Oberlandesgericht Celle
Urt. v. 12.12.2019, Az.: 5 U 116/19
Zurechenbarkeit einer posttraumatischen Belastungsstörung eines Polizeibeamten
Bibliographie
- Gericht
- OLG Celle
- Datum
- 12.12.2019
- Aktenzeichen
- 5 U 116/19
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2019, 67267
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- vorgehend
- LG Stade - 05.07.2019 - AZ: 6 O 59/19
Rechtsgrundlagen
- § 823 Abs. 1 BGB
- § 249 Abs. 1 BGB
Redaktioneller Leitsatz
Entwickelt sich bei einem Polizeibeamten aufgrund einer berufstypischen Situation, nämlich einer Streitschlichtung zwischen stark alkoholisierten Menschen mit körperlichem Widerstand, eine psychische Störung, so ist diese dem Schädiger aufgrund der Verwirklichung des berufstypischen Risikos eines Polizeibeamten nicht zuzurechnen.
In dem Rechtsstreit
G. K. B., ...,
Beklagter und Berufungskläger,
Prozessbevollmächtigte:
Rechtsanwälte ...,
Geschäftszeichen: ...
gegen
Land Niedersachsen, ...,
Klägerin und Berufungsbeklagte,
Prozessbevollmächtigte:
Rechtsanwälte ...,
Geschäftszeichen: ...
hat der 5. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Celle auf die mündliche Verhandlung vom 20. November 2019 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht ..., den Richter am Oberlandesgericht ... und die Richterin am Oberlandesgericht ... für Recht erkannt:
Tenor:
Auf die Berufung des Beklagten wird das am 5. Juli 2019 verkündete Urteil der 6. Zivilkammer/Einzelrichter des Landgerichts Stade teilweise geändert und unter Zurückweisung des weitergehenden Rechtsmittels wie folgt neu gefasst:
Der Beklagte wird verurteilt, an das klagende Land 4.389,80 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 10. Januar 2018 zu zahlen.
Es wird festgestellt, dass die Forderung auf einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung beruht.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits werden dem klagenden Land auferlegt.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Parteien können die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des jeweils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Vollstreckungsgläubiger zuvor Sicherheit in Höhe von 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Revision wird zugelassen.
Gründe
I.
Das klagende Land (nachfolgend: Kläger) nimmt den Beklagten auf Schadensersatz und Feststellung nach einer Verletzung des beim Kläger beschäftigten Polizeihauptkommissars D. N. in Anspruch.
Am 22. November 2015 kam es zwischen dem stark alkoholisierten Beklagten und anderen Gästen in einer Cocktailbar zu verbalen und tätlichen Auseinandersetzungen. Nach einem Notruf erschienen laut Polizeibericht (Blatt 15ff. der Beiakte 4b Ds 121 Js 4314/16 StA Stade) zunächst Polizeihauptkommissar N. und Polizeikommissar K. und nahezu zeitgleich Polizeikommissar K. und Polizeikommissar G. am Einsatzort. PHK N. sprach dem Beklagten und einem weiteren Beteiligten einen Platzverweis für den Abend aus, dem beide zunächst nicht nachkamen. Der Beklagte war nach dem Polizeibericht wenig kooperativ und beschimpfte bereits zu diesem Zeitpunkt die eingesetzten Beamten lautstark. Nachdem sich der Beklagte bis auf ca. 20 m von dem Lokal entfernt hatte, näherte er sich wieder, sobald sich die eingesetzten Beamten wieder zu ihren Streifenwagen begaben. Beide "Streitlager", also der Beklagte und sein Freund einerseits und eine Gruppe anderer Gäste andererseits, waren mit dem polizeilichen Einschreiten unzufrieden, weil es aus ihrer Sicht zu zögerlich war. Der Beklagte versuchte zwischenzeitlich über den Notruf, weitere Polizisten zum Einsatzort zu ordern.
Nachdem der Beklagte dem Platzverweis nicht nachkam, auch nicht nach Androhung unmittelbaren Zwangs, hat Polizeikommissar K. den Beklagten mittels Kopfsteuerungsgriffs zu Boden gebracht. Dabei habe der Beklagte wild um sich geschlagen und getreten und PHK N. an der rechten Hand verletzt.
Nach dem Bericht des PHK N. (Blatt 25 ff. der Beiakte) war der Beklagte augenscheinlich stark alkoholisiert, aggressiv und völlig unkooperativ und erhielt mehrere Aufforderungen, sich zu zügeln/zurückzuhalten, denen er in keiner Weise nachkam, sondern aggressiv wurde und die eingesetzten Polizeibeamten beleidigte. Dem Platzverweis kamen der Beklagte und sein Freund zunächst nicht, dann zögerlich nach. Der Platzverweis sei durch "Wegschieben" verdeutlicht worden, beide hätten sich aber umgehend wieder genährt, sodass der Platzverweis erneut durch "Wegschieben/Handauflegen" habe durchgesetzt werden müssen. Dieses "Spiel" habe sich mehrfach wiederholt. Die Androhung, den ausgesprochenen Platzverweis nötigenfalls mit Gewalt durchzusetzen, habe der Beklagte völlig ignoriert. Er, PHK N., habe dem Beklagten erklärt, dass er nun in Gewahrsam genommen werde und habe versucht, den rechten Arm zu ergreifen. Zeitgleich habe PK K. versucht, den linken Arm zu fassen. Der Beklagte habe nun um sich geschlagen und seine, des PHK N., rechte Hand/den Daumen getroffen. Der Beklagte habe weiterhin um sich getreten und vehement versucht, sich zu entziehen. Erst nach dem Eingreifen durch PK K. habe er zu Boden gebracht werden können. Auch hier habe er weiterhin versucht, sich aus dem Polizeigriff zu zerren/reißen/winden. Er habe die Polizeibeamten beleidigt und sich weiterhin den Anordnungen widersetzt. Auch auf der Polizeidienststelle habe er durch alle anwesenden Polizeibeamten wieder zu Boden gebracht werden müssen, damit der Arzt die Blutprobe habe entnehmen können.
Der Beklagte wurde durch Urteil des Amtsgerichts Geestland wegen Widerstandes gegen Vollstreckungsbeamte in Tateinheit mit Körperverletzung in Tateinheit mit Beleidigung angewiesen, für die Dauer von vier Monaten an einem sozialen Trainingskurs teilzunehmen und eine Geldbuße von 300 € zu zahlen (Blatt 111 ff. der Beiakte 4b Ds 121 Js 4314/16 StA Stade).
Nach dem Bericht des Dr. W. vom 22. November 2015 (Anlage K2, Anlagenhefter) zog sich der Polizeibeamte bei der Widerstandshandlung des Beklagten eine Distorsion des rechten Daumens zu, nach einer Untersuchung mittels MRT wurde am 2. Dezember 2015 eine Zerrung des ulnaren Seitenbandes und eine Partialruptur des Kapselapparates am Daumengrundgelenk ulnarseitig festgestellt (Anlage K3, Anlagenhefter). Der Polizeibeamte war aufgrund dessen bis zum 20. Dezember 2015 arbeitsunfähig erkrankt. Danach versah der Polizeibeamte zunächst Innendienst.
Wegen des Verdachts einer posttraumatischen Belastungsstörung begab sich der Beamte am 15. Februar 2016 wiederum in medizinische Behandlung mit Krankschreibungen vom 15. Februar bis zum 19. März 2016 und vom 11. April 2016 bis zum 24. November 2017. Nach der Behauptung des Klägers besteht die Arbeitsunfähigkeit fort.
Der Kläger hat sodann ein psychiatrisches Sachverständigengutachten bezüglich des Polizeibeamten einholen lassen. Der Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie, Dr. U. G., kommt dabei zu dem Ergebnis, dass bei dem Beamten eine posttraumatische Belastungsstörung nach Dienstunfall (F 43.1) als Traumafolge-Störung vorliege. Wegen der Ausführungen im Einzelnen wird auf das Gutachten des Sachverständigen Dr. G. vom 15. Mai 2017 (Anlage K4, Anlagenhefter) Bezug genommen.
In der Zeit vom 22. November bis zum 13. Dezember 2016 befand sich der Polizeibeamte in der H.-Klinik.
Mit seiner Klage begehrt der Kläger weitergezahlte Dienstbezüge und Heilbehandlungskosten in Höhe von insgesamt 105.242,27 € gemäß seiner Aufstellung in der Anlage zum Schreiben vom 22. Dezember 2012 (Anlagenkonvolut K6, Anlagenhefter), auf die zur näheren Darstellung Bezug genommen wird.
Der Kläger hat behauptet, der Polizeibeamte habe wegen des Verhaltens des Beklagten eine posttraumatische Belastungsstörung mit durchgehender Dienstunfähigkeit erlitten.
Der Kläger hat beantragt,
der Beklagte wird verurteilt, an das klagende Land 105.242,27 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 10. Januar 2018 zu zahlen.
Es wird festgestellt, dass die Schadensersatzforderung auf einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung beruht.
Der Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er hat gemeint, das Privatgutachten des Dr. G. sei gänzlich unbrauchbar, weil sich der Gutachter ausschließlich auf die subjektiven Angaben des Polizeibeamten verlassen habe. Tatsächlich sei eine posttraumatische Belastungsstörung schon wegen des fehlenden A-Kriteriums auszuschließen.
Das Landgericht hat gemäß Beweisbeschluss vom 9. Mai 2018 (Blatt 49 f.) ein schriftliches Sachverständigengutachten des Dr. B. eingeholt. Dieser kommt zu dem Ergebnis, dass der Beamte nie unter einer posttraumatischen Belastungsstörung gelitten habe, seine Symptome jedoch die Kriterien einer sogenannten spezifischen Phobie (F 40.2) erfüllten. Diese sei ausreichend schwer, dass seit dem Vorfall keine Diensttauglichkeit bestehe. Die Alltagstauglichkeit sei weniger eingeschränkt. Solange die ganze Wut und der Frust über den Vorfall kein Ventil finde (Angst vor Kontrollverlust), sei keine Besserung der erhöhten Grundspannung respektive Schlafstörungen zu erwarten. Es bestehe weiterhin die Indikation für eine ambulante Psychotherapie. Wegen der Einzelheiten wird auf das Gutachten des Dr. B. vom 14. Januar 2019 (Aktendeckel) Bezug genommen. Der Sachverständige erläuterte sein Gutachten im Termin zur mündlichen Verhandlung. Wegen des Ergebnisses wird auf das Sitzungsprotokoll vom 24. Mai 2019 (Blatt 163ff.) Bezug genommen.
Das Landgericht hat der Klage sodann in vollem Umfang stattgegeben und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, der Polizeibeamte leide zwar nicht an einer posttraumatischen Belastungsstörung, aber an einer spezifischen Phobie, die es ihm unmöglich mache, den Polizeidienst adäquat und ausreichend selbstsicher auszuüben. Die Haftung sei auch nicht etwa deshalb ausgeschlossen, weil sich ein berufstypisches Risiko verwirklicht habe. Der Beklagte habe zwar kein schweres vorsätzliches Gewaltverbrechen begangen, jedoch unmittelbar auf den Geschädigten eingewirkt und vorsätzlich dessen physische Gesundheit geschädigt. Überdies würden Polizisten auch nicht auf die psychische Belastung oder die psychischen Folgen körperlicher Belastungen besonders vorbereitet - sie stünden damit in ihrer Anfälligkeit normalen Bürgern gleich. Ein Ausschluss der Haftung eines Schädigers im Falle von berufsspezifischen Risiken dürfe schließlich auch deshalb nicht bejaht werden, weil Schädiger ansonsten in all jenen Fällen einen haftungsrechtlichen "Freifahrtschein" hätten, wenn die Polizeivollzugsbeamten nur besonders auf die spezifische Gefahr vorbereitet worden seien. Beleidigungen gegen Polizisten würden dann nie ein Schmerzensgeld nach sich ziehen. Dies könne nicht sein. Wegen der weiteren Darstellung wird auf das Urteil (Bl. 193ff.) Bezug genommen.
Gegen dieses Urteil wendet sich der Beklagte mit seiner Berufung, mit der er seinen Klagabweisungsantrag weiterverfolgt. Er hält das gerichtlich eingeholte Sachverständigengutachten für unbrauchbar, was er auch bereits in erster Instanz durch die von ihm vorgelegten sachverständigen Stellungnahmen des Prof. Dr. S. vom 19. April 2018 (Bl. 34ff.) [Entgegnung des Dr. G. vom 23. Mai 2018 Bl. 59ff.] und vom 26. Juni 2018 (Bl. 87ff.) [Entgegnung Dr. G. v. 1. September 2018], vom 18. Februar 2018 (Bl. 132ff.) und vom 17. Juni 2019 (Bl. 174ff.) belegt habe. Auch der von ihm befragte Dr. S. habe sich dazu schriftlich geäußert und im einzelnen ausgeführt, warum das Gutachten von Dr. B. nicht verwertbar sei. Wegen der Einzelheiten wird auf die Stellungnahme des Dr. S. vom 20. August 2019 (Aktendeckel) Bezug genommen.
Der Beklagte beantragt,
das Urteil des Landgerichts Stade vom 5. Juli 2019 abzuändern und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er verteidigt die erstinstanzliche Entscheidung, ergänzt und vertieft seinen Vortrag. Nicht das Gutachten des Dr. B. sei fehlerhaft, sondern die Stellungnahme des Dr. S.
Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf die Schriftsätze und Anlagen Bezug genommen. Die Beiakte 4b Ds 121 Js 4314/16 StA Stade lag vor und war Gegenstand der mündlichen Verhandlung.
II.
Die Berufung des Beklagten ist zulässig und hat weitgehend Erfolg. Dem Kläger steht gegen den Beklagten lediglich ein Anspruch auf Schadensersatz und Feststellung zu, soweit der Polizeibeamte bei dem Vorfall am 22./23. November 2015 körperlich verletzt wurde, nämlich eine Kapselverletzung am Daumen der rechten Hand erlitt, deswegen Heilbehandlungskosten anfielen und dem Beamten die Bezüge während seiner daraus resultierenden Dienstunfähigkeit fortgezahlt wurden.
Es kann dahinstehen, ob der Polizeibeamte darüber hinaus eine psychische Störung entwickelt hat, und ob diese Störung zu seiner Dienstunfähigkeit führte, denn eine solche mögliche Folge der Handlungen des Beklagten muss dieser sich nicht zurechnen lassen. Es hätte sich diesbezüglich nämlich das berufstypische Risiko des Polizeibeamten verwirklicht, für das der Beklagte im Ergebnis nicht haftet.
Dabei geht es nicht darum, etwa Straftätern einen "Freifahrtschein" auszustellen. Wer einen Polizeibeamten verletzt oder beleidigt, haftet dafür im Grundsatz selbstverständlich auf Schadensersatz. Eine andere Frage ist es jedoch, ob eine psychisch vermittelte Kausalität, die zu einem Schaden führt, auch dann dem Schädiger anzulasten ist, wenn sich der Geschädigte bei der Verletzung in einer für ihn berufstypischen Situation befindet.
1. Der Beklagte schuldet dem Kläger aus übergegangenem Recht Schadensersatz, § 823 Abs. 1, Abs. 2 BGB iVm § 113 Abs. 1, § 223 Abs. 1, § 52 StGB iVm § 52 NBG, soweit der Polizeibeamte N. wegen der Verletzung seines rechten Daumens dienstunfähig war und dafür Behandlungskosten angefallen sind.
Der Beklagte hat nicht bestritten, dass er den Polizeibeamten bei seiner Widerstandshandlung durch Treten/Schlagen an der Hand getroffen und die Kapselverletzung verursacht hat.
Der Schaden umfasst nach der - inhaltlich nicht hinreichend bestrittenen - Aufstellung des Klägers 4.222,46 € für anteilige Bezüge und anteiliges Urlaubsentgelt, jeweils 9,36 € für Auskünfte des Klinikums B. und des Dr. S. in B., Kosten für die radiologische Untersuchung in Höhe von 129,67 und Behandlungskosten Dr. S. 18,95 €, gesamt 4.389,80 €.
2. Eine posttraumatische Belastungsstörung liegt nicht vor. Das hat der gerichtlich bestellte Sachverständige Dr. B. im Einzelnen ausgeführt. Der Beklagte weist zudem zurecht darauf hin, dass nach den medizinischen Standards das sogenannte A-Kriterium nicht erfüllt ist.
3. Ob der Beamte - jedenfalls auch - wegen der Handlungen des Beklagten unter einer "spezifischen Phobie" leidet, die zur Dienstunfähigkeit führte, kann für die Entscheidung des vorliegenden Falles dahinstehen. Ebenso kann dahinstehen, ob und wie zu berücksichtigen ist, dass der Beamte keine adäquate erfolgversprechende Therapie (mehr) in Anspruch genommen hat (Psychotherapie oder medikamentöse Therapie) und auch der Kläger nicht darauf drang. Der Senat hat demgemäß keine weiteren oder ergänzenden Gutachten zu diesen Fragen eingeholt. Denn nach Auffassung des Senates hätte sich - eine zur Dienstunfähigkeit führende vom Beklagten verursachte psychische Störung vorausgesetzt - das Risiko für eine Beeinträchtigung verwirklicht, das der Polizeibeamte mit seiner Berufswahl eingegangen ist.
Es geht dabei nicht darum, dass sich Polizeibeamte etwa beleidigen oder verletzen lassen müssen, sondern darum, ob sich die aus einer solchen Verletzung resultierenden Folgen psychischer Art bei wertender Betrachtung noch der Handlung des Schädigers zurechnen lassen.
Für den vorliegenden Fall verneint der Senat das. Der Beklagte hat den Polizeibeamten beleidigt und körperlich verletzt, als er ihn im Zuge seiner Widerstandshandlungen gegen das Daumengelenk der rechten Hand schlug oder trat. Diese Verletzungshandlung war kein gezielter Angriff gegen den Polizeibeamten, sondern resultierte aus ungeordneten Abwehrbewegungen des Beklagten, der sich dem Platzverweis und seiner Ingewahrsamnahme - wie auch später der Entnahme der Blutprobe - heftig widersetzte. Der Beklagte war deutlich erkennbar stark alkoholisiert. Der Polizeibeamte hatte mehrere Kollegen zu seiner Unterstützung vor Ort. Er befand sich nicht in der Gefahr, beispielsweise durch Waffen oder gefährliche Werkzeuge schwer verletzt zu werden. Er hat selbst angegeben, das sei "eigentlich keine große Sache gewesen", da habe er in fast 40 Dienstjahren ganz anderes erlebt, zum Beispiel gesehen, wie ein Kind von einem Lkw zerquetscht oder drei Frauen in einem Auto verbrannt seien (Gutachten Dr. B. vom 14. Januar 2019, S. 5f.).
Der Beamte befand sich damit in einer Situation, mit der Polizeibeamte - so bedauerlich das ist - im Rahmen ihrer Berufstätigkeit ständig rechnen müssen.
Es ist ihre Aufgabe in der Gesellschaft, derartige Konflikte zwischen streitenden - auch stark alkoholisierten - Menschen angemessen, ggf. durch körperlichen Einsatz, zu schlichten oder zu beenden. Sollte aber aus einer solchen für den Polizeibeamten alltäglichen Situation letztlich eine so gravierende psychische Störung resultieren, dass der Beamte dienstunfähig ist, ist dies dem Schädiger nicht mehr zuzurechnen. Die hier geltend gemachten Kosten (Heilbehandlung, Fortzahlung der Dienstbezüge) hat die Gesellschaft zu tragen.
Der Bundesgerichtshof hat entschieden (Urteil vom 17. April 2018, Az VI ZR 237/17 zitiert nach juris), dass die psychische Gesundheitsverletzung eines Polizeibeamten, die infolge der unmittelbaren Beteiligung an einem durch einen Amoklauf ausgelösten Geschehen eingetreten ist, dem Amokläufer zuzurechnen ist. Der Zurechnung stehe in einem solchen Fall nicht entgegen, dass sich in der Gesundheitsverletzung ein berufsspezifisches Risiko des Polizeibeamten verwirklicht habe.
In dem dortigen Fall war der Beklagte mit einem Messer und einer geladenen Schreckschusspistole bewaffnet und wollte frühere Lehrer, den Schulleiter sowie Schüler töten. Nach Betreten des Schulgebäudes tötete er einen Lehrer mit fünf Messerstichen, bedrohte weitere Lehrer mit der Schreckschusspistole, schlug einen der Lehrer zu Boden und gab mehrere Schüsse aus der Schreckschusspistole ab. Der später dienstunfähige Polizeibeamte betrat mit drei weiteren Kollegen das Schulgebäude, sie stellten den Amokläufer und forderten ihn unter Vorhalt ihrer Dienstwaffen zur Aufgabe auf. Der Amokläufer warf daraufhin seine Schreckschusspistole und eine Umhängetasche weg und ließ sich festnehmen. Der bei der Festnahme beteiligte Polizeibeamte erlitt infolge dieses Vorfalles eine Anpassungsstörung als Reaktion auf eine schwere seelische Belastung.
Der vorliegende Fall ist damit nicht zu vergleichen. Für den Polizeibeamten N. bestand in der konkreten Situation keine Lebensgefahr und er musste auch nicht damit rechnen, dass der Beklagte ihm nach dem Leben trachten würde. Der Beklagte hat sogar noch weitere Polizeibeamte angefordert, weil er erreichen wollte, dass diese gegen seine, des Beklagten, Widersacher unter den anderen Gästen der Cocktailbar vorgehen sollten. Es handelt sich hier gerade nicht um ein solches vorsätzliches schweres Gewaltverbrechen wie der Amoklauf, der der oben genannten Entscheidung des Bundesgerichtshofes zugrunde lag.
Auf die Berufung des Beklagten war das erstinstanzliche Urteil daher unter Zurückweisung des weitergehenden Rechtsmittels teilweise zu ändern und die Klage abzuweisen, soweit der Kläger Schadensersatz für die Dienstunfähigkeit infolge der psychischen Gesundheitsbeeinträchtigung begehrt. Dagegen blieb das Rechtsmittel erfolglos, soweit der Beklagte sich gegen die Verpflichtung zur Zahlung von Schadensersatz wegen der körperlichen Verletzung des Polizeibeamten wendet.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 2 Nr.1 ZPO analog. Der Gewinn des Klägers ist vergleichsweise geringfügig und die zugesprochene Teilforderung hat keine besonderen Kosten ausgelöst. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 708 Nr. 10, §§ 711, 709 Satz 2 ZPO.
Wegen der höchstrichterlich noch nicht abschließend beantworteten Frage, wie ein berufsspezifisches Risiko bei psychischen Gesundheitsverletzungen zu bewerten ist, hat der Senat die Revision zugelassen, § 543 Abs. 2 ZPO.