Versionsverlauf

Pflichtfeld

  • ab 15.08.2024 (aktuelle Fassung)

Anlage KDEEAnlErrRdErl - Leitfaden

Bibliographie

Titel
Errichtung von Anlagen zur Gewinnung von erneuerbaren Energien auf oder in der Umgebung von Kulturdenkmalen
Redaktionelle Abkürzung
KDEEAnlErrRdErl,NI
Normtyp
Verwaltungsvorschrift
Normgeber
Niedersachsen
Gliederungs-Nr.
22510

1. Mit der am 06.07.2022 in Kraft getretenen Fassung von § 7 Abs. 2 NDSchG wird dem öffentlichen Interesse an der Errichtung von Anlagen zur Erzeugung erneuerbarer Energien ein an bestimmte Voraussetzungen geknüpfter Vorrang vor dem Interesse an der unveränderten Erhaltung von Kulturdenkmalen eingeräumt (siehe § 7 Abs. 2 Satz 2 NDSchG). Dieser bedingte Vorrang fußt auf dem überragenden Interesse am Ausbau und der Nutzung erneuerbarer Energien, das in der Gewährleistung der Versorgungssicherheit und der Dekarbonisierung der Energieträger zur Eindämmung des Klimawandels und der Unabhängigkeit von fremden Rohstoffmärkten liegt. Es wird daher regelhaft vermutet, dass der Errichtung von Anlagen zur Gewinnung erneuerbarer Energien ein Vorrang zukommt.

Dieser Leitfaden soll als Beurteilungsgrundlage für hinzutretende Anlagen zur Erzeugung erneuerbarer Energien am und in der Umgebung von Baudenkmalen oder in einer Gruppe baulicher Anlagen dienen. Er ist sowohl für solarthermische Anlagen zur Warmwasserbereitung, Photovoltaikanlagen zur Stromgewinnung, Windenergieanlagen zur Stromgewinnung oder Wärmepumpenanlagen zur Wärme- oder Stromgewinnung anzuwenden.

Dieser Leitfaden betrifft die Anwendung des Denkmalrechts.

Wenn in einer örtlichen Bauvorschrift nach § 84 NBauO Bestimmungen zu Anlagen zur Gewinnung von erneuerbaren Energien getroffen sind, bleiben diese von § 7 NDSchG unberührt. Diese Vorschriften unterfallen dem öffentlichen Baurecht. Das Vorliegen der Voraussetzungen nach § 84 NBauO prüft für diesen Fall die örtlich zuständige Bauaufsichtsbehörde.

2. Die folgenden Fragestellungen und Prüfschritte dienen einer denkmalfachlichen Bewertung für den Einzelfall, wobei die Tiefe der Prüfung vom jeweiligen Fall abhängt.

Ein sorgfältig abgewogenes Ergebnis fußt regelmäßig auf einer hinreichenden Sachverhaltsermittlung. Da die Genehmigungsfähigkeit gemäß § 10 Abs. 1 i. V. m. § 7 NDSchG insbesondere am Denkmalwert gemessen werden muss, bedarf es zunächst der Feststellungen zum Denkmal selbst, dann zur Maßnahme.

2.1
Feststellung der denkmalrechtlichen Betroffenheit

Welches konkrete Kulturdenkmal ist betroffen (z. B. Kirche, Schloss, Wohnhaus, Wohn-/Wirtschaftsgebäude, Scheune, Stall, Hofanlage, Siedlung, Gartenanlage, Park, Friedhof, Bunker, Förderturm, Brücke, Schiff etc.).

2.2
Feststellung der Art der zu installierenden Anlage und des daraus resultierenden konkreten baulichen Umfangs der Maßnahme

2.2.1
Art der Anlage

  1. a)

    Welche Anlagenart soll installiert werden und welche Gestaltwerte hat die Anlage? (Farbe, hochglänzend, matt, kontrastreiches Raster mit Binnenstruktur, monochrom etc.)?

  2. b)

    Wie viele Anlagen sind an welchen Standorten geplant und welche Flächen (m2) werden benötigt?

  3. c)

    Welche Kubatur entwickelt die Anlage (flächenbündig, aufgeständert etc.)?

  4. d)

    Sind Nebenanlagen oder Zusatzgeräte erforderlich (Aufstellungsorte)?

2.2.2
Wie sind die zu erwartenden Eingriffe in Bezug auf die Summe der bereits vorhandenen Veränderungen zu gewichten, z. B. hinsichtlich bereits vorhandener Windenergieanlagen, Dachflächenfenster, Lüftungselemente etc.?

2.2.3
Anbringung: Wie ist die Montage (Umsetzung) in Bezug auf das Kulturdenkmal geplant?

  1. a)

    Wie erfolgt die Befestigung (Durchdringung der Dachhaut, Eingriffe in Tragwerk, Fassade)?

  2. b)

    Wie und wo werden Leitungsstränge geführt (Decke, Wände, wand- oder ortsfeste Ausstattung betroffen)?

2.2.4
Wird das Denkmal durch die baulichen Veränderungen gefährdet (§ 6 Abs. 2 NDSchG)?

  1. a)

    Ist unter statischen Aspekten eine Verstärkung der Dachkonstruktion erforderlich (Winddruck, Windsog, Lasten)?

  2. b)

    Liegt für die zu errichtende Anlage ein Ausführungskonzept unter Berücksichtigung des Brand- und Hochwasserschutzes vor? Ist ein ergänzendes Brandschutzkonzept erforderlich? Ist sichergestellt, dass die Anlage gemäß der geltenden Normen und Vorschriften ausgeführt ist, z. B. durch entsprechende Bestätigung geeigneter Sachverständiger? Die Anforderung der vorgenannten Unterlagen ist auf § 24 Abs. 1 Satz 1 NDSchG zu stützen.

  3. c)

    Sind im Brandfall wirksame Löscharbeiten i. S. von § 14 NBauO möglich?

2.3 Der jeweilige konkrete Unterschutzstellungsgrund (geschichtliche, künstlerische, wissenschaftliche oder städtebauliche Gründe gemäß § 3 Abs. 2 NDSchG) ist die Grundlage für die Bewertung der objektspezifischen Betroffenheit. Auf Nichtdenkmalen in einer Gruppe baulicher Anlagen gemäß § 3 Abs. 3 NDSchG oder in der Umgebung von Kulturdenkmalen ist eine dort errichtete Anlage zur Gewinnung von erneuerbaren Energien nur denkmalrechtlich relevant, wenn sich diese Maßnahme auf den Unterschutzstellungsgrund eines benachbarten Kulturdenkmals negativ auswirkt.

2.4 Sind denkmalkonstituierende materielle Werte (Denkmalsubstanz) betroffen? Diese können sich beziehen auf z. B.

  1. a)

    Dachwerk/Dachkonstruktion (statische Ertüchtigung),

  2. b)

    Dachhaut/Eindeckung, z. B. Ziegel, Schiefer, Sandsteindeckung (z. B. ist Reet ungeeignet),

  3. c)

    Elemente des Daches, z. B. First, Ortgang, Grate, Traufausbildung,

  4. d)

    Dachaufbauten, z. B. Schornsteine und Gauben,

  5. e)

    Konstruktion und Fassadenelemente,

  6. f)

    Elemente eines Gartens, einer Freifläche.

3. Genehmigungsfähigkeit

Die Prüfung der Genehmigungsfähigkeit richtet sich nach § 10 NDSchG. Dabei ist nach dem Beschluss des OVG Niedersachsen vom 08.06.2023 (1 ME 15/23) nach dem "Ob" und dem "Wie" einer Genehmigung zu differenzieren.

Es ist zu prüfen, ob der Denkmalwert überhaupt betroffen ist (§ 10 Abs. 2 NDSchG). Eine Versagung nach § 10 Abs. 3 i. V. m. § 6 NDSchG ist dann denkbar, wenn der Eingriff die Denkmaleigenschaft des Kulturdenkmals beseitigt oder aber gefährdet. Insoweit sind auch erhebliche Eingriffe in die Denkmalsubstanz bereits auf dieser Prüfungsebene auszuscheiden und nicht erst in der Frage der Rechtsfolge.

§ 7 NDSchG betrifft die Rechtsfolge. Im rechtlichen Ausgangspunkt ist ein Eingriff in ein Kulturdenkmal zu genehmigen, soweit das vorrangige öffentliche Interesse an der Errichtung von Anlagen zur Nutzung von erneuerbaren Energien das Interesse an der unveränderten Erhaltung des Kulturdenkmals überwiegt. Gefordert ist eine Abwägung. Bei dieser ist immer das hohe Gewicht des öffentlichen Interesses an der Errichtung von Anlagen zur Nutzung von erneuerbaren Energien entscheidungsrelevant, § 3 Abs. 3 Satz 1 Halbsatz 2 NKlimaG.

Der Vorrang für den Einsatz erneuerbarer Energien ist gemäß § 7 Abs. 2 Satz 2 NDSchG in der Regel dann gegeben, wenn der Eingriff in das äußere Erscheinungsbild reversibel ist und in die denkmalwerte Substanz nur geringfügig eingegriffen wird.

Mehr als nur geringfügig eingegriffen in die denkmalwerte Substanz wird im Falle von Photovoltaikanlagen auf Dächern beispielsweise, wenn

  • das Material der Dachhaut (z. B. Reet-/Strohdach, bestimmte Metalldächer) keine Aufbringung der Anlage zulässt,

  • statische Probleme auftreten könnten (z. B. durch Verwirbelungen), die Auswirkungen auf das gesamte Denkmal haben können,

  • der Dachstuhl so verstärkt werden muss, dass sich eine andere Dachgestalt ergibt oder die historische Konstruktion verändert wird oder

  • Dacheindeckungen mit künstlerischem Wert überdeckt werden und in diese Substanz unmittelbar eingegriffen wird.

Auch wenn die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 7 Abs. 2 Satz 2 NDSchG gegeben sind, kommt die Regelvermutung nicht zum Tragen, soweit ein atypischer Fall vorliegt. Das kann zum Beispiel der Fall sein, wenn konstituierende Merkmale und Denkmalwerte und dadurch die Denkmalbedeutung durch den Eingriff verloren gehen würden. Das öffentliche Interesse an der Errichtung der Anlage zur Erzeugung von erneuerbaren Energien überwiegt in diesen Fällen nicht. Die Denkmalverträglichkeit kann in diesen Fällen nicht festgestellt werden.

Ein weiterer atypischer Fall kommt in Betracht, wenn der Eingriff in das äußere Erscheinungsbild zwar reversibel ist und in die denkmalwerte Substanz nur geringfügig eingegriffen wird, aber die Prüfung ergeben würde, dass die Anlage wegen der Bedeutung des Denkmals nicht hinzunehmen ist. Dies kommt z. B. für herausragend bedeutende Baudenkmale wie z. B. UNESCO-Welterbestätten in Betracht. Da sich Deutschland völkerrechtlich zum Erhalt des Welterbes und damit zu der Einhaltung der dazu erforderlichen denkmalfachlichen Standards verpflichtet hat, ist das öffentliche Interesse an der Errichtung von Anlagen zur Nutzung von erneuerbaren Energien an und in der Umgebung von Welterbestätten nicht von vornherein dem Denkmalschutz überlegen. Bei diesen Objekten ist über die beschriebenen Prüfungsschritte hinaus die Welterbeverträglichkeit besonders zu prüfen. Das Ergebnis ist mit der Denkmalfachbehörde abzustimmen.

Darüber hinaus kann z. B. ein atypischer Fall bei baulichen Anlagen vorliegen, wenn diese einen herausragenden Geschichts- oder Kunstwert haben,

  • weil sie eine außergewöhnliche architektonische Qualität aufweisen,

  • weil sie für die Architekturgeschichte epochenbestimmend oder

  • weil sie im Rahmen ihrer nationalen Bedeutung identitätsstiftend sind.

Mit Blick auf den Willen des Gesetzgebers und das überragende öffentliche Interesse an der Errichtung von Anlagen zur Nutzung erneuerbarer Energien kann die Prüfung, ob ein atypischer Fall vorliegt, nur in sehr eng begrenzten Ausnahmefällen zu einem positiven Ergebnis kommen. In der weit überwiegenden Mehrzahl der Fälle wird die Regelvermutung anzuwenden sein. Ein ausnahmsweise positives Ergebnis der Prüfung ist daher durch die Behörde eingehend und nachvollziehbar zu begründen.

Liegen die Voraussetzungen der Regelvermutung des § 7 Abs. 2 Satz 2 NDSchG im Einzelfall danach nicht vor, bleibt es dabei, dass das vorrangige Interesse an der Errichtung von Anlagen zur Nutzung von erneuerbaren Energien gegenüber dem Interesse an der unveränderten Erhaltung des Kulturdenkmals weiter abzuwägen ist. Auch hier ist das gesetzgeberische Ziel des Klimaschutzes mit erheblichem Gewicht zu berücksichtigen.

Mit Verweis auf die ambitionierten Ziele des NKlimaG wird sich eine Prüfung von Standortalternativen bei Vorliegen eines Regelfalls i. S. von § 7 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 und Satz 2 NDSchG erübrigen. Bei Vorliegen eines atypischen Falls kann die Prüfung von Alternativstandorten in die Abwägung einbezogen werden.

4. Weitere Aspekte zur Berücksichtigung

Nach der Empfehlung der Niedersächsischen Landeskommission für Denkmalpflege vom 31.03.2023 soll bei der Planung von Solarthermie- und Photovoltaikanlagen darauf geachtet werden, dass die Anlagen sich dezent, additiv und erkennbar reversibel in das Erscheinungsbild des Baudenkmals einfügen. Bevorzugt werden sollen matte, monochrome, einfache, rechteckige Flächen mit Abstand zu den Dachrändern, Dacheinbauten und Dachaufbauten. Bei Neueindeckung sollten auch dachintegrierte Systeme in Betracht gezogen werden.

Demzufolge können die folgenden Fragen je nach Einzelfall in Betracht kommen:

4.1
Gibt es Möglichkeiten, zu erwartende Beeinträchtigungen einer Photovoltaik- oder solarthermischen Anlage durch eine architektonisch schlüssige und gestalterisch ansprechendere Anordnung zu reduzieren? Z. B. durch:

  1. a)

    Verbesserung der Montageart der Module: möglichst bündiger Einbau der Module und unauffällige Leitungsführung etc.;

  2. b)

    Verkleinerung der Flächenausdehnung der Module;

  3. c)

    Verbesserung der Gestaltwerte der Module (Bemusterung, Modellversuch):

    • Abschlüsse und Rahmen farblich zurückhaltend,

    • bei Photovoltaikanlagen: monokristalline Systeme,

    • Vermeidung von Spiegelungen;

  4. d)

    Anspruch an architektonischen Entwurf im Wirkungsraum des Denkmals oder in der Gruppe baulicher Anlagen:

    • rechteckige oder an Dachrand angepasste Formen, keine L- oder U-förmigen Felder,

    • vollflächige Anlagen statt belegten Teilflächen, Zusammenfassen von Modulfeldern,

    • Module parallel zur Dachfläche, falls nicht möglich: genügend Abstand zwischen nicht parallelen Linien oder maßgeschneiderte Modulflächen oder Blindmodule.

Wichtig: Die vorstehenden Erwägungen dürfen die grundlegende Entscheidung des Gesetzgebers zugunsten der Anlagen zur Nutzung von erneuerbaren Energien nicht konterkarieren. Die Auferlegung von geforderten Maßnahmen hinsichtlich des "Wie" der Genehmigung gemäß § 10 Abs. 1 i. V. m. § 7 NDSchG darf sich also nicht als faktische Ablehnung darstellen. Dies schließt eine für den Anlagenbetreiber - insbesondere wirtschaftlich - unzumutbare Ausgestaltung aus. Aufwändige und mit hohen Kosten verbundene technische Sonderlösungen können daher in der Regel nicht verlangt werden, wie z. B. die Installation in ertragsschwacher Lage.

4.2
Ist ein weniger vom öffentlichen Raum einsehbarer Anbringungsort der Anlage möglich?

4.3
Bei atypischen Fällen: Wurden alternative Standorte für die Montage einer Photovoltaikanlage untersucht und geprüft, z. B. benachbarter Neubau/Freifläche, untergeordnetes Nebengebäude oder Gemeinschaftsanlagen? Es muss sich dabei um sich aufdrängende Standortalternativen handeln. Die Darlegungslast dafür obliegt der Behörde.

Außer Kraft am 1. Januar 2030 durch Nummer 2 des RdErl. vom 15. August 2024 (Nds. MBl. 2024 Nr. 359)