Verwaltungsgericht Stade
Beschl. v. 25.03.2010, Az.: 6 B 285/10

Untersagung des Ankaufs von Edelmetallen im Reisegewerbe i.R.e. einstweiligen Anordnung; Zurechnung abgewickelter Edelmetallankäufe als Gewerbeausübung des Inhabers eines Fotogeschäftes

Bibliographie

Gericht
VG Stade
Datum
25.03.2010
Aktenzeichen
6 B 285/10
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2010, 31995
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:VGSTADE:2010:0325.6B285.10.0A

Verfahrensgegenstand

Untersagung des Ankaufs von Edelmetallen im Reisegewerbe
hier: Antrag gemäß § 80 Abs. 5 VwGO

In der Verwaltungsrechtssache
...
hat das Verwaltungsgericht Stade - 6. Kammer -
am 25. März 2010
beschlossen:

Tenor:

Die aufschiebende Wirkung der Klage der Antragstellerin vom 01.03.2010 wird wiederhergestellt.

Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens.

Der Streitwert wird auf 3.750,00 EUR festgesetzt.

Gründe

1

Der zulässige Antrag hat Erfolg.

2

Es kann dahinstehen, ob die vom Antragsgegner gegebene Begründung für die Anordnung des Sofortvollzuges formell den Anforderungen des § 80 Abs. 3 Satz 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) genügt, denn jedenfalls in der Sache ist die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die Untersagungsverfügung vom 29.1.2010 geboten.

3

Gem. § 80 Abs. 5 VwGO kann das Gericht auf Antrag die aufschiebende Wirkung eines Rechtsbehelfs gegen einen belastenden Verwaltungsakt anordnen oder wiederherstellen. Bei dieser Entscheidung sind das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung einerseits und das private Interesse an der Aussetzung andererseits bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts abzuwägen. Dabei sind auch die Erfolgsaussichten eines eingelegten Rechtsbehelfs zu berücksichtigen, soweit sie bei der im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes geboten summarischen Prüfung bereits überschaubar sind. Bei Berücksichtigung dieser Grundsätze überwiegt im vorliegenden Falle das Interesse des Antragstellers an der Aussetzung der Vollziehung, da ernsthafte Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides bestehen.

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1.

Bei summarischer Prüfung spricht Überwiegendes dafür, dass die Untersagungsverfügung der Beklagten vom 29.1.2010 rechtswidrig ist und die Antragstellerin in ihren Rechten i.S.d. § 113 Abs. 1 VwGO verletzt.

5

Die Untersagungsverfügung ist auf § 60d Gewerbeordnung (GewO) gestützt. Nach dieser Vorschrift kann die Ausübung eines Reisegewerbes entgegen u.a. § 56 Abs. 1 GewO verhindert werden. Ein Reisegewerbe betreibt gemäß § 55 Abs. 1 Ziff. 1 GewO, wer gewerbsmäßig ohne vorhergehende Bestellung außerhalb seiner gewerblichen Niederlassung (§ 42 Abs. 2) oder ohne eine solche zu haben u.a. selbständig Waren ankauft. Hieran dürfte es fehlen, da die Antragstellerin bei summarischer Prüfung nicht außerhalb ihrer gewerblichen Niederlassung tätig geworden ist.

6

Die Kammer geht hierbei zwar davon aus, dass der im Fotogeschäft der C. D. (nachfolgend: D.) in E. abgewickelte Edelmetallankauf eine Gewerbeausübung der Antragstellerin darstellt. Dies ergibt sich schon aus dem von der Antragstellerin vorgelegten Agenturvertrag, dem zufolge der Ankauf im Namen und auf Rechnung der Antragstellerin erfolgt (vgl. Ziff. I.1, VII.1 und VIII.2) und das Eigentum an den angekauften Edelmetallen allein der Antragstellerin zustehen soll (Ziff. VII.1). Es ergibt sich ferner aus dem auf Veranlassung der Antragstellerin in Umlauf gegebenen Flugblatt (Bl. 1 der Beiakte A), das ebenfalls darauf hinweist, dass der Agenturpartner D. im Namen und auf Rechnung der Antragstellerin handelt. Schließlich ergibt sich auch aus den vorgelegten Kaufverträgen vom 21.10.2009 nichts anderes. Auch wenn es hier - kleingedruckt - heißt, der Verkauf erfolge an die F., die ausschließlich für Rechnung der Antragstellerin als Kommissionär handele, ist für den rechtlich unerfahrenen Verkäufer - zumal wenn dieser auf das Flugblatt hin zur Ankaufstelle gekommen ist - nicht erkennbar, dass Vertragspartner die D. und nicht die Antragstellerin sein soll. Der Kaufvertrag ist mit der Firmenanschrift der Antragstellerin überschrieben. Die D. wird im Vertrag nicht namentlich, sondern nur als "F." aufgeführt; dass die Antragstellerin nicht in der Lage gewesen sein soll, Vertragsformulare mit der individuellen Bezeichnung der Agenturpartner zu erstellen, wertet die Kammer als Schutzbehauptung, zumal eine Individualisierung bei den Flugblättern unproblematisch möglich war.

7

Allerdings hat die Antragstellerin ihr Gewerbe nicht außerhalb ihrer gewerblichen Niederlassung ausgeübt hat. Eine gewerbliche Niederlassung ist gemäß § 42 Abs. 2 GewO eine zum dauerhaften Gebrauch eingerichteter, ständig oder in regelmäßiger Wiederkehr vom Gewerbetreibenden benutzter Raum für den Betrieb seines Gewerbes. Ein solcher ist hier in den Räumlichkeiten der D. vorhanden, da diese nicht nur an den etwa alle ein bis zwei Monate stattfindenden "Aktionstagen", sondern durchgängig von der Antragstellerin zum Edelmetallankauf genutzt werden. Auch die außerhalb der "Aktionstage" abgewickelten Ankäufe sind der Antragstellerin zuzurechnen. Dies ergibt sich nicht nur aus den bereits genannten Bestimmungen des Agenturvertrages, die insoweit nicht zwischen Ankäufen an und außerhalb von "Aktionstagen" differenzieren, sondern namentlich aus den von der Antragstellerin vorgelegten, am 17.9., 22.9. und 14.10.2009 ausgestellten Quittungen. Wie die am 21.10.2009 ausgestellten Verträge weisen diese ausschließlich das Logo und die Anschrift der Antragstellerin, nicht die des Agenturpartners auf. Der in den Verträgen noch versteckt vorhandene Hinweis, dass die Ankäufe in Kommission - d.h. im eigenen Namen des Agenturpartners - erfolgten, fehlt hier sogar vollständig; es entsteht der Eindruck, dass der Agenturpartner lediglich als Vertreter der Antragstellerin handelt. Anhaltspunkte dafür, dass die - auch von den jeweiligen Verkäufern unterzeichneten - Quittungen falsch datiert oder insgesamt gefälscht worden sein könnten, vermag die Kammer nicht zu erkennen. Vor diesem Hintergrund kann auch die Tatsache, dass Herr Zielke anlässlich der Kontrolle am 29.1.2010 eine Kundin abgewiesen und auf einen späteren Zeitpunkt vertröstet hat, nicht als entscheidendes Indiz dafür gesehen werden, dass außerhalb der Aktionstage ein Edelmetallankauf nicht stattfindet.

8

Auf die Frage, ob die Antragstellerin auf vorherige Bestellung der Kunden tätig wird (gegen ein Tätigwerden auf vorherige Bestellung in vergleichbaren Konstellationen Nds. OVG, Beschl. v. 31.7.2009 - 7 ME 73/09 -; OVG Hamburg, Beschl. v. 17.10.2006 - 1 Bs 306/06 -; VG Oldenburg, Beschl. v. 23.6.2009 - 12 B 1586/09 -; a.A. LG Kassel - Kammer für Handelssachen -, Urt. v. 6.3.2009, 12 O 4197/08 -), kommt es somit nicht an.

9

2.

Abgesehen von den Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs in der Hauptsache spricht im Rahmen einer Interessenabwägung hier für die Anordnung der aufschiebenden Wirkung auch, dass eine über den Durchschnittsfall einer Untersagungsverfügung hinausgehende Gefährdung des mit § 60d, 56 Abs. 1 Nr. 2 geschützten Gutes - des Schutzes der Verbraucher vor Überrumpelung - bei einem Abwarten der Hauptsacheentscheidung nicht ersichtlich ist. Konkrete Beschwerden von Kunden über die Art und Weise der Geschäftsabwicklung durch die Antragstellerin hat der Antragsgegner nicht vorgetragen. Auch liegt hier die reisegewerbetypische Situation, dass der Gewerbetreibende für den Kunden nach Ende seiner Tätigkeit im Falle von Reklamationen nicht mehr "greifbar" ist, nicht vor. Abgesehen davon, dass der Agenturpartner der Antragstellerin sein Geschäft dauerhaft vor Ort ausübt und auch die Ankaufaktionen der Antragstellerin immerhin im Abstand von ein bis zwei Monaten einigermaßen regelmäßig stattfinden, wird den Verkäufern auf der ihnen übergebenen Vertragsausfertigung bzw. Quittung die Anschrift des Hauptsitzes der Antragstellerin mitgeteilt, so dass sie sich mit Beschwerden notfalls dorthin wenden können. Demgegenüber sind ggf. eintretende Einnahmeausfälle der Antragstellerin bis zur Entscheidung des Gerichts in der Hauptsache zumindest teilweise irreversibel.

10

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.

11

Die Streitwertfestsetzung erfolgt gemäß §§ 53 Abs. 2, 52 Abs. 1 GKG. Angesichts der Tatsache, dass die streitgegenständliche F. über gut 2 Jahre hinweg nur für 5.514,66 EUR Gold angekauft hat, wäre die Zugrundelegung des nach Ziff. 54.2.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit vorgesehenen Streitwerts von mindestens 15.000 EUR hier unangemessen. Es entsprach der Billigkeit, diesen zu vierteln. Eine weitere Reduktion in Hinblick auf den vorläufigen Charakter des begehrten Rechtsschutzes kommt wegen Vorwegnahme der Hauptsache nicht in Betracht.

12

Rechtsmittelbelehrung

13

Gegen diesen Beschluss ist die Beschwerde an das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht in Lüneburg statthaft.

14

...

Dr. Tepperwien
Kellmer
Teichmann