Oberlandesgericht Oldenburg
Beschl. v. 20.10.1998, Az.: SS 397/98

Vertretung eines in der Berufungsverhandlung ausgebliebenen Angeklagten durch den erschienenen Verteidiger

Bibliographie

Gericht
OLG Oldenburg
Datum
20.10.1998
Aktenzeichen
SS 397/98
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 1998, 28962
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGOL:1998:1020.SS397.98.0A

Fundstelle

  • NStZ 1999, 156 (Volltext mit amtl. LS)

Amtlicher Leitsatz

Zur Vertretung des in der Berufungsverhandlung ausgebliebenen Angeklagten durch den erschienenen Verteidiger.

Gründe

1

Das Landgericht hatte Termin zur Berufungshauptverhandlung auf den 25. Mai 1998 anberaumt und die öffentliche Zustellung der Ladung des Angeklagten veranlasst. Der Angeklagte ist seit Anfang 1998 aus der Strafhaft heraus mit unbekanntem Aufenthalt flüchtig. Zum Termin ist er nicht erschienen. Sein Verteidiger hat unter Bezugnahme auf zwei Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte geltend gemacht, der Angeklagte müsse aus Gründen der Fairness Gelegenheit haben, sich in der Hauptverhandlung durch ihn vertreten zu lassen. Das Landgericht hat die Berufung des Angeklagten gemäß § 329 Abs. 1 StPO verworfen.

2

Hiergegen richtet sich die Revision des Angeklagten, mit der er erneut geltend macht, die Entscheidung des Landgerichts verstoße gegen die Europäische Menschenrechtskonvention, weil ihm nicht das Recht eingeräumt worden sei, sich durch seinen Verteidiger vertreten zu lassen. Das zulässige Rechtsmittel ist unbegründet.

3

Eine Verletzung des § 329 StPO liegt nicht vor. Der Angeklagte war zum Erscheinen vor Gericht verpflichtet. Sein Nichterscheinen war nicht genügend entschuldigt, denn die Furcht des Angeklagten, bei seinem Erscheinen in Haft genommen zu werden, stellt keinen Entschuldigungsgrund dar.

4

Die deutsche Strafprozessordnung sieht eine Verhandlung in der Sache gegen den in der Berufungshauptverhandlung unentschuldigt ausgebliebenen Angeklagten unter den vorliegenden Voraussetzungen nicht vor. Damit entfällt die Möglichkeit einer Vertretung des Angeklagten bei einer Verhandlung durch den Verteidiger. Um einen Fall, in dem dies beispielsweise wie in erster Instanz dann möglich ist, wenn § 232 StPO angewendet werden kann, handelt es sich hier nicht (vgl. dazu KK-Ruß, StPO, 3. Aufl., Rdn. 6 zu § 329). Die Mitwirkung des Verteidigers bei der Entscheidung über die Berufung des ausgebliebenen Angeklagten beschränkt sich mithin in der Regel auf die Prüfung der verfahrensrechtlichen Voraussetzungen eines Verwerfungsurteils. Das war auch vorliegend der Fall. Die Hinweise der Revision auf die Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte in ÖJZ 1994, 467 ff. und 1995, 196 ff. geben zu anderer Beurteilung keinen Anlass. In dem in ÖJZ 1995, 196 ff. abgedruckten Fall hatte das Appellationsgericht Den Haag über ein Rechtsmittel des zur Verhandlung nicht erschienen Angeklagten verhandelt, ohne den bei der Verhandlung anwesenden Verteidiger mitwirken zu lassen. Der Gerichtshof für Menschenrechte hat in dem Ausschluss des Verteidigers bei der nach niederländischem. Recht vorgesehenen Verhandlung einen Verstoß gegen die in der MRK geregelten Grundsätze rechtsstaatlichen Verfahrens gesehen, § 6 Abs. 3 lit c MRK. Der Fall ist mit der vorliegenden Sache nicht vergleichbar, weil nach deutschem Recht unter den vorliegenden Voraussetzungen eine Verhandlung zur Sache überhaupt nicht stattfindet (§ 329 Abs. 1 Satz 1 StPO). Nicht anders verhält es sich, soweit ein Vergleich mit dem in ÖJZ 1994, 467 ff. abgedruckten Fall vorgenommen wird. Der Appellationsgerichtshof von Aix-en-Provence bestätigte das von dem Strafgericht Marseille in Abwesenheit des Angeklagten ergangene Urteil zur Gänze und damit in der Sache, wobei es die Vertretung durch den Verteidiger wegen Ausbleibens des geladenen Angeklagten ablehnte. Der angerufene Kassationsgerichtshof lehnte den bei ihm gestellten Antrag mit der Begründung als unzulässig ab, einer verurteilten Personen, die sich einem Haftbefehl entzogen habe, stehe nicht das Recht zu, einen Verteidiger zu beauftragen, ihn zu vertreten und in seinem Namen eine "NB" gegen seine Verurteilung zu erheben. Da auch hier, anders als nach deutschem Recht, trotz des Ausbleibens des Angeklagten eine Verhandlung zur Sache erfolgt ist, ist die Entscheidung auf den hier vorliegenden Sachverhalt nicht anwendbar.

5

Ein Verstoß gegen die MRK liegt nicht vor.