Verwaltungsgericht Göttingen
Urt. v. 28.12.2004, Az.: 2 A 211/04

Bibliographie

Gericht
VG Göttingen
Datum
28.12.2004
Aktenzeichen
2 A 211/04
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2004, 43177
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:VGGOETT:2004:1228.2A211.04.0A

In der Verwaltungsrechtssache

der Frau A. B.,

C. Straße, D.,

Staatsangehörigkeit: chinesisch,

Klägerin,

gegen

die Bundesrepublik Deutschland,

G. straße, H.,

Beklagte,

Streitgegenstand: Asyl, §§ 51, 53 AuslG, Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung

hat das Verwaltungsgericht Göttingen - 2. Kammer - auf die mündliche Verhandlung vom 28. Dezember 2004 durch den Richter am Verwaltungsgericht K. als Einzelrichter

für Recht erkannt:

Tenor:

  1. Das Verfahren wird ein-gestellt, soweit die Klage zurückgenommen worden ist.

    Die Beklagte wird unter Aufhebung von Ziffern 2 und 4 des Bescheides des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 04.06.2004 verpflichtet, festzu-stellen, dass bei der Klägerin die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG hinsichtlich der Volksrepublik China vorliegen.

    Die außergerichtlichen Kosten des gerichts-kostenfreien Verfahrens tragen die Klägerin und die Beklagte je zur Hälfte; insoweit ist das Urteil vorläufig vollstreckbar. Jede Vollstreckungsschuldnerin kann die Vollstreckung durch Si-cherheitsleistung in Höhe des jeweils gegen sie festzusetzen-den Kostenerstattungsbetrages abwenden, wenn nicht die je-weilige Vollstreckungsgläubigerin zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

1

Die Klägerin, eine Staatsangehörige der Volksrepublik China, die nach eigenen Angaben am XX.XX.XXXX nach Deutschland eingereist ist, begehrt (nunmehr noch) die Verpflichtung der Beklagten, festzustellen, dass bei ihr die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG vorliegen sowie die Aufhebung der Ausreiseaufforderung nebst Abschiebungsandrohung nach China. Sie hatte ihren Asylantrag bei der am 12.11.2003 stattgefundenen Anhörung vor dem Bundesamt im wesentlichen damit begründet, dass sie in China Zhong Gong ausgeübt habe und deshalb von der Polizei als angebliche Rädelsführerin eingesperrt, misshandelt und vergewaltigt worden zu sein. Das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge lehnte mit Bescheid vom 04.06.2004 den Asylantrag ab und stellte ferner fest, dass weder die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 noch Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG vorlägen. Die Klägerin wurde aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland zu verlassen, andernfalls sie nach China abgeschoben würde. Das Bundesamt gründete seine Entscheidung zum Asylanspruch darauf, dass die Klägerin die behauptete Einreise auf dem Luftweg nicht bewiesen habe und deshalb die sog. "Drittstaatenregelung" greife. Der Einzelentscheider hielt im Übrigen die Angaben der Klägerin zu ihrem Verfolgungsschicksal im Wesentlichen nicht für glaubhaft.

2

Die Klägerin, die ihren Sachvortrag aus dem Verwaltungsverfahren vertieft, hat am 18.06.2004 Klage erhoben und zunächst die Verpflichtung der Beklagten be-antragt, sie unter Aufhebung des streitbefangenen Bescheides als Asylberechtigte anzuerkennen sowie Abschiebungshindernisse nach § 51 Abs. 1 AuslG, hilfsweise nach § 53 AuslG festzustellen. Diesen Antrag hat sie in der mündlichen Verhandlung teilweise zurückgenommen.

3

Die Klägerin beantragt,

die Beklagte zu verpflichten, festzustellen, dass in ihrer Person die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG erfüllt sind und den Bescheid des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 04.06.2004 in Ziffern 2 und 4 aufzuheben.

4

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

5

Sie nimmt auf den angefochtenen Bescheid Bezug und hält die ergänzenden Angaben der Klägerin nicht für geeignet, ihre Glaubwürdigkeit zu stützen.

6

Der beteiligte Bundesbeauftragte für Asylangelegenheiten hat sich zur Sache nicht geäußert und auch keinen Antrag gestellt.

7

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte, die Verwaltungsvorgänge des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge und des Landkreises L. sowie auf die Er-kenntnismittel, die in der den Beteiligten vor der mündlichen Verhandlung bekannt gegebenen Erkenntnismittelliste aufgeführt sind, Bezug genommen. Diese Unterlagen waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Entscheidungsgründe

8

Das Verfahren ist einzustellen, soweit die Klägerin ihre Klage in der mündlichen Verhandlung zurückgenommen hat.

9

Im Übrigen, soweit die Feststellung eines Abschiebungsverbotes gem. § 51 Abs. 1 AuslG begehrt wird, ist sie zulässig und begründet.

10

Nach § 51 Abs. 1 des Ausländergesetzes vom 09.07.1990 (BGBl. I S. 1354, 1356) - AuslG - darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Der Anwendungsbereich der Vorschrift deckt sich mit demjenigen des Art. 16 a Abs. 1 GG, soweit es die Verfolgungshandlung, das geschützte Rechtsgut und den politischen Charakter der Verfolgung betrifft (vgl. BVerwG, Urt. v. 18.01.1994 - 9 C 48.92 -, DVBl. 1994, S. 531). Dagegen verlangt sie u.a. keinen Zusammenhang zwischen Verfolgung und Flucht und ist deshalb etwa auch einschlägig, wenn die Anerkennung als asylberechtigt wegen subjektiver Nachfluchtgründe nicht möglich ist. Ist der Abschiebungsschutzsuchende wegen bestehender oder unmittelbar drohender politischer Verfolgung ausgereist und war ihm auch ein Ausweichen innerhalb seines Heimatstaates unzumutbar, so ist ihm die Rückkehr nur dann zuzumuten, wenn eine Wiederholung der Verfolgungsmaßnahmen mit hinreichender Sicherheit ausgeschlossen ist; hierfür ist erforderlich, dass objektive Anhaltspunkte einen Übergriff als nicht ganz entfernt und damit als durchaus reale Möglichkeit erscheinen lassen (BVerwG, Urt. v. 8. September 1992 - 9 C 62.91 -, NVwZ 1993, 191 m.w.N.). Hat der Ausländer hingegen seinen Heimatstaat unverfolgt verlassen, so kann ihm nur dann ein Abschiebungsschutz gewährt werden, wenn ihm aufgrund beachtlicher Nachfluchttatbestände politische Verfolgung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit droht; dies ist der Fall, wenn bei Bewertung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen (BVerwG, Urt. v. 15. März 1988 - 9 C 278.86 -, BVerwGE 79, 143, 151). Ein subjektiver (selbst geschaffener) Nachfluchtgrund ist dabei nur dann von Bedeutung, wenn er sich als Ausdruck und Fortführung einer schon im Heimatstaat vorhandenen und erkennbar betätigten festen Überzeugung darstellt und sich der Ausländer beim Verlassen seines Heimatstaates in einer latenten Gefährdungslage befunden hat (vgl. BVerwG, Urt. v. 17. Ja-nuar 1989 - 9 C 56.88 -, DVBl. 1989, 722).

11

Unter Berücksichtigung dieser Rechtsgrundsätze hat die Klage Erfolg. Der Einzelrichter ist nach den Ergebnissen der Auswertung des Akteninhalts und der informatorischen Anhörung der Klägerin davon überzeugt, dass ihr ein Anspruch gem. § 51 Abs. 1 AuslG zusteht, weil sie als vermeintliche Rädelsführerin einer Zhong Gong - Gruppe verhaftet und über Monate inhaftiert worden war. Zudem ist sie von einem chinesischen Polizeibeamten in aslyerheblicher Weise misshandelt worden. Die Klägerin schil-derte in der mündlichen Verhandlung ihre Aktivitäten in der Zhong Gong -Gruppe, ihre Verhaftung und Haftzeit sowie die Misshandlungen und die erlittene Vergewaltigung eindringlich, ohne dabei zu übertreiben. Detailreich und widerspruchsfrei, ohne zu übertreiben waren ihre Schilderungen der Erlebnisse im Gefängnis und der Verhörmethoden. Steht hiernach für das Gericht fest, dass die Sicherheitsbehörden die Klägerin mehrfach misshandelt und gegen sie den Verdacht der Rädelsführerschaft in einer als regierungsfeindlich eingestuften Gruppe erhoben haben, ist das Gericht vor dem Hintergrund der vielfältigen Repressionen gegen Anhänger von Zhong Gong angesichts der Auskunftslage zur VR China davon überzeugt, dass die Malträtierungen keine Amtswalterexzesse waren, sondern gezielt an den Verdacht und Vorwurf,, sich staatsfeindlich betätigt zu haben, anknüpften. Staatlich geduldete, wenn nicht sogar angeordnete Repressionen mit übelsten körperlichen Übergriffen von Sicherheitskräften gegen Zhong Gong Anhänger sind bekannt und werden von der Beklagten auch nicht in Abrede gestellt. Die staatliche Einschätzung der Wirkungsmacht von Zhong Gong leistet ähnlich wie bei Falun Gong einem undifferenzierten Einsatz von Repressalien aller Art gegen ihre Anhänger Vorschub. Für die staatlichen Stellen ist es dabei schwierig, zwischen sog. Rädelsführern und bloß am Rande Interessierten zu unterscheiden. Deshalb besteht für jedem Anhänger, dessen Beteiligung an Zhong Gong bekannt ist, die Gefahr einer längerfristigen (Administrativ-) Inhaftierung. Bei angeblich führenden Mitgliedern ist auch eine strafrechtliche Verfolgung wahrscheinlich. Da nach Auffassung des Gerichts bei eine Rückkehr der Klägerin nach China die Gefahr eines wiederholten asylerheblichen Eingriffs in ihre Rechte besteht, war wie entschieden zu erkennen.

12

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 155 Abs. 1 und 2 VwGO, 83 b AsylVfG; ihre vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.