Verwaltungsgericht Lüneburg
Beschl. v. 14.03.2018, Az.: 3 B 5/18
Bibliographie
- Gericht
- VG Lüneburg
- Datum
- 14.03.2018
- Aktenzeichen
- 3 B 5/18
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2018, 74459
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Tenor:
Die aufschiebende Wirkung der Klage des Antragstellers gegen die Abschiebungsandrohung unter Nr. 3 des Bescheids der Antragsgegnerin vom 24. Januar 2018 wird angeordnet.
Die Antragsgegnerin hat die außergerichtlichen Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Gründe
I.
Der Antragsteller ist nach eigenen Angaben afghanischer Staatsangehöriger und zum Volk der Tadschiken zugehörig.
Der Antragsteller stellte nach Auskunft der schweizerischen Behörden am 19.09.2009 in der Schweiz einen Asylantrag, welcher mit Schreiben vom 10.12.2009 abgelehnt worden ist. Die hiergegen eingelegte Beschwerde wurde am 11.08.2011, die darauf eingereichte Revision am 19. Oktober 2011 zurückgewiesen. Nach Auskunft der schweizerischen Behörden ist der Antragsteller am 10.07.2015 unkontrolliert aus der Schweiz ausgereist.
Der Antragsteller reiste sodann nach Deutschland ein und stellte am 26.07.2016 einen Asylantrag. Am 03.07.2017 wurde der Antragsteller durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge zu einem Zweitantrag persönlich angehört.
Mit Bescheid vom 24.01.2018 lehnte das Bundesamt den Asylantrag des Antragstellers als Zweitantrag als unzulässig ab (Nr. 1), verneinte das Vorliegen von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG (Nr. 2), forderte den Antragsteller unter Androhung der Abschiebung nach Afghanistan auf, Deutschland innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe der Entscheidung zu verlassen (Nr. 3) und befristete das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot nach § 11 Abs. 1 AufenthG auf 36 Monate ab dem Tage der Abschiebung (Nr. 4). Der Bescheid wurde dem Antragsteller am 1. Februar 2018 zugestellt.
Der Antragsteller hat am 02. Februar 2018 Klage erhoben und beantragt,
die aufschiebende Wirkung der Klage hinsichtlich der Androhung der Abschiebung des Antragstellers nach Afghanistan gemäß § 80 Abs. 5 VwGO anzuordnen.
Der Antragsgegner hat beantragt,
den Antrag abzulehnen.
II.
1. Der auf die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gerichtete Antrag nach § 80 Abs. 5 Satz 1 1. Var. VwGO hinsichtlich der nach § 75 AsylG kraft Gesetzes sofort vollziehbaren Abschiebungsandrohung (vgl. § 71a Abs. 4 i.V.m. § 36 Abs. 1 AsylG) ist zulässig, insbesondere fristgerecht erhoben, und begründet.
a) Nach dem gemäß § 71a Abs. 4 AsylG anwendbaren Prüfungsmaßstab des § 36 Abs. 4 Satz 1 AsylG darf die Aussetzung der Abschiebung nur angeordnet werden, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes bestehen, wobei Tatsachen und Beweismittel, die von den Beteiligten nicht angegeben worden sind, unberücksichtigt bleiben, es sei denn, sie sind gerichtsbekannt oder offenkundig (§ 36 Abs. 4 Satz 2 AsylG). Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage ist der Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts (§ 77 Abs. 1 Satz 1 2. Alt. AsylG). Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes liegen vor, wenn erhebliche Gründe dafür sprechen, dass die Abschiebungsandrohung einer rechtlichen Prüfung wahrscheinlich nicht standhält (BVerfG, Urt. v. 14.5.1996 – 2 BvR 1516/93 – BVerfGE 94, 166 ff.).
b) Entsprechend diesem Maßstab ist die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Abschiebungsandrohung anzuordnen. Es bestehen ernstliche Zweifel daran, ob der Asylantrag in Bezug auf die Gewährung subsidiären Schutzes gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 5 i. V. m. § 71a AsylG als unzulässig abgelehnt werden durfte.
aa) Gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG ist ein Asylantrag unzulässig, wenn im Falle eines Folgeantrags nach § 71 AsylG oder eines Zweitantrags nach § 71a AsylG ein weiteres Asylverfahren nicht durchzuführen ist. Nach § 71a AsylG ist im Falle eines Zweitantrags ein weiteres Asylverfahren nur durchzuführen, wenn die Bundesrepublik Deutschland für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist und die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG vorliegen. Ein Zweitantrag liegt vor, wenn der Ausländer nach erfolglosem Abschluss eines Asylverfahrens in einem sicheren Drittstaat im Sinne von § 26a AsylG oder einem der in § 71a AsylG sonst genannten Staaten im Bundesgebiet einen Asylantrag stellt. Ein erfolgloser Abschluss des in einem anderen Mitgliedstaat der EU betriebenen Asylverfahrens setzt voraus, dass der Asylantrag entweder unanfechtbar abgelehnt oder das Verfahren nach Rücknahme des Asylantrags bzw. dieser gleichgestellten Verhaltensweisen endgültig – d.h. ohne die Möglichkeit einer Wiederaufnahme auf Antrag des Asylbewerbers – eingestellt worden ist (BVerwG, Urt. v. 14.12.2016 - 1 C 4.16 - juris Rn. 30 ff.).
Das erfolglos abgeschlossene Asylverfahren in einem anderen Mitgliedsstaat muss sich auch auf die Gewährung des unionsrechtlichen subsidiären Schutzes beziehen (vgl. VG Lüneburg 3 B 43/17 vom 20.02.2018 – nicht amtl. veröffentlicht; VG Lüneburg Urt. v. 8.08.2017 – 3 A 92/16 , juris; VG München, Beschl. v. 20.11.2017 - M 11 S 17.48158 - und v. 3.4.2017 - M 21 S 16.36125 -; VG Trier, Urt. v. 10.2.2016 - 5 K 3875/15.TR -, juris Ls. 2 und Rn. 54 ff).
bb) Im Hinblick auf eine voraussichtlich gebotene Prüfung des subsidiären Schutzes dürfte es hier an einem Zweitantrag im Sinne des § 71a AsylG fehlen.
Nach dem Vorbringen der Antragsgegnerin hat der Antragsteller in der Schweiz am 19.09.2009 einen Asylantrag gestellt, welcher erstmals mit Schreiben vom 10.12.2009 abgelehnt wurde. Die Beschwerde des Klägers vom 18.01.2010 wurde am 11.08.2011, die Revision am 19.10.2011 zurückgewiesen.
Die Prüfung subsidiären Schutzes als Teil der Prüfung des unionsrechtlichen internationalen Schutzes wurde unionsrechtlich erst durch die zum 9.01.2012 in Kraft getretene Richtlinie 2011/95EU des Europäischen Parlamentes vom 13.12.2011 eingeführt (Art.2 Buchst. H RL 2011/95/EU). Das Recht der Europäischen Union ist auf die Schweiz bereits nicht unmittelbar anwendbar. Art.113 des schweizerischen AsylG sieht lediglich vor, dass sich die Schweiz an der Harmonisierung der europäischen Flüchtlingspolitik auf internationaler Ebene beteiligt. Der Art.4 des schweizerischen Asylgesetzes vom 26.06.1998 sieht zwar ähnlich wie § 4 AsylG eine „Gewährung vorübergehenden Schutzes für die Flucht vor „allgemeiner Gefährdung“ bzw. vor „allgemeiner Gewalt“ vor, ist aber in Regelungsgehalt und Voraussetzungen nicht deckungsgleich mit den Merkmalen des später in Kraft getretenen Art.15 der Richtlinie 2011/95EU. Nach deutschem Recht wurde erst durch das Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie 2011/95EU vom 28.08.2013 die Unzulässigkeit eines erneuten Anerkennungsverfahrens auch auf die Zuerkennung subsidiären Schutzes nach § 4 Asyl(Vf)G erstreckt (vgl. BVerwG Urt. v. 17.06.2014 – 10 C 7/13,- juris Rn 30). Zwar sah bereits die Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29. April 2004 Personen mit Anspruch auf subsidiären Schutz vor, allerdings wurde Betroffenen insoweit auch in Deutschland „nur“ ein Abschiebeverbot gewährt. Anhaltspunkte dafür, dass die schweizerischen Behörden im Asylverfahren des Antragstellers noch vor dem Zeitpunkt des Inkrafttretens in der Bundesrepublik Deutschland die Voraussetzungen subsidiären Schutzes nach Maßgabe der Richtlinie 2011/95EU geprüft haben, liegen nicht vor (im Ergebnis ebenso für einen erst im Jahr 2015 in der Schweiz bestandskräftig abgelehnten Asylantrag VG Hamburg Beschl. v. 14.07.2016, 1 AE 2790/16 – juris).
cc) Da subsidiärer Schutz in einem sicheren Drittstaat i.S. § 26 a AsylG bzw. einem der in § 71a AsylG genannten Staaten voraussichtlich noch nicht geprüft (und abgelehnt) worden ist, wäre voraussichtlich insoweit die Unzulässigkeitsentscheidung der Antragsgegnerin gemäß § 29 Abs.1 Nr.5 i.V.m. § 71a AsylG rechtswidrig. Damit würde es zugleich an einer wirksamen Abschiebungsandrohung gemäß § 71a Abs.4 AsylG i.V.m. § 34 Abs.1 Nr.2a AsylG fehlen.
dd) Im Hinblick auf die vom Bundesamt getroffene Verfahrensentscheidung ist eine Sachprüfung hinsichtlich der Voraussetzungen des subsidiären Schutzstatus im gerichtlichen Verfahren - wie auch im Hauptsacheverfahren (BVerwG, U.v. 14.12.2016 a.a.O. – juris Ls. 1 und Rn. 16) - nicht veranlasst.
2. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1 VwGO, 83 b AsylG.
3. Dieser Beschluss ist gemäß § 80 AsylG unanfechtbar.