Arbeitsgericht Oldenburg
Urt. v. 31.05.2017, Az.: 2 Ca 78/17

Diskriminierungsverbot; Mehrarbeitszuschläge; Teilzeitbeschäftigte

Bibliographie

Gericht
ArbG Oldenburg
Datum
31.05.2017
Aktenzeichen
2 Ca 78/17
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2017, 53707
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

nachfolgend
LAG Niedersachsen - 06.11.2017 - AZ: 8 Sa 672/17
BAG - 19.12.2018 - AZ: 10 AZR 617/17

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Die Mehrarbeitszuschläge nach dem MTV Systemgastronomie sind im Falle der Vereinbarung einer Jahresarbeitszeit bei Teilzeitbeschäftigten erst bei Überschreitung der regelmäßig für einen Vollzeitbeschäftigten geltenden Solljahreszeit von 2028 Stunden zu vergüten.

Tenor:

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Kosten des Rechtsstreits hat der Kläger zu tragen.

3. Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 870,45 € festgesetzt.

Tatbestand:

Die Parteien streiten über die Zahlung von Mehrarbeitszuschlägen.

Der am 00.00.1968 geborene Kläger ist seit dem 01.08.2013 als Arbeitnehmer im Store der Beklagten in O. im Rahmen einer wöchentlichen Arbeitszeit 28 Stunden beschäftigt. Sein Bruttostundenlohn betrug zuletzt 9,10 €. Auf das Arbeitsverhältnis finden die Tarifverträge für die Systemgastronomie im Bundesverband der Systemgastronomie kraft beiderseitiger Tarifbindung Anwendung. Zwischen den Parteien wurde die Führung eines Jahresarbeitszeitkontos vereinbart. Abrechnungszeitraum ist jeweils von Oktober bis September des Folgejahres. Im Oktober 2016 wies die Abrechnung des Jahresarbeitszeitkontos einen Saldo zugunsten des Klägers in Höhe von 289,86 Stunden aus.

Unter § 4 Ziffer 4. des MTV vom 17.12.2014 heißt es:

Absatz 1:

Mehrarbeit im Sinne dieses Tarifvertrages ist diejenige Arbeitsleistung, die über die regelmäßige monatliche Arbeitszeit nach Ziffer 1 hinausgeht und ausdrücklich vom Arbeitgeber angeordnet, gebilligt oder geduldet wird.

Absatz 2:

Mehrarbeit ist mit einem Zuschlag von 25 % des Bruttostundenentgeltes gemäß den Bestimmungen des Entgelttarifvertrages begnügen. (…) Mehrarbeit im Sinne der Jahresarbeitszeit ist mit einem Zuschlag von 33 % zu vergüten.

(…)

Absatz 5:

Bei einer festgelegten Jahresarbeitszeit nach Ziffer 3. ist Mehrarbeit diejenige Arbeitsleistung, die vom Arbeitgeber angeordnet, gebilligt oder geduldet wurde und die am Ende des 12. Monatszeitraumes über die vereinbarte Jahresarbeitszeit hinausgeht.

In § 5 Ziffer 5. des Tarifvertrages ist geregelt:

Bei Teilzeitkräften ist Mehrarbeit nur diejenige Arbeitszeit, die über die regelmäßige monatliche Arbeitszeit einer Vollzeittätigkeit § 4 Ziffer 1. hinausgeht.

Nach § 4 Ziffer 1. Abs. 1 beträgt die monatliche Arbeitszeit einer Vollzeitkraft 169 Stunden.

Mit seiner am 15.2.2017 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage macht der Kläger Mehrarbeitszuschläge in Höhe von 870,45 € brutto geltend.

Der Kläger ist der Ansicht, ihm stünden aufgrund der tarifvertraglichen Regelung in § 4 Ziffer 4. Abs. 5 Mehrarbeitszuschläge für die im Jahresarbeitszeitkonto ausgewiesenen Mehrarbeitsstunden zu. Die dortige Regelung gehe im Falle der Vereinbarung einer Jahresarbeitszeit der Regelung in § 5 Abs. 5 des Tarifvertrages vor. Dies entspreche dem Willen der Tarifvertragsparteien, die die Flexibilität der Teilzeitbeschäftigten über das Jahr hinweg besonders würdigen wollten. Eine solche Auslegung bevorteile auch nicht die Teilzeitbeschäftigten mit Jahresarbeitszeit, da diesen im Gegensatz zu anderen Teilzeitkräften auch kein Anspruch auf eine längere Arbeitszeit erwachse, wenn sie entsprechend länger über einen gewissen Zeitraum hinweg gearbeitet hätten.

Der Kläger beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an ihn 870,45 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.11.2016 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hält die geltend gemachten Forderungen für unbegründet. Die Auslegung des  § 4 Ziffer 4 iVm. § 5 Abs. 5 des Tarifvertrages führe dazu, dass bei Teilzeitkräften Mehrarbeit nur diejenige Arbeitszeit ist, die über die regelmäßige monatliche Arbeitszeit einer Vollzeitkraft nach § 4 Ziffer 1. hinausgehe. Dies habe zur Folge, dass Mehrarbeitszuschläge gemäß § 4 Ziffer 1. erst entstehen würden, wenn 39 Stunden pro Woche bzw. 169 Stunden monatlich und damit 2028 jährlich bei einem Jahresarbeitszeitkonto überschritten würden. Die gegenteilige Auffassung des Klägers führe zu einer Schlechterstellung von Teilzeitkräften bzw. Vollzeitmitarbeitern ohne Jahresarbeitszeitkonto. Eine solche Ungleichbehandlung sei von den Tarifvertragsparteien weder gewollt noch vereinbart worden.

Wegen des weiteren Vorbringens wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schrift-  sätze einschließlich der Anlagen sowie die Protokolle der mündlichen Verhandlung Bezug ge-nommen.

Entscheidungsgründe

I.

Die zulässige Klage ist unbegründet.

Der Kläger hat keinen Anspruch auf Zahlung der Mehrarbeitszuschläge in Höhe von 870,45 € brutto. Die Mehrarbeitszuschläge sind im Falle der Vereinbarung einer Jahresarbeitszeit bei Teilzeitbeschäftigten erst bei Überschreitung der regelmäßig für einen Vollzeitbeschäftigten geltenden Solljahreszeit von 2028 Stunden zu vergüten. Dies ergibt eine Auslegung der maßgeblichen tariflichen Vorschriften.

Tarifliche Inhaltsnormen sind wie Gesetze auszulegen. Auszugehen ist vom Wortlaut der Bestimmungen und dem durch ihn vermittelten Wortsinn. Insbesondere bei unbestimmtem Wortsinn sind der wirkliche Wille der Tarifvertragsparteien und der von ihnen beabsichtigte Zweck der tariflichen Regelung zu berücksichtigen, sofern und soweit sie im Regelungswerk ihren Niederschlag gefunden haben. Abzustellen ist ferner auf den Gesamtzusammenhang der Regelung, weil dieser Anhaltspunkte für den wirklichen Willen der Tarifvertragsparteien liefern kann. Bleiben im Einzelfall gleichwohl Zweifel, können die Gerichte ohne Bindung an eine bestimmte Reihenfolge auf weitere Kriterien zurückgreifen, wie etwa auf die Entstehungsgeschichte und die bisherige Anwendung der Regelung in der Praxis. Auch die Praktikabilität denkbarer Auslegungsergebnisse ist zu berücksichtigen. Im Zweifel gebührt derjenigen Auslegung der Vorzug, die zu einer vernünftigen, sachgerechten, gesetzeskonformen und praktisch brauchbaren Regelung führt (vgl. BAG 30.10.2012 - 1 AZR 794/11, AP Nr. 53 zu § 1 TVG Tarifverträge: Lufthansa).

Ausgehend von § 4 Ziffer 4. Abs. 1 Manteltarifvertrages (im Folgenden MTV) wird Mehrarbeit als diejenige Arbeitsleistung definiert, die über die regelmäßige monatliche Arbeitszeit nach  § 4 Ziffer 1. MTV hinausgeht und ausdrücklich vom Arbeitgeber angeordnet, gebilligt oder geduldet wurde. Die Vorschrift verweist damit zur Bestimmung von Mehrarbeit ausdrücklich auf § 4 Ziffer 1. des MTV, der die regelmäßige Arbeitszeit regelt. Diese beträgt ausschließlich der Pausen 39 Stunden pro Woche bzw. 169 Stunden monatlich. Übertragen auf einen Zwölfmonatszeitraum ergibt dies für einen Vollzeitbeschäftigten ein Jahresarbeitszeitsoll von 2028 Stunden. Eine Differenzierung von Voll-und Teilzeitkräften wird nicht vorgenommen.

Dies steht im systematischen Einklang mit § 5 Ziffer 5., der für den Bereich der Teilzeit ausdrücklich festlegt, dass Mehrarbeit nur diejenige Arbeitszeit ist, die über die regelmäßige monatliche Arbeitszeit hinausgeht. Dies hat zur Folge, dass unter Zugrundelegung des § 4 Ziffer 1. Mehrarbeitszuschläge erst dann entstehen, wenn 39 Stunden pro Woche bzw. 169 Stunden monatlich und damit bezogen auf eine Jahresarbeitszeit 2028 Stunden überschritten werden.

Dem gefundenen Ergebnis steht auch nicht die Vorschrift in 4 Ziffer 4. Abs. 5 des MTV entgegen. Zwar wird dort Mehrarbeit in Abweichung zu Abs. 1 im Rahmen einer festgelegten Jahresarbeitszeit nach Ziffer 3. als diejenige Arbeitsleistung definiert, die am Ende des Zwölfmonatszeitraumes über die vereinbarte Jahresarbeitszeit hinausgeht, jedoch wird die Regelung durch die für Teilzeitkräfte speziellere Vorschrift in § 5 Abs. 5 MTV konkretisiert. Die Vorschrift kommt auch bei der Vereinbarung einer Jahresarbeitszeit im Sinne des § 4 Ziffer 3. zur Anwendung. Ein anderes Verständnis der Vorschrift würde zu erheblichen Wertungswidersprüchen führen. In diesem Fall würden diejenigen Teilzeitbeschäftigten mit einer vereinbarten Jahresarbeitszeit gegenüber den Teilzeitbeschäftigten ohne Jahresarbeitszeit bessergestellt, da die Teilzeitbeschäftigten mit Jahresarbeitszeit Zuschläge erhalten, sofern deren Jahresarbeitszeitsoll überschritten ist, während die Teilzeitbeschäftigten ohne Jahresarbeitszeit der Vorschrift in § 5 Ziffer 5. MTV unterfallen und somit erst dann Zuschläge erhalten, wenn sie mehr Stunden als eine Vollzeitkraft leisten. Ein dahingehender Wille der Tarifvertragsparteien zwischen Teilzeitbeschäftigten mit und ohne vereinbarter Jahresarbeitszeit ohne sachlichen Grund zu differenzieren, kann nicht unterstellt werden, zumal im Zweifel derjenigen Auslegung der Vorzug zu geben ist, die zu einer vernünftigen, sachgerechten, gesetzeskonformen und praktisch brauchbaren Regelung führt. Dies wäre bei der Gegenauffassung nicht gewährleistet.

Die vom Kläger angeführten Gründe rechtfertigen jedenfalls eine derartige Differenzierung nicht, da die angesprochenen Unterschiede der besonderen Flexibilität der Jahresarbeitszeit bzw. des erweiterten Zeitrahmens geschuldet sind und beiden Arbeitsvertragsparteien zu Gute kommen. Darüber hinaus ist die Regelung in § 4 Ziffer 3. Abs. 4 MTV als reine Deckelung bzw. Begrenzung zu verstehen.

Die Regelung hält auch dem Diskriminierungsverbot für Teilzeitkräfte in § 4 Abs. 1 S. 1 TzBfG stand.

Nach § 4 Abs. 1 S. 2 TzBfG ist einem teilzeitbeschäftigten Arbeitnehmer Arbeitsentgelt oder eine andere teilbare geldwerte Leistung mindestens in dem Umfang zu gewähren, der dem Anteil seiner Arbeitszeit an derjenigen eines vergleichbaren vollzeitbeschäftigten Arbeitnehmers entspricht. Diese Norm konkretisiert das allgemeine Benachteiligungsverbot des § 4 Abs. 1 S. 1 TzBfG. Bezugsgröße für die Bestimmung der anteiligen Vergütung des Teilzeitbeschäftigten ist nach § 4 Abs. 1 S. 2 TzBfG die Arbeitszeit eines vergleichbaren Vollzeitbeschäftigten. Das ist gemäß § 2 Abs. 1 TzBfG die regelmäßige Arbeitszeit. Diese bestimmt sich nach der vertraglichen Vereinbarung, den anwendbaren Tarifverträgen oder einer tatsächlichen Übung. Vom Vollzeitbeschäftigten geleistete Überstunden gehören nicht zur regelmäßigen Arbeitszeit. Leistet der Arbeitgeber Überstundenzuschläge nur, wenn durch die Überstunden die regelmäßige Arbeitszeit Vollzeitbeschäftigter überschritten wird, ist deshalb allein nach Maßgabe der Grundnorm des § 4 Abs. 1 S. 1 TzBfG zu prüfen, ob hierdurch Teilzeitbeschäftigte wegen der Teilzeitarbeit benachteiligt werden (vgl. BAG v. 16.06.2004 - 5 AZR 448/03, AP Nr. 20 zu § 1 TVG Tarifverträge: Großhandel).

Danach wird der Kläger wegen der Teilzeitarbeit nicht schlechter behandelt als ein vergleichbarer vollzeitbeschäftigter Arbeitnehmer. Eine Ungleichbehandlung im Sinne von § 4 Abs. 1 S. 1 TzBfG liegt nur vor, wenn bei gleicher Anzahl von Stunden, die auf Grund eines Arbeitsverhältnisses geleistet werden, die den Vollzeitbeschäftigten gezahlte Vergütung höher ist als die den Teilzeitbeschäftigten gezahlte Vergütung (vgl. EuGH 15.12.1994 - C-399/92, AP Nr. 7 zu § 611 BGB Teilzeit). Erhalten Teilzeitbeschäftigte für die gleiche Anzahl geleisteter Arbeitsstunden die gleiche Gesamtvergütung wie Vollzeitbeschäftigte, besteht keine Ungleichbehandlung (vgl. BAG v. 16.06.2004 - 5 AZR 448/03, AP Nr. 20 zu § 1 TVG Tarifverträge: Großhandel).

Gemessen an diesen Grundsätzen lässt sich ein Verstoß gegen § 4 Abs. 1 S. 1 TzBfG nicht feststellen. Die tariflichen Vorschriften räumen dem Kläger gleichermaßen wie einem Vollzeitbeschäftigten dann einen Anspruch auf einen Mehrarbeitszuschlag für die geleisteten Mehrarbeitsstunden ein, wenn diese die regelmäßige Arbeitszeit überschreiten. Mit der Zubilligung von Mehrarbeitszuschlägen im Rahmen der Jahresarbeitszeit erst ab der 2029 Stunde ist somit noch keine Benachteiligung verbunden.

Vor diesem Hintergrund unterlag die Klage der Abweisung.

II.

Als unterlegene Partei hat der Kläger die Kosten des Rechtsstreits gemäß der §§ 46 Abs. 2 S. 1 ArbGG iVm. 91 Abs. 1 S. 1 ZPO zu tragen.

III.

Der Streitwert war gemäß § 61 Abs. 1 ArbGG im Urteil festzusetzen. Dabei wurde gemäß § 3 ZPO der Nennwert der Forderung zugrunde gelegt.