses der Versammlungsteilnehmer und der Individualrechte Dritter benutzt wird, so nämlich dem Schutz vor möglichen Beeinträchtigungen der Gesundheit oder der körperlichen Integrität der Gäste.
Durch den nicht auszuschließende Einsatz von Wurfgeschossen durch Teilnehmer der Versammlung besteht eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung i.S.d. § 15 Abs. 1 VersG, insbesondere für Gesundheit und körperliche Integrität der Gäste des Sommerbiwak. Demgegenüber handelt es sich bei der Verlagerung des Kundgebungsortes um rund 30 m nach Norden nur um eine derart geringfügige Veränderung, dass eine Verletzung des durch Art. 8 Abs. 1 GG geschützten Versammlungsrechtes des Antragstellers oder eine Verletzung des Versammlungsgesetzes nicht ersichtlich ist. Durch die geringfügige räumliche Verschiebung wird der Kernbereich des Versammlungsrechts nicht berührt (vgl. VG Braunschweig, Beschl. v. 17.06.2005 - Az. 5 B 437/05).
Die seitens des Antragstellers gewünschte und ihm im Rahmen des Versammlungsrechts auch zuzubilligende Öffentlichkeits- und Medienwirksamkeit wird auch durch die geringfügige Änderung des Versammlungsortes hinreichend gewährleistet. Dass die beabsichtigt
Protestinszenierung des unmittelbaren Nebeneinanders von Gästen und Versammlungsteilnehmern durch die Auflage der Antragsgegnerin nicht in dem gewünschten Maße erreicht wird, ist aus gefahrenabwehrrechtlichen Gründen hinzunehmen. Entgegen der Auffassung des Antragstellers bedeutet die räumliche Verlagerung nur eine geringfügige Beeinträchtigung der Sicht- und Hörweite der Veranstaltung.
Die Schaffung eines hinreichenden räumlichen Abstandes der geplanten Versammlung von dem Haupteingang des HCC ist auch deswegen geboten, weil nicht auszuschließen ist, dass einzelne Versammlungsteilnehmer sich nicht an die angezeigte Ortsangabe der Versammlung halten und sich - wie bereits beim Sommerbiwak 2005 - dem Haupteingang und den dort ankommenden Gästen nähern und durch den Einsatz von Handsirenen und Transparenten stören. Bei dem seitens des Antragstellers geplanten Abstand von nur etwa 25 m zwischen Versammlungsort und Haupteingang besteht die Gefahr, dass es einzelnen Personen oder auch einer größeren Personengruppe gelingen könnte, vom Versammlungsort auszubrechen und den Haupteingang mit dem Ziel der Störung zu erreichen, ohne dass ein rechtzeitiger Zugriff durch Sicherheitskräfte möglich wäre. Diese Gefahr wird durch die Verlagerung des Veranstaltungsortes um ca. 30 m in Richtung Norden deutlich vermindert, da derartige Störungen frühzeitig erkannt und verhindert werden können.
Dagegen ist die aufschiebende Wirkung der Klage des Antragstellers gegen den Bescheid der Antragsgegnerin in dem im Tenor ersichtlichen Umfang wiederherzustellen, weil zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung das Interesse des Antragstellers, von der sofortigen Vollziehung des Aufenthaltsverbots verschont zu bleiben, das öffentliche Interesse an deren sofortiger Umsetzung überwiegt. Bei der im vorläufigen Rechtsschutzverfahren allein möglichen summarischen Überprüfung erweist sich die angefochtene Verfügung insoweit als offensichtlich rechtswidrig.
Soweit die Antragsgegnerin den Einsatz elektroakustischer Hilfsmittel, der darauf gerichtet ist, das Sommerbiwak der Bundeswehr erheblich zu beeinträchtigen oder zu vereiteln, untersagt, bestehen bereits Bedenken, ob diese Regelung den Erfordernissen an das Bestimmtheitsgebot entspricht. Diese Frage kann jedoch offen bleiben, da diese Auflage aus einem anderen Grund rechtswidrig ist: Aus dem Zeitplan zum Sommerbiwak 2006 geht hervor, dass die Veranstaltung des Sommerbiwak erst um 19.30 Uhr mit der Begrüßung der Gäste beginnt. Da das Ende der Kundgebung des Antragstellers für 19.30 Uhr vorgesehen ist, überschneiden sich die Veranstaltungen nicht. Zu einer Störung des Sommerbiwak durch seitens der Versammlungsteilnehmer veranstalteten, mit Hilfe von elektroakustischen Mitteln erzeugten Lärm kann es daher nicht kommen. Soweit sich die Zeit der Kundgebung mit der Anreise der Gäste des Sommerbiwak - Einlass zu der Veranstaltung ist ab 18.00 Uhr - überschneidet, rechtfertigt dies ebenfalls die Erteilung einer solchen Auflage nicht. Die Anreise zu einer Veranstaltung obliegt keinem eigenständigen Schutz. Dass der möglicherweise erzeugte Lärm durch die Veranstaltungsgegner eine gewisse Lästigkeitsschwelle erreicht, genügt nicht, um die Versammlungsfreiheit insoweit einzuschränken. Das Gleiche gilt für das ebenfalls ab 18.00 Uhr beginnende, als Rahmenprogramm vorgesehene Platzkonzert des.........des Bundespolizeiorchesters Niedersachsen und des Heeresmusikkorps 1. Hier ist bereits aufgrund der zu erwartenden Lautstärke der Orchestermusik und des räumlichen Abstandes zwischen Versammlung und dem Ort des Konzertes, der zudem durch Gebäude und Bäume abgeschirmt wird, nicht mit einer nennenswerten Beeinträchtigung durch die Versammlungsteilnehmer zu rechnen.
Soweit die Antragsgegnerin dem Antragsteller aufgegeben hat, Lautsprecheranlagen so auszurichten, dass eine Schallabstrahlung nicht direkt in Richtung des HCC erfolgt, Rück-kopplungs- oder Störgeräusche nicht erzeugt oder übertragen und mechanische oder elektrotechnische Geräten zur Erzeugung von Sirenentönen, von Druckfanfaren oder nautischen Hörnern (Nebelhörner o.a.) nicht benutzt werden dürfen, gilt nichts anderes. Diese Auflagen sind ebenfalls darauf gerichtet, die Veranstaltung des Sommerbiwak 2006 zu. schützen. Eines solchen Schutzes bedarf es - wie bereits ausgeführt - nicht.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
Streitwertbeschluss:
Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 5.000,-- EUR festgesetzt.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 53 Abs. 3 Nr. 2, § 52 Abs. 2 GKG und trägt der Tatsache Rechnung, dass die Entscheidung in der Hauptsache vorweggenommen wird.
Makus
Dr. Hombert