Verwaltungsgericht Lüneburg
Urt. v. 15.03.2017, Az.: 8 A 201/16

Drittstaatenbescheid; Familienasyl

Bibliographie

Gericht
VG Lüneburg
Datum
15.03.2017
Aktenzeichen
8 A 201/16
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2017, 54205
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Die Regelung des § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG ermächtigt das Bundesamt nicht zur Ablehnung eines Asylantrags ohne Sachprüfung, wenn aufgrund hinreichend konkreter Anhaltspunkte ernsthaft in Betracht kommt, dass der Ausländer einen Anspruch auf Gewährung von Familienasyl hat. § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG wird insoweit durch § 26 AsylG verdrängt (Anschluss VG Düsseldorf, Beschl. v. 5.9.2016 - 22 L 2884/16.A -).

Tatbestand:

Der Kläger, nach eigenen Angaben Palästinenser aus Syrien, stellte am 11. Juni 2015 einen Asylantrag.

In der Anhörung beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) gab er an, Syrien im Juni 2014 verlassen, sich zunächst vier Monate in der Türkei aufgehalten zu haben und dann mit dem Boot nach Griechenland übergesetzt sein, wo er sich bis März 2015 aufgehalten habe. Sodann sei er mit dem Flugzeug zunächst nach Deutschland gereist, bevor er sich in die Schweiz zu seiner Mutter begeben habe. Von dort sei er am 2. Juni 2015 nach Griechenland abgeschoben worden. In Griechenland sei er lediglich zwei Tage geblieben und schon am 4. Juni 2015 von Athen nach Frankfurt geflogen.

Im Rahmen seines Asylverfahren wurde unter anderem die englische Übersetzung einer syrischen Hochzeitsurkunde vorgelegt, die dem Kläger bescheinigte, am 7. Mai 2014 - also kurz vor seiner Flucht aus Syrien - Frau B. geheiratet zu haben.

Eine vom Bundesamt am 15. Juni 2015 durchgeführte EURODAC-Abfrage ergab Treffer für die Schweiz und Griechenland. Am 16. Juni 2015 richtete das Bundesamt ein Wiederaufnahmegesuch an die Schweiz. Diese teilte mit, dem Wiederaufnahmegesuch nicht entsprechen zu können, da der Kläger in Griechenland als Flüchtling anerkannt und am 2. Juni 2015 dorthin überstellt worden sei. Der Antwort der Schweizer Behörden war eine Mitteilung Griechenlands beigefügt, die die Ausführungen der Schweizer Behörden bestätigte und darüber informierte, dass dem Kläger eine bis zum 12. Januar 2018 gültige Aufenthaltserlaubnis erteilt worden sei.

Mit Bescheid vom 14. März 2016 lehnte das Bundesamt den Antrag des Klägers als unzulässig ab (Ziff. 1), drohte seine Abschiebung nach Griechenland an (Ziff. 2) und befristete das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot auf 6 Monate ab dem Tag der Abschiebung (Ziff. 3).

Am 30. März 2016 hat der Kläger Klage erhoben. Eine Abschiebung nach Griechenland komme aufgrund der dort bestehenden systematischen Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber bzw. Zurückgeführte nicht in Betracht. Im Laufe des Verfahrens hat der Kläger seine Klage ergänzend damit begründet, seine Frau sei schwanger; später hat er vorgetragen, ihr sei mit Bescheid vom 24. Januar 2017 subsidiärer Schutz zuerkannt worden. Entsprechende Nachweise (deutsche Übersetzung der Heiratsurkunde, Übersetzung eines Auszugs aus dem Zivilregister der Syrischen Arabischen Republik sowie aus dem Register der arabischen Palästinenser sowie offenbar die jeweiligen Abschriften in der Originalsprache; Bescheinigung der Schwangerschaft durch die Diakonie Buchholz, Kopie des Asylbescheids seiner Ehefrau) hat der Kläger im Klageverfahren vorgelegt.

Der Kläger beantragt,

den Bescheid der Beklagten vom 14. März 2016 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung verweist sie auf ihren Bescheid.

Der Kläger hat mit Schriftsatz vom 12. September 2016 auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet und mit Schriftsatz vom 17. Januar 2017 sein Einverständnis mit einer Entscheidung durch die Berichterstatterin erklärt. Die entsprechenden Erklärungen der Beklagten folgen aus ihrem Schriftsatz vom 4. April 2016 bzw. aus ihrer allgemeinen Prozesserklärung.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten verwiesen.

Entscheidungsgründe

A. Die Klage, über die die Berichterstatterin im Einverständnis der Parteien ohne mündliche Verhandlung entscheiden kann, ist weitgehend zulässig.

Die nur auf Aufhebung des Bescheids vom 14. März 2016 gerichtete Anfechtungsklage ist nicht wegen einer vorrangig zu erhebenden Verpflichtungsklage unzulässig. Eine Verpflichtungsklage ist weder im Hinblick darauf statthaft, dass es dem Kläger letztendlich darum geht, Flüchtlingsschutz zu erhalten, noch ist sie erforderlich, um die Beklagte zum Wideraufgreifen des Verfahrens zu verpflichten. Denn wegen § 37 Abs. 1 Satz 2 AsylG ist das Bundesamt nach Aufhebung der Unzulässigkeitsentscheidung schon von Gesetzes wegen verpflichtet, über den Asylantrag des Klägers neu zu entscheiden (vgl. dazu BVerwG, Urt. v. 14.12.2016 - 1 C 4/16 -, juris, Rn. 19).

Die Anfechtungsklage ist allerdings unzulässig, soweit sie auch auf Aufhebung von Ziff. 2 Satz 4 des angefochtenen Bescheids zielt. Denn der Kläger ist durch die Feststellung, nicht nach Syrien abgeschoben werden zu dürfen, nicht beschwert.

B. Die Klage ist im Umfang ihrer Zulässigkeit begründet.

I. Ziff. 1 des Bescheids ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

1. Gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG ist ein Asylantrag unzulässig, wenn ein anderer Mitgliedstaat der Europäischen Union dem Ausländer bereits internationalen Schutz gewährt hat. In diesem Fall darf das Bundesamt den Asylantrag des Ausländers ohne Sachprüfung ablehnen.

Diese Voraussetzung liegt hier zwar vor: Der Kläger ist in Griechenland als Flüchtling anerkannt worden.

2. Die Regelung des § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG ermächtigt das Bundesamt aber dann nicht zur Ablehnung eines Asylantrags ohne Sachprüfung, wenn aufgrund hinreichend konkreter Anhaltspunkte in Betracht kommt, dass der Ausländer einen Anspruch auf Gewährung von Familienasyl hat. § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG wird insoweit durch § 26 AsylG verdrängt (VG Düsseldorf, Beschl. v. 5.9.2016 - 22 L 2884/16.A -, juris, Rn. 19; VG Lüneburg, Urt. v. 16.2.2017 - 8 A 233/16 -). In diesem Fall hat das Bundesamt in eine Sachprüfung einzutreten und zu prüfen, ob ein Anspruch auf Familienasyl besteht.

§ 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG entbindet das Bundesamt lediglich davon, den eigenen Anspruch eines Ausländers auf Gewährung internationalen Schutzes zu prüfen, wenn bereits ein anderer Mitgliedstaat diese Prüfung mit einem positiven Ergebnis abgeschlossen hat. Denn insoweit entfaltet die Entscheidung des anderen Mitgliedstaats eine gewisse Bindungswirkung (§ 60 Abs. 1 Satz 2 AufenthG).

Der Ausschluss einer Sachprüfung nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG kann indes nur soweit reichen, wie der Asylanspruch bereits Gegenstand des Asylverfahrens im anderen Mitgliedstaat gewesen ist. § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG erfasst darum nur den eigenen Anspruch des Ausländers auf Gewährung internationalen Schutzes. Nicht erfasst von der Ausschlusswirkung des § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG, die das Bundesamt von einer eigenen Sachprüfung entbindet, ist hingegen ein abgeleiteter Anspruch des Ausländers auf Familienasyl gemäß § 26 AsylG. Anderenfalls stünde ein Ausländer, der aufgrund eigener Verfolgung in seinem Herkunftsstaat in einem anderen Mitgliedstaat internationalen Schutz erhalten hat, schlechter als ein selbst nicht verfolgter Ausländer, dessen Antrag in einem anderen Mitgliedstaat abgelehnt wurde.

Dabei genügt indes die bloße Behauptung des Ausländers, Anspruch auf Familienasyl zu haben, nicht, um das Bundesamt zu verpflichten, trotz anderweitiger mitgliedstaatlicher Schutzgewährung in eine Sachprüfung einzutreten. Vielmehr muss der Ausländer hinreichend konkrete Anhaltspunkte vortragen, aufgrund derer ein Anspruch auf Familienasyl ernsthaft in Betracht kommt.

3. Nach diesen Vorgaben durfte das Bundesamt im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (§ 77 AsylG) den Asylantrag des Klägers nicht ohne Sachprüfung als unzulässig ablehnen.

a) Gemäß § 26 Abs. 5 Satz 2 i.V.m. Abs. 1 AsylG wird dem Ehegatten oder Lebenspartner auf Antrag der subsidiäre Schutzstatus zuerkannt, wenn die Zuerkennung der Schutzberechtigung unanfechtbar ist, die Ehe oder Lebenspartnerschaft schon in dem Staat bestanden hat, in dem dem Schutzberechtigten der ernsthafte Schaden droht, der Ehegatte oder der Lebenspartner vor der Zuerkennung des Schutzes an den Ausländer eingereist ist oder den Schutzantrag unverzüglich nach der Einreise gestellt hat und die Zuerkennung des Schutzes nicht zu widerrufen oder zurückzunehmen ist.

b) Der Kläger ist ausweislich der vorgelegten Unterlagen (Auszug aus dem syrischen Zivilregister, Heiratsurkunde) mit Frau B. verheiratet. Die Ehefrau des Klägers hat mit Bescheid vom 24. Januar 2017 in Deutschland einen subsidiären Schutzstatus erhalten, der mittlerweile unanfechtbar sein dürfte. Die Ehe zwischen dem Kläger und seiner Ehefrau ist durch Auszüge aus dem syrischen Zivilregister bereits vor der Ausreise des Klägers geschlossen worden, so dass davon auszugehen ist, dass die Ehe bereits im Herkunftsstaat bestand. Schließlich ist der Kläger nach Deutschland eingereist, bevor seiner Ehefrau hier subsidiärer Schutz zuerkannt wurde.

Angesichts dieses Sachverhalts sowie der vom Kläger vorgelegten Nachweise liegen hier hinreichend konkrete Anhaltspunkte vor, die das Bundesamt dazu verpflichten, in eine Sachprüfung über das Vorliegen eines Anspruchs des Klägers auf Familienasyls einzutreten. Das Bundesamt darf darum im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung den Asylantrag des Klägers nicht gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG als unzulässig ablehnen.

II. Wird die Unzulässigkeitsentscheidung in Ziff. 1 des Bescheids aufgehoben, ist auch die darauf beruhende Abschiebungsandrohung in Ziff. 2 des Bescheids aufzuheben (vgl. BVerwG, Urt. v. 14.12.2016 - 1 C 4/16 -, juris, Rn. 21). Entsprechendes gilt für die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots in Ziff. 3 des Bescheids.

III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 Satz 3 VwGO i.V.m. § 83 b AsylG. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11 ZPO.